Verwaltungsrecht

Belehrungspflicht im Asylverfahren

Aktenzeichen  Au 3 K 16.31790

Datum:
21.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 33

 

Leitsatz

Im Rahmen einer Belehrung im Asylverfahren ist explizit über die Rücknahmefiktion des § 33 Abs. 1 AsylG und die damit verbundene Rechtsfolge zu belehren (ebenso VG Augsburg BeckRS 2016, 54156). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Bescheid des Bundesamts … vom 23. August 2016 wird aufgehoben.
II.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Das Gericht konnte über die Klage ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten übereinstimmend mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Klage hat Erfolg.
1. Sie ist zulässig.
a) Die Klage ist als Anfechtungsklage i. S.v. § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht mit Blick auf Einstellungsbescheide des Bundesamts nach den damaligen §§ 32, 33 AsylVfG bereits entschieden. Der Asylsuchende muss die Aufhebung eines solchen Bescheids erreichen, wenn er eine Entscheidung über seinen Asylantrag erhalten will. Mit der Aufhebung des Einstellungsbescheids wird ein Verfahrenshindernis für die inhaltliche Prüfung seines Asylbegehrens beseitigt, und das Asylverfahren ist in dem Stadium, in dem es zu Unrecht beendet worden ist, durch das Bundesamt weiterzuführen. Die besondere Struktur des Asylverfahrens steht in den Fällen der Verfahrenseinstellung durch das Bundesamt nach den §§ 32, 33 AsylG einer auf Asylanerkennung gerichteten Verpflichtungsklage, auf die das Verwaltungsgericht „durchzuentscheiden“ hätte, regelmäßig – so auch hier – entgegen (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 7.3.1995 – 9 C 264/94 – juris Rn. 12/18).
Der – im Kern wohl ohnehin nur deklaratorische – Verpflichtungsantrag der Klägerseite geht mithin vorliegend ins Leere.
b) Auch besteht vorliegend ein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers.
Zum einen wurde die Klage fristgemäß innerhalb der gemäß § 74 Abs. 1 Halbs. 1 AsylG maßgeblichen Zweiwochenfrist erhoben (vgl. VG Berlin, B.v. 19.8.2016 – 6 L 417.16 A – juris Rn. 7; VG Köln, B.v. 12.7.2016 – 3 L 1544/16.A – juris Rn. 18-20; B.v. 19.5.2016 – 3 L 1060/16.A – juris Rn. 18-20). Die auf eine Woche verkürzte Klagefrist gemäß § 74 Abs. 1 Halbs. 2 AsylG gilt im vorliegenden Fall nicht; der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist nicht innerhalb einer Woche zu stellen, da es für die Einstellung des Verfahrens an einer § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG und § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG entsprechenden Regelung fehlt (vgl. VG Minden, B.v. 26.7.2016 – 10 L 1078/16.A – juris Rn. 13).
Zum anderen besteht ein Rechtsschutzbedürfnis auch trotz des Umstands, dass der Kläger einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG stellen könnte. Ein Wegfall des Rechtsschutzinteresses kann dem Vorgehen gegen einen den Adressaten belastenden Verwaltungsakt nur unter besonderen Umständen entgegengehalten werden. Das Interesse an gerichtlichem Rechtsschutz kann in der hier inmitten stehenden Fallkonstellation erst dann entfallen, wenn das mit dem Rechtsschutzbegehren verfolgte Ziel durch ein gleich geeignetes, keine anderweitigen rechtlichen Nachteile mit sich bringendes behördliches Verfahren ebenso erreicht werden kann wie in dem angestrebten gerichtlichen Verfahren. Hingegen reicht es nicht, wenn der Gesetzgeber die Möglichkeit eröffnet, einen Antrag an die zuständige Behörde zu stellen, der andere Rechtsfolgen als eine gerichtliche Aufhebung des belastenden Verwaltungsakts zeitigt (vgl. BVerwGE 91, 217/219 ff.). Nach diesen Grundsätzen kann vorliegend nicht von einem Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses ausgegangen werden, wenn, wie es der Wortlaut des § 33 Abs. 5 Satz 6 Nr. 2 AsylG zumindest nahe legt, die erste Wiederaufnahmeentscheidung nach § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG ein späteres erneutes Wiederaufnahmebegehren selbst dann sperrt, wenn die erste Verfahrenseinstellung nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG rechtswidrig gewesen ist. In einer solchen Fallgestaltung verstößt es gegen das in Art. 19 Abs. 4 GG normierte Gebot des effektiven Rechtsschutzes, das Rechtsschutzbedürfnis für eine Anfechtungsklage und einen Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO zu verneinen (siehe zum Ganzen: BVerfG, B.v. 20.7.2016 – 2 BvR 1385/16 – juris Rn. 8; VG Dresden, U.v. 22.8.2016 – 11 K 1061/16.A – juris Rn. 15; VG Berlin, B.v. 19.8.2016 – 6 L 417.16 A – juris Rn. 8; VG Freiburg, B.v. 12.8.2016 – A 3 K 1639/16 – juris Rn. 2; VG Regensburg, B.v. 19.7.2016 – RO 11 S 16.31399 – juris Rn. 13; VG Köln, B.v. 12.7.2016 – 3 L 1544/16.A – juris Rn. 17-37; B.v. 19.5.2016 – 3 L 1060/16.A – juris Rn. 17-37; a.A. noch VG Augsburg, B.v. 30.5.2016 – Au 3 S 16.30616; VG Ansbach, B.v. 29.4.2016 – AN 4 S 16.30410 – juris; VG Regensburg, B.v. 18.4.2016 – RO 9 S 16.30620 – juris).
