Verwaltungsrecht

Ausweisung wegen generalpräventiver Gründe bei Strafverfolgungsverjährung

Aktenzeichen  M 24 S 20.4734

Datum:
9.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 14053
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AufenthG § 11, § 50 Abs. 1, Abs. 2, § 51 Abs. 1 Nr. 1, § 53 Abs. 3, Abs. 4, § 54 Abs. 1 Nr. 1b, Abs. 2 Nr. 9, § 55
StGB § 78c Abs. 3
BZRG § 46 Nr. 2, § 51

 

Leitsatz

1. Die obere Grenze für ein generalpräventives Ausweisungsinteresse, das an strafrechtlich relevantes Handeln anknüpft, orientiert sich an der absoluten Verjährungsfrist des § 78c Abs. 3 S. 2 StGB, die regelmäßig das Doppelte der einfachen Verjährungsfrist beträgt. Innerhalb dieses Zeitrahmens ist der Fortbestand des Ausweisungsinteresses anhand generalpräventiver Erwägungen zu ermitteln (vgl. VGH München BeckRS 2020, 14546). (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein vertyptes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG setzt voraus, dass das rechtlich bestehende Personensorgerecht oder das Umgangsrecht tatsächlich ausgeübt wird. Es kommt darauf an, ob zwischen dem Ausländer und seinem Kind aufgrund des gepflegten persönlichen Umgangs ein Eltern-Kind-Verhältnis besteht, das von der nach außen manifestierten Verantwortung für die leibliche und seelische Entwicklung des Kindes geprägt ist (vgl. VGH München BeckRS 2019, 6029).(Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Belange oder das Wohl eines Kindes sind nur zu berücksichtigen, wenn zwischen dem Ausländer und dem Kind eine sozial-familiäre Bindung oder eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind angewiesen ist (VG München BeckRS 2019, 2639 Rn. 27). (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen das in Nummer 2 des Bescheids des Landratsamts Erding vom 21. August 2020 angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot wird angeordnet.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf Euro 2.500,– festgesetzt.

Gründe

I.
Der 1979 geborene Antragsteller, ein jordanischer Staatsangehöriger, wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen ein Einreise- und Aufenthaltsverbot, das zusammen mit seiner Ausweisung aus der Bundesrepublik Deutschland erlassen wurde.
1. Der Antragsteller reiste am 10. Juni 1998 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sein unter falschen Personalien gestellter Asylantrag wurde mit seit 4. August 1998 bestandskräftigem Bescheid abgelehnt; im Anschluss hieran wurde der Antragsteller geduldet.
Der Antragsteller ist Vater von fünf Kindern, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen (geb. 2004, 2006, 2010, 2014 und 2015). Im Zeitraum November 2009 bis November 2010 sowie Mai 2011 bis Mai 2014 war der Antragsteller im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen. Am 17. April 2014 beantragte er die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis, woraufhin ihm fortlaufend Fiktionsbescheinigungen ausgestellt wurden.
Die Mutter der Kinder des Antragstellers teilte der Ausländerbehörde in einem Telefonat am 10. September 2019 sowie in einer Vorsprache am 18. September 2019 mit, sie lebe seit Juli 2014 vom Antragsteller getrennt. Seither übernehme der Antragsteller keinerlei Verantwortung für die Kinder. So mache er sich keine Gedanken über die Diabetes-Erkrankung seines Sohnes; anstatt diesen anzuhalten, sich um die Schule zu kümmern, fordere er ihn auf, mit ihm feiern zu gehen. Regelmäßiger Kontakt zwischen dem Antragsteller und den Kindern bestehe nicht. Der Antragsteller komme, wenn er Lust habe, und äußere nicht von sich aus den Wunsch nach Kontakt zu den Kindern. Die Kinder hätten auch kein Interesse an ihrem Vater. Die gerade zu Ende gegangenen Sommerferien hätten sie zu Hause verbracht und der Antragsteller habe die Kinder nicht ein einziges Mal gesehen. Die Wohnung des Antragstellers würden die Kinder nicht kennen. Die Geburtstage der Kinder kenne der Antragsteller nicht und mache den Kindern auch sonst keine Geschenke. Die Kinder betreffende Entscheidungen treffe sie – die Kindsmutter – stets alleine. Der Antragsteller sei in keine Entscheidungen einbezogen und frage nicht nach. Er habe weder sie noch die Kinder jemals gefragt, welche Schule diese besuchen, in welche Klasse sie gehen, welche Hobbies sie haben u.Ä. Wenn ihr etwas passieren sollte, wisse sie, dass sich der Antragsteller nicht um die Kinder kümmern würde bzw. könnte. Sie vertraue ihm auch nicht. Sie habe immer gehofft, dass er sich ändere und sich um seine Kinder kümmere.
