Verwaltungsrecht

Ausweisung wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung

Aktenzeichen  10 ZB 17.2439

Datum:
5.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 2300
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 86 Abs. 1, § 95, § 124 Abs. 2 Nr. 1 – 3, Nr. 5, § 124a Abs. 5 S. 4, § 173
AufenthG § 54 Abs. 1 Nr. 2
EMRK Art. 8 Abs. 1
GG Art. 6 Abs. 1, Art. 103 Abs. 1
ZPO § 227 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Das Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs verlangt nicht, dem Beteiligten neben seinem Rechtsanwalt die Möglichkeit zu persönlichen Erklärungen zu geben. Etwas anderes gilt nur dann, wenn gewichtige Gründe substantiiert vorgetragen werden, die die persönliche Anwesenheit des Beteiligten in der mündlichen Verhandlung zur Aufklärung des Sachverhalts oder zur effektiven Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung als erforderlich erscheinen lassen (ebenso BayVGH BeckRS 2017, 103923). (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2 Hat der durch seinen Prozessbevollmächtigten vertretene Kläger in der mündlichen Verhandlung weder einen Terminsverlegungsantrag gestellt noch dem Gericht einen erheblichen Grund für eine Verlegung unterbreitet oder etwa die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers zu diesem Termin beantragt, hat er damit nicht alles dafür getan, um sich selbst das rechtliche Gehör zu verschaffen. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
3 Im  Rahmen der Abwägung und Folgenbetrachtung einer Ausweisung sind hinsichtlich schutzbedürftiger familiärer Bindungen auch die Möglichkeiten von Kontakt über herkömmliche Kommunikationsmittel wie Brief und Telefon, moderne Kommunikationsmittel wie Skype, Kurznachrichtendienste, soziale Netzwerke etc. sowie persönliche Besuche zu berücksichtigen. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 25 K 16.5916 2017-05-24 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung, mit dem der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen den Ausweisungsbescheids der Beklagten vom 9. Dezember 2016 weiterverfolgt, ist unbegründet. Die vom Kläger in seiner Zulassungsbegründung geltend gemachten Zulassungsgründe gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO sind schon nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt bzw. liegen nicht vor. Auch ein vom Kläger nicht ausdrücklich gerügter Verfahrensmangel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO durch Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs liegt nicht vor.
1. Ein Verfahrensmangel durch die Versagung rechtlichen Gehörs (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG), weil der Kläger keine Möglichkeit hatte, an der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht teilzunehmen, ist weder hinreichend dargelegt noch liegt er vor.
Hat ein Rechtsmittelführer wie der Kläger tatsächlich nicht an der mündlichen Verhandlung in erster Instanz teilnehmen können, muss dargelegt werden, dass das Erstgericht einen Terminsverlegungsantrag zu Unrecht abgelehnt hat. Eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs kommt also nur dann in Betracht, wenn ein erheblicher Grund für eine Verlegung i.S.v. § 173 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 1 ZPO vorgelegen hat und dem Gericht unterbreitet worden ist (BVerwG, B.v. 22.5.2006 – 10 B 9.06 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 8.2.2017 – 11 ZB 17.30041 – juris Rn. 16; B.v. 26.1.2018 – 10 ZB 17.31356 – Rn. 2 m.w.N.). Wird eine Partei durch einen Rechtsanwalt vertreten, ist ihre Anwesenheit im Termin zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich nicht erforderlich, weil ihre Rechte in dem erforderlichen Umfang durch den Prozessbevollmächtigten wahrgenommen werden können (BVerwG, B.v. 4.8.1998 – 7 B 127.98 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 26.1.2018 – 10 ZB 17.31356 – Rn. 3; Brüning in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand 1.4.2017, § 102 Rn. 8.2). Insbesondere verlangt Art. 103 Abs. 1 GG nicht, dem Beteiligten neben seinem Rechtsanwalt die Möglichkeit zu persönlichen Erklärungen zu geben. Etwas anderes gilt nur dann, wenn gewichtige Gründe substantiiert vorgetragen werden, die die persönliche Anwesenheit des Beteiligten in der mündlichen Verhandlung zur Aufklärung des Sachverhalts oder zur effektiven Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung als erforderlich erscheinen lassen (BayVGH, B.v. 8.2.2017 – 11 ZB 17.30041 – juris Rn. 18; B.v. 26.1.2018 – 10 ZB 17.31356 – Rn. 3).
Im vorliegenden Fall hat der durch seinen Prozessbevollmächtigten vertretene Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht aber weder einen Terminsverlegungsantrag gestellt noch dem Gericht einen erheblichen Grund für eine Verlegung unterbreitet oder etwa die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers zu diesem Termin beantragt (s. § 95 VwGO). Er hat damit gerade nicht alles dafür getan, um sich selbst das von ihm nunmehr geltend gemachte rechtliche Gehör zu verschaffen.
