Verwaltungsrecht

Berufung, Verfahrensmangel, Verletzung, Zulassungsgrund, Beweisantrag, Zulassung, Heimatland, Anspruch, Mangel, Gutachten, Verfahrensfehler, Verhandlung, Folter, Form, Zulassung der Berufung, Antrag auf Zulassung der Berufung, ernstliche Zweifel

Aktenzeichen  23 ZB 20.30366

Datum:
1.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 7404
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

B 7 K 17.32800 2019-11-14 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Klägerbevollmächtigten für das Zulassungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels in Form der Verletzung des rechtlichen Gehörs im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO durch das Unterlassen der Vertagung der mündlichen Verhandlung sowie weiterer Sachaufklärung liegt nicht vor bzw. ist nicht in einer Weise dargetan, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt.
1. Das prozessuale Grundrecht der Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 91 Abs. 1 BV) sichert den Beteiligten ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung, so dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (vgl. BVerfG, B.v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02 – BVerfGE 107, 395 = juris Rn. 42; BayVGH, B.v. 18.4.2019 – 5 ZB 19.50014 – juris Rn. 7). Ein Gericht ist dabei allerdings nicht verpflichtet, die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinzuweisen und offen zu legen, wie es die Entscheidung im Einzelfall zu begründen beabsichtigt (vgl. BVerfG, B.v. 19.5.1992 – 1 BvR 986/91 – BVerfGE 86, 133/145 f. = juris Rn. 36 u. 39). Zu dem Anspruch auf rechtliches Gehör gehört auch das Verbot von Überraschungsentscheidungen. Eine solche liegt indes nur vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit welcher ein gewissenhafter und kundiger Beteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte (vgl. BVerfG, B.v. 19.5.1992 – 1 BvR 986/91 – BVerfGE 86, 133/144 f. = juris Rn. 36). Im Übrigen ist die Rüge eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG nur dann hinreichend substantiiert, wenn dem Vorbringen entnommen werden kann, was der Betroffene bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte, denn nur dann kann geprüft und entschieden werden, ob die angegriffene Entscheidung auf dem Gehörsverstoß beruht (vgl. BVerfG, B.v. 14.4.1987 – 1 BvR 332/86 – BVerfGE 75, 201/216 = juris Rn. 48). Außerdem ist regelmäßig eine substantiierte Darlegung erforderlich, dass die beteiligte Person sämtliche ihr verfahrensrechtlich eröffneten und nach Lage der Dinge tauglichen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl. BVerwG, B.v. 29.6.2015 – 10 B 66.14 – juris Rn. 5).
Abzugrenzen ist der Anspruch auf rechtliches Gehör von dem – der Sachverhalts- und Beweiswürdigung vorgelagerten (vgl. Kraft in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 108 Rn. 9) – Amtsermittlungsgrundsatz und der Aufklärungspflicht des § 86 Abs. 1 VwGO. Einwände gegen die Handhabung des Amtsermittlungsgrundsatzes und der Aufklärungspflicht sind nicht geeignet, einen Gehörsverstoß zu begründen (vgl. BayVGH, B.v. 18.4.2019 – 5 ZB 19.50014 – juris Rn. 11; B.v. 25.1.2019 – 13a ZB 19.30064 – juris Rn. 2; B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711- juris Rn. 9; B.v. 15.5.2015 – 13a ZB 15.30074 – juris Rn. 9). Im Übrigen muss ein Rechtsmittelführer für eine Rüge der Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes substantiiert darlegen erstens die konkreten Umstände, hinsichtlich derer Aufklärungsbedarf bestanden hat, zweitens die konkreten Aufklärungsmaßnahmen, die hierfür in Betracht gekommen wären, drittens die konkreten Feststellungen, die bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären, und viertens die Maßnahmen, mit denen der Rechtsmittelführer vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, etwa auch durch die Stellung eines Beweisantrags, der ohne Stütze im Prozessrecht abgelehnt wurde, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung hingewirkt hat, oder aber die konkreten Anhaltspunkte, aufgrund derer sich all dies auch ohne ein solches Hinwirken hätte aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 20 m.w.N.; BayVGH, B.v. 18.4.2019 – 5 ZB 19.50014 – juris Rn. 13).
