Verwaltungsrecht

Beachtliche Wahrscheinlichkeit, Abschiebungsverbot, Volkszugehörigkeit, Befähigung zum Richteramt, Flüchtlingseigenschaft, Freiwillige Rückkehr, Abschiebungsandrohung, Verwaltungsgerichte, Inländische Fluchtalternative, Ausreiseaufforderung, Prozeßbevollmächtigter, Politische Verfolgung, Subsidiärer Schutzstatus, Aufenthaltsverbot, Zumutbarkeit, mündlich Verhandlung, Prozeßkostenhilfeverfahren, Bundsverwaltungsgericht, Asylverfahren, Bundesamt

Aktenzeichen  W 8 K 20.31267

Datum:
22.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 7789
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Halbsatz 2 VwGO § 86 Abs. 1
AsylG § 3
AsylG § 3e
AsylG § 4
AsylG § 25
AufenthG § 60
AufenthG § 60a Abs. 2c

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. 

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für … vom 3. November 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG sowie für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sind ebenfalls nicht zu beanstanden (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Das Gericht folgt im Ergebnis sowie in der wesentlichen Begründung dem angefochtenen Bescheid und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Die Ausführungen des Bundesamtes für … decken sich mit den zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemachten Erkenntnismitteln.
Das Gericht kommt aufgrund des klägerischen Vorbringens und der zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemachten Erkenntnismittel – ebenso wie das Bundesamt im angefochtenen Bescheid – zu dem Ergebnis, dass den Klägern keine (politische) Verfolgung oder sonst eine ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
Ein Ausländer darf gemäß § 3 ff. AsylG nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Verfolgungshandlungen müssen an diese Gründe anknüpfend mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (siehe zum einheitlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – BVerwGE 140, 22; U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – BVerwGE 136, 377). Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit liegt dann vor, wenn die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist letztlich, ob es zumutbar erscheint, dass der Ausländer in sein Heimatland zurückkehrt (BVerwG, U.v. 3.11.1992 – 9 C 21/92 – BVerwGE 91, 150; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – BVerwGE 89, 162). Über das Vorliegen einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegebenen Gefahr politischer Verfolgung entscheidet eine wertende Gesamtbetrachtung aller möglichen verfolgungsauslösenden Gesichtspunkte, wobei in die Gesamtschau alle Verfolgungsumstände einzubeziehen sind, unabhängig davon, ob diese schon im Verfolgerstaat bestanden oder erst in Deutschland entstanden und von dem Ausländer selbst geschaffen wurden oder ob ein Kausalzusammenhang zwischen dem nach der Flucht eingetretenen Verfolgungsgrund und entsprechend den schon in dem Heimatland bestehenden Umständen gegeben ist (BVerwG, U.v. 18.2.1992 – 9 C 59/91 – Buchholz 402.25, § 7 AsylVfG Nr. 1).
Aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht hat ein Kläger (oder eine Klägerin) seine (ihre) Gründe für seine politische Verfolgung schlüssig und vollständig vorzutragen (§ 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO). Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – bei verständiger Würdigung die behauptete Verfolgung ergibt. Bei den in die eigene Sphäre des Klägers fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, muss er eine Schilderung abgeben, die geeignet ist, den Abschiebungsschutz lückenlos zu tragen. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann. Bleibt ein Kläger hinsichtlich seiner eigenen Erlebnisse konkrete Angaben schuldig, so ist das Gericht nicht verpflichtet, insofern eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen. Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 106.84 – BVerwGE 71, 180).
Den Klägern ist es nicht gelungen, die für ihre Ansprüche relevanten Gründe in der dargelegten Art und Weise geltend zu machen. Unter Zugrundelegung der Angaben der Kläger, gerade auch in der mündlichen Verhandlung, ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass eine begründete Gefahr (politischer) Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestand bzw. besteht oder sonst eine ernsthafte Gefahr drohte oder droht.
