Verwaltungsrecht

Beachtliche Wahrscheinlichkeit, Befähigung zum Richteramt, Flüchtlingseigenschaft, Abschiebungsverbot, Subsidiärer Schutzstatus, Freiwillige Rückkehr, Abschiebungsandrohung, Verwaltungsgerichte, Ausreiseaufforderung, mündlich Verhandlung, Politische Verfolgung, Sitzungsniederschrift, Aufenthaltsverbot, Prozeßkostenhilfeverfahren, Bundsverwaltungsgericht, Asylverfahren, Ausreiseverbot, Vertretungszwang, Abschiebungsschutz, Bundesamt für Migration

Aktenzeichen  W 8 K 20.31049

Datum:
1.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 6983
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Halbsatz 2 VwGO § 86 Abs. 1
AuslG § 3
AsylG § 4
AsylG § 25
AufenthG § 60

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber unbegründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 28. August 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG sowie für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sind ebenfalls nicht zu beanstanden (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Das Gericht folgt im Ergebnis sowie in der wesentlichen Begründung dem angefochtenen Bescheid und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Die Ausführungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge decken sich mit den zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemachten Erkenntnismitteln.
Das Gericht kommt aufgrund des klägerischen Vorbringens und der zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemachten Erkenntnismittel – ebenso wie das Bundesamt im angefochtenen Bescheid – zu dem Ergebnis, dass der Klägerin keine (politische) Verfolgung oder sonst eine ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
Ein Ausländer darf gemäß § 3 ff. AsylG nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Verfolgungshandlungen müssen an diese Gründe anknüpfend mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (siehe zum einheitlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – BVerwGE 140, 22; U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – BVerwGE 136, 377). Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit liegt dann vor, wenn die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist letztlich, ob es zumutbar erscheint, dass der Ausländer in sein Heimatland zurückkehrt (BVerwG, U.v. 3.11.1992 – 9 C 21/92 – BVerwGE 91, 150; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – BVerwGE 89, 162). Über das Vorliegen einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegebenen Gefahr politischer Verfolgung entscheidet eine wertende Gesamtbetrachtung aller möglichen verfolgungsauslösenden Gesichtspunkte, wobei in die Gesamtschau alle Verfolgungsumstände einzubeziehen sind, unabhängig davon, ob diese schon im Verfolgerstaat bestanden oder erst in Deutschland entstanden und von dem Ausländer selbst geschaffen wurden oder ob ein Kausalzusammenhang zwischen dem nach der Flucht eingetretenen Verfolgungsgrund und entsprechend den schon in dem Heimatland bestehenden Umständen gegeben ist (BVerwG, U.v. 18.2.1992 – 9 C 59/91 – Buchholz 402.25, § 7 AsylVfG Nr. 1).
Aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht hat ein Kläger (oder eine Klägerin) seine (ihre) Gründe für seine politische Verfolgung schlüssig und vollständig vorzutragen (§ 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO). Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – bei verständiger Würdigung die behauptete Verfolgung ergibt. Bei den in die eigene Sphäre des Klägers fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, muss er eine Schilderung abgeben, die geeignet ist, den Abschiebungsschutz lückenlos zu tragen. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann. Bleibt ein Kläger hinsichtlich seiner eigenen Erlebnisse konkrete Angaben schuldig, so ist das Gericht nicht verpflichtet, insofern eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen. Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 106.84 – BVerwGE 71, 180).