Gemessen daran genügt das klägerische Vorbringen den Anforderungen nicht.
a) Die Klägerseite hat im Wesentlichen vorgetragen, dass das Verwaltungsgericht den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt habe, da ein Kläger grundsätzlich das Recht habe, an der mündlichen Verhandlung von Anfang bis Ende teilzunehmen. Nach einem psychischen Zusammenbruch des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 14. November 2019 sei diese ohne den Kläger fortgesetzt worden. Es habe die konkrete Möglichkeit bestanden, dass sich der Kläger im Verlauf der mündlichen Verhandlung später doch noch zu den Gründen für seine Angst vor einer Rückkehr nach Äthiopien geäußert hätte. Hieran ändere auch der Umstand nichts, dass er dem Gericht zunächst gesagt habe, er könne nichts dazu sagen, was er in Äthiopien an Folter erlebt habe. Diese Aussage habe ausschließlich auf seiner psychischen Situation beruht. Die mündliche Verhandlung habe um 8:25 Uhr begonnen und bereits um 8:40 Uhr abgebrochen werden müssen. Nach einer solch kurzen Verhandlungsdauer könne keineswegs von der Gewährung des rechtlichen Gehörs ausgegangen werden, zumal dem Kläger auch nicht das „letzte Wort“ habe gewährt werden können. Der katastrophale psychische Zustand des Klägers unmittelbar nach Beginn der Verhandlung habe außerdem die fachärztliche Aussage, dass er nicht verhandlungsfähig gewesen sei, bestätigt und die positive Aussage zur Verhandlungsfähigkeit in dem vom Gericht eingeholten amtsärztlichen Gutachten widerlegt. Das Gericht wäre verpflichtet gewesen, einen neuen Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen und dem Kläger die Möglichkeit zu geben, bei vollem Verstand auszusagen. Die Klägerbevollmächtigte sei fälschlicherweise davon ausgegangen, dass es zu einer weiteren mündlichen Verhandlung kommen werde; deshalb habe sie keinen Vertagungsantrag gestellt.
Darüber hinaus habe das Gericht den Sachverhalt nicht erschöpfend aufgeklärt. Aufgrund der umfangreichen psychiatrischen Vorgeschichte des Klägers und seines Kollapses in der mündlichen Verhandlung hätte es sich dem Gericht aufdrängen müssen, die jahrelang fachärztlich attestierten gravierenden psychischen Störungen und die Suizidalität des Klägers durch Einholung eines Sachverständigengutachtens überprüfen zu lassen und die Vorgänge in seinem Heimatland, die ihn traumatisiert hätten, zu ermitteln oder ermitteln zu lassen. Der Umstand, dass diesbezüglich kein verfahrensrechtlicher Antrag gestellt worden sei, habe das Gericht vor dem Hintergrund, dass der Kläger zahlreiche ärztliche Atteste vorgelegt und damit den Mindestanforderungen des Bundesverwaltungsgerichts an die Vorlage fachärztlicher Atteste genügt habe (U.v. 11.9.2007, Az. 10 C 8.07), nicht davon abhalten dürfen, die Überprüfung des Gesundheitszustands des Klägers und das Vorliegen von Abschiebungsverboten durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens von Amts wegen zu veranlassen (vgl. die Ausführungen des BayVGH im Beschluss vom 25.9.2019, Az. 11 ZB 19.32697). Die psychiatrische Erkrankung des Klägers habe durch das Gericht auch nicht mit dem Hinweis relativiert werden dürfen, dass der Kläger angeblich seine Probleme nicht mit der notwendigen Gründlichkeit und Konsequenz behandeln lasse. Auch der Umstand, dass der Kläger versuche, seine Angelegenheiten selbständig zu erledigen, dürfe nicht gegen ihn verwendet werden.
Schließlich sei das Urteil überraschend gewesen. Es sei außerhalb der Vorstellungskraft der Klägerbevollmächtigten gewesen, dass das Verwaltungsgericht nach dem dramatischen Abbruch der mündlichen Verhandlung ein Urteil zu Lasten des Klägers fällen werde.
b) Nicht durchdringen kann die Klägerseite mit dem Vorbringen, der Umstand, dass das Verwaltungsgericht nicht erneut zur Sache mündlich verhandelt habe, sondern aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14. November 2019 ein Urteil erlassen habe, begründe einen Gehörsverstoß.
aa) Zum einen entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass eine begründete Rüge der Versagung des rechtlichen Gehörs die erfolglose vorherige Ausschöpfung sämtlicher verfahrensrechtlich eröffneten und nach Lage der Dinge tauglichen Möglichkeiten, sich rechtliches Gehör zu verschaffen, voraussetzt (BVerwG, B.v. 31.3.2008 – 9 B 55/07 – juris Rn. 4; B.v. 6.4.2004 – 9 B 21.04 – juris Rn. 2; B.v. 31.8.1988 – 4 B 153.88 – Buchholz 303 § 295 ZPO Nr. 8 S. 6). Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs führt dann nicht zu einem rügefähigen Verfahrensfehler, wenn der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung in Kenntnis des Verfahrensfehlers zur Sache verhandelt und auf diese Weise die Möglichkeit, sich rechtliches Gehör zu verschaffen, versäumt hat. Gleiches gilt, wenn der Mangel dem Kläger bekannt sein musste (vgl. § 173 VwGO i.V.m. § 295 Abs. 1 ZPO).
