Verwaltungsrecht

Befreiung von der Umsatzsteuerpflicht für Karriere-Coach

Aktenzeichen  5 K 719/21 Ge

Datum:
11.1.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG Gera 5. Kammer
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:VGGERA:2022:0111.5K719.21GE.00
Normen:
§ 15b UStG 1999
§ 4 Nr 21a UStG 1999
§ 4 Nr 21bb UStG 1999
Art 132i EGRL 112/2006
§ 368 Abs 1 SGB 3
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Spruchkörper:
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Leitsatz

Zu der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein “Karriere-Coach”, der ausländischen Arbeitnehmer bei der Erlangung adäquater Arbeitsplätze auf dem deutschen Arbeitsmarkt unterstützt, von der Umsatzsteuer zu befreien ist.(Rn.19)

Tenor

1. Soweit die Klage zurück genommen worden ist, wird das Klageverfahren eingestellt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung des Beklagten gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der noch festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Erteilung einer Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) des Umsatzsteuergesetzes (UStG), wonach sie Leistungen erbringt, die auf einen Beruf oder auf eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten.
Die Klägerin bietet als Einzelunternehmerin die Dienstleistung „Interkulturelles Karriere-Coaching“ an. Sie beantragte beim Beklagten mit Schreiben vom 18. Januar 2021 die Erteilung einer Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG für die vorgenannte Dienstleistung. Ausweislich ihres Antrags ist die Klägerin 1978 in L… geboren und dort aufgewachsen. Zufolge ihres Antrags schloss sie an der Technischen Universität R… nacheinander ein Bachelor-Studium in der Fachrichtung Managementwissenschaften, ein Diplomstudium in der Fachrichtung „Economist in Management of Entrepreneurship“ und ein Masterstudium der Fachrichtung „Administration of Customs and Taxes“ ab. Die Klägerin legte ferner Unterlagen der Technischen Universität R… vor, wonach sie dort etwa zehn Jahre lang als Berufsschullehrerin und Dozentin tätig gewesen ist. Sie gab in ihrem Antrag weiter an, dass sie 2010 nach Deutschland gekommen sei und mehrfach den Arbeitgeber gewechselt habe, um beruflich aufzusteigen. Ab 2012 sei sie hauptberuflich vor allem für den privaten Bildungsträger D… GmbH, den A… AG, das P… SE & Co KGaA und die T… GmbH, einer Herstellerin von Tantal- und Niob-Pulvern, tätig gewesen bzw. tätig. Seit 2019 bilde sie sich auf dem Gebiet des Coachings von Führungskräften weiter. Dank ihrer beruflichen Erfahrung und ihres Wissens habe sie ein Karriere-Lehrprogramm entwickelt, das Erwachsene auf ihren nächsten Beruf vorbereiten würde. Die Zielgruppe des Lehrprogramms seien Menschen mit abgeschlossenem Studium oder erlerntem Beruf, die sich beruflich verändern wollten. Seit November 2020 betreibe sie nebenberuflich diese Tätigkeit als Karriere-Coach und Mentorin und habe mit zwei Klienten begonnen.
Nach dem (später im Klageverfahren) vorgelegten „Lehrplan für das Karriere Mentoring- und Coachingprogramm“ richtet sich die Dienstleistung der Klägerin an die Zielgruppe der Akademiker aus Nord- und Osteuropa. Der Lehrgang soll die Kompetenz der Teilnehmer bei Bewerbungen steigern. Diese sollen bei ihren Bewerbungsbemühungen aktiv unterstützt werden. Hierbei geht es im Rahmen von Gruppen- sowie Einzelgesprächen um allgemeine Fragen der Kommunikation, Selbstvermarktung, Bewerbungsverfahren, Hilfe bei der Erstellung von Bewerbungen, Formulierung von Anschreiben, Verfassen von Lebensläufen, Gehaltsverhandlungen, das regelmäßige Coachen und ein Training eines Vorstellungsinterviews. Die vorhandene allgemeine Bildung solle erweitert werden. Das Coaching-Programm umfasst 32 Lerneinheiten zu 45 Minuten. Zu den Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte (Blatt 33 f.) verwiesen.
Der Beklagte hörte die Klägerin mit Schreiben vom 1. März 2021 zu der beabsichtigten Ablehnung des Antrags an. Dazu führte er im Wesentlichen an, dass die Klägerin die Voraussetzungen des § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG nicht erfüllen würde. Die von ihr angebotene Dienstleistung würde keine Kenntnisse und Fertigkeiten für einen konkreten Beruf vermitteln.