Das Bundesamt für … hat im streitgegenständlichen Bescheid schon zutreffend ausgeführt, dass zwischen den als Verfolgung geltend gemachten Handlungen und dem Zeitpunkt der Ausreise vier Jahre später kein Kausalzusammenhang bestehe. Die Kläger hätten im Jahr 2018 zudem jedenfalls erfolgreich internen Schutz gehabt. Es sei nicht ersichtlich, warum es den Klägern, nachdem sie mehrere Jahre problemlos im Iran hätten leben können, bei der Rückkehr nicht wieder möglich sein sollte, sich dort anzusiedeln. Es sei ihnen auch nach ihrem Umzug innerhalb Irans gelungen, sich eine Existenz aufzubauen. Im Hinblick auf ihre Konfession wäre ihnen auch ein Umzug in eine andere von Sunniten bewohnte Provinz möglich. Eine extreme konkrete Gefahrenlage sei bei einer Rückkehr nicht ersichtlich.
Die Ausführungen des Bundesamtes sind im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Kläger konnten gewisse Widersprüche und Ungereimtheiten in ihrem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung nicht zweifelsfrei ausräumen. Dies trifft insbesondere die vorgelegte Heiratsurkunde. Die Heiratsurkunde steht in ihrem Aussagegehalt im krassen Gegensatz zum Vorbringen der Kläger, dass der Vater der Klägerin gegen die Hochzeit gewesen sei und die Kläger bis heute mit dem Tod bedrohe. Denn in der Heiratsurkunde ist der Vater der Klägerin zu 2) auf Seiten 2 und 18 ausdrücklich als anwesender, unterschreibender Zeuge der Trauung genannt. Auf Seite 19 ist der Vater der Klägerin zu 2) weiter als der genannt, der den Ehevorschlag eingebracht habe. Auf Vorhalt des Gerichts beharrten die Kläger darauf, dass die Urkunde eine wirksame Ehe beurkunde; räumten aber auf wiederholte Nachfragen und Vorhalte des Gerichts ein, dass sie selbst nur persönlich bei einer Trauung durch den Mullah anwesend gewesen seien und dann quasi durch Bestechung über einen Anwalt die Registrierung und die Ausstellung der vorgelegten Urkunde veranlasst hätten, ohne selbst persönlich anwesend zu sein und ohne, dass auch der Vater der Klägerin anwesend gewesen sei. Vielmehr seien die Zeugen und deren Unterschriften gegen Geld über einen Anwalt besorgt worden. Die Kläger räumten schließlich selbst ein, dass die Heiratsurkunde insoweit „gefakt“ sei. Auch wenn der Klägerbevollmächtigte darauf hingewiesen hat, dass die Fälschung in der Heiratsurkunde den Klägern nach ihrem Verständnis nicht bewusst und für die Kläger kein Problem gewesen sei, weil nur die Ehe habe bewiesen werden sollen, ist dem Gericht gleichwohl nicht verständlich, dass die anwaltlich vertretenen Kläger ein solches Dokument, das zu ihrem sonstigen Vorbringen im Widerspruch steht und auch nach eigenem Bekunden unwahre Inhalte enthält, ohne weitere Erläuterungen den deutschen Behörden und über diese auch dem Gericht unkommentiert vorgelegt haben, um sich damit Vorteile im Asylverfahren zu verschaffen. Erst und nur in der mündlichen Verhandlung erfolgten auf wiederholte gerichtliche Vorhalte betreffende Erklärungen.
Gegen ein durchweg glaubhaftes Vorbringen der Kläger spricht auch, dass sie durch gesteigertes Vorbringen den ihnen drohenden Verfolgungsschicksal Nachdruck verleihen wollten. Denn sie erwähnten erstmals in der mündlichen Verhandlung, dass nach dem Fehlschlag der Versöhnung der Vater der Klägerin zu 2) einen Freund, der bei der Sepah sei, beauftragt habe, die Kläger aufzufinden und dem Vater zu bringen sowie eine Akte über die Kläger anzulegen. Sie hätten befürchtet, dass sie irgendeinmal von dem Freund des Vaters verhaftet würden. Demgegenüber haben die Kläger von einem beauftragten Freund des Vaters bei der Sepah zuvor gegenüber dem Bundesamt für … oder im gerichtlichen Verfahren trotz Aufforderung nach § 87b Abs. 3 VwGO nichts berichtet. Lediglich die Klägerin zu 2) gab beim Bundesamt kurz an (S. 6 ihres Anhörungsprotokolls vom 19.3.2020), dass sie von ihrer Schwester erfahren habe, dass ihr Vater zu den Onkeln väterlicherseits als LKW-Fahrer gesagt habe, das einzige, was sie für ihn tun könnten, sei den Wohnort der Klägerin zu 2) zu ermitteln.
