Verwaltungsrecht

Ausweisungsinteresse bei Verurteilung wegen Vortäuschens einer ehelichen Lebensgemeinschaft

Aktenzeichen  19 CS 16.2529

Datum:
7.12.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 54 Abs. 2 Nr. 8a
§ 54 Abs. 2 Nr. 9

 

Leitsatz

1 Falschangaben zur widerrechtlichen Erlangung eines Aufenthaltstitels stellen einen besonders schwerwiegenden Verstoß gegen das öffentliche Interesse dar, dem ausländerrechtlich erhebliches Gewicht zukommt.  (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine eheliche Lebensgemeinschaft von Gewicht wird nicht dadurch wieder hergestellt, dass der Ehemann wieder unter der Adresse der Ehefrau gemeldet ist und sich zeitweise dort auch aufhält; erst der bei beiden Eheleuten bestehende Wille, die eheliche Lebensgemeinschaft tatsächlich aufrechtzuerhalten bzw. wiederherzustellen, löst den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG aus.  (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 5 S 16.150 2016-11-25 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung sich der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen keine Änderung des angefochtenen Beschlusses, mit dem es das Verwaltungsgericht abgelehnt hat, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die kraft Gesetzes sofort vollziehbare Versagung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis durch Bescheid der Antragsgegnerin vom 13. November 2015 anzuordnen. Darlegen im Sinn der Vorschrift des § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO erfordert eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der erstinstanzlichen Entscheidung; eine undifferenzierte Wiederholung der erstinstanzlichen Antragsbegründung durch Bezugnahme genügt nicht (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 146 Rn. 22).
Der Antragsteller, ein im Jahr 1949 geborener türkischer Staatsangehöriger, dessen im Jahr 1973 begonnener Aufenthalt im Bundesgebiet im Jahr 1986 nach Begehung eines versuchten Mordes und teilweiser Verbüßung der deswegen verhängten Haftstrafe durch Ausweisung und Abschiebung beendet worden ist, der nach seiner erneuten Einreise im Jahr 2002 ein Asylverfahren erfolglos betrieben hat (rechtskräftiger Abschluss am 7.2.2007) und dem nach vorübergehender Duldung für die Zeit vom 2. Mai 2008 bis zum 1. Januar 2014 befristete Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt worden sind, trägt – in weitgehender Wiederholung seiner erstinstanzlichen Ausführungen – vor, die der Versagung eines Aufenthaltstitels zugrunde liegende Ausweisung sei rechtswidrig, weil vom Antragsteller wegen seines hohen Alters keine gegenwärtige Gefahr ausgehe und seine familiären Verhältnisse (fünf Kinder und fünf Enkelkinder lebten im Bundesgebiet) nicht ausreichend gewürdigt worden seien. Vom Antragsteller begangene Straftaten seien entweder aus zeitlichen Gründen nicht mehr von Bedeutung oder sie würden (mangels ausreichenden Gewichts) kein überwiegendes Ausweisungsinteresse begründen. Der Antragsteller sei mittlerweile wieder bei seiner Frau gemeldet und halte sich wieder überwiegend bei ihr auf. Allerdings müsse er die Wohnung manchmal für zwei oder drei Tage pro Woche wieder verlassen. Weiterhin wurde geltend gemacht, dem Antragsteller stehe (analog) der Status eines Assoziationsberechtigten zu, er missbillige das derzeitige türkische Präsidialsystem und sei im Zuge der Abstimmung dagegen aktiv geworden.
1. Die Behauptung, dem Antragsteller stehe „zumindest analog der Rechtsstatus eines Assoziationsberechtigten zu, so dass wegen der Stillhalteklausel in Art. 14 ARB 1/80 die Ausweisungsschutzvorschriften der Daueraufenthaltsrichtlinie Anwendung finden müssten“, ist weder innerhalb der am 5. Januar 2017 endenden Begründungsfrist für die Beschwerde gemäß § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO erhoben worden noch setzen sich die begründeten Ausführungen mit der gegenteiligen Rechtsauffassung der Antragsgegnerin und des Verwaltungsgerichts (vgl. BA S. 10) in nachvollziehbarer Art und Weise auseinander. Insbesondere den verwaltungsgerichtlichen Erwägungen, die Ehefrau des Antragstellers sei seit Jahren nicht erwerbstätig, der Antragsteller habe keinen Aufenthaltstitel zur Familienzusammenführung besessen, er habe nicht drei Jahre einen ordnungsgemäßen Wohnsitz bei seiner Ehefrau gehabt und er habe darüber hinaus seit Ende 2009 den Aufenthaltstitel gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG durch Täuschung erwirkt, hat der Antragsteller nichts Substantielles entgegen gesetzt; eine hiervon abweichende Rechtsauffassung hat er weder schlüssig dargelegt noch nachvollziehbar begründet.