Der Antragsteller gab gegenüber dem Landratsamt an, er sehe seine Kinder ein- bis zweimal die Woche, je nachdem, wann sie Zeit hätten. Die damalige Bevollmächtigte des Antragstellers trug vor, die Ausübung der Personensorge stehe den Eltern gemeinschaftlich zu. Die Kindsmutter mache es dem Antragsteller unmöglich, die Personensorge für die gemeinsamen Kinder auszuüben. So würden Informationen zu den Besuchszeiten bzw. zum Aufenthaltsort der Kinder nicht weitergegeben. Anrufe des Antragstellers würden nicht beantwortet. Jegliche Versuche des Antragstellers, seine Kinder zu besuchen, würden verhindert. Der Antragsteller ziehe daher gerichtlichen Rechtsschutz in Betracht.
Mit Bescheid vom 16. Dezember 2019, zugestellt am 17. Dezember 2019, lehnte das Landratsamt den Antrag vom 17. April 2014 auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab, forderte den Antragsteller auf, das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Zustellung des Bescheids zu verlassen und drohte die Abschiebung nach Jordanien oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat an. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
2. Strafrechtlich ist der Antragsteller wie folgt in Erscheinung getreten:
Mit Urteil des Amtsgerichts München vom 16. März 2015, rechtskräftig seit 24. März 2015, wurde der Antragsteller wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung in Tatmehrheit mit Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt und die Strafe mit Wirkung vom 18. Mai 2018 erlassen.
Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Antragsteller Ende Juni / Anfang Juli 2014 der erwachsenen Tochter seiner damaligen Lebensgefährtin gezielt mit seinem beschuhten Fuß kräftig seitlich gegen die Hüfte getreten hatte, wodurch diese Schmerzen im Bereich des Unterleibs erlitten hatte. Am 10. Juli 2014 kam es in der gemeinsamen Wohnung zu einer Auseinandersetzung des Antragstellers mit seiner damaligen Lebensgefährtin, in deren Folge der Antragsteller äußerte, sie und ihre Tochter umbringen zu wollen. Der Antragsteller ging sodann auf seine damalige Lebensgefährtin zu und versetzte ihr mit der flachen Hand einen gezielten, schmerzhaften Schlag gegen die rechte Wange. Die Geschädigte war zu diesem Zeitpunkt dabei, ihren Säugling zu stillen, und daher in ihrer Wehrhaftigkeit eingeschränkt. Als die Geschädigte dem Antragsteller die Wohnungstür öffnen wollte, nahm er plötzlich den vor der Tür liegenden Fußabstreifer und warf diesen gezielt mit dessen Kante gegen den Kopf der Geschädigten, so dass diese Schmerzen, Schwindelgefühle und eine Beule erlitt. In der Nacht des 11. Juli 2014 beschädigte der Kläger willentlich das Gehäuse eines der Außenspiegel am PKW seiner vormaligen Lebensgefährtin, da er verärgert war, dass diese ihm den Zutritt zu ihrer Wohnung verweigerte.
Mit Strafbefehl vom 23. Mai 2018, rechtskräftig seit 12. Juni 2018, wurde der Kläger wegen Leistungserschleichung in drei Fällen zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen verurteilt, da er am 19. Januar, 20. Februar und 21. Februar 2018 öffentliche Verkehrsmittel ohne einen gültigen Fahrausweis benutzt hatte.
Mit Schreiben vom 27. April 2020 stellte das Landratsamt gegen den Antragsteller Strafanzeige wegen unerlaubten Aufenthalts.
Einer bei den Akten befindlichen polizeilichen Mitteilung vom 5. Februar 2020 zufolge entwendete der Antragsteller am 3. Februar 2020 in einem Drogeriemarkt Kosmetika im Wert von 178 Euro. Der dortige Ladendetektiv habe den Antragsteller dabei beobachtet, wie er zwei Parfumschachteln in seiner Jackentasche versteckt und sodann den Kassenbereich verlassen habe, ohne für die Ware bezahlt zu haben. Nach dem Kassenbereich habe ihn der Ladendetektiv angesprochen und in sein Büro gebeten. Der Antragsteller führte dabei sowohl seinen jordanischen Reisepass als auch eine Fiktionsbescheinigung mit sich. Die Staatsanwaltschaft erteilte für dieses Strafverfahren ihr Einverständnis mit einer Aufenthaltsbeendigung; der von der Staatsanwaltschaft beantragte Strafbefehl wurde bislang nicht erlassen.
3. Mit Schreiben vom 27. Mai 2020 beantragte der Antragsteller die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Eine Begründung des Antrags erfolgte nicht.
Nach vorheriger Anhörung wies das Landratsamt den Antragsteller mit streitgegenständlichem Bescheid vom 21. August 2020, zugestellt am 31. August 2020, aus der Bundesrepublik Deutschland aus und ordnete ein auf fünf Jahre ab Ausreise befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot an.
Hiergegen ließ der Antragsteller am 28. September 2020 Klage erheben, mit der er zusätzlich die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis beantragt (M 24 K 20.4733). Zugleich begehrt er die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Klage und Antrag wurden nicht begründet.
