Verwaltungsrecht

Ausweisung wegen Sexualdelikten

Aktenzeichen  M 25 K 18.2515

Datum:
13.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 7044
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 53, § 54 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 1a, § 55 Abs. 1 Nr. 1
EMRK Art. 8

 

Leitsatz

Bei Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung kann eine Ausweisung auch durch generalpräventive Erwägungen gerechtfertigt sein, um zu signalisieren, dass die körperliche Unversehrtheit und die sexuelle Selbstbestimmung der Frau ein hohes Rechtsgut darstellt und derartige Delikte nicht nur strafrechtliche Konsequenzen haben, sondern auch ausländerrechtliche. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die im streitgegenständlichen Bescheid verfügte Ausweisung des Klägers verbunden mit einem neunjährige Einreise- und Aufenthaltsverbot sowie die Abschiebungsandrohung sind rechtmäßig ergangen und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
I.
Die Ausweisung des Klägers erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 12) als rechtmäßig.
1. Rechtsgrundlage für die Ausweisung ist § 53 Abs. 1 AufenthG, wonach ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet, ausgewiesen wird, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen am weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
a.) Der weitere Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet stellt eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dar, da mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der Kläger erneut erheblich straffällig wird (vgl. zum Prognosemaßstab BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris). Beim Kläger handelt es sich um einen Wiederholungstäter, den die bislang verhängten Strafen nicht davon abgehalten haben, weitere Straftaten zu begehen. Der Kläger ist in der Vergangenheit mehrfach strafrechtlich und einschlägig in Erscheinung getreten. Anstatt sich den Folgen seiner Taten zu stellen, hat er sich von 2006 bis 2008 durch Untertauchen in Spanien der Strafvollstreckung entzogen.
Hinsichtlich der Vergewaltigungstat vom Juli 2017 ist er ebenfalls einschlägig vorbestraft. Bei der Vergewaltigung handelt es sich um eine schwerwiegende Straftat, die einen massiven Eingriff in das hohe Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung darstellt. Der Kläger wurde bereits mit Urteil des Landgerichts … vom 3. Mai 2011 wegen Vergewaltigung verurteilt. Dies hat den Kläger nicht daran gehindert, erneut, diesmal seine eigene Stieftochter zu vergewaltigen. Der Kläger hat dabei die Arg- und Wehrlosigkeit der jungen Frau ausgenutzt, indem er, während sie schlief, sexuelle Handlungen an ihr vornahm. Zudem hat der Kläger versucht, die junge Frau einzuschüchtern, sodass seine Tat unentdeckt bleibt. Das Opfer musste sich nach der Tat in psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung begeben. Die Wiederholungsgefahr wird dadurch verstärkt, dass der Kläger ausweislich der Führungsberichte der JVA … vom 20. April 2018 und vom 6. März 2019 nach wie vor die beiden Vergewaltigungen leugnet. Auch in der mündlichen Verhandlung bestritt der Kläger die Vergewaltigung an seiner Stieftochter. Zudem nimmt der Kläger keine entsprechende Therapie in Anspruch. Laut Führungsbericht vom 6. März 2019 musste ein Therapieversuch nach zwei Sitzungen mangels Tateinsicht abgebrochen werden. Solange eine entsprechende Therapie und anschließende Bewährung nicht stattgefunden haben, besteht die Wiederholungsgefahr fort.
Unabhängig davon gefährdet der Aufenthalt des Klägers auch im Hinblick auf generalpräventive Erwägungen die öffentliche Sicherheit und Ordnung der Bundesrepublik Deutschland. Denn eine Ausweisung vor dem Hintergrund eines Deliktes gegen die sexuelle Selbstbestimmung setzt ein deutliches Signal, dass die körperliche Unversehrtheit und die sexuelle Selbstbestimmung der Frau in der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland ein hohes Rechtsgut darstellt und derartige Delikte nicht nur strafrechtliche Konsequenzen haben, sondern auch ausländerrechtliche. Allein diese generalpräventiven Gründe begründen eine Ausweisungsinteresse (BVerwG U.v. 12.7.2018 – 1 C 16/17 – juris Rn. 16). Die Ausweisung gewalttätiger Ausländer entspricht auch der ständigen Verwaltungspraxis der Beklagten.
b.) Die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der gegenläufigen Interessen ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausweisung das Bleibeinteresse des Klägers überwiegt und die Ausweisung nicht unverhältnismäßig ist, § 53 Abs. 1 AufenthG.
Allein auf Grund der Verurteilung des Klägers wegen Vergewaltigung erfüllt der Kläger ein besonders schweres Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1, 1a AufenthG.
In der Person des Klägers liegt ein besonders schweres Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vor, da er im Besitz einer Niederlassungserlaubnis ist. Ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG ist nicht anzunehmen, da der Kläger mit seiner deutschen Ehefrau nicht mehr in familiärer Lebensgemeinschaft lebt. Die Ehe wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Ingolstadt vom 17. Januar 2018 geschieden. Nach Angabe des Bevollmächtigten des Klägers, ist dieser bereits aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen.
