Verwaltungsrecht

Ausweisung wegen Straffälligkeit

Aktenzeichen  M 10 K 19.2769

Datum:
11.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 6790
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1, § 58 Abs. 3 Nr. 1, § 59 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1
GG Art. 6

 

Leitsatz

Die Abschiebungsandrohung ist rechtswidrig, wenn der Fristbeginn für die freiwillige Ausreise rechtswidrig bestimmt wurde. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.    Ziffer 3 des Bescheids des Beklagten vom 16. Mai 2019 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. 
II.    Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.    Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist im Hinblick auf Ziffer 3 des angefochtenen Bescheids vom 16. Mai 2019 begründet, da der Beginn der Ausreisefrist in Ziffer 3 Satz 1 rechtswidrig ist und die übrigen Regelungen in Ziffer 3 des Bescheids nicht alleine bestehen bleiben können. Der angegriffene Bescheid ist insoweit aufzuheben. Im Übrigen bleibt die Klage ohne Erfolg, da sie nicht begründet ist.
1. Die Klage ist insofern begründet, als in Ziffer 3 Satz 1 des streitgegenständlichen Bescheids vom 16. Mai 2019 der Beginn der Ausreisefrist an die Entlassung aus der Haft oder Unterbringung geknüpft worden ist. Insoweit ist der Bescheid rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Da die übrigen Regelungen in Ziffer 3 des Bescheids nicht alleine aufrechterhalten bleiben können, ist Ziffer 3 des Bescheids insgesamt aufzuheben.
Zwar ist die vorliegend vorgesehene Dauer der Ausreisefrist von 14 Tagen, die gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG grundsätzlich zwischen 7 und 30 Tagen betragen kann, nicht als unangemessen kurz anzusehen. Sie ist ausreichend für den Kläger, um seine Angelegenheiten in der Bundesrepublik Deutschland zu regeln. Da er bei seinem Onkel arbeitet und keine eigene Wohnung hat, sondern bei seiner Tante wohnt, geht es bei ihm in erster Linie darum, sich von seinen hier lebenden Verwandten und Bekannten zu verabschieden. Hierfür genügt eine Frist von 14 Tagen.
Aber der angeordnete Fristbeginn ab Entlassung aus der Haft oder Unterbringung läuft im konkreten Fall, da der Kläger bereits aus der Haft entlassen worden ist, leer. Richtigerweise wäre für den Fristbeginn auf die Unanfechtbarkeit des Bescheids oder die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht abzustellen gewesen. Hinzu kommt, dass der Beklagte den Beginn der Frist an die Haftentlassung des Klägers geknüpft hat, ohne den Sofortvollzug anzuordnen.
Angesichts dessen ist der gewählte Fristbeginn in Ziffer 3 Satz 1 des angegriffenen Bescheids rechtswidrig. Da die gesetzte Ausreisefrist in Ziffer 3 Satz 1 des Bescheids ohne die Regelung eines Fristbeginns nicht vollziehbar wäre, ist Ziffer 3 Satz 1 nicht nur hinsichtlich des Fristbeginns, sondern insgesamt aufzuheben. Da Sätze 2 und 3 von Ziffer 3 des Bescheids auf Satz 1 insoweit Bezug nehmen, als an die nicht fristgerechte Ausreise angeknüpft wird, sind diese durch die Aufhebung von Satz 1 gegenstandslos. Ziffer 3 des angefochtenen Bescheids ist daher insgesamt aufzuheben.
2. Im Übrigen ist die Klage nicht begründet. Der streitgegenständliche Bescheid vom 16. Mai 2019 ist – abgesehen von Ziffer 3 – rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
a) Die Ausweisungsverfügung in Ziffer 1 des angegriffenen Bescheids ist rechtlich nicht zu beanstanden.
aa) Rechtsgrundlage für die Ausweisung ist § 53 Abs. 1 AufenthG.
Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
Die Einschränkungen des § 53 Abs. 3a oder Abs. 4 AufenthG greifen im vorliegenden Fall nicht ein.
bb) Die Ausweisungsverfügung vom 16. Mai 2019 ist formell rechtmäßig.