Der Klägerin ist es nicht gelungen, die für ihre Ansprüche relevanten Gründe in der dargelegten Art und Weise geltend zu machen, zumal bis zur mündlichen Verhandlung von der Klägerseite – trotz Aufforderung nach § 87b Abs. 3 VwGO – überhaupt keine Klagebegründung oder sonst ein relevantes Vorbringen erfolgte. Unter Zugrundelegung der Angaben der Klägerin, gerade auch in der mündlichen Verhandlung, ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass eine begründete Gefahr (politischer) Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestand bzw. besteht oder sonst eine ernsthafte Gefahr drohte oder droht.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat im streitgegenständlichen Bescheid schon zutreffend ausgeführt, dass dem Sachvortrag der Klägerin nicht entnommen werden könne, dass sie im Iran aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt worden sei. Die Klägerin habe ein Dokument vorgelegt, dass als Untersuchungsbefehl übersetzt worden sei. Darin werde der Klägerin Ehebruch und Diebstahl vorgeworfen und eine Verurteilung festgelegt mit 74 Peitschenhieben für den Ehebruch und Steinigung wegen Gotteslästerung, auf die angesichts einer Kautionshinterlegung und dem Verhängen eines Ausreiseverbotes verzichtet worden sei. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass es sich bei dem Schriftstück um ein authentisches amtliches Dokument handele. Bereits die Aussagekraft von iranischen Dokumenten, die im Original vorgelegt würden, sei gering. Das Dokument weise deutliche Anzeichen einer Fälschung auf. Es dürfe ausgeschlossen werden, dass sich jemand nicht merke, im Herkunftsland (möglicherweise) zum Tod durch Steinigung verurteilt worden zu sein. Es sei zweifelhaft, dass sich die Klägerin im Jahr 2009 nach dem Tod ihres Ehemannes in einer Zwangslage derart befunden habe sollte, dass sie die Vormundschaft des Schwagers gegen ihren Willen habe hinnehmen müssen. Die Klägerin habe mit ihrer Berufstätigkeit alleine für sich und ihre beiden Kinder finanziell sorgen können. Sie habe sich auch in Teheran frei bewegen können. Für eine Witwe sei es legal, alleine zu leben und außerhalb ihres Hauses zu arbeiten. Die Heirat solle mehr als neun Jahre nach dem Tod des Ehemanns erfolgt sein. Es scheine ungereimt, dass der Schwager die Klägerin gesucht habe, wenn sie 10 bis 11 Monate unbehelligt im Kreis Teheran habe leben können. Nicht glaubhaft sei die Übergabe der nicht authentischen Sitzungsniederschrift vom 5. Januar 2019.
Die Ausführungen des Bundesamtes sind im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Klägerin konnte die Zweifel und Ungereimtheiten in der mündlichen Verhandlung nicht ausräumen. Dies trifft insbesondere auf das vorgelegte Dokument zu, das in den Bundesamtsakten als „Untersuchungsbefehl“ übersetzt ist und das der Dolmetscher in der mündlichen Verhandlung als „Verhörverfügung“ übersetzt hat. Ohne Kenntnis des Dolmetschers von den Ausführungen des Bundesamts zur fehlenden Authentizität und der dortigen Übersetzung zu dem Dokument erklärte dieser ausdrücklich: Nach seiner Meinung sei das Dokument offensichtlich eine Fälschung, die jedes Kind erkenne, weil einerseits dort Verhörverfügung stehe, andererseits aber dort stehe, was der Klägerin vorgeworfen werde. Das Dokument enthalte darüber hinaus zahlreiche sprachliche Ungenauigkeiten und Ungereimtheiten, die nicht der iranischen Behördensprache entsprächen und auch so nicht verständlich seien. Dies sei kein juristischer Terminus. Diese Feststellung des Dolmetschers wird dadurch bestätigt, dass auch die deutsche Übersetzung sowohl in den Behördenakten als auch durch den Dolmetscher in der mündlichen Verhandlung – aufgrund der fehlerhaften sprachlichen Vorlage – sehr holprig ausgefallen ist, sodass nicht verständlich gemacht werden konnte, was überhaupt Gegenstand dieses Dokuments sein solle und was damit konkret verfügt, dokumentiert oder sonst ausgesprochen sein sollte.
Das Gericht ist wie das Bundesamt davon überzeugt, dass das Dokument offenkundig nicht von einer zuständigen staatlichen bzw. behördlichen Stelle im Iran stammt. Dem Gericht drängt sich der Eindruck auf, dass der Schwager der Klägerin dieser ein selbst gefertigtes bzw. veranlasstes Fantasieprodukt vorgelegt hat, um sie einzuschüchtern und an der Ausreise zu hindern. Die Klägerin erklärte auf Vorhalt auch entsprechend, dass sie das Dokument von ihrem Sohn erhalten habe mit der Aussage, sie solle jetzt schauen, wie sie aus dem Land komme. Sie erklärte weiter, sie habe keine Ahnung. Aber auf ausdrücklichen Vorhalt des Gerichts erklärte sie, sie gehe auch davon aus, dass der Schwager das Dokument selbst ausgefertigt habe bzw. habe ausfertigen lassen. Gleichwohl ist es dem Gericht nicht nachvollziehbar und plausibel, dass die Klägerin, die auch schon im Behördenverfahren anwaltlich vertreten war, ein solches nicht authentische Dokument, das offensichtlich fälschungsmerkmale und unwahre Inhalte enthält, ohne weitere Erläuterung vorgelegt hat, um sich damit Vorteile im Asylverfahren zu verschaffen.