2. Der Vortrag, der Antragsteller missbillige das in der Türkei zur Abstimmung gestellte Präsidialsystem und sei dagegen im Bundesgebiet aktiv geworden, verhilft der Beschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg. Ungeachtet der Tatsache, dass auch dieses Vorbringen erst nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist erfolgt ist, mangelt es an jeglicher Begründung, weshalb sich aus diesem herkunftsstaatsbezogenen Sachverhalt ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis ergeben könnte. Hinsichtlich zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse, die der Antragsteller offensichtlich geltend machen will, hat die Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller als abgelehntem Asylbewerber zutreffend auf die ausschließliche Entscheidungszuständigkeit des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge sowie auf ihre Bindung an die im dortigen Verfahren gewonnenen Erkenntnisse hingewiesen (§ 24 Abs. 2, § 42 AsylG).
3. Schließlich ist auch die Auffassung des Verwaltungsgerichts, wegen der mit Bescheid vom 13. November 2015 verfügten Ausweisung dürfe dem Antragsteller gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG kein Aufenthaltstitel erteilt werden, nicht zweifelhaft, denn die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Ausweisungsverfügung begegne keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, ist nicht in Anbetracht des Beschwerdevortrags zu beanstanden (zur Inzidentüberprüfung der Ausweisungsverfügung in solchen Fällen vgl. z.B. BayVGH, B.v. 19.1.2015 – 10 CS 14.2656 – juris Rn. 22).
Für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung der Ausweisungsverfügung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen (vgl. BVerwG, U.v. 15.11.2007 – 1 C 45.06 – BVerwGE 130, 20). Prüfungsmaßstab für die Ausweisung bilden deshalb die §§ 53 ff. AufenthG in der Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und zur Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl I 2015, S. 1386) und des Gesetzes zu erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern vom 11. März 2016 (BGBl I 2016, S. 394). Eine nach altem Recht verfügte Ausweisung wird nach Inkrafttreten der §§ 53 bis 55 AufenthG in ihrer Neufassung am 1. Januar 2016 nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht, wenn also gemäß der zentralen Ausweisungsnorm des § 53 Abs. 1 AufenthG (als Grundtatbestand; vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 18/4097, S. 49 f.) der weitere Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet und die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt (vgl. BayVGH, B.v. 27.1.2017 – 10 ZB 15.1976 – juris Rn. 8).
Der strafrechtlich erheblich vorgeahndete Antragsteller ist nach seiner Rückkehr aus der Türkei in den Jahren 2003 bis 2015 wegen Diebstahls mit Waffen, versuchter Nötigung und gefährlicher Körperverletzung, wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung und wegen Erschleichens von Aufenthaltstiteln zu Geldstrafen, aber auch zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden.
Die Antragsgegnerin hat die Ausweisung auf § 55 Abs. 1 AufenthG a.F. i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a, Nr. 2 AufenthG a.F. gestützt. Nach diesen Vorschriften konnte ein Ausländer ausgewiesen werden, wenn er – wie der Antragsteller – in einem Verwaltungsverfahren falsche Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels gemacht oder – wie der Antragsteller – einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. Die letztgenannte Vorschrift war dabei so zu verstehen, dass ein Rechtsverstoß nur dann unbeachtlich ist, wenn er vereinzelt und geringfügig ist, andererseits aber immer dann beachtlich ist, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig, oder wenn er geringfügig, aber nicht vereinzelt ist (BVerwG, U.v. 24.9.1996 – 1 C 9.94 – BVerwGE 102, 63 [66]). Dem entsprechend lag ein Ausweisungsgrund jedenfalls dann vor, wenn der festgestellte Rechtsverstoß nicht geringfügig ist (vgl. BVerwG, U.v. 18.11.2004 – 1 C 23.03 – BVerwGE 122, 193 – juris Rn. 19). Eine vorsätzlich begangene Straftat konnte grundsätzlich nicht als geringfügig im Sinne von § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG angesehen werden, es sei denn, das Strafverfahren war wegen Geringfügigkeit eingestellt worden (vgl. BVerwG, U.v. 24.9.1996, a.a.O.).