Das Landratsamt beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Einer telefonischen Mitteilung des Landratsamts zufolge wurde der Antragsteller in Untersuchungshaft genommen, nachdem er im Besitz von Betäubungsmitteln angetroffen worden sei. Auch bezüglich dieses Strafverfahrens habe die Staatsanwaltschaft ihr Einverständnis mit einer Aufenthaltsbeendigung erteilt. Unterlagen hierzu wurden dem Gericht nicht übersandt.
Die Verwaltungsstreitsache wurde durch Beschluss der Kammer zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten dieses Verfahrens und des Klageverfahrens sowie auf die beigezogenen Ausländerakten des Landratsamts Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat Erfolg.
I.
Nach sachgerechter Auslegung des gestellten Antrags (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO) bezieht sich der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung allein auf das in Nummer 2 des streitgegenständlichen Bescheids angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot. Hingegen ist nicht davon auszugehen, dass sich der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage auch auf die Ausweisung und den nicht beschiedenen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bezieht, denn insoweit wäre der Antrag unzulässig. Hinsichtlich der Ausweisung hat die Klage aufschiebende Wirkung, da das Landratsamt die sofortige Vollziehung nicht gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet hat. Hinsichtlich des nicht beschiedenen Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ebenfalls nicht statthaft, da in der Hauptsache insoweit eine Verpflichtungsklage zu erheben ist. Dem mit Schreiben vom 27. Mai 2020 gestellten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis kommt angesichts der bestandskräftigen Ablehnung des Antrags vom 17. April 2014 mit Bescheid vom 16. Dezember 2019 keine Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 AufenthG zu, so dass der Antragsteller sein Rechtsschutzziel mit einer Anfechtungsklage und einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht erreichen kann.
II.
Der so verstandene Antrag ist zulässig. Er ist nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft, da die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AufenthG entfällt. Die Regelung des § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AufenthG umfasst sowohl behördliche Befristungsentscheidungen als auch befristete behördliche Entscheidungen über die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots (so VGH BW, B.v. 13.11.2019 – 11 S 2996/19 – beckonline, BeckRS 2019, 292732; VGH BW, B.v. 21.1.2020 – 11 S 3477/19 – Rn. 73). Entgegen der Auffassung des Landratsamts bedarf es keines besonderen „Eilrechtsschutzbedürfnisses“.
Der Antrag hat auch in der Sache Erfolg.
Zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. BVerwG, U.v. 1.1.2009 – 1 C 32/08 – juris) überwiegt das Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung das Vollzugsinteresse des Antragsgegners.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Falle des gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO) ganz oder teilweise anordnen. Hierbei hat das Gericht selbst abzuwägen, ob die Interessen, die für einen gesetzlich angeordneten sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechen (§ 84 Abs. 1 AufenthG) oder die, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung sprechen, höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches, aber nicht als alleiniges Indiz zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, B.v. 25.3.1993 – 1 ER 301/92 – juris). Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein, weil er zulässig und begründet ist, so wird im Regelfall nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig, besteht ein öffentliches Interesse an einer sofortigen Vollziehung und der Antrag bleibt erfolglos. Sind die Erfolgsaussichten bei summarischer Prüfung als offen zu beurteilen, findet eine eigene gerichtliche Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt.
Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vorzunehmenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage kann im vorliegenden Fall zwar ein Einreise- und Aufenthaltsverbot rechtmäßig angeordnet werden; wegen der ermessensfehlerhaften Befristung erweist sich allerdings das konkret angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot als rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Da es sich angesichts der gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG von Amts wegen zwingend vorzunehmenden Befristung bei der Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots um einen einheitlichen belastenden Verwaltungsakt handelt, der nicht in die Anordnung des Verbots und dessen Befristung aufgespaltet werden kann (VGH BW, B.v. 21.1.2020 – 11 S 3477/19 – juris Rn. 19 f), war die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Nummer 2 des Bescheids insgesamt anzuordnen.
Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist gegen einen Ausländer, der ausgewiesen worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Für den Erlass eines auf eine Ausweisung bezogenen Einreise- und Aufenthaltsverbots genügt die Wirksamkeit der Ausweisung. Weder die Bestandskraft noch die Vollziehbarkeit der Ausweisung ist Voraussetzung für den Erlass des Einreise- und Aufenthaltsverbots. Dieses soll im Falle der Ausweisung gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung erlassen werde (§ 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG).
Da der Antragsteller ausgewiesen und das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung erlassen wurde, bestehen gegen die Rechtmäßigkeit der Anordnung des Verbots keine Bedenken. Angesichts der weitreichenden und gravierenden Folgen, die ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für den Betroffenen nach § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG hat, kann im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes jedoch die Rechtmäßigkeit der Ausweisung nicht unberücksichtigt bleiben. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes erfordert, dass bei der gerichtlichen Kontrolle eines Einreise- und Aufenthaltsverbots im Rahmen eines Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO eine inzidente Überprüfung der voraussichtlichen Rechtmäßigkeit der Ausweisung erfolgt (vgl. VGH BW, B.v. 21.1.2020 – 11 S 3477/19 – Rn. 76).