Danach hat der anwaltlich vertretene Kläger – sollte ein Verfahrensmangel vorgelegen haben – sein Rügerecht bereits in der Vorinstanz verloren. Da die Bevollmächtigte des Klägers ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung unter Bezugnahme auf ihren bereits schriftsätzlich gestellten Klageantrag einen Sachantrag gestellt hat, musste ihr zwangsläufig bekannt sein, dass das Verwaltungsgericht aufgrund der durchgeführten mündlichen Verhandlung ein Urteil erlassen konnte, ohne einen weiteren Verhandlungstermin anzuberaumen. Das Verwaltungsgericht hatte die Bevollmächtigte des Klägers ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung des Weiteren darauf hingewiesen, dass aus seiner Sicht auch aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gezeigten Verhaltens des Klägers nicht ohne Weiteres von einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausgegangen werden könne. Ging die Klägerbevollmächtigte deshalb davon aus, dass der Kläger in einer weiteren mündlichen Verhandlung möglicherweise doch noch zu seiner Furcht vor einer Rückkehr nach Äthiopien vortragen werde bzw. wolle und dass ein diesbezüglicher Vortrag möglicher Weise zu einer für ihn günstigeren Entscheidung führen werde, so oblag es ihr, im Rahmen der Fortsetzung der mündlichen Verhandlung oder spätestens im Anschluss an den ausweislich der Niederschrift durch das Gericht verkündeten Beschluss, dass eine Entscheidung zugestellt werde, eine Vertagung zu beantragen. Dass sie dies getan hätte, ist weder dem Protokoll über die mündliche Verhandlung noch dem eigenen Vortrag der Klägerbevollmächtigten in der Zulassungsbegründung zu entnehmen. Ebenso wenig ist dem Protokoll der mündlichen Verhandlung zu entnehmen, dass die Bevollmächtigte des Klägers noch Schriftsatznachlass für weiteren Vortrag begehrt hätte. Daher kann die Klägerseite nicht damit gehört werden, der Klägerbevollmächtigten sei im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung der aus ihrer Sicht fehlerhafte Verfahrensablauf nicht erkennbar gewesen, so dass in der mündlichen Verhandlung kein Anlass für eine entsprechende Rüge bestanden habe.
bb) Im Übrigen ist die Rüge eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG vorliegend nicht hinreichend substantiiert. Die schlüssige Bezeichnung einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) erfordert nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts regelmäßig die substantiierte Darlegung dessen, was die Prozesspartei bei nach ihrer Ansicht ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und inwiefern dieser weitere Vortrag zu einer ihr günstigeren Entscheidung hätte führen können (BVerwG, B.v. 31.3.2008 – 9 B 55/07 – juris Rn. 3; B.v. 19.8.1997 – 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 15; B.v. 2.4.1985 – BVerwG 3 B 75.82 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 165 S. 55). Daran fehlt es hier.
Der Vortrag der Klagepartei, es habe die konkrete Möglichkeit bestanden, dass der Kläger im Rahmen einer erneuten mündlichen Verhandlung sich doch noch zu den Gründen für seine Angst vor einer Rückkehr nach Äthiopien geäußert hätte, ist pauschal und inhaltsleer. Vor allem aber setzt sich die Klagepartei in der Zulassungsbegründung nicht mit den entscheidungstragenden Gründen des angegriffenen Urteils auseinander. Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG und auf subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG unabhängig von einer erlittenen Vorverfolgung bzw. einem bereits erlittenen ernsthaften Schaden verneint, weil jedenfalls im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) infolge des grundlegenden Wandels der politischen Verhältnisse seit April 2018 und der daraus folgenden Situation für Oppositionelle in Äthiopien nicht angenommen werden könne, dass dem Kläger aufgrund der vorgetragenen früheren Ereignisse in Äthiopien (noch) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden drohe, so dass nunmehr stichhaltige Gründe gegen die Wiederholung einer Verfolgung oder unmenschlichen Behandlung sprächen (UA S. 13 ff). Eine Auseinandersetzung hiermit sowie die Darlegung, inwiefern ein möglicher Vortrag des Klägers in einer neuerlichen mündlichen Verhandlung vor diesem Hintergrund zu einer für den Kläger günstigeren Entscheidung hätte führen können, lässt die Zulassungsschrift gänzlich vermissen.