2. Die Klage ist auch begründet.
Der Bescheid des Bundesamts vom 23. August 2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen subjektivöffentlichen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Das Bundesamt hat zu Unrecht die Einstellung des Asylverfahrens des Klägers wegen Nichtbetreibens nach § 33 AsylG festgestellt (Nr. 1 des Bescheids).
Gemäß § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG stellt das Bundesamt das Asylverfahren ein, wenn der Asylantrag nach § 33 Abs. 1 AsylG als zurückgenommen gilt, weil der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 AsylG wird vermutet, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wenn er einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen ist und nicht unverzüglich nachweist, dass das Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte.
Das Eingreifen der Fiktion der Rücknahme des Asylantrags wegen Nichtbetreibens nach § 33 Abs. 1 AsylG setzt jedoch wegen der damit verbundenen weitreichenden Konsequenzen voraus, dass der Ausländer gemäß § 33 Abs. 4 AsylG schriftlich und gegen Empfangsbekenntnis speziell auf diese Rechtsfolgen hingewiesen wurde. Eine Belehrung nach der vor dem 17. März 2016 geltenden Rechtslage dahingehend, dass das Nichterscheinen zum Anhörungstermin für das Asylverfahren nachteilige Folgen haben, insbesondere gemäß § 25 Abs. 4 Satz 5 AsylG eine Entscheidung nach Aktenlage ohne persönliche Anhörung ergehen könne, ist keine ausreichende Belehrung i. S. v. § 33 Abs. 4 AsylG, der ausdrücklich eine Belehrung über die Rücknahmefiktion verlangt (vgl. zum Ganzen: VG Augsburg, U.v. 2.11.2016 – Au 5 K 16.32019 – juris Rn. 27-30; VG Dresden, U.v. 22.8.2016 – 11 K 1061/16.A – juris Rn. 18 f.; VG Berlin, B.v. 19.8.2016 – 6 L 417.16 A – juris Rn. 12 f.; VG Freiburg, B.v. 12.8.2016 – A 3 K 1639/16 – juris Rn. 3; VG München, B.v. 22.7.2016 – M 4 S 16.31752 – juris Rn. 13; VG Regensburg, B.v. 19.7.2016 – RO 11 S 16.31399 – juris Rn. 15 f.; VG Köln, B.v. 12.7.2016 – 3 L 1544/16.A – juris Rn. 41-48; B.v. 19.5.2016 – 3 L 1060/16.A – juris Rn. 42-47; VG Kassel, G.v. 9.6.2016 – 6 K 620/16.KS.A – juris Rn. 26 f.).
An der erforderlichen ordnungsgemäßen Belehrung nach § 33 Abs. 4 AsylG fehlt es vorliegend, so dass offenbleiben kann, ob der Kläger das Nichterscheinen zum Anhörungstermin zu vertreten hat.
In der Ladung zur mündlichen Anhörung vom 3. Juni 2016 (Blatt 68 f. der Verwaltungsakte) wurde der Kläger nur darauf hingewiesen, dass über den Asylantrag ohne persönliche Anhörung entschieden werden kann, wenn er zu diesem Termin nicht erscheine, ohne vorher rechtzeitig seine Hinderungsgründe schriftlich dem Bundesamt mitgeteilt zu haben. In den Schreiben des Bundesamts vom 12. Juli 2016 (Blatt 75 f. der Verwaltungsakte) sowie in der Belehrung für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten (Blatt 6 der Verwaltungsakte) findet sich ein vergleichbarer Hinweis. Solche allgemeinen Hinweise erfüllen jedoch – wie dargelegt – nicht die Anforderungen an eine qualifizierte Belehrung i. S. v. § 33 Abs. 4 AsylG. In der Belehrung für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten ist zudem auf der dritten Seite (Blatt 7 der Verwaltungsakte) der Hinweis enthalten, dass der Asylantrag als zurückgenommen gelten kann; dieser Hinweis bezieht sich jedoch nur auf den Fall der Unterlassung der Mitteilung eines Wohnungswechsels, nicht auf den Fall, dass ein Antragsteller der Ladung zur Anhörung nicht nachgekommen ist (vgl. zum Ganzen: VG Regensburg, B.v. 19.7.2016 – RO 11 S 16.31399 – juris Rn. 16 f.).
Nachdem sich somit die vom Bundesamt vorgenommene Verfahrenseinstellung als rechtsfehlerhaft erweist, können auch die auf der Grundlage des § 32 Satz 1 AsylG getroffene Entscheidung über das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG – Nr. 2 des Bescheids -, die auf Basis von § 34 AsylG erlassene Abschiebungsandrohung – Nr. 3 des Bescheids – sowie die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 AufenthG – Nr. 4 des Bescheids – keinen Bestand haben (vgl. VG Augsburg, U.v. 2.11.2016 – Au 5 K 16.32019 – juris Rn. 30 und 32).
3. Nach alledem war der Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben, wobei hinsichtlich des ins Leere gehenden Verpflichtungsantrags der Klägerseite jedenfalls § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO zur Anwendung gelangt. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.


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