1. Die Ausweisung des Antragstellers ist voraussichtlich rechtmäßig.
Aufgrund der Straffälligkeit des Antragstellers stellt sein Aufenthalt auch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung aus generalpräventiven Gründen noch eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dar (§ 53 Abs. 1 i.V.m. § 54 Abs. 1 Nr. 1 b), Abs. 2 Nr. 9 AufenthG). Die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Antragstellers mit den Interessen an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt (1.2.).
1.1. Es besteht ein generalpräventives besonders schwerwiegendes bzw. schwerwiegendes Ausweisungsinteresse, welches weiterhin aktuell ist.
Eine Ausweisung kann auch nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Ausweisungsrecht regelmäßig (zu Ausnahmen bei durch § 53 Abs. 3 bis 4 AufenthG besonders geschützten Personenkreisen BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16/17 – BVerwGE 162, 349 juris Rn. 19 unter Verweis auf BT-Drs. 18/4097 S. 49) auf generalpräventive Gründe gestützt werden, denn vom weiteren Aufenthalt eines Ausländers, der Straftaten begangen hat, kann auch dann eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen, wenn von ihm selbst keine (Wiederholungs-)Gefahr mehr ausgeht, im Fall des Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf sein Fehlverhalten andere Ausländer aber nicht wirksam davon abgehalten werden, vergleichbare Delikte zu begehen (BVerwG, U.v. 9.5.2019- 1 C 21.18 – BVerwGE 165, 331 – juris Rn. 17). Zur Annahme eines generalpräventiven Ausweisungsinteresses im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG bedarf es – anders als unter Geltung von § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG a.F. – nicht der Verurteilung wegen besonders schwerwiegender Delikte für die öffentliche Sicherheit und Ordnung (vgl. BayVGH, B.v. 12.11.2020 – 10 ZB 20.1852 – juris Rn. 7 f; BayVGH, B.v. 6.3.2020 – 10 ZB 19.2419 – juris Rn. 5). So hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im Einzelfall auch im Falle von Falschangaben zur Erlangung einer Duldung (BayVGH, B.v. 10.12.2018 – 10 ZB 16.1511 – juris Rn. 19; B.v. 17.9.2020 – 10 C 20.1895 – juris Rn. 10), einer Identitätstäuschung gegenüber der Ausländerbehörde (BayVGH, B.v. 6.3.2020 – 10 ZB 19.2419 – juris Rn. 5), Falschangaben im Visumverfahren (BayVGH, B.v. 28.12.2018 – 10 C 18.1361 – juris Rn. 13), der Verletzung der Passpflicht (BayVGH, B.v. 4.5.2020 – 20.666 – juris Rn. 8) oder einer Körperverletzung (BayVGH, B.v. 27.4.2020 – 10 C 20.51 – juris Rn. 7) ein generalpräventives Ausweisungsinteresse bejaht. Erforderlich ist lediglich, dass die Ausweisung an Straftaten oder Verhaltensweisen anknüpft, bei denen sie nach allgemeiner Lebenserfahrung geeignet erscheint, andere Ausländer von Taten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (BVerwG, U.v. 3.5.1973 – I C 33.72 – BVerwGE 42, 133 – juris Rn. 34; Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 53 AufenthG Rn. 64; Dörig, Handbuch Migrations- und Integrationsrecht, 2. Aufl. 2020, § 7 Rn. 27). Auch muss das Ausweisungsinteresse noch aktuell sein (BVerwG, U.v. 9.5.2019 -1 C 21.18 – BVerwGE 165, 331 – juris Rn. 17). Darüber hinaus sind Art und Schwere der jeweiligen Anlasstat lediglich im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen (so auch Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 53 AufenthG Rn. 63). Für die zeitliche Begrenzung eines generalpräventiven Ausweisungsinteresses, das an strafrechtlich relevantes Handeln anknüpft, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 23) für die vorzunehmende gefahrenabwehrrechtliche Beurteilung eine Orientierung an den Fristen der §§ 78 ff. StGB zur Strafverfolgungsverjährung angezeigt. Dabei bildet die einfache Verjährungsfrist des § 78 Abs. 3 StGB, deren Dauer sich nach der verwirklichten Tat richtet und die mit Beendigung der Tat zu laufen beginnt, eine untere Grenze. Die obere Grenze orientiert sich hingegen regelmäßig an der absoluten Verjährungsfrist des § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB, die regelmäßig das Doppelte der einfachen Verjährungsfrist beträgt. Innerhalb dieses Zeitrahmens ist der Fortbestand des Ausweisungsinteresses anhand generalpräventiver Erwägungen zu ermitteln (vgl. BayVGH, B.v. 4.5.2020 – 10 ZB 20.666 – juris Rn. 8).
