Verwaltungsrecht

Baurechtliche Betretensanordnung – erfolgloser Berufungszulassungsantrag

Aktenzeichen  1 ZB 19.839

Datum:
9.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 21156
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124a Abs. 4 S. 4
BayBO Art. 54 Abs. 2 S. 4
GG Art. 13 Abs. 7

 

Leitsatz

1. Die Befugnis nach Art. 54 Abs. 2 Satz 4 BayBO setzt nicht voraus, dass ein Verstoß gegen baurechtliche Vorschriften vorliegt; die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines solchen Verstoßes reicht aus. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Gericht muss die Beteiligten zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung nicht auf seine Rechtsauffassung oder auf relevante Unterlagen hinweisen, von denen sich der Kläger durch Akteneinsicht hätte Kenntnis verschaffen können. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 9 K 17.6074 2019-03-13 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Kläger wenden sich als Miteigentümer eines bebauten Grundstücks gegen eine baurechtliche Betretensanordnung, mit der der Kläger zu 1 verpflichtet wird, der Bauaufsichtsbehörde Zutritt zu den Räumen des Hauses zu gewähren und die Klägerin zu 2 verpflichtet wird, dies zu dulden. Die hiergegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. In dem Urteil wird ausgeführt, dass die Anordnungen rechtmäßig seien, nachdem konkrete Anhaltspunkte dafür vorlägen, den Baubestand auf eine etwaige baugenehmigungspflichtige Änderung zu überprüfen. Das Dachgeschoss sei mit Dachflächenfenstern versehen worden. Da in dem Anwesen fünf Personen mit Hauptwohnsitz gemeldet seien, sei zu überprüfen, ob das Dachgeschoss entgegen den Festsetzungen des Bebauungsplans zu Wohnzwecken ausgebaut worden sei. Es sei auch zu überprüfen, ob im Kellergeschoss eine Büronutzung ausgeübt werde.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und des Vorliegens eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO), sind nicht dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) bzw. liegen nicht vor.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Ungeachtet der der Frage der ausreichenden Darlegung der Zulassungsgründe bestehen solche ernstlichen Zweifel nicht.
Nach Art. 54 Abs. 2 Satz 4 BayBO i.V.m. Art. 13 Abs. 7 GG sind die mit dem Vollzug der Bayerischen Bauordnung beauftragten Personen berechtigt, in Ausübung ihres Amtes Grundstücke und Anlagen einschließlich der Wohnungen zu betreten, wenn eine dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung besteht. Eine solche Gefahr kann beispielsweise angenommen werden, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass bei der Nutzung einer Wohnung gegen die Vorschriften über die Baugenehmigungspflicht verstoßen wird (vgl. BayVGH, B.v. 9.12.2015 – 1 ZB 14.1937 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 26.3.2012 – 9 ZB 08.1359 – juris Rn. 15). Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass solche Anhaltspunkte schon aufgrund des Einbaus von Dachflächenfenstern und der Anzahl der gemeldeten Personen gegeben sind. Soweit die Kläger hiergegen einwenden, dass die Meldung von fünf Personen nicht logisch zwingend eine Ausdehnung der Wohnnutzung bedinge, drei der gemeldeten Personen die erwachsenen Kinder der Kläger seien und der Platzbedarf einer Person individuell unterschiedlich sei, begründet dies keine ernstlichen Zweifel an der Beurteilung des Verwaltungsgerichts. Die Kläger übersehen, dass die Befugnis nach Art. 54 Abs. 2 Satz 4 BayBO nicht voraussetzt, dass ein Verstoß gegen baurechtliche Vorschriften vorliegt, sondern schon die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines solchen Verstoßes ausreicht (vgl. BayVGH, B.v. 26.3.2012 a.a.O. Rn. 13; Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Stand April 2019, Art. 54 Rn. 138). Nachdem in dem Gebäude neben einem Elternschlafzimmer lediglich ein Kinderzimmer mit 16,45 m² genehmigt ist, kann bei realistischer Betrachtung nicht angenommen werden, dass dieses drei erwachsenen Personen als Hauptwohnung dient, während das ausreichend hohe und belichtete Dachgeschoss ungenutzt bleibt. Ob daneben auch aufgrund der Büronutzung eine Überprüfung erforderlich war, kann dahingestellt bleiben, da sich die Betretungsbefugnis schon aus der möglichen bebauungsplanwidrigen Nutzung des Dachgeschosses zu Wohnzwecken ergibt. Soweit die Kläger darüber hinaus pauschal Fehler bei der Beweiswürdigung geltend machen, fehlt es an einer nachvollziehbaren Darlegung der Gründe für eine Zulassung der Berufung.
Die Berufung ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Die Kläger machen geltend, sie hätten keine Gelegenheit gehabt, sich zu dem erstmals vom Verwaltungsgericht eingeführten Foto eines Klingelschildes und der deshalb vermuteten Büronutzung zu äußern. Die von den Klägern in diesem Zusammenhang gerügte Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO) ist darin nicht zu erkennen. Eine den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzende Überraschungsentscheidung kommt in Betracht, wenn das Gericht einen bislang nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (stRspr vgl. BVerwG, B.v. 29.9.2015 – 7 B 22.15 – juris Rn. 9 m.w.N.). Das ist nicht der Fall, wenn sich das Gericht – wie hier geschehen – seine Überzeugung aus den vom Beklagten vorgelegten Akten bildet, die, wie sich aus dem Tatbestand der angegriffenen Entscheidung ergibt, zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemacht worden sind (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dabei musste es die Beteiligten zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung nicht auf seine Rechtsauffassung (vgl. BVerwG, U.v. 16.4.1997 – 6 C 9.95 – NJW 1998, 323) oder auf relevante Unterlagen hinweisen, von denen sich die Kläger durch Akteneinsicht hätten Kenntnis verschaffen können (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2016 – 1 ZB 13.760 – juris Rn. 9). Abgesehen davon ergibt sich aus dem Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 13. März 2019, dass das Verwaltungsgericht ausdrücklich auf seine Auffassung hingewiesen hat, wonach die Betretensanordnung rechtmäßig sei und es sich nach den in den Akten vorhandenen Fotos aufdränge, die Nutzung zu untersagen. Die Kläger hätten daher die Möglichkeit gehabt, dieser Beurteilung in der mündlichen Verhandlung entgegen zu treten.
Soweit die Kläger des Weiteren Fehler bei der Tatsachenfeststellung und Sachverhaltswürdigung sowie einen Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz geltend machen, erläutern sie nicht, worin diese zu sehen sein könnten. Ein Verfahrensfehler (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) wird insoweit nicht dargelegt.
Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner zu tragen, da ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO, § 159 Satz 2 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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