Auch soweit die Klägerin darauf beharrt, sie sei von einem Ausreiseverbot ausgegangen, weil sie das Dokument jedenfalls zwei Wochen vor dem Zeitpunkt bekommen habe, an dem sie das Visum bekommen habe, besteht ein nicht auflösbarer Widerspruch. Denn auf dem Dokument ist ausdrücklich als Ausstelldatum der 5. Januar 2019 vermerkt mit Bezug auf ein Verfahren mit Datum vom 27. August 2018. Die Geltungsdauer des Visums war jedoch von 20. Oktober 2018 bis 5. Dezember 2018, also vor Ausstellung des Dokuments. Das Gericht ist nach alledem überzeugt, dass weder eine staatliche oder behördliche Verfolgung noch ein Ausreiseverbot im Iran bestanden hat.
Abgesehen davon, dass diese Ungereimtheiten auch auf die Glaubhaftigkeit des weiter vorgebrachten Vorfluchtschicksals durchschlagen, hat die Klägerin auch nicht widerspruchsfrei auf die Frage nach einem Fortbestehen der angeblichen Gefahr durch den Schwager geantwortet. Auf Frage des Gerichts, ob sie irgendwelche Informationen über Reaktionen des Schwagers nach ihrer Ausreise gehabt habe, erklärte sie ausdrücklich, sie habe keine Informationen. Vielleicht wolle der Sohn sie schonen. Sie habe ihren Sohn auch nicht direkt nach dem Schwager gefragt. Kurz darauf erklärte die Klägerin auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichts, sie habe sich natürlich erkundigt. Der Schwager habe ihrem Sohn gesagt, sie werde ihr blaues Wunder erleben, wenn sie zurückkomme. Der Sohn habe dies dauernd gesagt. Dieses Vorbringen spricht ebenfalls gegen eine ernsthafte Bedrohungslage, zumal wenn die Klägerin nichts Substanziiertes von einer Fortsetzung der Bedrohung seit ihrem Verlassen des Irans zu berichten weiß. Nach Auffassung des Gerichts hätte es im Gegenteil eher nahegelegen, dass ein Flüchtling, der Hilfe vom deutschen Staat erwartet, sich von sich aus um aktuelle Informationen über ein Fortbestehen der Bedrohungslage bemüht und den deutschen Behörden bzw. dem Gericht diese sowie Belege dazu im eigenen Interesse unaufgefordert vorlegt.
Unabhängig von der Unglaubhaftigkeit des klägerischen Vorbringens könnte die Klägerin eine eventuelle Verfolgung bzw. Gefahr durch ihren Schwager entgehen, wenn sie sich in eine andere Stadt oder einen anderen Landesteil Irans begibt. Der Klägerin ist es jedenfalls möglich und zumutbar, sich andernorts im Iran niederzulassen, wo sie vor eventuellen Verfolgern bzw. auch Privatpersonen sicher wäre (vgl. § 3e, § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG). Die Klägerin muss sich auf interne Schutzmöglichkeiten im Herkunftsland verweisen lassen. Es ist nicht erkennbar, dass der Schwager der Klägerin diese ohne weiteres auffinden können sollte, wenn sie ihrem ursprünglichen Heimat- und Aufenthaltsort meidet. Angesichts der Größe Irans und der Größe der dortigen Städte hält es das Gericht nicht für beachtlich wahrscheinlich, dass die Klägerin fürchten müsse, von ihrem Schwager entdeckt und gefährdet zu werden. Dieser würde nicht erfahren, dass die Klägerin zurückkehrt. Auch wenn die Klägerin gegenteilige Befürchtungen hegt, ist das Gericht nach den objektiven Gegebenheiten nicht davon überzeugt, dass der Schwager in der Lage wäre, die Rückkehr in den Iran mitzubekommen und sie anschließend in ganz Iran ausfindig zu machen (vgl. ebenso VG Ansbach, U.v. 7.12.2020 – AN 19 K 20.30605 – juris; BayVGH, U.v. 29.10.2020 – 14 B 20.30408 – juris).