Gemessen daran besteht im Fall des Klägers noch ein generalpräventives Ausweisungsinteresse aufgrund der von ihm begangenen Straftaten der Körperverletzung und Bedrohung sowie des unerlaubten Aufenthalts im Bundesgebiet. Mit Blick auf die vom Kläger begangenen Körperverletzungen zum Nachteil seiner ehemaligen Lebensgefährtin und seiner Stieftochter sowie die Bedrohung seiner ehemaligen Lebensgefährtin ist die Ausweisung konkret geeignet, andere Ausländer von der Begehung vergleichbarer Straftaten abzuhalten. Aus den im Protokoll über die Hauptverhandlung vom 16. März 2015 wiedergegebenen Aussagen der Beteiligten ist ersichtlich, dass der Antragsteller die Taten begangen hat, weil er mit der Lebensführung seiner Stieftochter und der Einstellung seiner damaligen Lebensgefährtin hierzu nicht einverstanden war, da diese seinen Wertvorstellungen widersprachen. Mit der Ausweisung wird daher im konkreten Fall verdeutlicht, dass Gewalt gegenüber weiblichen, körperlich unterlegenen Familienmitgliedern zum Zwecke der Durchsetzung eigener Wertvorstellungen nicht hingenommen wird. Im Hinblick auf den unerlaubten Aufenthalt, der gemäß §§ 4 Abs. 1, 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG strafbar ist, bereits seit Ablauf der gesetzten Ausreisefrist am 17. Januar 2020 und damit bis zur Inhaftierung des Antragstellers für ca. ein Jahr bestand und als nicht geringfügiger oder vereinzelter Verstoß ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG darstellt, ist die Ausweisung geeignet zu verdeutlichen, dass eine Verletzung aufenthaltsrechtlicher Regelungen nicht sanktionslos hingenommen wird, sondern ein generell nicht kalkulierbares und somit nicht lohnendes Risiko herbeiführt (ähnlich OVG Magdeburg, B.v. 23.4.2020 – 2 L 30/20 -, BeckRS 2020, 8001). Hieran besteht auch ein nicht unerhebliches öffentliches Interesse. Die strafrechtliche Ahndung der Tat ist insoweit nicht Voraussetzung, wenn – wie hier – die Begehung der Tat anhand der vorliegenden Unterlagen zur Überzeugung der Ausländerbehörde und des Gerichts festgestellt werden kann.
Das Ausweisungsinteresse ist trotz des seit der Tat verstrichenen Zeitablaufs auch betreffend die Körperverletzung noch aktuell. Zwar ist die einfache Verjährungsfrist des § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB, die im Falle der Körperverletzung fünf Jahre ab Beendigung der Tat beträgt, bereits abgelaufen. Allerdings ist die Tat gemäß § § 46 Nr. 2, 51 BZRG noch verwertbar und die absolute, zehnjährige Verjährungsfrist des § 78c Abs. 3 Satz zwei StGB noch nicht verstrichen. Wenngleich das durch die Straftat begründete Ausweisungsinteresse selbstredend mit fortschreitendem Zeitablauf an Bedeutung verliert, begründen die konkreten Tatumstände unter Einbeziehung des generalpräventiven Anlasses vorliegend noch immer ein Interesse daran, zu verdeutlichen, dass derartige körperliche Angriffe gegenüber weiblichen Familienmitgliedern nicht hingenommen werden. Der Antragsteller hat durch die Taten insbesondere bei seiner Stieftochter, die zum Tatzeitpunkt eine junge Frau war, erhebliche Ängste hervorgerufen, welche auch im Zeitpunkt der Hauptverhandlung mehrere Monate nach der Tat noch derart groß waren, dass die Tochter nicht in der Lage war, in Gegenwart des Antragstellers über die Tat zu sprechen, so dass er durch das Gericht aus dem Sitzungssaal entfernt werden musste. Darüber hinaus war es zu mehreren Körperverletzungen in Form relativ massiver Gewaltanwendungen zum Nachteil zweier weiblicher Familienmitglieder sowie zu massiven Bedrohungen gekommen, welche, obwohl der Antragsteller zum damaligen Zeitpunkt strafrechtlich nicht vorbelastet war, mit einer Freiheitsstrafe geahndet wurden. Im Zuge einer der Körperverletzungen wurde darüber hinaus ein Säugling einer Gefährdung ausgesetzt. Das Gericht sieht daher auch nahezu sieben Jahre nach der Tat noch ein generalpräventives Ausweisungsinteresse für gegeben an.
Als nicht mehr aktuell erachtet das Gericht hingegen das grundsätzlich auch beim Erschleichen von Leistungen gegebene generalpräventive Ausweisungsinteresse. Die einfache, dreijährige Verjährungsfrist gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 5 StGB ist insoweit bereits abgelaufen. Wenngleich der Antragsteller hinsichtlich dieses Delikts dreimal in engem zeitlichen Zusammenhang aufgefallen ist, liegen angesichts des geringen verursachten Schadens keine besonderen Umstände vor, die es aus generalpräventiven Erwägungen heraus rechtfertigen würden, vorliegend über diese Frist hinaus noch ein öffentliches Ausweisungsinteresse zu begründen.