Insbesondere wurde der Kläger vor ihrem Erlass angehört. Das Landratsamt … war für den Erlass der Ausweisung auch zuständig. Gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AufenthG i.V.m. § 1 Nr. 1, § 2, § 7 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 1 Verordnung über Zuständigkeiten im Ausländerrecht (Zuständigkeitsverordnung Ausländerrecht – ZustVAuslR) war im vorliegenden Fall das Landratsamt … sachlich und örtlich zuständige Ausländerbehörde, da der Kläger vor seiner Inhaftierung seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort im Landkreis … hatte und die aufgrund dessen begründete Zuständigkeit durch die Inhaftierung in der JVA … nicht berührt worden ist. Für das gerichtliche Verfahren hat die Landeshauptstadt München, die nunmehr aufgrund der zwischenzeitlichen Wohnsitznahme des Klägers in der Landeshauptstadt München ausländerrechtlich zuständig ist, die Zustimmung zur Fortführung des Verfahrens durch das Landratsamt … nach Art. 3 Abs. 3 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) mit E-Mail vom 27. November 2020 erteilt.
cc) Die Ausweisung vom 16. Mai 2019 ist materiell rechtmäßig. Der Beklagte hat § 53 Abs. 1 AufenthG in zutreffender Weise auf den konkreten Fall angewandt.
Die behördliche Entscheidung über die Ausweisung ist durch das Gericht in vollem Umfang überprüfbar (vgl. BayVGH‚ B.v. 21.3.2016 – 10 ZB 15.1968 – juris Rn. 9 m.w.N.). Entscheidungserheblich für die Überprüfung ist der Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung oder der Entscheidung des Gerichts (vgl. BVerwG, U.v. 30.7.2013 – 1 C 9.12 – juris Rn. 8).
(1) Die von § 53 Abs. 1 AufenthG vorausgesetzte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch den Kläger ist nach Auffassung des Gerichts gegeben.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei einer spezialpräventiven Ausweisungsentscheidung und ihrer gerichtlichen Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. z.B. BVerwG‚ U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18). Bei der Prognose‚ ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht‚ sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen‚ insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat‚ die Umstände ihrer Begehung‚ das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH‚ U.v. 28.6.2016 – 10 B 13.1982 – juris Rn. 32 m.w.N.; B.v. 2.11.2016 – 10 ZB 15.2656 – juris Rn. 10 m.w.N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 18; BayVGH, U.v. 8.3.2016 – 10 B 15.180 – juris Rn. 31).
Gemessen an diesen Vorgaben muss mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden, dass der Kläger erneut Straftaten begehen wird und er damit eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellt.
Zwar hat der Kläger Reue gezeigt und seine Taten gestanden. Insbesondere gibt er an, während der Inhaftierung viel nachgedacht und aus seinen Fehlern gelernt zu haben. Er sei durch Freunde in die Straftaten hineingezogen worden; zu diesen habe er jedoch keinen Kontakt mehr. Zudem sind seit der Haftentlassung stabilisierende Ansätze im Leben des Klägers feststellbar: Er wird von seiner Familie unterstützt, hat Wohnsitz bei seiner Tante genommen und arbeitet bei seinem Onkel.
Aber für das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr spricht, dass der Kläger wiederholt einschlägig strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, wobei sich seine Taten gesteigert haben und die Rückfallgeschwindigkeit hoch war. Der Kläger ist in der Vergangenheit immer wegen Vermögensdelikten verurteilt worden. Die Verurteilungen der Jahre 2011, 2017 und 2018 beruhen im Wesentlichen auf erheblichen und zahlreichen Betrugsstraftaten, für die der Kläger zu empfindlichen Haftstrafen, zuletzt zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 7 Monaten, verurteilt worden ist. Der Kläger hat sich seine Hafterfahrungen nicht zur Warnung dienen lassen. Trotz der Inhaftierung bis Januar 2013 beging er schon ab September 2013 neue Betrugsstraftaten. Auch nach der Haftentlassung im Dezember 2014 wurde er bereits Ende 2015 wieder straffällig. Des Weiteren hat ihn das bereits im Jahr 2011 eingeleitete Ausweisungsverfahren, aufgrund dessen ihm hätte bekannt sein müssen, was auf dem Spiel steht, nicht davon abgehalten, weitere massive Straftaten zu begehen.
