Verwaltungsrecht

Beiordnung eines Notanwalts

Aktenzeichen  10 ZB 17.2361

Datum:
8.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 490
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 56 Abs 2, § 60 Abs. 1, § 67 Abs. 4, § 173 S. 1
ZPO § 78b, § 185 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Allgemein unbekannt iSd § 185 Nr. 1 ZPO ist der Aufenthalt auch bei der Existenz eines Postfachs. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Vorschrift des § 78b ZPO dient als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips der Sicherung gleicher Chancen bei der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung und soll verhindern, dass einer Partei im Anwaltsprozess der Rechtsschutz entzogen wird, weil sie keinen zur Vertretung bereiten Rechtsanwalt findet. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung des § 178b ZPO ist, dass die Partei bei der Suche nach einem Rechtsanwalt zumutbare Anstrengungen unternimmt, wobei die diesbezüglichen Bemühungen vom Rechtssuchenden dem Gericht nachzuweisen sind (wie BVerwG BeckRS 2017, 110084). (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
4. Aussichtslosigkeit iSv § 78b Abs. 1 ZPO besteht, wenn ein günstiges Ergebnis auch bei anwaltlicher Beratung ganz offenbar nicht erreicht werden kann (wie BVerwG BeckRS 2017, 110084). Für die Fallkonstellation eines beabsichtigten Antrags auf Zulassung der Berufung bedeutet dies, dass das Berufungsgericht nach Lage der Akten prüft, ob ein Berufungszulassungsgrund ernsthaft in Betracht kommt (wie OVG Koblenz BeckRS 2017, 127303). (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 4 K 16.1568 2017-09-26 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Das gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 26. September 2017 eingelegte Rechtsmittel ist nach § 88 VwGO als Antrag auf Zulassung der Berufung zu behandeln, weil dieser hier das grundsätzlich statthafte Rechtsmittel darstellt (vgl. § 124a Abs. 4 VwGO).
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist abzulehnen, weil die Zulassung der Berufung nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils (§ 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO) durch einen Rechtsanwalt oder andere als Bevollmächtigte zugelassene Personen oder Organisationen beantragt worden ist (§ 67 Abs. 4, § 67 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO; 1.) und eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 78b ZPO nicht in Betracht kommt (2.).
1. Das vollständige Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 26. September 2017 gilt der Klägerin ausweislich der bei der Gerichtsakte befindlichen Benachrichtigung als am 4. November 2017 zugestellt. Die Benachrichtigung gemäß § 186 Abs. 2 ZPO über die öffentliche Zustellung wurde am 4. Oktober 2017 an der Gerichtstafel ausgehängt. Die Zustellung gilt damit als am 4. November 2017 bewirkt (§ 56 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 188 ZPO). Die Frist für die Einreichung des Antrags auf Zulassung der Berufung endete daher nach § 57 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit
§ 222 Abs. 1 und 2 ZPO sowie § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB mit dem Ablauf des 4. Dezember 2017.
Entgegen dem Vorbringen der Klägerin lagen die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung nach § 56 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 185 Nr. 1 ZPO vor, weil ihr Aufenthalt unbekannt und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich war. Die Klägerin ist seit 4. Mai 2015 von Amts wegen von ihrer ursprünglichen Wohnadresse abgemeldet. Sie hält sich auch tatsächlich nicht dort auf. Trotz ausdrücklicher Aufforderung durch das Verwaltungsgericht hat sie eine den tatsächlichen Verhältnissen entsprechende Wohnadresse nicht benannt. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren hat sie erklärt, dass an die von ihr benannte Zustelladresse keine Schriftsätze mehr versandt werden sollen und Zustellungen lediglich an ein näher bezeichnetes Postfach vorgenommen werden sollen. Formelle Zustellungen, wie die Zustellung eines Urteils nach § 56 Abs. 2 VwGO, können jedoch nicht über ein Postfach bewirkt werden (OVG MV, U.v. 21.6.2011 – 1 L 266/06 – juris Rn. 47; LSG NRW, B.v. 23.11.2011 – L 19 AS 1783/11 B – juris Rn. 6). Allgemein unbekannt im Sinne des § 185 Nr. 1 ZPO ist der Aufenthalt daher auch bei der Existenz eines Postfachs (Wittschier in Musielak/Voit, ZPO, 14. Aufl. 2017, § 185 Rn. 2).
Das Schreiben der Klägerin vom 30. Oktober 2017, beim Verwaltungsgericht eingegangen am 3. November 2017, wahrt die gesetzliche Form des § 67 Abs. 4 Satz 1 und 2 VwGO nicht. Nach dieser Regelung müssen sich die Beteiligten vor dem Oberverwaltungsgericht durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Das Rechtsmittel der Klägerin wurde entgegen dieser Regelung nicht durch einen Rechtsanwalt, einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder andere als Prozessbevollmächtigte zugelassene Personen oder Organisationen eingelegt. Die Klägerin wurde bereits mit Schreiben vom 29. November 2017 noch innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO auf diese Problematik hingewiesen. Ein formgerechter Antrag auf Zulassung der Berufung ist beim Verwaltungsgerichtshof jedoch weder bis zum 4. Dezember 2017 noch danach eingegangen.