Soweit der Kläger mit dieser Rüge auch einen Verstoß des Verwaltungsgerichts gegen seine Aufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO geltend macht, fehlt es an der hinreichenden Darlegung des Zulassungsgrundes (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO). Eine Aufklärungsrüge setzt nämlich die Darlegung voraus, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts ermittlungsbedürftig gewesen wären, welche für erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen und welche tatsächlichen Feststellungen bei der Durchführung der vermissten Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern diese unter Zugrundelegung der materiell-rechtlichen Auffassung des Erstgerichts zu einer für den Beteiligten günstigeren Entscheidung hätten führen können (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 10.3.2017 – 10 ZB 17.136 – juris Rn. 12 m.w.N.). Diesen Erfordernissen genügt die Begründung des Zulassungsantrags, der nur vage von einer detaillierten weiteren Aufklärung des Sachverhalts und befürchteten Voreingenommenheit des Gerichts spricht, jedoch nicht.
2. Aus dem Vortrag des Klägers ergeben sich auch nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
2.1. Soweit sich der Kläger hier (ebenfalls) auf die ihm nicht ermöglichte Teilnahme an der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht beruft, kann er aus den oben dargelegten Gründen nicht mit Erfolg ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung geltend machen. Denn eine Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt in einer solchen Konstellation nur dann in Betracht, wenn eine entsprechende Verfahrensrüge zur Zulassung führen würde (vgl. BayVGH, B.v. 23.6.2016 – 10 ZB 14.1058 – juris Rn. 16 m.w.N.).
2.2. Soweit er weiter rügt, seine familiären Belange seien im angefochtenen Urteil mit Blick auf Art. 6 GG nicht hinreichend berücksichtigt worden, und sich insoweit auf die die engen familiären Bindungen zu den Kindern seiner Lebensgefährtin und seinem leiblichen Sohn Ishaq (geboren am …2015) sowie das am 24. Mai 2017 geborene gemeinsame Kind beruft, setzt er sich nicht in der gebotenen Weise mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinander. Denn das Verwaltungsgericht hat die unter den Schutz von Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK fallenden familiären Bindungen des Klägers zu seinem Sohn Ishaq und dem damals noch ungeborenen Kind, dem es aber bereits die gleiche Schutzbedürftigkeit zugemessen hat, eingehend gewürdigt. Es ist im Rahmen seiner Abwägung und Folgenbetrachtung zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger aufgrund der von ihm ausgehenden Gefährdung überragend wichtiger Rechtsgüter von Verfassungsrang durch die weitere Unterstützung des Islamischen Staates und von Terrorakten dieser Organisation letztlich auf Kontakte zu seinen Kindern über herkömmliche Kommunikationsmittel wie Brief und Telefon, moderne Kommunikationsmittel wie Skype, Kurznachrichtendienste, soziale Netzwerke etc. sowie persönliche Besuche seiner Angehörigen im Kosovo verwiesen werden könne.
Ebenso wenig durchgreifend ist der pauschale Einwand, das Verwaltungsgericht habe nicht hinreichend gewürdigt, dass er seit seinem dritten Lebensjahr in der Bundesrepublik aufgewachsen sei und über keinerlei Bindungen im Kosovo verfüge. Auch insoweit fehlt eine substantielle Auseinandersetzung mit den ausführlichen und eingehenden Erwägungen des Erstgerichts zu diesen unter dem Gesichtspunkt von Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK gewürdigten Belangen (S. 41 ff. der Entscheidung). Bei den familiären Anknüpfungspunkten im Kosovo bezieht sich das Verwaltungsgericht im Übrigen auf eigene Angaben des Klägers sowie Angaben seiner Eltern.
3. Aus den dargelegten Gründen liegen auch die vom Kläger behaupteten besonderen rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten der Rechtssache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht vor.
4. Soweit der Kläger schließlich die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO im Hinblick darauf geltend macht, dass er sich inzwischen mit dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz in Verbindung gesetzt habe, um an einem „Aussteigerprogramm“ teilzunehmen, fehlt es bereits an jeglicher Darlegung der Klärungsfähigkeit und Klärungsbedürftigkeit dieses Umstands.
Unabhängig davon hat das Verwaltungsgericht bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG mit ausführlicher, nicht zu beanstandender Begründung dargelegt, dass der Kläger gerade nicht erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln (Unterstützung der terroristischen Vereinigung des Islamischen Staates) Abstand genommen hat. Zudem hat die Beklagte mit ihrer Antragserwiderung eine Stellungnahme des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz vom 10. Januar 2018 vorgelegt, wonach dieses „Angebot“ bzw. die Anfrage des Klägers (ebenfalls) als rein taktisch bewertet und klargestellt wird, dass ein Eingehen auf das „Gesprächsangebot“ deshalb nicht beabsichtigt sei.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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