Dies zeugt von einer hohen kriminellen Energie und einem fehlenden Unrechtsbewusstsein. Auf eine fehlende Unrechtseinsicht deutet – trotz Geständnis im Strafverfahren – auch hin, dass der Kläger im Rahmen der Anhörung mit Schreiben vom 30. Mai 2018 ausgeführt hat, dass er niemals schwerwiegende Straftaten begangen, die andere Menschen in Gefahr für Leib und Leben gebracht hätten, sondern wirtschaftliche Schäden angerichtet habe. Auch in der mündlichen Verhandlung machte er eine dahingehende Äußerung. Zudem wird seine erhebliche kriminelle Energie in dem Umstand deutlich, dass ihn die Festnahmen zweier Mittäter im Jahr 2015 nicht von der weiteren Tatbegehung abgehalten haben (Bl. 444 Behördenakte).
Die Straftaten, die der letzten Verurteilung aus dem Jahr 2018 zugrunde liegen, beging der Kläger zudem unter einschlägig offener Reststrafenbewährung und der noch andauernden Führungsaufsicht aus dem Urteil des Landgerichts München II vom 24. März 2011.
Gegen den vorgebrachten dauerhaften Einstellungswandel des Klägers und damit für eine Wiederholungsgefahr spricht überdies, dass die Führung des Klägers in der Haft nach dem Führungsbericht der JVA … vom 2. Dezember 2020 nicht beanstandungsfrei war. Abgesehen davon, dass er als übertrieben (künstlich) freundlicher und immer auf den eigenen Vorteil bedachter Gefangener beschrieben wird, musste er wegen Störung des Betriebsfriedens von der Arbeit abgelöst werden. Hinzu kommen 7 Disziplinarmaßnahmen. Vollzugsöffnende Maßnahmen konnten ihm nicht gewährt werden. Der Kläger musste seine Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 7 Monaten voll verbüßen.
(2) Auch fällt im konkreten Fall die gemäß § 53 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG vorzunehmende Abwägung der gegenläufigen Interessen anhand der Ausweisungs- und Bleibeinteressen zulasten des Klägers aus.
Nach § 53 Abs. 2 AufenthG sind bei der Abwägung nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.
Beim Kläger liegt ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vor, da er durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts München I vom 23. März 2018 zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 7 Monaten verurteilt worden ist.
Dem steht aufgrund der Niederlassungserlaubnis des Klägers ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gegenüber. Da eine schützenswerte Beziehung zu seinem Sohn … nicht besteht, kann ein weiteres (kodifiziertes) Bleibeinteresse weder aus § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG noch aus § 55 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 5 AufenthG abgeleitet werden.
Es ist vorliegend rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Beklagte in seiner Güter- und Interessenabwägung den öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung des Klägers gegenüber seinen persönlichen Interessen am Verbleib im Bundesgebiet den Vorzug gegeben hat.
Auf Seiten des öffentlichen Interesses ist – im Einklang mit dem Beklagten – zu berücksichtigen, dass der Kläger massiv straffällig geworden ist. Es besteht auch eine erhebliche Wiederholungsgefahr (s. hierzu bereits ausführlich oben). Hinzu kommt, dass von einer nachhaltigen wirtschaftlichen Integration des Klägers in Deutschland nicht auszugehen ist. Zwar arbeitet der Kläger seit seiner Haftentlassung im November 2020, also seit 4 Monaten, bei seinem Onkel in einem Palettenserviceunternehmen. Aber sein beruflicher Werdegang war bis zum Jahr 2014 instet. Der Kläger verfügt nicht über eine abgeschlossene Berufsausbildung und seine beruflichen Tätigkeiten waren von zahlreichen Wechseln geprägt. Nach der Entlassung aus der Haft am 2. Dezember 2014 ging er keiner regulären Erwerbstätigkeit mehr nach.
Auf Seiten der privaten Interessen des Klägers hat der Beklagte in nicht zu beanstandender Weise gewürdigt, dass es sich bei dem Kläger um einen faktischen Inländer handelt, der sich schon lange Jahre im Bundesgebiet aufhält und dessen Bleibeinteressen deswegen grundsätzlich ein hohes Gewicht zukommen. Zudem sind die familiären und sozialen Bindungen des Klägers im Bundesgebiet zu berücksichtigen. Diese erheblichen Bleibeinteressen sind jedoch im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts nicht ausreichend gewichtig, um die Ausweisung als ermessensfehlerhaft erscheinen zu lassen.
