Verwaltungsrecht

Berufung, Beweisantrag, Ablehnung, Zulassung, Erkrankung, Diagnose, Zulassungsantrag, Rechtssatz, Divergenz, Versagung, Herkunftsstaat, Kenntnis, Anforderungen, Anspruch, Zulassung der Berufung, Antrag auf Zulassung der Berufung, keinen Erfolg

Aktenzeichen  24 ZB 22.30137

Datum:
3.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 1995
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

Au 3 K 21.30550 2021-12-16 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der Abweichung des angefochtenen Urteils von obergerichtlicher Rechtsprechung (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) und der Versagung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) sind schon nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend dargelegt bzw. liegen auch nicht vor.
1. Die Darlegung der Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) erfordert nicht nur die genaue Benennung des Gerichts und die zweifelsfreie Angabe seiner Divergenzentscheidung. Darzulegen ist auch, welcher tragende Rechts- oder Tatsachensatz in dem Urteil des Divergenzgerichts enthalten ist und welcher bei der Anwendung derselben Rechtsvorschrift in dem angefochtenen Urteil aufgestellte tragende Rechts- oder Tatsachensatz dazu in Widerspruch steht. Die divergierenden Sätze müssen einander so gegenübergestellt werden, dass die Abweichung erkennbar wird (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 17.7.2008 – 9 B 15.08 – NVwZ 2008, 1115 Rn. 22 m.w.N.).
Diesen Anforderungen kommt die Klägerin nicht nach. Die Klägerin bezieht sich auf einen Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts und zitiert längere Ausführungen zur Ablehnung eines Beweisantrags und zur Thematik einer Aufklärungsrüge. Dem stellt sie gegenüber, im angegriffenen Urteil sei zu lesen „Grundlage der Diagnose unzutreffend, weil sie von falschen Voraussetzungen ausgeht“. Damit benennt sie keinen inhaltlich bestimmten, die angegriffene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz, mit dem das Verwaltungsgericht einem vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Rechtssatz widersprochen haben soll. Des Weiteren zitiert die Klägerin Ausführungen aus einem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs betreffend ärztliche Stellungnahmen und verweist auf die Ausführungen im angegriffenen Urteil zur Ablehnung des in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrags. Der Sache nach rügt die Klägerin, das Verwaltungsgericht habe den Beweisantrag zu Unrecht abgelehnt. Eine möglicherweise fehlerhafte Ablehnung eines Beweisantrags begründet jedoch keine Divergenz.
Überdies würde das angefochtene Urteil auch nicht auf der von der Klägerin geltend gemachten Divergenz beruhen, selbst wenn diese vorläge. Denn das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung, dass in der Person der Klägerin die Voraussetzungen für ein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot nicht vorliegen, selbstständig tragend darauf gestützt, dass auch dann, wenn man zu ihren Gunsten davon ausgehe, sie leide unter den von ihr geltend gemachten psychischen Erkrankungen, angenommen werden könne, dass sie in der Türkei Zugang zu der erforderlichen medizinischen Behandlung werde erhalten können (UA S. 13 f.).
2. Die Berufung ist auch nicht nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
Zur Begründung des geltend gemachten Gehörsverstoßes trägt die Klägerin im Wesentlichen vor, das Verwaltungsgericht habe ihren Vortrag mangelhaft berücksichtigt. Die Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Gerichts sei nicht nachvollziehbar. Der Richter habe es unterlassen, auf angebliche Widersprüche hinzuweisen.
Mit diesen Ausführungen zeigt die Klägerin keinen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör auf. Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere, dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (BVerfG, B.v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02 – BVerfGE 107, 395/409). Es gewährleistet im Sinn der Wahrung eines verfassungsrechtlich gebotenen Mindestmaßes, dass ein Kläger die Möglichkeit haben muss, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten (BVerfG, B.v. 21.4.1982 – 2 BvR 810/81 – BVerfGE 60, 305). Die Gerichte brauchen sich jedoch nicht mit jedem Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich auseinanderzusetzen. Denn es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Beteiligtenvorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Etwas anderes gilt, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. BVerwG, B.v. 2.5.2017 – 5 B 75.15 D – juris Rn. 11 m.w.N.).
Gemessen daran ist ein Gehörsverstoß nicht hinreichend dargetan. Soweit die Klägerin eine mangelnde Auseinandersetzung mit ihrer persönlichen Situation durch das Verwaltungsgericht rügt, kritisiert sie in der Sache dessen Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Wird aber die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts gerügt, scheidet schon deshalb eine Gehörsverletzung im Sinne des Art. 103 Abs. 1 GG aus, weil die Grundsätze der Beweiswürdigung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in der Regel nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen sind (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 21.1.2019 – 6 B 120.18 – juris Rn. 13 m.w.N.). Aus diesem Grund führt eine fehlerhafte Sachverhalts- oder Beweiswürdigung grundsätzlich zu einem materiell-rechtlichen Fehler, der im Asylprozess nicht zu einer Berufungszulassung führen kann, weil § 78 Abs. 3 AsylG einen dem § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO entsprechenden Zulassungsgrund der „ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils“ nicht vorsieht.