In ihrer Stellungnahme vom 26. März 2021 machte die Klägerin vor allem geltend, dass das Bundesverwaltungsgericht entschieden habe (Az. 9 C 4.12), dass das Tatbestandsmerkmal „auf einen Beruf ordnungsgemäß vorbereiten“ im Sinne des § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG dahin auszulegen sei, dass darunter auch die Vorbereitung auf „irgendeinen Beruf“ oder auf „das Berufsleben“ falle.
Hierauf lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 25. Mai 2021 die beantragte Erteilung der Bescheinigung ab. Er gab im Wesentlichen begründend an, dass der Lehrgang „Interkulturelles Karriere-Coaching“ nicht das Tatbestandsmerkmal „Vorbereitung auf einen Beruf“ im Sinne des § 4 Nr. 21 a) bb) UStG erfülle. Eine für die Berufsvorbereitung erforderliche Finalität der Vermittlung eines höheren Kenntnis- und Fähigkeitsstandes sei nicht gegeben. Es sei nicht ersichtlich, dass die Klägerin Kenntnisse und Fähigkeiten weitergebe, die zur Ausübung beruflicher Tätigkeiten objektiv notwendig seien. Das Coaching diene der der Suche und Vorbereitung auf einen neuen „Job“ und damit nicht der Vorbereitung auf einen bestimmten Beruf. Die Klägerin würde spezifische, einen konkreten Beruf betreffende Kenntnisse und Fähigkeiten nicht vermitteln.
Die Klägerin hat am 18. Juni 2021 Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgt. Zu deren Begründung trägt sie im Wesentlichen vor: Entgegen der Auffassung des Beklagten sei das Tatbestandsmerkmal „Vorbereitung auf einen Beruf“ im Sinne des § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG erweiternd auszulegen. Nach dem Bundesverwaltungsgericht (Az. 9 C 4.12) sei nicht nur die Vermittlung spezieller Kenntnisse und Fähigkeiten, die zur Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten notwendig seien, sondern auch die Vorbereitung auf einen Beruf schlechthin als steuerrechtlich begünstigte Berufsvorbereitung zu verstehen. Auch der verfahrensrechtliche Zweck der Vorschrift, auf einer der Steuerbefreiung durch die Finanzverwaltung vorgelagerten Stufe, das spezifische Fachwissen der zuständigen Landesbehörde über die ordnungsgemäße schulische und berufliche Ausbildung zu nutzen, erfordere nicht, den Anwendungsbereich des Bescheinigungsverfahrens auf Leistung zur Vorbereitung auf einen bestimmten Beruf zu beschränken.
Nachdem die Klägerin in der Klageschrift beantragt hat,
1. den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 25. Mai 2021 zu verpflichten, ihr eine Bescheinigung zur Umsatzsteuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG für ihre Dienstleistung „Karriere-Coaching“ auszustellen und
2. die Zuziehung ihres Prozessbevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären,
beantragt sie nunmehr,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 25. Mai 2021 zu verpflichten, ihr eine Bescheinigung zur Umsatzsteuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG für ihre Dienstleistung „Karriere-Coaching“ auszustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er wendet ein, dass es zur Vorbereitung auf einen Beruf im Sinne des § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG nicht ausreichend sei, dass auf einen Beruf schlechthin oder das Berufsleben allgemein vorbereitet werde. Ziel der Vorbereitung sei vielmehr, dass teilnehmende Personen spezifische Kenntnisse und Fähigkeiten erlangen würden, die auf einen konkreten Beruf zugeschnitten seien. Die ordnungsgemäße Vorbereitung auf einen Beruf setze nach dem Bundesverwaltungsgericht (Az. 9 B 98/11) voraus, dass bestimmte Ausbildungsinhalte feststellbar seien, die für die Ausübung des jeweiligen Berufs objektiv notwendig seien. Die Maßnahmen müssten also so ausgerichtet sein, dass ein Teilnehmer zu dem erstmaligen Erwerb eines höheren Standes an beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten angeleitet werde. Dies sei bei der von der Klägerin angebotenen Dienstleistung nicht der Fall. Sie biete unter anderen Leistungen zur Zielsetzung und Motivation zu einer Neuorientierung, Lebenslauf und Anschreiben, Kommunikations- und Präsentationsfähigkeiten, Kompetenzmodellen und Vorbereitung eines Vorstellungsgesprächs an. Das Karriere-Coaching sei auf die Wiederholung und Auffrischung bereits bekannter Kompetenzen gerichtet. Es fehle an einer Ausrichtung an objektiven berufsbezogenen Vorgaben. Dazu werde auch auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf (Az. 28 K 17366/17) verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgang Bezug genommen. Die Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

Das Klageverfahren ist gemäß § 92 Abs. 1, 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) insoweit einzustellen, als die Klägerin den bereits in der Klageschrift verbindlich gestellten Klageantrag zu 2 (Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten im Widerspruchsverfahren für notwendig zu erklären) in der mündlichen Verhandlung nicht aufrechterhalten und damit schlüssig zurückgenommen hat.
Im Übrigen hat die Klage keinen Erfolg.
Die zulässige Verpflichtungsklage (vgl. § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 25. Mai 2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat gegen ihn keinen Anspruch auf die Erteilung der beantragten Bescheinigung (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Der geltend gemachte Anspruch folgt weder aus § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) des Umsatzsteuergesetzes in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (BGBl. I S. 402, 486 – UStG -) noch unmittelbar aus Art. 132 Abs. 1 Buchst. i) der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347/1 – MWSt-RL -).
§ 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG regelt, dass von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG fallenden Umsätzen steuerfrei sind:
„die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienende Leistungen privater Schulen und anderer allgemeinbildender oder berufsbildender Einrichtungen,
wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass sie auf einen Beruf oder eine von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten“.
Art. 132 MWSt-RL bestimmt Folgendes:
„(1) Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:

i) Erziehung von Kindern und Jugendlichen, Schul- und Hochschulunterricht, Aus- und Fortbildung sowie berufliche Umschulung und damit eng verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, oder andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung;“
Andere Einrichtungen im Sinn der beiden vorgenannten Vorschriften sind auch private Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht, also natürliche Personen und Personenzusammenschlüsse (vgl. nur: Kulmsee, in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, Kommentar, 172. Lieferung, Stand: 1. Dezember 2013, § 4 Rn. 11, 20).
Über die in § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG aufgeführte Voraussetzung der Berufs- oder Prüfungsvorbereitung hat nicht das Finanzamt, sondern die zuständige Landesbehörde in einem gesonderten Bescheinigungsverfahren zu entscheiden. Die Bescheinigung der Landesbehörde ist dabei für das Finanzamt bindend und der Nachprüfung durch das Finanzgericht entzogen. Die durch die zuständige Landesbehörde zu erteilende Bescheinigung ist ein Grundlagenbescheid im Sinne von § 171 Abs. 10 der Abgabenordnung (AO). Als Grundlagenbescheid bindet die Bescheinigung das Finanzamt und das Finanzgericht hinsichtlich der Frage, ob auf einen Beruf oder eine von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereitet wird. Die Beurteilung der übrigen Voraussetzungen für eine Befreiung von der Umsatzsteuer nach § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG obliegt der Finanzverwaltung, die insoweit der vollen Kontrolle der Finanzgerichte unterliegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2017 – 9 C 5.16 – BVerwGE 158, 387-399, juris, Rn. 12).
Die Klägerin hat zu Recht darauf hingewiesen, dass „Berufsvorbereitung“ nicht auf die Vermittlung spezieller Kenntnisse und Fertigkeiten beschränkt ist, die zur Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten notwendig sind, sondern auch die Vorbereitung auf einen Beruf schlechthin erfasst. Dazu hat das Bundesverwaltungsgericht in dem Urteil vom 12. Juni 2013 (Az. 9 C 4/12, BVerwGE 147, 1-8, juris Rn. 12-14) auszugsweise Folgendes ausgeführt:
„Die Erweiterung des Anwendungsbereichs des Bescheinigungsverfahrens auf Leistungen zur beruflichen Orientierung ist – unter Berücksichtigung des Zwecks der in § 4 Nr. 21 Buchst. a) UStG normierten Verfahrensstufung – durch das unionsrechtliche Effektivitätsprinzip geboten.
Randnummer13
Nach dem unionsrechtlichen Effektivitätsprinzip sind nationale Rechtsvorschriften so weit wie möglich dahin auszulegen, dass sie die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (EuGH, Urteile vom 2. Oktober 2003 – Rs. C-147/01, Webers Wine World u.a. – Slg. 2003, I-11365 Rn. 103, 117 und vom 13. März 2007 – Rs. C-432/05, Unibet – Slg. 2007, I-2271 Rn. 43 f.; stRspr). Wie bereits ausgeführt, handelt es sich bei der Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG um einen für die Finanzverwaltung verbindlichen Grundlagenbescheid. Daher sind die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift bis hin zur Wortlautgrenze so auszulegen, dass hinsichtlich aller Leistungen privater Einrichtungen, für die nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i) der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MWSt-RL) ein Anspruch auf Befreiung von der Umsatzsteuer in Betracht kommt, eine Bescheinigung erteilt werden kann. Dadurch wird zugleich dem Zweck der Verfahrensstufung möglichst weitgehend Rechnung getragen, dass vor der eigentlichen Steuerbefreiung durch die Finanzverwaltung zunächst die zuständige Landesbehörde ihr spezifisches Fachwissen über die Leistungsinhalte der öffentlich-rechtlichen Einrichtungen einbringt. Wie in Fällen zu verfahren ist, in denen der Wortlaut des § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG einer Anwendung des Bescheinigungsverfahrens auf Leistungen entgegensteht, die unionsrechtlich von der Umsatzsteuer zu befreien sind, bedarf keiner Erörterung; wie bereits ausgeführt, wird die Wortlautgrenze bezogen auf die hier in Rede stehenden Leistungen nicht überschritten (zur unmittelbaren Anwendung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i) MWSt-RL durch die Finanzverwaltung vgl. BFH, Urteile vom 21. März 2007 – V R 28/04 – BFHE 217, 59 <61 f.>, vom 10. Januar 2008 – V R 52/06 – BFHE 221, 295 <298> und vom 24. Januar 2008 – V R 3/05 – BFHE 221, 302 <306 f.>).
Randnummer14
Es kann keine vernünftigen Zweifel darüber geben, dass Leistungen der beruflichen Orientierung bzw. zur Vorbereitung auf die Wahl eines Berufs unter den Begriff des “Schulunterrichts” i.S.d. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i) MWSt-RL fallen können und damit von der Umsatzsteuer zu befreien sind. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist der autonome unionsrechtliche Begriff des “Schul- und Hochschulunterrichts” zur Vermeidung einer mit Blick auf die unterschiedliche Gestaltung der jeweiligen Unterrichtssysteme von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlichen Anwendung des Mehrwertsteuersystems nicht eng auszulegen. Der Begriff beschränkt sich nicht auf Unterricht, der zu einer Abschlussprüfung zur Erlangung einer Qualifikation führt oder eine Ausbildung im Hinblick auf die Ausübung einer Berufstätigkeit vermittelt. Vielmehr schließt er andere Tätigkeiten ein, bei denen die Unterweisung in Schulen und Hochschulen erteilt wird, um die Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler und Studenten zu entwickeln, sofern diese Tätigkeiten nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung haben (EuGH, Urteile vom 14. Juni 2007 – Rs. C-445/05, Haderer – Slg. 2007, I-4844 Rn. 24, 26 und vom 28. Januar 2010 – Rs. C-473/08, Eulitz – Slg. 2010, I-907 Rn. 29 f.). Einzelne “in Schulen” geleistete Hilfen zur beruflichen Orientierung wie etwa das “Bewerbungstraining” oder die Vermittlung von Kenntnissen über das Verhalten bei Vorstellungsgesprächen, über bestimmte Berufsfelder oder über die Arbeitsmarktsituation stellen nach der weiten Auslegung durch den Gerichtshof der Europäischen Union zweifellos “Schulunterricht” dar. Es spricht einiges dafür, dass das auch für die von der Klägerin durchgeführten Potenzialchecks zutrifft. Denn bei diesen Testverfahren geht es nicht nur um die bloße Feststellung bereits vorhandener Kompetenzen und Neigungen der Schüler. Diese sollen vielmehr dazu befähigt werden, die Kenntnisse über ihre eigenen Kompetenzen und Interessen zielorientiert bei der Berufswahl einzusetzen.“
Bei Anwendung der vorstehenden Normen und der vorstehenden Auslegungsgrundsätze des Bundesverwaltungsgerichts hat der Beklagte der Klägerin zu Recht die beantragte Bescheinigung versagt. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
1. Der Anspruch auf die Erteilung der beantragten Bescheinigung ergibt sich nicht unter dem Gesichtspunkt, dass das von der Klägerin angebotene Karriere-Coaching auf einen „Beruf vorbereitet“ im Sinn des § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG oder es sich bei dabei um eine Maßnahme der beruflichen „Fortbildung“ im Sinn des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i) MWSt-RL handelt.
Dabei kann offen bleiben, ob Dienstleistungen wie die von der Klägerin angebotenen das Tatbestandsmerkmal Vorbereitung auf einen Beruf im Sinn des § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG erfüllen (bejahend auf Grund der weiten Auslegung des Wortlauts: Kulmsee, in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, a. a. O., § 4 Rn. 39 f.; verneinend wegen der Überschreitung des Wortsinns: VG Düsseldorf, Urteil vom 12. Juli 2018 – 28 K 17366/17 – juris Rn. 314; offen gelassen: OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17. Dezember 2020 – 14 A 480/18 – juris Rn. 67-69) oder aber, ob Einzelpersonen, die solche Dienstleistungen anbieten, begründet geltend machen können, diese würden als Maßnahmen der Fortbildung dem unmittelbar anwendbaren Art. 132 Abs. 1 Buchst. i) MWSt-RL unterfallen (unmittelbare Anwendbarkeit offen gelassen von BVerwG, Urteil vom 12. Juni 2013 – 9 C 4/12, juris Rn. 13; unmittelbare Anwendbarkeit bejaht vor allem durch EuGH, Urteil vom 28. November 2013 – C-319/12 – DB 2014, 37-40, juris Rn. 47-51 auch in ständiger Rechtsprechung des BFH, vgl. etwa Urteil vom 29. März 2017 – XI R 6/16 – DStR 2017, 1386 m.w.N.)
Entscheidend für die Versagung der Bescheinigung ist es, dass die Klägerin nicht das weitere Erfordernis des § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG bzw. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i) MWSt-RL erfüllt, nämlich, dass sie Dienstleistungen erbringt, die mit denjenigen öffentlicher Einrichtungen hinsichtlich des verfolgten Zwecks bzw. Ziels vergleichbar sind.
Neben der steuerlichen Förderung solcher Bildungsleistungen bezweckt die Befreiung der schulischen und beruflichen Ausbildung durch Privatschulen und andere vergleichbare Bildungseinrichtungen von der Umsatzsteuer nach § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG deren steuerliche Gleichbehandlung mit den nach § 2b UStG nicht der Umsatzsteuer unterliegenden öffentlich-rechtlichen Ausbildungsträgern (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juni 2013 – 9 C 4.12 – BVerwGE 147, 1-8, juris, Rn. 9). Diese Zwecke verfolgt auch die zeitlich nach § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG ergangene Mehrwertsteuersystemrichtlinie mit ihrem Art. 132 Abs. 1 Buchst. i) (vgl. EuGH, Urteil vom 20. Juni 2002 C-287/00, Slg. 2022, I-5811, Rn. 47). Nach Erlass der Mehrwertsteuersystemrichtlinie ist § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG nicht geändert worden.
Der Coaching-Lehrgang der Klägerin richtet sich nach ihren Angaben vornehmlich an aus Ost- und Nordeuropa stammende Fachkräfte mit einem abgeschlossenen Studium oder einem erlernten Beruf, die sich beruflich verändern wollen. Die Klägerin unterstützt die betreffenden Personen dabei, auf dem deutschen Arbeitsmarkt ihrer Ausbildung entsprechende, angemessene Stellen vornehmlich in der Privatwirtschaft zu finden.
a) Vergleichbare Bewerbungs- und Coaching-Leistungen, wie sie die Klägerin anbietet, sind nach Maßgabe des § 4 Nr. 15b UStG der Umsatzsteuer enthoben.
Nach § 4 Nr. 15b Satz 1 UStG sind Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere Einrichtungen mit sozialem Charakter, die vor allem Eingliederungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II) und Leistungen der aktiven Arbeitsförderung nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) erbringen, von der Umsatzsteuer befreit. Zu den Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung zählen auf der Grundlage der §§ 44 ff., 81 ff. SGB III auch Lehrgänge, die der Heranführung an den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt oder der beruflichen Qualifikation von Fachkräften dienen (vgl. etwa: https://bildungsgutschein.kursportal.info/k5412981 [Karrierecoaching für Akademiker, Fach- und Führungskräfte, 30 Stunden, Aktivierungsgutschein]).
Soweit private Unternehmen die vorgenannten Leistungen erbringen, muss es sich bei diesen Privaten um „andere Einrichtungen mit sozialem Charakter“ handeln. Diese müssen nach § 15b Satz 2 Nr. 1 UStG zunächst im Verfahren nach § 178 SGB III zugelassen worden sein. Die Zulassung verlangt vor allem Nachweise der Leistungsfähigkeit und der Zuverlässigkeit des Unternehmers sowie das Vorliegen eines Systems zur Sicherung der Qualität der Leistung. Der Umstand, dass Private im Bereich der Arbeitsförderungsleistungen erst zugelassen werden müssen (vgl. §§ 176 ff. SGB III), führt in der Praxis dazu, dass dieser Personenkreis für die erbrachten Bildungsleistungen nicht eigens noch eine Bescheinigung im Sinn des § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG bedarf (vgl. Hölzer, in Rau/Dürrwächter, UStG, 181. Lieferung März 2019, § 4 Nr. 15b Rn. 23).
Das Coaching der Klägerin erfolgt nicht im Rahmen von Eingliederungsleistungen nach dem SGB II oder als Leistung der aktiven Arbeitsförderung nach dem SGB III. Die Klägerin ist für die Erbringung dieser Förderleistungen gegenwärtig nicht zugelassen. Das klägerische Coaching-Programm richtet sich offenbar zudem auch nicht an Antragsteller, die nach dem SGB II oder dem SGB III gefördert werden.
b) Es ist auch sonst nicht ersichtlich, dass es zu den Aufgaben inländischer öffentlicher Körperschaften und Einrichtungen gehört, solche Bildungsleistungen, wie sie die Klägerin praktiziert, für ausländische Berufs- und Hochschulabsolventen anzubieten.
Insbesondere ist es nicht Aufgabe der Bundesagentur für Arbeit, außerhalb der vorstehend angesprochenen gesetzlichen Regelungen über die Arbeitsförderung Coaching-Lehrgänge speziell für ausländische Hochschulabsolventen und Fachkräfte anzubieten. Dem steht ihre gesetzliche Aufgabenzuweisung entgegen. Nach § 368 Abs. 1 Satz 1 SGB III ist die Bundesagentur der für die Durchführung der Aufgaben nach dem SGB III zuständige Verwaltungsträger. Sie darf gemäß § 368 Abs. 1 Satz 2 SGB III ihre Mittel nur für die gesetzlich vorgeschriebenen und zugelassenen Zwecke verwenden. Gemäß § 368 Abs. 3 Satz 1 SGB III kann die Bundesregierung der Bundesagentur durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates weitere Aufgaben übertragen. Ferner können die Regionaldirektionen der Bundeagentur mit Zustimmung der Zentrale im Wege von Verwaltungsvereinbarungen in die Durchführung befristeter Arbeitsmarktprogramme der Länder eingebunden werden. Die vorstehenden Möglichkeiten der Aufgabenerweiterung der Bundesagentur bedeutet allerdings nicht, dass sie gegenwärtig laufend oder befristet Dienstleistungen erbringt, wie sie die Klägerin anbietet. Dafür fehlt es an entsprechenden Regelungen oder Vereinbarungen.
Entsprechendes gilt auch, soweit Integrationskurse auf der Grundlage des Aufenthaltsgesetzes und der Integrationsverordnung Steuerfrei nach § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG genießen (vgl. OFD Niedersachsen, Vfg. Vom 29. Oktober 2015 – DStR 2016, 69). Das Angebot der Klägerin ist schon nicht mit einem Integrationskurs vergleichbar. Darüber hinaus bedürfen auch Private, die solche Integrationskurse anbieten, einer Zulassung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. An dieser Zulassung fehlt es bei der Klägerin.
c) Fehlt es für den eingeklagten Anspruch daran, dass die öffentliche Hand die von der Klägerin ihren Klienten angebotenen Bildungsleistungen selbst nicht anbietet und fördert, so kommt es auf die Stichhaltigkeit der vom Beklagten im Klageverfahren gegen die Anerkennung der klägerischen Bildungsleistungen erhobenen Einwände nicht an.
2. Schließlich dient der von der Klägerin angebotene Coaching-Lehrgang auch nicht der Vorbereitung auf eine von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegenden Prüfung im Sinn des § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG.
Die Vorbereitung auf Einstellungsgespräche und Eignungstests bei Unternehmen sind keine Vorbereitung auf eine in einer öffentlich-rechtlichen Ausbildungs- und Prüfungsordnung geregelten Prüfung.
Die Klägerin hat als unterliegende Beteiligte nach § 154 Abs. 1, und soweit sie die Klage zurückgenommen hat nach § 155 Abs. 2 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die weiteren Nebenentscheidungen folgen aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 der Zivilprozessordnung.
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 € festgesetzt (§ 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes – GKG -).


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