Der der Ausweisungsentscheidung zu Grunde gelegte vorsätzliche Verstoß des Antragstellers gegen Strafvorschriften des Aufenthaltsgesetzes ist entgegen dessen Einschätzung nicht geringfügig und er begründet entgegen der Rechtsauffassung des Antragstellers deshalb ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse. Laut dem Urteil des Amtsgerichts N. vom 27. Mai 2015 haben sich der Antragsteller und seine Ehefrau wegen Erschleichens von Aufenthaltstiteln nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG strafbar gemacht. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts N. haben der Antragsteller und seine Ehefrau gegenüber der Ausländerbehörde der Wahrheit zuwider angegeben, zusammen eine Wohnung zu bewohnen und dort einen gemeinsamen Hausstand zu führen. Entsprechende Falschangaben zur widerrechtlichen Erlangung von Aufenthaltstiteln betreffen einen Kernbereich des Aufenthaltsrechts und stellen einen besonders schwerwiegenden Verstoß gegen ein öffentliches Interesse dar, dem – ungeachtet der Ahndung mit einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen und des Lebensalters des Antragstellers – ausländerrechtlich erhebliches Gewicht zukommt. Dies kommt auch durch die Tatsache zum Ausdruck, dass falsche Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels für den Täter nach § 55 Abs. 2 Nr. 1b AufenthG a.F. (unabhängig von der verhängten Strafe) einen selbständigen Ausweisungsgrund gebildet haben und nun – nach der Novellierung des Ausweisungsrechts zum 1. Januar 2016 – nach § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a AufenthG n.F. ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse begründen. Die Beklagte verweist überdies angesichts der begangenen Straftaten zu Recht auf charakterliche Mängel und eine defizitäre Persönlichkeitsstruktur. Wie der abgeurteilte Verstoß gegen aufenthaltsrechtliche Vorschriften zeigt, ist allein der Hinweis auf das Lebensalter von 69 Jahren nicht geeignet, die Annahme einer vom Antragsteller ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu widerlegen. Das Strafurteil vom 26. November 1982 beschreibt den Antragsteller vom Charakter her als egozentrisch, geltungssüchtig und rechthaberisch, verbunden mit Schroffheit und einer Überschätzung der eigenen Bedeutung. Der Antragsteller könne in Teilbereichen seiner Persönlichkeit das Emotionale nicht hinreichend zügeln. Dabei trete vor allen Dingen die Unfähigkeit zutage, innere Spannungen zu ertragen oder zu kanalisieren. Hieraus ergebe sich eine gewisse Neigung zu kurzschlußartigen Reaktionen. Angesichts der Verurteilungen vom 15. Dezember 2003 wegen Diebstahls mit Waffen, versuchter Nötigung und gefährlicher Körperverletzung und vom 24. April 2013 wegen Körperverletzung ist nicht erkennbar, dass der Antragsteller seine Haltung und sein Verhalten grundlegend geändert hätte.
Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse steht kein überwiegendes schutzwürdiges Interesse des Antragstellers am Verbleib im Bundesgebiet gegenüber. Der Antragsteller kann sich zur Begründung eines überwiegenden privaten Interesses am Verbleib im Bundesgebiet nicht erfolgreich auf den Schutz des Art. 8 EMRK berufen.
