Verwaltungsrecht

Ausweisung wegen Vergewaltigung

Aktenzeichen  10 ZB 19.625

Datum:
2.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 13696
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 86 Abs. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 5
AufenthG § 53 Abs. 1
GG Art. 103 Abs. 1
EMRK Art. 8 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die Ausländerbehörde darf in aller Regel von der Richtigkeit der strafrechtlichen Verurteilung ausgehen und die darin getroffenen Feststellungen ihrer Entscheidung zugrunde legen; etwas anderes gilt nur dann, wenn ein Verfahrensbeteiligter die Richtigkeit der vom Strafgericht getroffenen Feststellungen unter Darlegung konkreter Anhaltspunkte beanstandet und diese Anhaltspunkte tatsächlich geeignet sind, die dort gezogenen Schlüsse zu erschüttern, sodass sich der Behörde eine weitere Sachverhaltsaufklärung hätte aufdrängen müssen.  (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 1 K 18.1194 2019-02-12 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Ausweisungsbescheids der Beklagten vom 18. Juni 2018 weiter.
Der zulässige Antrag ist unbegründet, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund der Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG) nicht vorliegt.
Das Verwaltungsgericht hat die Voraussetzungen einer Ausweisung gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG und insbesondere die Gefahr der Wiederholung vergleichbarer Straftaten aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung des Klägers wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Jugendlichen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren zehn Monaten und einer Woche (Urteil des Landgerichts O. vom 19.7.2016) bejaht. Ausländerbehörde und Verwaltungsgericht könnten grundsätzlich von der Richtigkeit der strafrechtlichen Verurteilung ausgehen und dürften dessen Feststellungen ihrer Entscheidung zugrunde legen. Eine Verpflichtung des Verwaltungsgerichts, das Strafverfahren gewissermaßen zu wiederholen, wenn der Betroffene geltend mache, zu Unrecht verurteilt worden zu sein, bestehe grundsätzlich nicht. Das Landgericht O. habe sich ausführlich mit der Glaubwürdigkeit der einzigen Zeugin der Straftat sowie der Qualität ihrer Aussage (hinsichtlich Inhalt, Aussageverhalten und Motivlage) befasst. Vor diesem Hintergrund sei nicht ersichtlich, inwieweit das Verwaltungsgericht mit einem Abstand von mittlerweile rund zweieinhalb Jahren zur Aussage der Zeugin vor dem Strafgericht und rund viereinhalb Jahren zur Tat zu einer besseren Erkenntnis kommen könnte. Dem Antrag des Klägers auf (erneute) Vernehmung des Opfers als Zeugin sei deshalb nicht nachzukommen. Die Ausweisung erweise sich unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls als gerechtfertigt, weil das öffentliche Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers überwiege und die Ausweisung auch unter Berücksichtigung des Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht unverhältnismäßig sei.
Der Kläger rügt mit dem Zulassungsantrag, das Verwaltungsgericht habe gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs verstoßen, weil es seinen hilfsweise gestellten Beweisantrag bezüglich der Vernehmung der damaligen Zeugin nicht berücksichtigt habe. Bereits mit der Klagebegründung sei die Glaubhaftigkeit der Aussagen der damaligen Zeugin wesentlich erschüttert worden. Auch in der mündlichen Verhandlung sei durch den Kläger jegliches strafbare Verhalten bestritten worden; es seien Belege und Indizien für einvernehmlichen Geschlechtsverkehr vorgetragen worden. Den in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsbeweisantrag, „zum Beweis der Tatsache, dass der Kläger mit der Zeugin einvernehmlichen Geschlechtsverkehr hatte und somit keine Straftat begangen hat“, diese auch im Verwaltungsprozess als Zeugin zu vernehmen, habe das Gericht in den Gründen seine Entscheidung nicht explizit beschieden. Vielmehr habe es nur allgemeine Ausführungen zu der Frage gemacht, welcher Sachverhalt im Ausweisungsverfahren zugrunde zu legen sei.
Ein Verfahrensfehler im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG ist damit jedoch nicht dargelegt. Zwar gilt auch für hilfsweise gestellte Beweisanträge, dass Art. 103 Abs. 1 GG verletzt wird, wenn ihnen nicht nachgegangen wird, obgleich dies im Prozessrecht keine Stütze findet, also ein Beweisantrag in willkürlicher Weise als unerheblich qualifiziert wird (vgl. BVerfG, B.v. 22.9.2009 – 1 BvR 3501/08 – juris Rn. 13 m.w.N.; BVerwG, B.v. 20.9.2018 – 1 B 64.18 u.a. – juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 16.1.2019 – 10 ZB 18.32210 – juris Rn. 3). Das Verwaltungsgericht hat den Hilfsbeweisantrag des Klägers jedoch in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung als nicht beachtlich abgelehnt (UA S. 11, Rn. 26). Denn es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass Ausländerbehörden – und demzufolge auch die zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung berufenen Gerichte – in aller Regel von der Richtigkeit der strafrechtlichen Verurteilung ausgehen können und die darin getroffenen Feststellungen ihrer Entscheidung zugrunde legen dürfen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn ein Verfahrensbeteiligter die Richtigkeit der vom Strafgericht getroffenen Feststellungen unter Darlegung konkreter Anhaltspunkte beanstandet und diese Anhaltspunkte nach Auffassung des Verwaltungsgerichts tatsächlich geeignet sind, die dort gezogenen Schlüsse zu erschüttern, sodass sich dem Verwaltungsgericht eine weitere Sachverhaltsaufklärung hätte aufdrängen müssen (vgl. BayVGH, B.v. 5.9.2018 – 10 ZB 18.1121 – juris Rn. 6; OVG NW, B.v. 8.12.2015 – 18 A 2462/13 – juris Rn. 11; OVG Hamburg, U.v. 15.6.2015 – 1 Bf 163/14 – juris Rn. 44 jew. m.w.N.). Letzteres hat das Verwaltungsgericht auch in Kenntnis der vom Kläger im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erstmals vorgetragenen Schilderung des Geschehens unter Hinweis auf die umfassende und eingehende Würdigung der Aussage der Zeugin durch das Strafgericht und die inzwischen verstrichene Zeit zu Recht verneint. Weder die Einlassungen des Klägers zum Tatgeschehen noch den Versuch, die Zeugin und Geschädigte der Straftat mit unsubstantiierten Mutmaßungen nunmehr als unglaubwürdige „Herumtreiberin“ zu diskreditieren, musste das Verwaltungsgericht als geeignet ansehen, die besonders eingehende, gründliche und überzeugende Beweiswürdigung des Strafgerichts zu erschüttern.
Aus den genannten Gründen ist – ohne dass dies der Kläger ausdrücklich gerügt hat – auch ein Verstoß gegen den Untersuchungs- bzw. Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht dargetan.
Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich der Sache nach auch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Bezüglich der Annahme der Tatbestandsvoraussetzungen des § 53 Abs. 1 AufenthG und insbesondere der erforderlichen Wiederholungsgefahr wird auf die Ausführungen oben verwiesen. Einwendungen gegen die Interessenabwägung und die unter besonderer Berücksichtigung von Art. 8 Abs. 1 EMRK erfolgten Verhältnismäßigkeitserwägungen des Verwaltungsgerichts hat der Kläger im Zulassungsantrag nicht erhoben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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