1.2. Auch unter Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Interessen des Klägers überwiegt bei der unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach § 53 Abs. 1 (i.V.m. Abs. 2) AufenthG durchzuführenden Abwägung das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers. Die Ausweisung steht auch mit Art. 8 EMRK im Einklang, da sie gesetzlich vorgesehen ist (§ 53 Abs. 1 AufenthG), einen in dieser Bestimmung aufgeführten legitimen Zweck, nämlich die Verteidigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und die Verhinderung von Straftaten, verfolgt und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht.
Ein vertyptes Bleibeinteresse ergibt sich im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht aus § 55 Abs. 1 Nr. 4 oder § 55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG. § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG setzt voraus, dass das rechtlich bestehende Personensorgerecht oder das Umgangsrecht tatsächlich ausgeübt wird (BeckOK AuslR/Fleuß, 28. Ed. 1.1.2021, AufenthG § 55 Rn. 50, 52 ff). Eine tatsächliche Ausübung des Personensorgerechts oder des Umgangsrechts setzt eine tatsächlich gelebte Vater-Kind-Beziehung in Form einer tatsächlich gelebten Nähebeziehung, d. h. ein tatsächliches Kümmern um den deutschen Minderjährigen, voraus (BT-Drs. 18/4097, S. 53). Es kommt darauf an, ob zwischen dem Ausländer und seinem Kind auf Grund des gepflegten persönlichen Umgangs ein Eltern-Kind-Verhältnis besteht, das von der nach außen manifestierten Verantwortung für die leibliche und seelische Entwicklung des Kindes geprägt ist (vgl. BayVGH, B.v. 14.3.2019 – 10 ZB 18.2388 – juris Rn. 7).
Dies ist vorliegend zur Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 VwGO) nicht der Fall. Die Mutter der Kinder des Antragstellers hat der Ausländerbehörde in einem Telefonat am 10. September 2019 sowie in einer Vorsprache am 18. September 2019 mitgeteilt, sie lebe seit Juli 2014 vom Antragsteller getrennt. Seither übernehme der Antragsteller keinerlei Verantwortung für die Kinder. So mache er sich keine Gedanken über die Diabetes-Erkrankung seines Sohnes; anstatt diesen anzuhalten, sich um die Schule zu kümmern, fordere er ihn auf, mit ihm feiern zu gehen. Regelmäßiger Kontakt zwischen dem Antragsteller und den Kindern bestehe nicht. Der Antragsteller komme, wenn er Lust habe, und äußere nicht von sich aus den Wunsch nach Kontakt zu den Kindern. Die Kinder hätten auch kein Interesse an ihrem Vater. Die gerade zu Ende gegangenen Sommerferien hätten sie zu Hause verbracht und der Antragsteller habe die Kinder nicht ein einziges Mal gesehen. Die Wohnung des Antragstellers würden die Kinder nicht kennen. Die Geburtstage der Kinder kenne der Antragsteller nicht und mache den Kindern auch sonst keine Geschenke. Der Antragsteller leiste keinen Unterhalt, so dass die Kindsmutter auf die Leistung von Unterhaltsvorschuss durch das Jugendamt angewiesen sei. Die Kinder betreffende Entscheidungen treffe sie stets alleine. Der Antragsteller sei in keine Entscheidungen einbezogen und frage nicht nach. Er habe weder sie noch die Kinder jemals gefragt, welche Schule diese besuchen, in welche Klasse sie gehen, welche Hobbies sie haben u.Ä. Wenn ihr etwas passieren sollte, wisse sie, dass sich der Antragsteller nicht um die Kinder kümmern würde bzw. könnte. Konkrete Termine, um die Kinder zu sehen, habe der Antragsteller erst Anfang Dezember 2019 als Reaktion auf die Anhörung zur Ablehnung seines Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis erbeten (vgl. hierzu den in der Behördenakte befindlichen Aktenvermerk des Landratsamts über ein Telefongespräch mit der Kindsmutter am 4. Dezember 2019).
Diesen Ausführungen der Kindsmutter ist der Antragsteller nicht substantiiert entgegengetreten. Seine Angaben zu einem angeblichen Umgang mit den Kindern sind unkonkret, pauschal und überdies widersprüchlich. Einerseits hat er angegeben, er sehe seine Kinder ein- bis zweimal die Woche, je nachdem, wann sie Zeit hätten, wobei diese Angaben nicht durch konkrete Darlegungen dahingehend spezifiziert wurden, wo, in welcher Form und mit welcher zeitlichen Dauer dieser Umgang stattfindet. Andererseits trug die damalige Bevollmächtigte des Antragstellers vor, die Kindsmutter mache es dem Antragsteller trotz der ihm zustehenden Personensorge unmöglich, diese auszuüben. So würden Informationen zu den Besuchszeiten bzw. zum Aufenthaltsort der Kinder nicht weitergegeben. Anrufe des Antragstellers würden nicht beantwortet. Jegliche Versuche des Antragstellers, seine Kinder zu besuchen, würden verhindert. Der Antragsteller ziehe daher gerichtlichen Rechtsschutz in Betracht. Diese Angaben sind zum einen nicht in Einklang zu bringen; zum anderen ist hinsichtlich der in Aussicht genommenen Einleitung gerichtlicher Schritte zum Erstreiten eines Umgangsrechts bis zum heutigen Zeitpunkt nichts zu den Akten des Verwaltungsgerichts oder der Ausländerbehörde gelangt. Dafür, dass sich an der Ausübung des Umgangsrechts seit dem Jahr 2019 maßgeblich etwas geändert hätte, ist nichts vorgetragen oder sonst ersichtlich.