Weiter fraglich ist der Umstand, dass es dem Bruder des Klägers zu 1) ohne Probleme möglich gewesen ist, die Wohnung des Klägers zu 1) zu verkaufen. Als Begründung gab der Kläger zu 1) bei seiner Anhörung am 18. März 2020 (S. 10) ausdrücklich an, sein Vater habe sich bei familiären Angelegenheiten eingemischt, aber in wirtschaftlichen habe er sich herausgehalten. Auch falls dieser mitbekommen hätte, dass der Bruder die Wohnung verkaufen wolle, hätte er sich nicht eingemischt, denn diese Dinge seien für ihn uninteressant gewesen. Hätte der Vater aber ein ernsthaftes Verfolgungsinteresse gehabt, dann leuchtet dem Gericht nicht ein, dass er diese Möglichkeit zur Ermittlung des Aufenthalts der Kläger unbeachtet gelassen haben sollte.
Zudem spricht gegen eine beachtliche wahrscheinliche Gefahr von Ehrenmorden, dass das Geschehen mittlerweile schon über sechs Jahre zurückliegt (vgl. VG Stuttgart, U.v. 13.4.2005 – A 11 K 11220/03 – juris Rn. 38), wenn das Gericht auch die Gefahr von Ehrenmorden im Iran nicht grundsätzlich verkennt, wie sie der Klägerbevollmächtigte mit einer – wohl deutlich über zehn Jahre alten (eventuell von 2006/2007) – Ausarbeitung von Prof. Schirrmacher (Ehrenmorde – ein verbreitetes Phänomen; https://www.igfm.de/ehrenmorde-zwischen-migration-und-tradition/) dargelegt hat (vgl. auch VG Würzburg, U.v. 2.11.2011 – W 6 K 10.30140 – juris; VG Frankfurt, U.v. 4.7.2012 – 1 K 1783/11.F.A – juris; VG Stuttgart, U.v. 13.4.2005 – A 11 K 11220/03 – juris).
Unabhängig von den nicht völlig ausgeräumten Zweifeln und Ungereimtheiten im klägerischen Vorbringen könnten die Kläger einer eventuellen Verfolgung bzw. Gefahr durch die jeweiligen Familien jedenfalls entgehen, wenn sie sich – wie schon in der Vergangenheit – in eine andere Stadt oder einen anderen Landesteil Irans begeben. Denn im Iran besteht im ganzen Land Bewegungsfreiheit (BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation, Iran vom 29.1.2021, S. 70). Den Klägern ist es möglich und zumutbar, sich andernorts im Iran niederzulassen, wo sie vor eventuellen Verfolgern bzw. auch Privatpersonen sicher wären (vgl. § 3e, § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG). Die Kläger müssen sich auf interne Schutzmöglichkeiten im Herkunftsland verweisen lassen. Es ist nicht erkennbar, dass die Familien der Kläger diese ohne weiteres auffinden können sollten, wenn sie ihre ursprünglichen Heimat- und Aufenthaltsorte meiden. Angesichts der Größe Irans und der Größe der dortigen Städte hält es das Gericht nicht für beachtlich wahrscheinlich, dass die Kläger fürchten müssten, von ihren Familien oder von deren beauftragten Personen entdeckt und gefährdet zu werden. Diese müssten schon überhaupt nicht erfahren, dass die Kläger zurückkehren und sich im Iran aufhalten. Auch wenn die Kläger gegenteilige Befürchtungen hegen, ist das Gericht nach den objektiven Gegebenheiten nicht davon überzeugt, dass die Familien bzw. von ihnen beauftragte Personen in der Lage wären, die Rückkehr in den Iran mitzubekommen und die Kläger anschließend in ganz Iran ausfindig zu machen (vgl. ebenso VG Ansbach, U.v. 7.12.2020 – AN 19 K 20.30605 – juris; BayVGH, U.v. 29.10.2020 – 14 B 20.30408 – juris), zumal die Kläger – wie im streitgegenständlichen Bundesamtsbescheid zutreffend ausgeführt – auch schon zuvor ca. vier Jahre lang unbehelligt in relativer Nähe zum Wohnort der Eltern leben und ihr Existenzminimum sichern konnten. Dem Gericht leuchtet nicht ein, dass die Familien, wenn sie ein wirkliches Interesse gehabt hätten, die Kläger zu finden, um diesen Schaden zuzufügen, dieses Vorhaben nicht schon in den knapp vier Jahren von 2014 bis 2018 in die Tat umgesetzt hätten. Erst recht können sich die Kläger nach mittlerweile über sechs Jahren seit ihrer internen Flucht und seit ihrer Heirat nun in den Iran zurückkehren und sich dort irgendwo niederlassen würden, ohne das mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine ernsthafte Gefahr drohen würde.