Die Beziehung des Klägers zu seiner Lebensgefährtin ist im Entscheidungszeitpunkt des Gerichts nicht mehr als soziale Bindung im Bundesgebiet in die Abwägung einzustellen, da diese nach Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung beendet ist.
Die Beziehungen des Klägers zu seiner Mutter und zu seinen weiteren Familienangehörigen (Tanten, Onkeln und Cousins) sind – wie der Beklagte zutreffend erkannt hat – als familiäre Bindungen des Klägers im Bundesgebiet in der Abwägung zu berücksichtigen, fallen aber nicht erheblich ins Gewicht, da der Kläger als erwachsener Mann jedenfalls nicht auf deren Unterstützung angewiesen ist. Umgekehrt ist auch nicht ersichtlich, dass ein Familienangehöriger der Unterstützung durch den Kläger bedürfte. Zwar hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, seine Mutter sei krank. Aber abgesehen davon, dass die diesbezüglich vorgelegten ärztlichen Unterlagen vom 14. Dezember 2014 und 21. Juli 2015 bereits mangels Aktualität den Anforderungen an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung (vgl. § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG) nicht genügen, wird in diesen jedenfalls nicht festgestellt, dass die Mutter schwer erkrankt und deswegen hilfsbedürftig wäre. Auf Frage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger vielmehr bestätigt, dass seine Mutter noch arbeite und keiner Unterstützung bedürfe.
Auch dem Umstand, dass der Kläger einen inzwischen 14 Jahre alten deutschen Sohn hat, kommt im Rahmen der Abwägung keine erhebliche Bedeutung als Bleibeinteresse zu.
Zwar verpflichtet nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. hierzu und zum Folgenden nur: BVerfG, B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – NvWZ 2013, 1207) die in Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, ist maßgeblich auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist.
Aber unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist das Gericht der Auffassung, dass die familiären Bindungen des Klägers zu seinem deutschen Sohn nicht von enger, persönlicher Verbundenheit getragen sind. Der bloße Wunsch des Klägers, den Kontakt zu seinem Sohn wieder aufleben zu lassen, ist nicht ausreichend. Nach Lage der Akten und der Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung besteht schon seit etwa 9 Jahren kein persönlicher Kontakt zu seinem Sohn mehr. Dies ergibt sich aus der sozialpädagogischen Stellungnahme des Sozialbürgerhauses der Landeshauptstadt München vom 20. Dezember 2018. Danach habe der Kläger zu seinem Sohn so gut wie keinen Kontakt. Er habe ihn zuletzt gesehen, als dieser 5 Jahre alt gewesen sei. Die beabsichtigte Ausweisung würde die Situation zwischen dem Kläger und seinem Sohn nicht in erheblichem Maße verändern. Ausweislich des Führungsberichts vom 2. Dezember 2020 hat der Sohn den Kläger in der Haft auch nicht besucht. In der mündlichen Verhandlung führte der Bevollmächtigte des Klägers zudem aus, dass zwischen dem Kläger und seinem Sohn „keine wirkliche Vater-Kind-Beziehung“ bestehe. Der Kläger habe seinen Sohn seit der Haftentlassung nicht gesehen. Er habe lediglich Kontakt zur Kindesmutter und bemühe sich um ein Treffen mit seinem Sohn, was aber derzeit von der Kindesmutter nicht ermöglicht werde.
Der Annahme eines überwiegenden Ausweisungsinteresses steht auch nicht entgegen, dass es dem Kläger unzumutbar wäre, in Bosnien-Herzegowina zu leben. Zwar hat er dort nur gelebt, bis er ca. 8 Jahre alt war. Aber angesichts dessen sowie des Umstands, dass er dort auch zwei Jahre die Schule besucht hat, ist davon auszugehen, dass er ausreichend bosnisch spricht und mit den dortigen Gepflogenheiten hinreichend vertraut ist. Jedenfalls wäre es ihm zuzumuten, seine Sprachkenntnisse zu verbessern. Auch wenn der Kläger seinen Angaben zufolge keine Familie in Bosnien-Herzegowina mehr hat, ist es für ihn nicht unzumutbar, sich dort alleine zurechtzufinden. Da er jung, grundsätzlich gesund und arbeitsfähig ist, ist auch anzunehmen, dass er in Bosnien-Herzegowina sein Auskommen finden wird.
