Verwaltungsrecht

Ausweisung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln

Aktenzeichen  10 ZB 19.2400

Datum:
3.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 9463
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 3
AufenthG § 53 Abs. 1, § 53 Abs. 2, § 54 Abs. 1 Nr. 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1
GG Art. 6
EMRK Art. 8

 

Leitsatz

Das Zulassungsvorbringen muss neben dem,(auch) auf generalpräventive Gründe gestützten Ausweisungsinteresse, die Annahme einer Wiederholungsgefahr, die Interessenabwägung und die eingehenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts, u.a. zum langjährigen regelmäßigen Drogenkonsum und der Drogenstraftat des Klägers, mit schlüssigen Gegenargumenten substantiert infrage stellen. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 25 K 17.4240 2019-09-25 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine gegen den Bescheid der Beklagten vom 16. August 2017 gerichtete Klage weiter, mit dem diese seine Ausweisung verfügt, das Einreise- und Aufenthaltsverbot unter der Bedingung der Straf- und Drogenfreiheit auf sechs, andernfalls auf sieben Jahre (ab Ausreise) befristet und seine Abschiebung nach Togo angedroht hat.
Der zulässige Antrag ist unbegründet. Die Berufung ist weder wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16; B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33). Dies ist jedoch nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, der Aufenthalt des wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilte Kläger stelle eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG dar. Er konsumiere selbst seit seiner Jugend Drogen. Zwar sei er vor seiner Verurteilung wegen Drogenhandels und -besitzes am 13. Januar 2017 nicht einschlägig vorbestraft gewesen und habe die ihm im Führungsaufsichtsbeschluss vom 25. Juli 2018 auferlegte Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen. Trotz der bei ihm seit der Haftentlassung festzustellenden positiven Ansätze und Bemühungen (fester Arbeitsplatz, Drogenabstinenz, eigener Wohnsitz) bestehe unter Berücksichtigung der Gesamtumstände nach wie vor eine Wiederholungsgefahr. Diese ergebe sich insbesondere aus der erheblichen Menge der bei ihm aufgefundenen Drogen (ca. 1,5 kg Marihuana), seiner offensichtlichen Einbindung in ein organisiertes kriminelles System, seiner schwierigen finanziellen Situation mit nach eigenen Angaben aktuell ca. 20.000 Euro Schulden, der noch nicht hinreichend langen Bewährung nach Abschluss seiner Drogentherapie sowie seiner unglaubhaften und widersprüchlichen Einlassungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht. Unabhängig davon bestünde infolge des illegalen Handels mit Betäubungsmitteln ein generalpräventives Ausweisungsinteresse. Einem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG stehe zwar auch ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gegenüber. Unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten persönlichen Belange und des Schutzes aus Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK überwiege jedoch das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers. Die Ausweisung greife in seine familiären Beziehungen zu seiner volljährigen, inzwischen 21-jährigen Tochter, seinem Bruder und seiner geschiedenen Ehefrau ein. Diese seien jedoch nicht auf die Unterstützung des Klägers angewiesen. Den Kontakt könne der Kläger auch über elektronische Kommunikationsmedien aufrechterhalten. Seine Tochter seine eine selbständig junge Frau, die im Übrigen mit ihrer Mutter seit der Scheidung im Jahr 2005 vom Kläger getrennt gelebt habe. Dem Kläger, der bis zu seinem 26. Lebensjahr in Togo gelebt habe, sei die Rückkehr dorthin möglich und zumutbar. Die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots sei mit Blick auf das besondere Gewicht der Straftat des Klägers und das erhebliche Interesse an der Bekämpfung des Drogenhandels nicht zu beanstanden.