Gegen eine inländische Aufenthaltsalternative spricht auch nicht, dass die Kläger sunnitischen Glaubens und kurdischer Volkszugehörigkeit sind. Zwar ist nicht zu verkennen, dass Sunnitinnen und Sunniten im Iran sowohl aufgrund ihrer religiösen als auch aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit diskriminiert werden, da viele von ihnen kurdischer oder arabischer Volkszugehörigkeit sind. In den sunnitischen Siedlungsgebieten im Westen und im Südosten Irans ist die Religionsausübung jedoch ohne Einschränkung möglich (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran, Stand: Dezember 2020, vom 5.2.2021, S. 14). Sunniten sind in der Verfassung als Muslime anerkannt und dürfen ihre Religion prinzipiell frei ausüben, wenn sie auch vielfältigen Diskriminierungen ausgesetzt und vom Gesetz benachteiligt sind. In den Siedlungsgebieten der Sunniten gibt es starke Autonomiebewegungen, gegen die die Zentralregierung in Teheran vorgeht. Angehörigen der ethnischen Minderheiten haben deshalb auch schlechteren Zugang zu Wasser, Wohnraum, Arbeit und Bildung. Sunnitentum, ethnische Zugehörigkeit und Autonomiebestrebungen vermischen sich in der staatlichen Wahrnehmung. Allerdings wurde im Jahr 2015 erstmals ein Sunnit zum Botschafter des Irans ernannt (BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Iran vom 29.1.2021, S. 55).
Auch Kurdinnen und Kurden (überwiegend sunnitischen Glaubens) sind entsprechend hinsichtlich ihrer kulturellen Eigenständigkeit staatlicher Diskriminierungen ausgesetzt. Sie werden aber auch in hohe Ämter der der Provinzverwaltungen und zunehmend auch der Ministerialbürokratie berufen. Der Staatsrundfunk sendet stundenweise kurdischsprachige Sendungen. Staatliche Maßnahmen erfahren jedoch insbesondere kurdische Aktivistinnen und Aktivisten, die – anders als die Kläger – separatistische Tendenzen verfolgen. Repressionen drohen weiter, wenn Kurden – anders als die Kläger – im Ausland politisch aktiv sind und sich öffentlich regimekritisch äußern (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran, Stand: Dezember 2020, vom 5.2.2021, S. 2; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Iran vom 29.1.2021, S. 60 f. und 85).
Nach alledem sieht das Gericht keine durchgreifenden Anhaltspunkte, dass kurdische Sunniten bzw. sunnitische Kurden, die wie die Kläger nicht regimekritisch aktiv sind, keine ausreichenden Aufenthaltsmöglichkeiten innerhalb Irans hätten, und zwar sowohl in ihren angestammten Siedlungsgebieten als auch andernorts, insbesondere in Großstädten.