An der inländischen Aufenthaltsalternative ändert auch die Zeitehe nichts. Auch wenn die von der Klägerin vorgetragene Zeitehe im Iran gültig ist, ist nach den eigenen Angaben der Klägerin festzuhalten, dass diese Ehe nur in einem Haus eines Mullahs geschlossen und nicht staatlicherseits registriert worden ist. Nur der Ehemann (Schwager) habe ein Heft darüber bekommen. Die Klägerin hat nur allgemein angegeben, egal, wo sie im Iran hingehe, der Schwager würde sie überall finden. Auf konkrete Frage des Gerichts nach der Möglichkeit, sich andernorts im Iran niederzulassen, erklärte die Klägerin jedoch zunächst nur, dann könnte sie keiner Beschäftigung mehr nachgehen, sonst hätte er sie gefunden. Insofern erscheint auch die Befürchtung der Entdeckung auch auf der Basis des Vorbringens der Klägerin nicht zwingend. Zudem war es ihr schon vor der Ausreise für zehn bis elf Monate möglich unterzutauchen, ohne, dass ihr Schwager ihren Aufenthalt hat feststellen können. Außerdem bestehen weitere Hilfe- und Unterstützungsmöglichkeiten, wie nachfolgend dargelegt wird.
Soweit die Klägerin auf die häusliche Gewalt verweist, ist zwar nach der Auskunftslage festzustellen, dass es keine Frauenhäuser im europäischen Sinn gibt, aber es gibt trotzdem gewisse Schutzhäuser und auch Schutzmöglichkeiten für Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt sind (vgl. BFA, Bundesamt für Asyl und Fremdenwesen der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Iran vom 29.1.2021, S. 67 und 79 und vom 20.11.2020, S. 72 und 85 f.). So gibt es verschiedene soziale Absicherungsmechanismen, wie z.B. Armenstiftungen, Kinder-, Alten-, Frauen- und Behindertenheime. Hilfe an Bedürftige wird durch den Staat, die Moscheen, religiöse Stiftungen, Armenstiftungen und oft auch durch NGOs oder privat organisiert (z.B. Frauengruppen) geleistet.
Entgegen häufig geäußerter Kritik besteht im Iran ein vielfältiges Angebot staatlicher und zivilgesellschaftlicher Beratungsstellen und Schutzeinrichtungen, die sich auch um Gewaltopfer kümmern. Allen ist ein aufrichtiges Bemühen um pragmatische Lösungen für sozial benachteiligte und gewaltleidende Frauen zugute zu halten. Die entsprechenden Angebote existieren im gesamten Iran. Staatliche wie private Erscheinungen scheinen in der Praxis realistisch und pragmatisch zu handeln. Sie akzeptieren, dass viele Frauen unter gegebenen Umständen nicht mehr zu ihren Familien zurückgeschickt werden können. Neben den staatlichen Stellen gibt es private Organisationen zum Schutz von Frauen, speziell von häuslicher Gewalt, und zwar sowohl religiöse Stiftungen als auch zivilgesellschaftliche Organisationen und NGOs. Somit existiert eine ganze Reihe von Schutzinstitutionen im Iran, die nicht ausschließlich, aber auch Opfer häuslicher Gewalt Hilfe anbieten. Die Schutzhäuser für Frauen existieren oft nur in größeren Städten und haben beschränkte Kapazitäten. Das System wird indes aber weiter ausgebaut (vgl. im Einzelnen die ausführliche Darstellung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Staatssekretariat für Migration SEM, Sektion Analysen, Focus Iran, Häusliche Gewalt vom 27.2.2019, S. 32 ff., 44 ff. und 52 ff., auch mit zahlreichen Verweisen und Links zu religiösen, staatlichen und privaten Institutionen und Organisationen). Der Klägerin wäre es vor ihrer Ausreise zumutbar gewesen, sich an diese Organisation und Stellen zu wenden bzw. sich nunmehr bei der Rückkehr bei Bedarf an diese Stellen zu wenden, die auch Schutz vor ihrem Schwager bieten könnten (vgl. ebenso VG Ansbach, U.v. 7.12.2020 – AN 19 K 20.30605 – juris; BayVGH, U.v. 29.10.2020 – 14 B 20.30408 – juris).