Demgegenüber wendet der Kläger ein, er befinde sich seit fast 25 Jahren in Deutschland, sei insgesamt dreimal zu Geldstrafen und nur einmal zu einer Freiheitsstrafe wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt worden. Letzteres sei die einzige schwerwiegende Verfehlung in annähernd 25 Jahren. Ein schwerwiegendes Bleibeinteresse bestehe zum einen schon infolge seines Besitzes einer Niederlassungserlaubnis und über fünfjährigen rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet, zum anderen wegen seiner deutschen Familienangehörigen. Er unterstütze er seine Tochter in allen Belangen; diese benötige ihren Vater als Bezugsperson in Deutschland. Das dadurch bedingte besondere Bleibeinteresses sei sowohl im angefochtenen Bescheid wie auch im Urteil des Verwaltungsgerichts nicht ausreichend gewürdigt worden. Auch die Annahme einer Wiederholungsgefahr sei im Hinblick auf die erfolgreich abgeschlossene Drogentherapie und den bisherigen Lebensweg des Klägers mit nur einer schwerwiegenden Verfehlung nicht gerechtfertigt. Die Ausweisungsverfügung sei aber auch unverhältnismäßig; insbesondere könne die Beziehung zur deutschen Tochter, die auf die Unterstützung und Hilfestellung ihres Vaters angewiesen sei, nicht dem Ausweisungsinteresse untergeordnet werden. Im Hinblick auf Art. 6 GG sei die Berufung unter diesem Gesichtspunkt auch wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zuzulassen.
Abgesehen davon, dass der Kläger mit seinem Zulassungsvorbringen das auf (auch) generalpräventive Gründe gestützte Ausweisungsinteresse (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris; BayVGH, zuletzt B.v. 6.3.2020 – 10 ZB 19.2419 – Rn. 5) nicht in Zweifel zieht, hat er die Annahme einer Wiederholungsgefahr und die Interessenabwägung des Verwaltungsgerichts nicht mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt. Eine substantielle inhaltliche Auseinandersetzung mit den ausführlichen und eingehenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts zum langjährigen regelmäßigen Drogenkonsum des Klägers, seiner vor diesem Hintergrund trotz erfolgreich abgeschlossener Drogentherapie noch nicht hinreichend langen Bewährung nach Therapieende (zur stRspr des Senats vgl. zuletzt BayVGH, B.v. vom 16.9.2019 – 10 ZB 19.1614 – juris Rn. 5 m.w.N.; B.v. 8.4.2019 – 10 ZB 18.2284 – juris Rn. 12 m.w.N.; B.v. 6.6.2019 – 10 C 19.801 – juris Rn. 7; U.v. 23.7.2019 – 10 B 18.2464 – juris Rn. 27; B.v. 26.7.2019 – 10 ZB 19.1207 – juris Rn. 25 m.w.N.), den besonderen Tatumständen seiner Drogenstraftat mit dem Besitz und der Weiterveräußerung erheblicher Drogenmengen, seiner offensichtlichen Einbindung in ein organisiertes kriminelles (Drogen-)System sowie seine schwierige finanzielle Situation und die noch nicht gesicherte berufliche Zukunft lässt die Zulassungsbegründung vermissen. Auch zu den vom Verwaltungsgericht angeführten widersprüchlichen und unglaubhaften Ausführungen des Klägers zu seiner Tatbeteiligung, die auf eine fehlende Einsicht hindeuten, verhält sich der Zulassungsantrag nicht. Zudem hat die Beklagte in ihrer Antragserwiderung unwidersprochen auf einen weiteren Strafbefehl vom 14. August 2014 mit einer Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen wegen Betrugs und ein gegen den Kläger nach § 154 Abs. 1 StPO eingestelltes Strafverfahren wegen Geldfälschung verwiesen.
Das Gewicht der familiären Beziehung des Klägers zu seiner inzwischen 21 Jahre alten Tochter, die in Regensburg studiert, nicht beim Kläger in M., sondern in häuslicher Gemeinschaft mit ihrer Mutter lebt, hat das Verwaltungsgericht auch mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 und 2 GG in rechtlich nicht zu beanstandender Weise gewürdigt und dabei zu Recht darauf abgestellt, dass zwischen dem Kläger und seiner volljährigen Tochter eine sogenannte Beistandsgemeinschaft, bei der ein Familienmitglied auf eine auch tatsächlich erbrachte Lebenshilfe des anderen angewiesen ist (vgl. z.B. BVerfG, B.v. 17.5.2011 – 2 BvR 1367/10 – juris Rn. 14 m.w.N.; zum Schutz der Beziehungen zwischen volljährigen Familienmitgliedern vgl. zuletzt auch OVG Lüneburg, B.v. 30.5.2018 – 8 ME 3/18 – juris Rn. 43 m.w. Rsprnachweisen), nicht besteht. Stichhaltige Anhaltspunkte für eine besondere Abhängigkeit bzw. ein Angewiesensein der Tochter in diesem Sinne sind auch mit der Zulassungsbegründung nicht dargelegt.
2. Soweit der Kläger bezüglich des Schutzes der Beziehung zu seiner Tochter im Hinblick auf Art. 6 GG auch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) geltend macht, genügt sein Zulassungsvorbringen schon nicht den Darlegungsanforderungen. Denn die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung ist, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dementsprechend verlangt die Darlegung (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung, dass eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist; ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BayVGH, B.v. 8.2.2019 – 10 ZB 18.1768 – Rn. 11; B.v. 14.2.2019 – 10 ZB 18.1967 – juris Rn. 10; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 72). Diesen Anforderungen wird die Zulassungsbegründung nicht ansatzweise gerecht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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