Des Weiteren ist auch das Existenzminimum bei einer Rückkehr der Kläger in den Iran in zumutbarer Weise gesichert. Die Kläger, insbesondere der Kläger zu 1) und gegebenenfalls auch die Klägerin zu 2) könnten, wie in der Vergangenheit, durch eigene Arbeit für den Unterhalt für sich und ihre Kinder sorgen. Auch haben die Kläger schon in der Vergangenheit gewisse Unterstützung durch den Bruder des Klägers zu 1) bzw. informelle Unterstützung durch die Schwester der Klägerin zu 2) erhalten. Den Klägern war es zudem schon in der Vergangenheit möglich, 22.000,00 EUR an eigenen Mitteln für ihre Flucht anzusparen und aufzutreiben, und ihnen war es weiter möglich, als Kurden sunnitischen Glaubens Arbeit zu finden und auf Hilfe von Freunden zurückgreifen zu können. Des Weiteren hat der Kläger zu 1) in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich angegeben, noch über ein Grundstück im Iran zu verfügen, das er – zum Beispiel mit Hilfe seines Bruders wie in der Vergangenheit – noch veräußern könnte.
Die Grundversorgung im Iran ist zudem gesichert, wozu neben staatlichen Hilfe auch das islamische Spendensystem beiträgt. Im Übrigen existieren soziale Absicherungsmechanismen, wie z.B. Armenstiftungen, Kinder-, Alten-, Frauen- und Behindertenheime, Hilfe an Bedürftige durch den Staat, die Moscheen, religiöse Stiftungen, Armenstiftungen und oft auch durch NGOs oder privat organisiert (z.B. Frauengruppen). Darüber hinaus gibt es Rückkehr- und Reintegrationsprojekte im Herkunftsland. Insbesondere IOM ist seit 2014 beteiligt. Auch über REAG/GARB gibt es Hilfen (vgl. dazu auch Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran, Stand: Dezember 2020, vom 5.2.2021, S. 24; IOM, Länderinformationsblatt islamische Republik Iran 2019; BFA, Bundesamt für Asyl und Fremdenwesen der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Iran vom 29.1.2021, S. 75 ff., 77 ff. und 79 sowie vom 20.11.2020, S. 83 ff., 85 f.).
Die Kläger können so bei einer freiwilligen Rückkehr sowohl zusätzlich Start- bzw. als auch Rückkehrhilfen und Reintegrationshilfen in Anspruch nehmen und ihre finanzielle Situation verbessern, um gerade auch Startschwierigkeiten bei einer Rückkehr zu überbrücken. Gegen diese Möglichkeit können sie nicht mit Erfolg einwenden, dass Start- bzw. Reintegrationshilfen ganz oder teilweise nur für freiwillige Rückkehr, also teilweise nicht bei einer zwangsweisen Rückkehr, erfolgen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten – wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr – im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, nicht vom Bundesamt die Feststellung eines Abschiebungsverbotes verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.1997 – 9 C 38.96 – BVerwGE 104, 265; VGH BW, U.v. 26.2.2014 – A 11 S 2519/19 – juris).
Nach alledem hat das Gericht auf der Basis der vorliegenden Erkenntnisse keine Bedenken, dass die Kläger sich bei einer Rückkehr in den Iran jedenfalls das wirtschaftliche Existenzminimum sichern können. Erforderlich, aber auch ausreichend hierfür ist die Sicherung der Existenz auf einem Mindestniveau, das eine Verletzung des Art. 3 EMRK vermeidet (BVerwG, U.v. 18.2.2021 – 1 C 4.20 – juris).
Schließlich ist auch nicht anzunehmen, dass den Klägern sonst bei einer Rückkehr politische Verfolgung droht, etwa wegen ihres Auslandsaufenthalts oder ihrer Asylantragstellung in Deutschland. Auslandsaufenthalte sind nicht verboten. Allein der Umstand, dass eine Person in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, löst bei Rückkehr keine staatlichen Repressionen aus. In der Regel dürften die Umstände der Wiedereinreise den iranischen Behörden gar nicht bekannt werden. Nur in Einzelfällen ist es zu einer Befragung durch Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt gekommen. Bisher ist kein Fall bekannt geworden, in dem Zurückgeführte im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert wurden. Personen, die das Land illegal verlassen und sonst keine weiteren Straftaten begangen haben, können von iranischen Auslandsvertretungen ein Passersatzpapier bekommen und in den Iran zurückkehren. Abgesehen davon akzeptiert die iranische Regierung unter Verweis auf die Verfassung grundsätzlich ausschließlich freiwillige Rückkehr (Freizügigkeit). Nur bei unterstützter Rückkehr (also im weiteren Sinne auch Umwandlung von Abschiebung in „freiwillige“ Rückkehr durch finanzielle oder sonstige Anreize) ist eine Kooperation realistisch. Konsularkonsultationen über eine Zusammenarbeit bei der Rückführung sind noch am Laufen und insbesondere hinsichtlich der Rücknahme schwerer Straftäter spezifiziert (siehe zum Ganzen Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran, Stand Dezember 2020 vom 5.2.2021, S. 25 f.; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Iran vom 29.1.2021, S. 83 f.; vgl. im Übrigen VG Würzburg, U.v. 2.1.2020 – W 8 K 19.31960 – juris; U.v. 19.8.2019 – W 8 K 19.30846 – juris m.w.N. zur Rspr.).