Vor diesem Hintergrund steht dem Antragsteller auch kein schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG zur Seite. Die Belange oder das Wohl eines Kindes sind bzw. ist nur zu berücksichtigen, wenn zwischen dem Ausländer und dem Kind eine sozial-familiäre Bindung oder eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind angewiesen ist (VG München, U.v. 23.01.2019 – M 25 K 16.3546 – BeckRS 2019, 2639 Rn. 27). Dies ist derzeit nach dem oben Ausgeführten nicht der Fall.
Dem Antragsteller ist es zuzumuten, sich wieder in seinem Heimatland Jordanien zu integrieren. Er ist dort aufgewachsen und hat dementsprechend dort seine soziale und kulturelle Prägung erfahren. In Deutschland ist ihm eine nachhaltige berufliche Integration nicht gelungen; zwar hat er immer wieder gearbeitet, jedoch über erhebliche Zeiträume auch Arbeitslosengeld II bezogen. Dementsprechend hat er für seine fünf Kinder keinen Unterhalt geleistet und war zuletzt obdachlos.
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass abgesehen von der bloßen Aufenthaltsdauer derzeit keine gewichtigen Bleibeinteressen bestehen, so dass das auf generalpräventiven Gründen beruhende besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse letztlich überwiegt. Insbesondere ist durch die Ausweisung, die eine Aufenthaltsbeendigung nach sich zieht, das Kindeswohl der Kinder nicht gefährdet, so dass sich die Ausweisung auch unter Berücksichtigung von Art. 8 EMRK und Art. 6 GG als verhältnismäßig erweist.
2. Allerdings hat das Landratsamt die Wiedereinreisesperre von fünf Jahren ermessensfehlerhaft (§ 114 Satz 1 VwGO) festgesetzt, so dass das Einreise- und Aufenthaltsverbot in der konkret angeordneten Form rechtswidrig ist.
Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot zu befristen. Bei der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung, bei der die persönlichen Belange des Betreffenden an einer Wiedereinreise und einem erneuten Aufenthalt im Bundesgebiet sowie die öffentlichen Interessen an der Fernhaltung des Ausländers vom Bundesgebiet zu berücksichtigen sind. Der Behörde steht dabei ein Ermessensspielraum zu (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG), wobei die Dauer des Verbots außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten darf (§ 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG). Fallübergreifende, verallgemeinerungsfähige Kriterien können hierzu nicht festgelegt werden (vgl. BayVGH, B.v. 6.4.2017 – 11 ZB 17.30317 m.w.N.).
Davon ausgehend stellt sich die Entscheidung des Landratsamts, das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf fünf Jahre zu befristen, als defizitär und unverhältnismäßig und damit als ermessensfehlerhaft dar. Ein spezialpräventives Ausweisungsinteresse besteht allenfalls in sehr geringem Umfang. Hinsichtlich der begangenen Körperverletzungen besteht angesichts des Ablaufs der Bewährungszeit und des seither verstrichenen erheblichen Zeitraums keine konkrete Wiederholungsgefahr. Gleiches gilt für das Erschleichen von Leistungen. Hinsichtlich des Delikts des Ladendiebstahls wurde das Ermittlungsverfahren nicht abgeschlossen und der Akteninhalt erlaubt – anders als bei der Straftat des unerlaubten Aufenthalts – keine Feststellung der vorsätzlichen, rechtswidrigen und Schuldhaften Tatbegehung mit der notwendigen Überzeugungsgewissheit. Hinsichtlich des unerlaubten Aufenthalts besteht aus derzeitiger Sicht eine geringe konkrete Wiederholungsgefahr, da im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung davon ausgegangen werden kann, dass der Aufenthalt des Antragstellers aus der Haft heraus zeitnah beendet werden kann, zumal der Antragsteller der Ausländerbehörde freiwillig seinen Pass überlassen hat.