Auch unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten persönlichen Belange des Klägers überwiegt das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung. Beim Kläger handelt es sich um einen Wiederholungstäter, den auch eine frühere Verurteilung wegen Vergewaltigung nicht von der Begehung einer weiteren Vergewaltigung hat abbringen lassen. Damit und mit der Begehung einer Vielzahl von weiteren Straftaten hat der Kläger zum Ausdruck gebracht, dass er entweder nicht willens oder jedenfalls nicht in der Lage ist, sich an die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland zu halten. Weiterhin hat der Kläger die Opfer seiner Vergewaltigungen erheblich in ihrer körperlichen Unversehrtheit und ihrem Sicherheitsempfinden beeinträchtigt. Das Opfer der zweiten Tat musste sich in psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung begeben. Besonders schwer wiegt dabei zudem, dass der Kläger die zweite Vergewaltigung im häuslichen Umfeld gegenüber seiner schlafenden Stieftochter begangen hat und dabei ihre Arg- und Wehrlosigkeit ausgenutzt hat.
Auch unter Berücksichtigung der Positionen des Klägers aus Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK überwiegt das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers. Nach Trennung von seiner Ehefrau und Auszug aus der gemeinsamen Wohnung bestehen insofern keine familiären Bindungen mehr im Bundesgebiet. Sonstige Bindungen des Klägers im Bundesgebiet sind nicht ersichtlich. Ebensowenig erscheint die Ausweisung im Hinblick auf den langjährigen Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet unter Berücksichtigung von Art. 8 EMRK als unverhältnismäßig. Eine soziale Integration ist dem Kläger nicht gelungen. Die Vielzahl der vom Kläger begangenen Straftaten zeigt, dass der Kläger nicht willens oder nicht in der Lage ist, sich an die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland zu halten. Die gegen ihn verhängten Strafen haben ihn nicht dazu bewogen, seine Einstellung zu ändern. Der Kläger hat in der Vergangenheit in der Bundesrepublik zwar gearbeitet, gleichwohl sind seine wirtschaftlichen Bindungen im Bundesgebiet nicht verfestigt. Auf Grund der Haft arbeitet der Kläger derzeit nicht. Im Übrigen ist diesen Umständen gegenüber dem bestehenden, besonders schweren Ausweisungsinteresse geringeres Gewicht beizumessen.
Es ist dem Kläger möglich und zumutbar nach Nigeria zurückzugehen und dort zu arbeiten. Der Kläger ist in Nigeria aufgewachsen, dort zur Schule gegangen und hat eine Ausbildung zum Mechaniker gemacht. Seine vielfachen beruflichen Erfahrungen in der Bundesrepublik und Sprachkenntnisse werden für ihn auf dem dortigen Arbeitsmarkt zudem von Vorteil sein. Er spricht die Landessprache und ist mit den dortigen Lebensverhältnissen vertraut. Laut seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung leben in Nigeria noch seine Mutter und ein Bruder.
Die ausgesprochene Ausweisung des Klägers ist damit eine verhältnismäßige Maßnahme, die zur Abwehr durch ihn drohender Gefahren insbesondere geeignet, erforderlich und angemessen ist.
2. Die in Ziffern 2 festgesetzte Wiedereinreisesperre von 9 Jahren lässt keine Rechtsfehler erkennen. Hinsichtlich der Dauer der Sperrfrist gemäß § 11 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG bedarf es der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen – das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zu Grunde liegt – das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. In diesem Rahmen sind auch verfassungsrechtliche Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG) sowie die Vorgaben aus Art. 7 Grundrechtscharta, Art. 8 EMRK zu berücksichtigen (BVerwG, U.v.13.12.2012 – 1 C 20/11 – juris). Die vom Gericht nur beschränkt überprüfbare Ermessensentscheidung lässt keine Rechtsfehler erkennen. Der Kläger hat fortgesetzt ganz erhebliche Straftaten begangen, so dass die Befristung gem. § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG grundsätzlich fünf Jahre überschreiten durfte.
Ausgehend von der Schwere und der Vielzahl der vom Kläger begangenen Straftaten sowie der Folgen der beiden Vergewaltigungsdelikte für die beiden Opfer erscheint eine Frist von 9 Jahren als angemessen. Der Kläger verfügt außerdem über keine schützenswerten Bindungen im Bundesgebiet. Seine Ehe wurde inzwischen geschieden.
3. Keinen Bedenken begegnet die Abschiebungsandrohung nach §§ 59, 58 AufenthG. Soweit die Abschiebung aus der Haft angekündigt wird (Ziff. 3 des Bescheides), erfüllt dies die Voraussetzungen von §§ 58 Abs. 3, 59 Abs. 5 AufenthG.
Die für den Fall einer Abschiebung nach Haftentlassung festgesetzte Ausreisefrist von einer Woche ist angemessen (Ziff. 4 des Bescheides). § 59 Abs. 1 S. 1 AufenthG sieht als Mindestfrist sieben Tage vor. Angesichts des Umstandes, dass der Kläger keinen Haushalt auflösen, kein Arbeitsverhältnis kündigen und auch sonst keinen größeren organisatorischen Aufwand zur Abwicklung seiner hiesigen Lebensverhältnisse ergreifen muss, erscheint eine Ausreisefrist von einer Wochen als ausreichend.
II.
Die Klage ist nach alledem mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
III.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 111 ZPO.


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