Nach dem vorstehend Gesagten sind weiter insgesamt betrachtet keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG, weil insbesondere mit Blick auf die inländische Aufenthaltsalternative bei den Klägern kein ernsthafter Schaden mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
Des Weiteren bestehen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Das Bundesamt für … hat im streitgegenständlichen Bescheid schon unter Berücksichtigung des von der Klägerin zu 2) vorgelegten ärztlichen Attestes zutreffend dargestellt, dass der Klägerin die im Attest geforderten Spezialschuhe zur Verfügung stünden und sich die Panikattacken des Klägers zu 3) nicht auf den Iran, sondern auf Kroatien bezögen. Aktuelle ärztliche Bescheinigungen haben die Kläger nicht vorgelegt, geschweige denn qualifizierte ärztliche Bescheinigungen nach § 60a Abs. 2c AufenthG unter anderem mit konkreten Angaben zu den Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben.
Das Gericht hat keine Anhaltspunkte, dass die von den Klägern genannten psychischen Erkrankungen sowie auch gesundheitliche Probleme aufgrund der Beinverkürzung der Klägerin zu 2) bei einer Rückkehr in den Iran nicht behandelt bzw. weiter behandelt werden könnten. In dem letzten vorliegenden Attest vom 3. März 2020 ist ausdrücklich ausgeführt, dass eine sofortige Operationsindikation nicht vorliegt und eine Schuherhöhung links um 6 cm ausreichend sein dürfte. Diese ist aber auch im Iran möglich.
Primäre Gesundheitsleistungen sind im Iran kostenlos. Die Regierung im Iran versucht eine kostenfreie medizinische Behandlung und Medikamentenversorgung für alle Iraner zu gewährleisten. In zahlreichen Apotheken sind die meisten auch in Europa gebräuchlichen Medikamente zu kaufen und nicht sehr teuer (siehe nur BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.1.2021, S. 80 ff. und vom 20.11.2020, S. 87 ff.; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik [Mirtazapin, Alternative Sertralin, Citalopram, Fluvoxamin] vom 9.8.2017; BAMF, Länderinformation – Iran, Gesundheitssystem und COVID-19-Pandemie, November 2020; vgl. auch Auswärtiges Amt, Auskunft an das Bundesamt für … vom 16.9.2018 sowie vom 11.4.2018).
Dass eine (zwangsweise) Rückkehr in den Iran aus medizinischen Gründen nicht zumutbar sein könnte, ist den vorgelegten ärztlichen Unterlagen sowie auch den Angaben der Kläger zu ihren Erkrankungen letztlich nicht zu entnehmen (vgl. auch VG Aachen, U.v. 11.11.2020 – 10 K 3601/18.A – juris; OVG NRW, B.v. 30.10.2020 – 6 A 4264/19.A – juris). Demnach verbleibt es bei der Vermutung, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen (vgl. § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG).
Eine andere Beurteilung rechtfertigt sich schließlich auch nicht aus der weltweiten COVID-19-Pandemie, weil nach den aktuellen Fallzahlen im Iran – auch im Vergleich zu Deutschland -, wie sie das Gericht in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt hat (siehe S. 2 des Sitzungsprotokolls), keine hohe Wahrscheinlichkeit der Gefahr der Ansteckung oder sogar eines schweren oder lebensbedrohlichen Verlaufs besteht, so dass nicht ersichtlich ist, dass die Kläger bei einer Rückkehr in den Iran krankheitsbedingt einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben oder sonst einer extremen materiellen Not mit der Gefahr der Verelendung ausgesetzt wäre. Dies gilt erst recht, wenn die Kläger die vom iranischen Staat getroffenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie sowie individuelle Schutzmaßnahmen (Einhaltung von Abstand, Hygieneregeln, Mund-Nasen-Schutz-Masken usw.) beachten und die bestehenden Hilfemöglichkeiten in Anspruch nehmen, zumal der iranische Staat nicht tatenlos geblieben ist und Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie sowie Hilfsmaßnahmen getroffen hat.