Des Weiteren ist auch das Existenzminimum bei einer Rückkehr der Klägerin in den Iran in zumutbarer Weise gesichert. Die Klägerin könnte, wie in der Vergangenheit, durch eigene Näharbeiten für ihren Unterhalt sorgen. Auch hat sie in der Vergangenheit schon Unterstützung durch ihre Freundin erhalten. Darüber hinaus verfügt sie über verschiedene verwandtschaftliche Beziehungen, wie etwa zu ihren Brüdern und auch ihrem Sohn. Weiter könnte sie auch auf Rückkehrhilfen zurückgreifen, wie schon der Beklagte im streitgegenständlichen Bescheid ausgeführt hat.
Die Grundversorgung im Iran ist gesichert, wozu neben staatlichen Hilfe auch das islamische Spendensystem beiträgt (vgl. im Einzelnen BFA, Bundesamt für Asyl und Fremdenwesen der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation, Iran, vom 29.1.2021, S. 75 ff. und vom 20.11.2020, S. 83 ff.). Im Übrigen existieren – wie schon angemerkt – soziale Absicherungsmechanismen, wie z.B. Armenstiftungen, Kinder-, Alten-, Frauen- und Behindertenheime, Hilfe an Bedürftige durch den Staat, die Moscheen, religiöse Stiftungen, Armenstiftungen und oft auch durch NGOs oder privat organisiert geleistet. Darüber hinaus gibt es Rückkehr- und Reintegrationsprojekte im Herkunftsland. Insbesondere IOM ist seit 2014 beteiligt. Auch über REAG/GARB gibt es Hilfen (vgl. dazu auch Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran, Stand: Februar 2020, vom 26.2.2020, S. 22; IOM, Länderinformationsblatt islamische Republik Iran 2019; BFA, Bundesamt für Asyl und Fremdenwesen der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Iran vom 29.1.2021, S. 79 und vom 20.11.2020, S. 85 f.).
Die Klägerin kann so bei einer freiwilligen Rückkehr sowohl zusätzlich Start- bzw. als auch Rückkehrhilfen und Reintegrationshilfen in Anspruch nehmen und ihre finanzielle Situation verbessern, um gerade auch Startschwierigkeiten bei einer Rückkehr zu überbrücken. Gegen diese Möglichkeit kann sie nicht mit Erfolg einwenden, dass Start- bzw. Reintegrationshilfen ganz oder teilweise nur für freiwillige Rückkehr, also teilweise nicht bei einer zwangsweisen Rückkehr, erfolgen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten – wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr – im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, nicht vom Bundesamt die Feststellung eines Abschiebungsverbotes verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.1997 – 9 C 38.96 – BVerwGE 104, 265; VGH BW, U.v. 26.2.2014 – A 11 S 2519/19 – juris).
Schließlich ist auch nicht anzunehmen, dass der Klägerin sonst bei einer Rückkehr politische Verfolgung droht, etwa wegen ihres Auslandsaufenthalts oder ihrer Asylantragstellung in Deutschland. Auslandsaufenthalte sind nicht verboten. Allein der Umstand, dass eine Person in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, löst bei Rückkehr keine staatlichen Repressionen aus. In der Regel dürften die Umstände der Wiedereinreise den iranischen Behörden gar nicht bekannt werden. Nur in Einzelfällen ist es zu einer Befragung durch Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt gekommen. Bisher ist kein Fall bekannt geworden, in dem Zurückgeführte im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert wurden. Personen, die das Land illegal verlassen und sonst keine weiteren Straftaten begangen haben, können von iranischen Auslandsvertretungen ein Passersatzpapier bekommen und in den Iran zurückkehren. Abgesehen davon akzeptiert die iranische Regierung unter Verweis auf die Verfassung grundsätzlich ausschließlich freiwillige Rückkehr (Freizügigkeit). Nur bei unterstützter Rückkehr (also im weiteren Sinne auch Umwandlung von Abschiebung in „freiwillige“ Rückkehr durch finanzielle oder sonstige Anreize) ist eine Kooperation realistisch. Konsularkonsultationen über eine Zusammenarbeit bei der Rückführung sind noch am Laufen und insbesondere hinsichtlich der Rücknahme schwerer Straftäter spezifiziert (siehe zum Ganzen Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran, Stand Februar 2020 vom 26.2.2020, S. 23; vgl. im Übrigen VG Würzburg, U.v. 2.1.2020 – W 8 K 19.31960 – juris; U.v. 19.8.2019 – W 8 K 19.30846 – juris m.w.N. zur Rspr.).