2. Der Klägerin ist auch keine Wiedereinsetzung in die Frist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO zu gewähren, weil sie nicht unverschuldet an deren Einhaltung gehindert war (§ 60 Abs. 1 VwGO). Die Voraussetzungen für die Beiordnung eines Notanwalts nach § 78b ZPO in Verbindung mit § 173 Satz 1 VwGO liegen nicht vor. Beantragt der Rechtsmittelführer vor dem Ablauf der Frist für die Beantragung der Zulassung der Berufung – wie hier – die Beiordnung eines Rechtsanwalts, kommt grundsätzlich eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO in Betracht, wenn vor Ablauf der Rechtsmittelfrist ein substantiierter Antrag nach § 78b ZPO gestellt worden ist und diesem Antrag stattzugegeben ist (BeckOK ZPO/Piekenbrock § 78b Rn. 8; Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 124a Rn. 45 m.w.N.). Die Voraussetzungen für die Beiordnung eines Rechtsanwalts liegen jedoch nicht vor. Es fehlt bereits an einem hinreichend substantiierten Antrag.
Nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 78b ZPO ist einem Verfahrensbeteiligten auf seinen Antrag, soweit – wie hier gemäß § 67 Abs. 4 VwGO – eine Vertretung durch Anwälte geboten ist, durch Beschluss für den Rechtszug ein Rechtsanwalt zur Wahrung seiner Rechte beizuordnen, wenn er einen zu seiner Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht findet und die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint.
Die Vorschrift des § 78b ZPO dient als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips der Sicherung gleicher Chancen bei der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung und soll verhindern, dass einer Partei im Anwaltsprozess der Rechtsschutz entzogen wird, weil sie keinen zur Vertretung bereiten Rechtsanwalt findet (Weth in Musielak, ZPO, 14. Aufl. 2017, § 78b Rn. 1). Ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung ist zunächst, dass der Antragsteller bei der Suche nach einem Rechtsanwalt zumutbare Anstrengungen unternimmt (OVG NRW, B. v. 18.2.2015 – 6 A 2174/14 – juris). Was zumutbar ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (BVerwG, B.v. 28.3.2017 – 2 B 4.17 – juris Rn. 9). Seine diesbezüglichen Bemühungen hat der Kläger dem Gericht nachzuweisen (vgl. Zöllner/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 78b Rn. 45). Der Rechtsschutzsuchende muss dafür innerhalb der einmonatigen Rechtsmittelfrist substantiiert darlegen und glaubhaft machen, dass er rechtzeitig alles ihm Zumutbare getan hat, um sich vertreten zu lassen. Dazu gehört, dass er eine angemessene Zahl von Rechtsanwälten vergeblich um die Übernahme des Mandats ersucht hat (vgl. BVerwG, a.a.O.). Dieser Darlegungspflicht hat die Klägerin nicht genügt. Ihr Vorbringen im Schreiben vom 30. Oktober 2017 erschöpft sich in dem Verweis auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 26. September 2017, wonach sie keinen Rechtsanwalt gefunden habe, der zu ihrer Vertretung bereit gewesen sei. Nähere Angaben zu den angeblich kontaktierten Anwälten macht sie darin nicht. Auch betrafen die behaupteten Bemühungen der Klägerin die Vertretung vor dem Zivilgericht und nicht im hier anhängigen Zulassungsverfahren. Soweit sich die Klägerin im Schreiben vom 15. Dezember 2017 erstmals näher zu den Umständen der Absagen der kontaktierten Anwälte äußert und ausführt, weshalb ihr die weitere Rechtsanwaltssuche unzumutbar sei, erfolgt dies nach Ablauf der Frist für die Beantragung der Zulassung der Berufung und kann daher nicht der erforderlichen fristgerechten Substantiierung ihres Antrags auf Beiordnung eines Notanwalts dienen.
Unabhängig davon erscheint die Rechtsverfolgung der Klägerin ohnehin aussichtslos. Aussichtslosigkeit im Sinne von § 78b Abs. 1 ZPO besteht, wenn ein günstiges Ergebnis auch bei anwaltlicher Beratung ganz offenbar nicht erreicht werden kann (BVerwG, a.a.O.) Für die Fallkonstellation eines beabsichtigten Antrags auf Zulassung der Berufung bedeutet dies, dass das Berufungsgericht nach Lage der Akten prüft, ob ein Berufungszulassungsgrund ernsthaft in Betracht kommt (OVG RhPf, B. v. 28.9.2017 – 6 A 11431/17 – juris Rn. 11). Anhaltspunkte hierfür liegen nicht vor und ergeben sich auch nicht aus den Schreiben der Klägerin. Die Zulässigkeit einer Klage setzt regelmäßig die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift voraus (BVerwG, B.v. 14.2.2012 – 9 B 79.11 u.a. – juris Rn. 11). Besondere Gründe, wonach diese Angabe ausnahmsweise entfallen könnte, hat die Klägerin dem Gericht nicht mitgeteilt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 63 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 26. September 2017 rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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