In dem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass der Iran etwa mit Ausgangssperren, örtlichen Lockdowns, Maskenpflicht, Reisebeschränkungen, Verbot von Feierlichkeiten und dergleichen reagiert hat. Weiter wurden Schulen und Universitäten geschlossen, Freitagsgebete sowie Kultur- und Sportveranstaltungen wurden abgesagt, Reinigungs- und Desinfektionsmaßnahmen durchgeführt. Des Weiteren rufen die Behörden dazu auf, möglichst soziale Kontakte zu meiden sowie persönliche Hygiene- und Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die öffentlichen Verkehrsmittel zu meiden bzw. bei deren Nutzung eine Gesichtsmaske zu tragen (vgl. BAMF, Briefing-Notes vom 1.3.2021, 22.2.2021, 15.2.2021, 1.2.2021, 18.1.2021, 11.1.2021, 16.11.2020, 26.10.2020, 5.10.2020, 28.9.2020, 17.8.2020, 27.7.2020, 20.7.2020, 13.7.2020 sowie Länderinformation – Iran, Gesundheitssystem und COVID-19-Pandemie, November 2020; Länderinformation COVID-19-Pandemie, Die Gesundheitssysteme in den Top-10-Herkunftsländern, Stand 06/2020, S. 30 ff.; Kurzinformation der Staatendokumentation, Zone Russische Föderation/Kaukasus und Iran, COVID-19-Informationen vom 9.6.2020, S. 2 f.; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Iran vom 29.1.2021, S. 3 ff.).
Abgesehen davon haben die Kläger keinerlei Angaben gemacht, wie sich aktuell die Lage zur Ausbreitung von COVID-19 im Iran – vor allem in der Region, in der sie sich die letzten vier Jahre vor ihrer Ausreise aufgehalten haben bzw. in einer möglichen anderen Zielregion – darstellt, insbesondere wieviele Menschen sich dort mit dem zugrundeliegenden Krankheitserreger SARS-CoV-2 infiziert haben, hierdurch schwer erkrankt oder gar verstorben sind, von wievielen Ansteckungsverdächtigen derzeit auszugehen ist, welche Schutzmaßnahmen mit welcher Effektivität der iranische Staat zur Eindämmung der Pandemie ergriffen hat, um beurteilen zu können, ob und welche Wahrscheinlichkeit für eine möglicherweise befürchtete Ansteckung mit COVID-19 im Falle einer Rückkehr besteht. Denn für die Beurteilung ist auf die tatsächlichen Umstände des konkreten Einzelfalles abzustellen, zu der auch eine eventuelle – bei den Klägern nicht gegebene – Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe gehört (vgl. OVG NRW, B.v. 23.6.2020 – 6 A 844/20.A – juris konkret zum Iran).
Schließlich sind auch die Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung sowie die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht zu beanstanden. Im Einzelnen wird auf den angefochtenen Bundesamtsbescheid Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Letztlich ist den Klägern nach richterlicher Überzeugung unter Gesamtwürdigung der vorliegenden Erkenntnisse zur aktuellen Situation im Iran – auch unter Berücksichtigung der COVID-19-Pandemie – eine Rückkehr in ihr Heimatland persönlich zumutbar, ohne dass rechtliche Hindernisse entgegenstehen. Das Gericht verkennt auch unter Berücksichtigung der aktuellen Bedingungen sowie der persönlichen Situation der Kläger nicht die mitunter schwierigen Lebensverhältnisse im Iran. Diese betreffen jedoch iranische Familien kurdischer Volkszugehörigkeit und sunnitischen Glaubens in vergleichbarer Lage in gleicher Weise.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen.


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