Das Recht auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 EMRK umfasst die Summe der persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind (vgl. EGMR, U.v. 9.10.2003 – 48321/99 – Euro 2006, 560 ) und denen angesichts der zentralen Bedeutung dieser Bindungen für die Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zukommt (vgl. BVerfG, B.v. 21.2.2011 – 2 BvR 1392/10 – InfAuslR 2011, 235 m.w.N.). Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ist ein behördlicher Eingriff in die Ausübung eines Rechts nach Absatz 1 nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Der Eingriff muss eine in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahme darstellen, die durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und mit Blick auf das verfolgte legitime Ziel auch im engeren Sinne verhältnismäßig ist (vgl. BVerfG, B.v. 10.5.2007 – 2 BvR 304/07 – InfAuslR 2007, 275). Im Rahmen der privaten Belange, die bei der Prüfung des Eingriffs von Bedeutung sind, ist in Rechnung zu stellen, inwieweit der Ausländer unter Berücksichtigung seines Lebensalters in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert ist. Als Gesichtspunkte für das Vorhandensein von anerkennenswerten Bindungen können Integrationsleistungen in persönlicher, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht von Bedeutung sein, der rechtliche Status, die Beachtung gesetzlicher Pflichten und Verbote, der Grund für die Dauer des Aufenthalts und Kenntnisse der deutschen Sprache. Diese Bindungen des Ausländers im Inland sind in Beziehung zu setzen zu den (noch vorhandenen) Bindungen an seinen Heimatstaat. Hierzu gehört die Prüfung, inwieweit der Ausländer unter Berücksichtigung seines Lebensalters, seiner persönlichen Befähigung und seiner familiären Anbindung im Heimatland von dem Land seiner Staatsangehörigkeit bzw. Herkunft entwurzelt ist.
Die angeordnete Ausweisung erfolgt auf gesetzlicher Grundlage und verfolgt ein legitimes Ziel, nämlich die Verhinderung weiterer Straftaten des Antragstellers im Bundesgebiet. Die öffentlichen Belange, namentlich die in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Belange der öffentlichen Ordnung und der Verhinderung von strafbaren Handlungen, überwiegen nach der zutreffenden Beurteilung des Verwaltungsgerichts das private Interesse des Antragstellers am Verbleib im Bundesgebiet. Die Beschwerde zeigt keine Lebensumstände auf, die zu einer Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung führen müssten. Der Antragsteller hat wesentliche Teile seines Lebens in der Türkei verbracht. Er ist mit deren Sprache und Kultur vertraut und es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, weshalb ihm eine Rückkehr in die Türkei nicht zumutbar sein sollte. Auch dort halten sich Familienangehörige des Antragstellers auf, zu denen er Kontakte pflegt. Die verwandtschaftlichen Beziehungen zu erwachsenen Kindern oder minderjährigen Enkelkindern im Bundesgebiet, die hinsichtlich ihrer Intensität nicht näher dargelegt wurden, begründen kein in § 53 Abs. 2 AufenthG typisiertes Bleibeinteresse und haben gegenüber den Ausweisungsinteressen nur ein geringes Gewicht. Dabei ist zu sehen, dass in der Vergangenheit eine familiäre Lebensgemeinschaft infolge der Straftaten des Antragstellers (Strafhaft, Rückkehr in die Türkei) über einen langen Zeitraum nicht bestanden hat. Das Sozialamt der Antragsgegnerin gelangt – gestützt auf Vermerke des Sozialdienstes aus den Jahren 1978/1979 – in einem Schreiben vom 28. August 2006 zu der Bewertung, dass sich der Antragsteller nie um seine Familie gekümmert hat.