Zwar können auch generalpräventive Gründe bei der Befristung des Einreiseund Aufenthaltsverbots Berücksichtigung finden; zu beachten ist allerdings, dass insoweit die Höchstfrist des § elf Abs. 3 Satz zwei AufenthG von fünf Jahren gilt (vgl. Art. 11 Abs. 2 Satz 1 RL 2008/115/EG). Angesichts des vorliegend zwar zweifelsohne noch bestehenden, nach Art und konkreter Schwere der Straftaten sowie der seit deren Begehung bereits verstrichenen Zeit allerdings nicht (mehr) allzu schwer ausgeprägten generalpräventiven Ausweisungsinteresses hat das Landratsamt bei der Festsetzung der konkreten Frist den Zweck der Ermächtigung offensichtlich verfehlt und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit missachtet. Bei der Ermessensentscheidung wurde auch den Interessen des Antragstellers und seiner fünf Kinder, die alle die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, nicht das ihnen zukommende Gewicht beigemessen. Zwar besteht derzeit keine schützenswerte Vater-Kind-Beziehung im Sinne einer Verantwortungs- und Erziehungsgemeinschaft, die dem Antragsteller einen Anspruch auf Aufenthalt im Bundesgebiet vermittelt. Allerdings ist in Abwägung mit dem zwar derzeit noch vorhandenen, konkret aber nicht sehr schwerwiegenden generalpräventiven Ausweisungsinteresse eine Prognose, dass es über einen Zeitraum von fünf Jahren hinweg nicht zu einer schützenswerten Gemeinschaft zwischen dem Antragsteller und seinen Kindern kommen kann, nicht gerechtfertigt. Weder dem Antragsteller noch seinen fünf Kindern kann es unter Berücksichtigung des konkreten Ausweisungsinteresses zugemutet werden, den Antragsteller über einen derart langen Zeitraum aus der Bundesrepublik Deutschland und von seinen Kindern fernzuhalten, zumal den Kindern wegen der bestehenden familiären Lebensgemeinschaft mit der Mutter ein Verlassen der Bundesrepublik nicht zugemutet werden kann. Zwar kann – auch vor dem Hintergrund des Alters der Kinder -ein Kontakt auch über Internet und Telefon aufgebaut bzw. aufrechterhalten werden; sofern allerdings eines der Kinder oder der Antragsteller den Aufbau einer persönlichen Begegnungsgemeinschaft wünschen, gebietet Art. 6 GG nach Verwirklichung des öffentlichen Ausweisungsinteresses, es dem Antragsteller zu ermöglichen, dass Bundesgebiet unabhängig von der Erteilung einer Betretenserlaubnis nach § elf Abs. 8 AufenthG zu Besuchszwecken zu betreten oder bei Vorliegen der jeweiligen entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen wieder einen Aufenthaltstitel zu erlangen.
Das Landratsamt wird daher erneut über die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots zu entscheiden haben, welche vorliegend in einem Korridor zwischen ein und zwei Jahren liegen sollte (vgl. zum Gesichtspunkt des unerlaubten Aufenthalts § 11 Abs. 6 Satz 4 AufenthG).
III.
Klarstellend weist das Gericht darauf hin, dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen das Einreise- und Aufenthaltsverbot keinen Einfluss auf die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht und die Möglichkeit der Aufenthaltsbeendigung hat. Zum einen begründen Fehler bei der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots keinen Anspruch auf vorläufigen Verbleib im Bundesgebiet bis zur Nachholung einer rechtmäßigen Befristung (VGH BW, B.v. 21.1.2020 – 11 S 3477/19 – juris Rn. 32 f), da die fehlerhafte Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, eines selbständigen Verwaltungsakts, nicht die Rechtmäßigkeit der Ausweisung beeinflusst. Vor allem aber begründet im vorliegenden Fall bereits die bestandskräftige Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis mit Bescheid vom 16. Dezember 2019 nach Ablauf der gesetzten Ausreisefrist die vollziehbare Ausreisepflicht des Antragstellers (§ 51 Abs. 1 Nr. 1, 50 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG). Ungeachtet dessen, dass ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO (zurecht) nicht gestellt wurde, wäre ein solcher unbegründet, da der Antragsteller nach derzeitiger Sachlage weder einen Anspruch auf Duldung noch einen Anspruch darauf hat, dass über seinen mit Schriftsatz vom 27. Mai 2020 gestellten neuerlichen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erneut entschieden wird. Der Antragsteller hat nach der bestandskräftigen Ablehnung der Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis mit Bescheid vom 16. Dezember 2019 keine neuen Gründe vorgebracht, die die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis oder eine erneute Entscheidung hierüber rechtfertigen. Ein Sachbescheidungsinteresse ist daher im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht erkennbar. Ein Duldungsanspruch besteht mangels einer derzeit zu schützenden Vater-Kind-Beziehung ebenfalls nicht, da es insoweit nicht auf formale familiäre Bindungen, sondern auf eine tatsächliche Verbundenheit in Gestalt einer tatsächlich bestehenden Verantwortungs- und Erziehungsgemeinschaft ankommt (vgl. hierzu BVerfG, B.v. 1.12.2008 – 2 BvR 1830/08 -, juris Rn. 28 ff. m.w.N.). Das Bestehen einer solchen hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht (s.o.).
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und Abs. 2 GKG i.V.m. Nrn. 1.5 und 8.1 des Streitwertkatalogs.


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