Verwaltungsrecht

Bei der Gestattung des Auszugs aus der Gemeinschaftsunterkunft handelt es sich um eine asylrechtliche Streitigkeit

Aktenzeichen  21 C 16.30043

Datum:
17.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 53 Abs. 1, § 55 Abs. 1 S. 2, § 80
AufnG Art. 4 Abs. 1, Abs. 6 S. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Begehrt ein Asylbewerber im laufenden Asylverfahren die landesinterne Umverteilung (Gestattung des Auszugs aus der Gemeinschaftsunterkunft) handelt es sich um eine asylrechtliche Streitigkeit. (amtlicher Leitsatz)
Bei der Gestattung des Auszugs aus der Gemeinschaftsunterkunft, mit der im Ermessensweg eine Ausnahme von der Regelunterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft gemäß § 53 Abs. 1 S. 1 AsylG erreicht werden soll, handelt es sich um eine asylrechtliche Streitigkeit. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 3 K 15.866 2016-01-13 Bes VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I.
Der Rechtsstreit wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache dem Senat übertragen.
II.
Die Beschwerde wird verworfen.
III.
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 13. Januar 2016 wird in Nr. III. (Streitwertfestsetzung in Höhe von 20.000,00 €) von Amts wegen aufgehoben.

Gründe

I. Der Kläger wendet sich gegen die erstinstanzliche Festsetzung des Streitwerts auf 20.000,00 €.
Der Kläger, seine Ehefrau und zwei Kinder sind Asylbewerber im laufenden Asylverfahren und waren in der Gemeinschaftsunterkunft N. untergebracht. Mit seiner ursprünglich vor dem Verwaltungsgericht Bayreuth erhobenen Klage wollte der Kläger die Verpflichtung der Beklagten zur Gestattung seines Auszugs aus der Gemeinschaftsunterkunft erreichen (Krankheit des Sohnes, Schwangerschaft der Ehefrau).
Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren führte der Beklagte aus, der Kläger sei gemäß § 53 Abs. 1, § 55 Abs. 1 Satz 2 AsylG und Art. 4 Abs. 1 AufnG grundsätzlich verpflichtet, in einer Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen. Ein begründeter Ausnahmefall im Sinne des Art. 4 Abs. 6 AufnG liege nicht vor.
Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 13. Januar 2016 wurde das Verfahren durch die Berichterstatterin nach Klagerücknahme eingestellt und der Streitwert auf 20.000,00 € festgesetzt. Die Streitwertfestsetzung beruhe auf § 63 Abs. 2 Satz 1 und § 52 Abs. 2 GKG. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sei in Verfahren nach dem Aufnahmegesetz ein Streitwert von 5.000,00 € pro Person festzusetzen (vgl. BayVGH, B. v. 11.12.2008 – 21 C 08.30322 – juris).
Die Landesanwaltschaft Bayern verweist darauf, dass die Streitwertbeschwerde wegen § 80 AsylG unzulässig sei.
II. 1. Die Beschwerde, über die nach § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 6 Satz 1 Halbs. 2 GKG der Einzelrichter zu entscheiden hat, wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache auf den Senat übertragen (§ 66 Abs. 6 Satz 2 GKG).
2. Die Beschwerde ist mangels Statthaftigkeit unzulässig und deshalb zu verwerfen. Bei dem Streitwertfestsetzungsbeschluss handelt es sich um eine Nebenentscheidung, die zu einer Rechtsstreitigkeit nach dem AsylG ergangen ist und die dem Rechtsmittelausschluss des § 80 AsylG unterliegt.
2.1 Nach § 80 AsylG können Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach dem Asylgesetz – vorbehaltlich des § 133 Abs. 1 VwGO – nicht mit der Beschwerde angegriffen werden. Diese Bestimmung findet auch auf sonstige Nebenverfahren wie z. B. Kostenangelegenheiten Anwendung (vgl. BT-Drs. 12/2062 Begr. S. 41 zum wortgleichen § 78 AsylVfG).
Der Anwendungsbereich des § 80 AsylG ist danach zu bestimmen, ob die angefochtene oder begehrte Maßnahme oder Entscheidung ihre rechtliche Grundlage im Asylgesetz hat. Dies ist bei Entscheidungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt), die es in Wahrnehmung der ihm vom Asylgesetz übertragenen Aufgaben getroffen hat, immer der Fall. Ob Maßnahmen oder Entscheidungen anderer Behörden ihre rechtliche Grundlage im Asylgesetz haben, ist nach dem Gefüge und Sinnzusammenhang der einzelnen Regelungen zu bestimmen. So liegt es nahe, dass Maßnahmen und Entscheidungen im Rahmen der Unterbringung und Verteilung Asylbegehrender (§§ 44 ff. AsylG) ihre rechtliche Grundlage im Asylgesetz finden (vgl. BVerwG, U. v. 25.9.1997 – 1 C 6/97 – juris Rn. 14).