Vom Bestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und seiner Ehefrau kann auch weiterhin nicht ausgegangen werden. Das Strafurteil vom 27. Mai 2015 hat – vom Antragsteller unwiderlegt – festgestellt, dass eine eheliche Lebensgemeinschaft zwischen den Eheleuten nicht bestanden hat; die Ehegatten haben in verschiedenen Wohnungen gelebt, wie der Antragsteller in seiner Stellungnahme vom November 2015 selbst bestätigt. Eine Lebensgemeinschaft von Gewicht wird nicht dadurch wieder hergestellt, dass der Antragsteller wieder unter der Adresse der Ehefrau gemeldet ist und sich zeitweise dort aufhält. Erst der bei beiden Eheleuten bestehende Wille, die eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet tatsächlich herzustellen oder aufrechtzuerhalten, löst den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG aus; die Beweislast für das Bestehen dieses Herstellungswillens als einer inneren Tatsache trägt der Ausländer (vgl. BVerwG, U.v. 22.6.2011 – 1 C 11.10 – juris Rn. 14 ff.; U.v. 30.3.2010 – 1 C 7.09 – BVerwGE 136, 222 Rn. 15); das formale Band der Ehe reicht insoweit nicht aus. Zwar verbietet es sich angesichts der Vielfalt der von Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Ausgestaltungsmöglichkeiten der familiären Lebensgemeinschaft, schematische oder allzu enge Mindestvoraussetzungen für das Vorliegen einer ehelichen Lebensgemeinschaft zu formulieren (vgl. BVerfG, B.v. 30.1.2002 – 2 BvR 231/00 – NVwZ 2002, 849, Rn. 22). Selbst wenn Eheleute im Allgemeinen ihren Lebensmittelpunkt in einer gemeinsamen Wohnung haben, kann eine eheliche Lebensgemeinschaft auch dann bestehen, wenn die Eheleute – etwa aus beruflichen Gründen – in getrennten Wohnungen leben oder aus gewichtigen Gründen – Berufstätigkeit, Inhaftierung – wenig persönlichen Kontakt haben. In einem derartigen Fall ist allerdings erforderlich, dass das Bestehen einer über eine bloße Begegnungsgemeinschaft hinausreichenden familiären Beistandsgemeinschaft auf andere Weise erkennbar sichergestellt ist, etwa durch eine jedenfalls erforderliche intensive Kommunikation zwischen den Eheleuten als Indiz für eine gemeinsame Lebensgestaltung, durch Beistandsleistungen oder Besuche im Rahmen des Möglichen (U.v. 22.6.2011 – 1 C 11.10 – juris Rn. 18). Maßgeblich ist der nachweisbar betätigte Wille, mit der Partnerin bzw. dem Partner als wesentlicher Bezugsperson ein gemeinsames Leben zu führen. Ob dieser Wille vorliegt und praktiziert wird, ist eine Frage des jeweiligen Einzelfalls.
Vorliegend hat der Antragsteller die Wiederaufnahme einer ehelichen Lebensgemeinschaft nach langjähriger Trennung (die Vermieterbescheinigung vom 7.5.2014 bestätigt noch ein Zusammenwohnen des Antragstellers mit einer anderen Frau; die Einverständniserklärung der Ehefrau vom 4.11.2015 betrifft die Herstellung einer häuslichen Gemeinschaft; von einer ehelichen Lebensgemeinschaft ist in der Erklärung nicht die Rede) nicht im erforderlichen Umfang dargelegt; er trägt vor, die Wohnung regelmäßig und für einen längeren Zeitraum verlassen zu müssen, weil die Ehefrau darauf bestehe. Eine psychische Erkrankung der Ehefrau, auf die er dies zurückführt, hat er weder dargelegt noch belegt.
Die privaten Belange auf der Antragstellerseite werden von widerstreitenden öffentlichen Belangen, namentlich den in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Belangen der öffentlichen Ordnung und der Verhinderung von strafbaren Handlungen, überwogen. Die Art und Schwere der vom Antragsteller begangenen Straftaten und seine Verhaltensmuster begründen die erhebliche Gefahr der Begehung erneuter Straftaten.
Ohne dass es darauf noch entscheidungserheblich ankommt, ist festzustellen, dass auch die Regelerteilungsvoraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 5 AufenthG nicht vorliegen. Aus den bereits genannten Gründen besteht ein Ausweisungsinteresse gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG; der Lebensunterhalt ist entgegen § 5 Abs. 1 Nrn. 1 AufenthG nicht gesichert. Der Antragsteller verfügt lediglich über gesicherte Einkünfte in Höhe von ca. 200 EUR (Altersrentenbescheid vom 7.5.2014); die finanzielle Unterstützung durch Familie und Freund, auf die sich der Antragsteller im Übrigen beruft, ist nicht dauerhaft sichergestellt.
4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG, wobei im vorläufigen Rechtsschutzverfahren der sogenannte Auffangstreitwert halbiert wird.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO)


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