Soweit die Klägerin rügt, in der mündlichen Verhandlung hätte ein richterlicher Hinweis bzgl. festgestellter Widersprüche erfolgen müssen, hätte sie grundsätzlich substantiiert darlegen müssen, was bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs noch vorgetragen worden und inwiefern dieser weitere Vortrag zur Klärung des geltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 2.4.1985 – 3 B 75.82 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 165 m.w.N.; zu den Ausnahmen vgl. VGH BW, B.v. 18.9.2017 – A 11 S 2067/17 – juris Rn. 20 m.w.N.). Diesen Erfordernissen kommt die Klägerin nicht nach, da sie keine Aussagen dazu trifft, was sie auf entsprechenden Hinweis des Verwaltungsgerichts zu ihrem als nicht glaubhaft gewerteten Vorbringen weiter ausgeführt hätte.
Im Übrigen erhebt die Klägerin die Verfahrensrüge einer nicht ordnungsgemäßen Aufklärung des Sachverhalts. Dies stellt jedoch keinen Berufungszulassungsgrund im asylverfahrensrechtlichen Sinn dar. Eine mögliche Verletzung der dem Verwaltungsgericht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO obliegenden Aufklärungspflicht gehört nicht zu den in § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO bezeichneten Verfahrensmängeln (vgl. BayVGH, B.v. 8.8.2013 – 14 ZB 13.30199 – juris Rn. 3 m.w.N.; OVG NW, B.v. 17.5.2017 – 11 A 682/16.A – juris Rn. 13 m.w.N.). Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs stellt nur sicher, dass das Gericht die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis nimmt und würdigt. Aus Art. 103 Abs. 1 GG ergibt sich weder eine Pflicht zur allgemeinen Aufklärung i.S.v. § 86 Abs. 1 VwGO (vgl. BVerwG, B.v. 1.3.2002 – 1 B 352.01 – juris Rn. 7) noch folgt hieraus eine allgemeine Fragepflicht des Gerichts (vgl. BVerwG, B.v. 11.3.1999 – 9 B 981.98 – Buchholz 11 Art. 103 Abs. 1 GG Nr. 54 m.w.N.) oder ein Anspruch der Beteiligten, dass das Gericht Tatsachen erst beschafft oder von sich aus Beweis erhebt (vgl. BayVGH, B.v. 11.12.2017 – 13a ZB 17.31374 – juris Rn. 12; BayVerfGH, E.v. 13.3.1981 – Vf. 93-VI-78 – VerfGH n.F. 34, 47). Die behauptete Verletzung von § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO wird auch von keinem der weiteren in § 138 VwGO genannten absoluten Revisionsgründe erfasst (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711 – juris Rn. 9), so dass auch ansonsten kein Verfahrensfehler i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG vorliegen kann.
Soweit die Klägerin rügt, das Verwaltungsgericht habe ihren Beweisantrag zu Unrecht abgelehnt, verhilft dies ihrem Zulassungsantrag ebenfalls nicht zum Erfolg.
Die Ablehnung eines erheblichen Beweisangebots verstößt nur dann gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 138 Nr. 3 VwGO) als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG), wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet. Das rechtliche Gehör ist versagt, wenn ein Beweisantrag in willkürlicher Weise als unerheblich qualifiziert wird. Willkürlich ist ein Richterspruch, wenn er unter keinem denkbaren Ansatz rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Von einer willkürlichen Missdeutung kann insbesondere nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Rechtsauffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt (BVerfG, B.v. 22.5.2015 – 1 BvR 2291/13 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 13.2.2019 – 10 ZB 18.32806 – Rn. 4; B.v. 1.10.2019 – 9 ZB 19.33382 – juris Rn. 2; B.v. 16.7.2019 – 9 ZB 19.32441 – juris Rn. 4, jeweils m.w.N.).
Die Klägerin hatte in der mündlichen Verhandlung einen Beweisantrag gestellt auf Einholung eines psychiatrisch-psychologischen Sachverständigengutachtens zum Beweis, dass sie an einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode (ICD 10: F 33.1), und an einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD 10: F 43.10) leide und eine Rückkehr in den Herkunftsstaat mit Aussicht auf Inhaftierung kurz- bis mittelfristig eine erhebliche Gesundheitsverschlechterung zur Folge hätte.
Das Verwaltungsgericht hat den Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung (Sitzungsprotokoll S. 7) mit der Begründung abgelehnt, es sei nicht substantiiert dargelegt, inwieweit die beantragte Beweiserhebung andere bzw. bessere Erkenntnisse bringen würde als die, die zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurden. Es würde sich um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis handeln. Vertiefend hat das Verwaltungsgericht hierzu in seinem Urteil (UA S. 13) ausgeführt, die vorgelegte Stellungnahme der Bezirkskliniken Schwaben (Dr.-medic Vlad Gabor) beruhe auf einer unzutreffenden Tatsachengrundlage und sei deshalb nicht zur Glaubhaftmachung der Anknüpfungstatsachen geeignet.
Das Zulassungsvorbringen zeigt nicht auf, dass die Ablehnung des Beweisantrags als unsubstantiiert nicht vom Prozessrecht gedeckt wäre. Es bemängelt, das Gericht habe unzulässigerweise eine eigene medizinische Bewertung von Schwere und Ausmaß der Erkrankung vorgenommen und die Beweiswürdigung vorweggenommen. Mit diesem Einwand kritisiert die Klägerin aber die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Dies kann ihrem Zulassungsantrag nicht zum Erfolg verhelfen (s.o.).
3. Von einer weiteren Begründung des Nichtzulassungsbeschlusses wird abgesehen (§ 78 Abs. 5 Satz 1 AsylG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83b AsylG.


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