2.2 Nach diesem Maßstab ist die vorliegende Streitigkeit unter Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung des Senats dem Asylgesetz zuzurechnen, weil im Falle des Klägers die landesinterne Umverteilung in das durch die Vorschriften der §§ 44 bis 53 AsylG geregelte System der Unterbringung und Verteilung der asylbegehrenden Ausländer eingebettet ist und hier ihre Grundlage hat.
Der Kläger, der im Juni 2014 einen Asylantrag gestellt hat und sich noch im Asylverfahren befindet, gehört zu dem von § 53 Abs. 1 Satz 1 AsylG erfassten Personenkreis. Danach sollen Ausländer, die einen Asylantrag gestellt haben und nicht oder nicht mehr verpflichtet sind in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden. Hierbei sind nach § 53 Abs. 1 Satz 2 AsylG sowohl das öffentliche Interesse als auch Belange des Ausländers zu berücksichtigen. Die Behörde hat über die Unterbringung nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Die Vorschrift des § 53 Abs. 1 AsylG enthält zwar keine an Länder oder Gemeinden gerichtete Verpflichtung, die für die Unterbringung von Asylsuchenden notwendigen Aufnahmekapazitäten durch Einrichtung von Gemeinschaftsunterkünften zu schaffen. Für den Fall, dass ausreichende Aufnahmekapazitäten in Gemeinschaftsunterkünften verfügbar sind, hat die Ausländerbehörde die Regelunterbringung nach § 53 Abs. 1 Satz 1 sowie die in § 53 Abs. 1 Satz 2 AsylG das behördliche Ermessen lenkende Regelung zu beachten. Die Behörde darf insoweit keine von der gesetzgeberischen Grundsatzentscheidung des Asylgesetzes abweichende Entscheidung im konkreten Einzelfall treffen (Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 53 Rn. 11). Soweit der in § 53 Abs. 1 Satz 1 AsylG benannte Personenkreis mit demjenigen des Art. 1 des Gesetzes über die Aufnahme und Unterbringung der Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (Aufnahmegesetz – AufnG) deckungsgleich ist – wie hier -, hat der bayerische Gesetzgeber in Art. 4 AufnG unter Wahrung der in § 53 Abs. 1 AsylG getroffenen Grundsatzentscheidung des Bundesgesetzgebers die Voraussetzungen der privaten Wohnsitznahme näher ausgestaltet. So hat er in Art. 4 Abs. 6 AufnG durch nicht abschließende Aufzählung („insbesondere“) „begründete Ausnahmefälle“ ausgeführt, in denen nach Ausübung behördlichen Ermessens der Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft gestattet werden kann.
Da es sich vorliegend beim Kläger um einen Asylbewerber im laufenden Asylverfahren handelt, der dem personellen Anwendungsbereich des § 53 AsylG unterfällt, handelt es sich bei seinem Begehren nach privater Wohnsitznahme um eine Rechtsstreitigkeit, die ihre Grundlage im Asylgesetz, nämlich in § 53 Abs. 1 AsylG, hat. Die nähere Ausgestaltung der im Asylgesetz normierten Grundsatzentscheidung durch den bayerischen Gesetzgeber in Art. 4 AufnG steht dieser Zuordnung nicht entgegen. Kern der Streitigkeit ist eine Vorschrift des Asylgesetzes, denn mit dem Begehren der Gestattung des Auszugs aus der Gemeinschaftsunterkunft soll im Ermessensweg eine Ausnahme von der Regelunterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1 AsylG erreicht werden. Dem entspricht die Bestimmung des Art. 10 Abs. 2 AufnG, wonach die §§ 11 und 75 AsylG (Ausschluss von Widerspruch und aufschiebender Wirkung der Klage) unberührt bleiben. Damit hat der Landesgesetzgeber deutlich gemacht, dass Streitigkeiten wie die vorliegende solche nach dem Asylgesetz sind.
Die Frage, ob die Vorschrift des § 53 AsylG über die Laufzeit des Asylverfahrens hinaus Geltung beanspruchen kann, stellt sich im vorliegenden Fall nicht.
3. Die Aufhebung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts in Nr. III. des Beschlusses vom 13. Januar 2016 (B 3 K 15.866) erfolgt von Amts wegen (vgl. § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GKG). Da es sich um ein Klageverfahren nach dem Asylgesetz handelt und auf Klägerseite nur eine Person am Verfahren beteiligt ist (als Kläger, § 63 Nr. 1 VwGO), ist davon auszugehen, dass der Gegenstandswert 5.000,00 € (§ 30 Abs. 1 RVG) beträgt.
4. Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 GKG). Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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