(3) Schließlich sprechen, wie auch der Beklagte im angegriffenen Bescheid zu Recht festgestellt hat, generalpräventive Aspekte für eine Ausweisung des Klägers aus der Bundesrepublik.
Das Ziel einer generalpräventiven Ausweisung besteht darin, mit der Ausweisung des straffälligen Ausländers andere Ausländer davon abzuhalten, Straftaten zu begehen. Die generalpräventive Ausweisung ist unionsrechtlich gegenüber Unionsbürgern und sonstigen Freizügigkeitsberechtigten unzulässig, begegnet ansonsten aber keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (BVerfG, B.v. 17.1.1979 – 1 BvR 241/77 – NJW 1979, 1100).
Eine Ausweisung ist allerdings nur dann geeignet, eine generalpräventive Wirkung zu erzielen, wenn die Anlasstat nicht derart singuläre Züge aufweist, dass die an sie anknüpfende Ausweisung keine abschreckende Wirkung entfalten könnte, und wenn angesichts der Schwere der Straftat ein dringendes Bedürfnis auch für eine ordnungsrechtliche Prävention besteht (BVerwG, B.v. 2.2.1979 – 1 B 238/78 – juris Rn. 18). Grundsätzlich müssen daher auch bei einer generalpräventiv motivierten Ausweisung die konkreten Umstände der Straftat und die Lebensumstände des Ausländers individuell gewürdigt werden (BVerfG, B.v. 10.8.2007 – 2 BvR 535/06 – juris Rn. 24 f.).
Vorliegend besitzen die Anlasstaten mit Blick auf die von ihr angegriffenen Rechtsgüter hohes Gewicht und bedürfen der ordnungsrechtlichen Prävention. Die Ausweisung ist hier mangels singulärer Züge auch geeignet, abschreckende Wirkung für andere Ausländer zu entfalten. Unter Würdigung der konkreten Lebensumstände des Klägers ist seine Ausweisung auch aus generalpräventiven Gründen nicht unverhältnismäßig.
b) Die Befristung der Wirkungen der Ausweisung in Ziffer 1 des angegriffenen Bescheids auf 8 Jahre ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Die Ausweisung eines Ausländers hat gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG in der bis zum 21. August 2019 geltenden Fassung ein gesetzliches Wiedereinreise- und Aufenthaltsverbot zur Folge, welches von Amts wegen zu befristen ist, § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG. Nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist über die Länge der Frist nach Ermessen zu entscheiden. Sie darf gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 11 Abs. 5 Satz 1 AufenthG insbesondere nur dann 5 Jahre überschreiten und bis zu 10 Jahre betragen, wenn der Ausländer – wie hier – auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist.
Da es sich um eine behördliche Ermessensentscheidung handelt, kann gerichtlich nach § 114 Satz 1 VwGO nur überprüft werden, ob überhaupt Ermessen ausgeübt worden ist, die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist.
Der Beklagte hat im vorliegenden Fall sein Ermessen in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt; Ermessensfehler sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Die familiären Bindungen des Klägers im Bundesgebiet sind bei der Bestimmung der Länge der Frist angemessen berücksichtigt worden. Es begegnet ferner keinen rechtlichen Bedenken, dass der erheblichen und mehrfachen Straffälligkeit des Klägers, der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 7 Monaten, der hohen kriminellen Energie sowie der bestehenden Wiederholungsgefahr ein erhebliches Gewicht beigemessen worden ist.
c) Die Abschiebungsandrohung aus der Haft in Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids begegnet keinen rechtlichen Bedenken; sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 59 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Dem Kläger werden die Kosten des Verfahrens ganz auferlegt, da er nur im Hinblick auf Ziffer 3 des angegriffenen Bescheids wegen der Rechtswidrigkeit des Beginns der Ausreisefrist und damit zu einem geringen Teil unterlegen ist.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung fußt auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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