Nach dem vorstehend Gesagten sind weiter insgesamt betrachtet keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt wären. Dies gilt auch hinsichtlich der Begründung der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie der Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots. Im Einzelnen wird auf den angefochtenen Bundesamtsbescheid Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Eine andere Beurteilung rechtfertigt sich schließlich auch nicht aus der weltweiten COVID-19-Pandemie, weil nach den aktuellen Fallzahlen im Iran – auch im Vergleich zu Deutschland -, wie sie das Gericht in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt hat (siehe S. 2 des Sitzungsprotokolls), keine hohe Wahrscheinlichkeit der Gefahr der Ansteckung oder sogar eines schweren oder lebensbedrohlichen Verlaufs besteht, so dass nicht ersichtlich ist, dass die Klägerin bei einer Rückkehr in den Iran krankheitsbedingt einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben oder sonst einer extremen materiellen Not mit der Gefahr der Verelendung ausgesetzt wäre. Dies gilt erst recht, wenn die Klägerin die vom iranischen Staat getroffenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie sowie individuelle Schutzmaßnahmen (Einhaltung von Abstand, Hygieneregeln, Mund-Nasen-Schutz-Masken usw.) beachtet und die bestehenden Hilfemöglichkeiten in Anspruch nimmt, zumal der iranische Staat nicht tatenlos geblieben ist und Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie sowie Hilfsmaßnahmen getroffen hat.
In dem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass der Iran etwa mit Ausgangssperren, örtlichen Lockdowns, Maskenpflicht, Reiseeinschränkungen, Verbot von Feierlichkeiten und dergleichen reagiert hat. Weiter wurden Schulen und Universitäten geschlossen, Freitagsgebete sowie Kultur- und Sportveranstaltungen wurden abgesagt, Reinigungs- und Desinfektionsmaßnahmen durchgeführt. Des Weiteren rufen die Behörden dazu auf, möglichst soziale Kontakte zu meiden sowie persönliche Hygiene- und Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die öffentlichen Verkehrsmittel zu meiden bzw. bei deren Nutzung eine Gesichtsmaske zu tragen (vgl. BAMF, Briefing-Notes vom 18.1.2021, 11.1.2021, 16.11.2020, 26.10.2020, 5.10.2020, 28.9.2020, 17.8.2020, 27.7.2020, 20.7.2020, 13.7.2020 sowie Länderinformation – Iran, Gesundheitssystem und COVID-19-Pandemie, November 2020; Länderinformation COVID-19-Pandemie, Die Gesundheitssysteme in den Top-10-Herkunftsländern, Stand 06/2020, S. 30 ff.; Kurzinformation der Staatendokumentation, Zone Russische Föderation/Kaukasus und Iran, COVID-19-Informationen vom 9.6.2020, S. 2 f.; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Iran vom 29.1.2021, S. 3 ff.).
Abgesehen davon hat die Klägerin keinerlei Angaben gemacht, wie sich aktuell die Lage zur Ausbreitung von COVID-19 im Iran – vor allem in der Heimatregion – darstellt, insbesondere wieviele Menschen sich dort mit dem zugrundeliegenden Krankheitserreger SARS-CoV-2 infiziert haben, hierdurch schwer erkrankt oder gar verstorben sind, von wievielen Ansteckungsverdächtigen derzeit auszugehen ist, welche Schutzmaßnahmen mit welcher Effektivität der iranische Staat zur Eindämmung der Pandemie ergriffen hat, um beurteilen zu können, ob und welche Wahrscheinlichkeit für eine möglicherweise befürchtete Ansteckung mit COVID-19 im Falle einer Rückkehr besteht. Denn für die Beurteilung ist auf die tatsächlichen Umstände des konkreten Einzelfalles abzustellen, zu der auch eine eventuelle – bei der Klägerin nicht gegebene – Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe gehört (vgl. OVG NRW, B.v. 23.6.2020 – 6 A 844/20.A – juris konkret zum Iran).
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben