Verwaltungsrecht

Befristung der Sperrwirkung einer Abschiebung

Aktenzeichen  M 10 K 18.2573

Datum:
28.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 35303
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG aF § 11 Abs. 2, Abs. 3
AufenthG § 11 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 3, S. 4, Abs. 3 S. 2, Abs. 9 S. 1
VwGO § 88, § 113 Abs. 5 S. 2, § 114 S. 1
GG Art. 6
EMRK Art. 8

 

Leitsatz

Würde die Aufhebung der nachträglichen Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots dazu führen, dass ein aufgrund einer früheren Abschiebung bestehendes Einreise- und Aufenthaltsverbot weiterhin unbefristet gelten würde, ist das Rechtsschutzbedürfnis für eine entsprechende Anfechtungsklage zu verneinen (Rn. 39). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

1. Über die Klage konnte trotz Ausbleibens des Klägers und seines Bevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung entschieden werden. Der Kläger wurde ausweislich des Empfangsbekenntnisses seines Bevollmächtigten am 10. Oktober 2019 gem. § 102 Abs. 2 VwGO zum Termin geladen, wobei in der Ladung auf die Folgen seines Ausbleibens hingewiesen wurde.
2. Die Klage ist als gegen den Freistaat Bayern gerichtet anzusehen, obwohl der Klägerbevollmächtigte in seiner Klageschrift die Bundesrepublik Deutschland als Beklagte bezeichnete.
Nach interessengerechter Auslegung gem. § 88 VwGO ist davon auszugehen, dass sich die Klage gegen den Freistaat richten sollte. Zum einen hat das Gericht auf den richtigen Beklagten hingewiesen, wogegen der Klägerbevollmächtigte keine Einwände erhob. Es sei daher davon auszugehen, dass er damit einverstanden war, den Freistaat Bayern als Beklagten zu führen. Zudem bezeichnete der Klägerbevollmächtigte als Beklagte „die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Landratsamt …“. Gem. § 78 Abs. 1 Nr. 1 a.E. VwGO genügt zur Bezeichnung des Beklagten die Angabe der Behörde, also vorliegend des Landratsamtes. Hätte der Bevollmächtigte als Beklagten nur das Landratsamt genannt, wäre Beklagter der Freistaat Bayern. Der Kläger darf vorliegend nicht schlechter gestellt werden, als wenn sein Bevollmächtigter nur das Landratsamt genannt hätte. Im Interesse des Klägers wertet das Gericht die Angabe der Bundesrepublik somit als unschädlich.
3. Die vom Klägerbevollmächtigten gestellten Anträge waren auch inhaltlich gem. § 88 VwGO interessengerecht auszulegen. Das Gericht hält einen Klageantrag auf Neuverbescheidung des Antrages auf Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (auch: Sperrfrist) vom 7. September 2017 unter Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 27. April 2018 und unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts für interessengerecht.
In seinem Hauptantrag beantragte der Bevollmächtigte, festzustellen, dass die Sperrwirkung ab sofort zu befristen sei und die Sperrwirkungsfrist von vier Jahren unangemessen sei. Tatsächliches und damit gem. § 88 VwGO maßgebliches Ziel des Klägers ist es, dass die Sperrfrist nicht über den Tag der mündlichen Verhandlung hinausgeht, er also in Zukunft nicht aus der Bundesrepublik ausreisen muss, um den Ablauf der Sperrfrist im Ausland abzuwarten. Eine Feststellungsklage, auf die die Formulierung des Bevollmächtigten hindeutet, ist vorliegend nicht sachgerecht, da eine Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage für den Kläger den effektiveren Rechtsschutz darstellt. Dabei ist jedoch zu beachten, dass einer Klage auf Verpflichtung des Beklagten zur Feststellung einer bestimmten Sperrfrist ebenfalls das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Gem. § 11 Abs. 3 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) entscheidet die Behörde über die Länge der Frist nach Ermessen. Da vorliegend eine Ermessensreduzierung auf Null mangels dahingehender Anhaltspunkte ausgeschlossen werden kann, steht es dem Gericht nicht gem. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu, den Beklagten zu einer bestimmten Entscheidung zu verpflichten. Stattdessen kann es den Beklagten nur gem. § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO verpflichten, über die Länge der Frist unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Statthaft und damit interessengerecht ist daher nur der Antrag auf Neuverbescheidung.
4. Die mit diesem Klageantrag zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg, da der Kläger keinen Anspruch auf erneute Entscheidung über seinen Antrag hat.
Gem. § 113 Abs. 5 Satz 1 und 2 VwGO spricht das Gericht die Verpflichtung zur Neuverbescheidung aus, soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsaktes rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Der Bescheid des Beklagten vom 27. April 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten gem. § 113 Abs. 5 VwGO.
a) Rechtgrundlage für die nachträgliche Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes für die Bundesrepublik Deutschland war zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 113 Rn. 56 f.) der bis zum 20. August 2019 gültige § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG a.F. und ist mittlerweile § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG n.F., denn danach ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot zu befristen. Da das gegen den Kläger aufgrund seiner Abschiebung im Jahr 2011 bestehende Einreise- und Aufenthaltsverbot der damaligen Rechtslage entsprechend nicht befristet wurde, gewährt ihm § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG a.F. bzw. § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG n.F. einen Anspruch auf nachträgliche Befristung. Rechtsgrundlage für die Ermessensentscheidung über die Länge der Sperrfrist ist der insoweit unverändert gebliebene § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG a.F.
b) Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf vier Jahre ist formell und materiell rechtmäßig, insbesondere ist die getroffene Ermessensentscheidung nicht zu beanstanden. Damit besteht kein Neuverbescheidungsanspruch.
Nach dem im Wesentlichen unveränderten § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG darf die Frist fünf Jahre in den meisten Fällen nicht überschreiten. Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine längere Sperrfrist (vgl. § 11 Abs. 5 bis 5b AufenthG n.F.) liegen nicht vor.
Im Hinblick auf die Möglichkeit der Befristung zwischen null bis fünf Jahren bestand für den Beklagten Ermessen. Dieses ist gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar (Wolff in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 114 Rn. 59). Gem. § 114 Satz 1 VwGO überprüft das Gericht nur, ob von dem eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigungsgrundlage nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind. Die getroffene Ermessensentscheidung ist insofern rechtlich nicht zu beanstanden.
Die Grenzen des eingeräumten Ermessens wurden von dem Beklagten nicht überschritten, insbesondere ist die getroffene Entscheidung verhältnismäßig (Wolff, a.a.O., Rn. 125). Der Beklagte hat die sich gegenüberstehenden Interessen zutreffend abgewogen und ist mit der Festlegung von vier Jahren zu einem angemessenen Ergebnis gekommen. Richtigerweise hat der Beklagte zu Lasten des Klägers u.a. gewertet, dass er einer vollziehbaren Ausreispflicht fünf Jahre lang bis zu seiner Abschiebung nicht nachkam, über einen Zeitraum von über elf Jahren im Bundesgebiet über seine Identität getäuscht hat und auch aktuell einen (illegalen) Daueraufenthalt in der Bundesrepublik anstrebt. Zu Gunsten des Klägers hat der Beklagte in ausreichendem Maße beachtet, dass dem Kläger aufgrund seiner Ehe mit einer Deutschen die Schutzwirkung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK zukommt. Dieser Schutzwirkung hat der Beklagte innerhalb der Abwägung auch nach Auffassung des Gerichts genügend Gewicht beigemessen. Andere schutzwürdige Interessen des Klägers an einer kürzeren Sperrfrist sind nicht erkennbar, insbesondere konnten aufgrund des Ausbleibens der Klägerseite in der mündlichen Verhandlung keine anderen für den Kläger günstigen Aspekte ermittelt werden. Daher überwiegt im Ergebnis das öffentliche Interesse an der Sanktionierung des Verstoßes gegen die aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen der Bundesrepublik das private Bleibeinteresse des Klägers deutlich und eine Festsetzung im oberen Bereich des Rahmens von fünf möglichen Jahren ist angemessen (zum öffentlichen Interesse Maor in Kluth/Heusch, BeckOK, Ausländerrecht, 23. Edition, Stand: 01.08.2019, § 11 AufenthG Rn. 20).
5. Auch der zulässige Hilfsantrag hat in der Sache keinen Erfolg.
a) Da mit der Ablehnung des Hauptantrags die zulässige innerprozessuale Bedingung des Hilfsantrags eingetreten ist, war auch über diesen zu entscheiden (Peters/Reinke in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 90 Rn. 16).
b) Der in der Klageschrift gestellte Hilfsantrag ist ebenso gem. § 88 VwGO interessengerecht auszulegen.
Der Vortrag des Klägerbevollmächtigten ist dahingehend zu verstehen, dass mit dem Hilfsantrag eine Verbescheidungsklage in Form der Versagungsgegenklage in Klagehäufung mit einer Verpflichtungsklage in Form der Untätigkeitsklage (§ 42 Abs. 1 2. Alt VwGO) auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erhoben wurde.
Der Wortlaut des Antrags aus der Klageschrift („den Bescheid der Beklagten vom 27. April 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis gemäß §§ 28, 30 i. V. m. §§ 5 ff. AufenthG zu erteilen“) spricht dafür, dass der Verfahrensbevollmächtigte eine Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Beklagten vom 27. April 2018 gem. § 42 Abs. 1 1. Alt. VwGO in Klagehäufung mit einer Verpflichtungsklage in Form der Untätigkeitsklage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 42 Abs. 1 2. Alt. VwGO erheben wollte.
Einer Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 27. April 2018, in dem die nachträgliche Befristung des ansonsten unbefristet bestehenden Einreise- und Aufenthaltsverbots angeordnet wurde, fehlt jedoch das Rechtsschutzbedürfnis, da sich so keine Verbesserung der Rechtsstellung des Klägers erzielen lässt. Einen Anspruch auf eine gerichtliche Sachentscheidung hat nur derjenige, der mit dem von ihm angestrengten gerichtlichen Rechtsschutzverfahren ein schutzwürdiges Interesse verfolgt (Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, Vorb. § 40 Rn. 30). Vorliegend würde die Aufhebung der nachträglichen Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots dazu führen, dass das aufgrund der früheren Abschiebung bestehende Einreise- und Aufenthaltsverbot weiterhin unbefristet gelten würde. Durch die Aufhebung des angegriffenen Bescheids würde der Kläger somit deutlich schlechter stehen, sodass ein dahingehender Antrag unzulässig wäre. Stattdessen gelten auch hier die Ausführungen zur Auslegung des Hauptantrags und es ist auch hier von einer Klage auf Neuverbescheidung auszugehen.
Mit dieser Auslegung wird die Grenze des § 88 VwGO eingehalten, der vorschreibt, dass das Gericht nicht über das Klagebegehren hinausgehen darf. Für die Ermittlung des Klagebegehrens ist nicht allein auf die gestellten Anträge, sondern auf den gesamten klägerischen Vortrag abzustellen (Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 88 Rn. 8 ff.).
Zwar deutet der formulierte Antrag darauf hin, dass es dem Kläger um die bloße Aufhebung der getroffenen Befristungsentscheidung geht, er aber keine erneute Entscheidung des Beklagten hierüber anstrebt, sodass das Gericht Letztere wegen § 88 VwGO nicht anordnen dürfte. Allerdings ergibt sich aus dem übrigen Klägervorbringen, vor allem aus der Klagebegründung, dass es dem Kläger auf eine Verkürzung der Sperrfrist in seinem Sinne ankommt, eine erneute Entscheidung über den Befristungsantrag also gerade gewollt ist.
c) In dieser Form ist der Hilfsantrag zulässig.
Für die erhobene Untätigkeitsklage ist die Voraussetzung des § 75 Satz 2 VwGO erfüllt, da seit Antragstellung mindestens drei Monate vergangen sind. Maßgeblicher Zeitpunkt ist der Schluss der mündlichen Verhandlung (Porsch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: 37. EL Juli 2019, § 75 Rn. Rn. 6).
Den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 AufenthG stellte der Kläger mit Schreiben vom 20. Juni 2016, den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 AufenthG stellte er mit Schreiben vom 24. Mai 2018.
Damit lagen diese am Tag der mündlichen Verhandlung am 28. November 2018 mehr als drei Monate zurück.
d) Die Klagen sind unbegründet, da der Kläger zum jetzigen Zeitpunkt weder einen Anspruch auf Neuverbescheidung, noch auf die beantragte Aufenthaltserlaubnis hat.
aa) Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Neuverbescheidung bezüglich des Antrags auf Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots liegen, wie bereits geschildert, nicht vor.
bb) Der Kläger hat zudem keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 28 oder § 25 AufenthG.
Da das Ausreise- und Aufenthaltsverbot noch besteht, darf dem Kläger gem. § 11 Abs. 1 Satz 2 n.F. AufenthG kein Aufenthaltstitel erteilt werden. Die beantragte Aufenthaltserlaubnis ist nach § 7 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ein Aufenthaltstitel, sodass eine Erteilung ausscheidet.
Der Beklagte hat im Bescheid vom 27. April 2018 zutreffend festgestellt, dass die Sperrfrist mit der Abschiebung des Klägers am 20. Juni 2011 zu laufen begann, durch die Wiedereinreise am 27. Oktober 2014 jedoch gehemmt wurde. In der zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung für die Prüfung des Anspruchs heranzuziehenden Neufassung des § 11 AufenthG ergibt sich dies aus § 11 Abs. 2 Satz 4 und Abs. 9 Satz 1 AufenthG (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 113 Rn. 57). Damit sind die vollen vier Jahre der Sperrfrist noch nicht abgelaufen und ein Aufenthaltstitel darf zum jetzigen Zeitpunkt nicht erteilt werden.
Daher war die Klage auch im Hilfsantrag abzuweisen.
6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO i.V.m. § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO.


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