c) Soweit die Klägerseite geltend macht, das Verwaltungsgericht hätte die fachärztlich attestierten, gravierenden psychischen Störungen und die Suizidalität des Klägers durch Einholung eines Sachverständigengutachtens überprüfen lassen und die Vorgänge im Heimatland des Klägers, die ihn traumatisiert hätten, ermitteln lassen müssen, enthält die Zulassungsbegründung im Gewand einer Gehörsrüge tatsächlich die Verfahrensrüge einer nicht ordnungsgemäßen Aufklärung des Sachverhalts. Eine solche Rüge ist im asylgerichtlichen Verfahren allerdings schon kein Berufungszulassungsgrund. Eine mögliche Verletzung der dem Gericht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO obliegenden Aufklärungspflicht gehört nicht zu den in § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO bezeichneten Verfahrensmängeln, bei deren Vorliegen die Berufung zuzulassen ist.
Eine unterbliebene, allerdings gebotene Sachverhaltsaufklärung kann zwar im Einzelfall auch einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör darstellen. Eine solche Gehörsrüge (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) kann der auch in der ersten Instanz durch seine jetzige Bevollmächtigte vertretene Kläger aber schon deshalb nicht mit Erfolg geltend machen, weil er es versäumt hat, entsprechende förmliche Beweisanträge zu stellen, um sich vor dem Verwaltungsgericht selbst das rechtliche Gehör zu verschaffen. Die nunmehr erhobene Aufklärungsrüge kann nicht dazu dienen, Beweisanträge zu ersetzen, die ein Beteiligter in zumutbarer Weise hätte stellen können, jedoch zu stellen unterlassen hat (st.Rspr., z.B. BVerwG, B.v. 20.12.2011 – 7 B 43.11 – juris Rn. 26 m.w.N.).
Dass ein solcher Beweisantrag nicht gestellt wurde, wäre nur dann unerheblich, wenn sich dem Gericht auch ohne ausdrücklichen Beweisantrag eine weitere Ermittlung des Sachverhalts hätte aufdrängen müssen. In einem solchen Fall muss die Rüge jedoch schlüssig aufzeigen, dass das Verwaltungsgericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung Anlass zu weiterer Aufklärung hätte sehen müssen. Es muss ferner dargelegt werden, welche tatsächlichen Feststellungen bei der Durchführung der unterbliebenen Aufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern das unterstellte Ergebnis zu einer günstigeren Entscheidung hätte führen können (BVerwG, B.v. 21.5.2014 – 6 B 24.14 – juris Rn. 11 m.w.N.).
Diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen nicht. Das Verwaltungsgericht hat das Vorliegen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG verneint, weil aus seiner Sicht beim Kläger zwar eine rezidivierende Depression (schwere Episode) und möglicherweise eine antisoziale Persönlichkeitsstörung vorlägen, angesichts der fehlenden Mitwirkung des Klägers an deren Behandlung in Deutschland sowie seiner Fähigkeit, sich in einer eigenen Wohnung selbst zu versorgen und in seinem eigenen Interesse liegende Aufgaben selbständig wahrzunehmen, aber bereits nicht ersichtlich sei, dass es sich bei diesen Erkrankungen um schwerwiegende oder lebensbedrohliche Erkrankungen handele, die sich bei einer fehlenden Behandlung bzw. Abschiebung nach Äthiopien alsbald wesentlich verschlechtern würden (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Selbst wenn man zugunsten des Klägers von einer ordnungsgemäßen Glaubhaftmachung einer Erkrankung an PTBS ausginge, führe dies nicht zur Feststellung eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbotes. Zum einen könne nach der Gesetzesbegründung bei PTBS nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen eine besonders schwerwiegende Erkrankung im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG angenommen werden, wobei das Gericht einen solchen vor dem Hintergrund der vorgelegten Atteste und der vorstehenden Ausführungen nicht sehe. Im Übrigen seien psychische Erkrankungen – grundsätzlich auch eine PTBS – in Äthiopien in mehreren Krankenhäusern behandelbar und verschiedene Psychopharmaka erhältlich (unter Verweis auf Schweizerische Flüchtlingshilfe, Äthiopien: Psychiatrische Versorgung vom 5.9.2013, S. 6). Auch wenn die vom Kläger derzeit eingenommenen Medikamente in Äthiopien nicht verfügbar sein sollten, sei es ihm zumutbar, sich z.B. über das ZIRF-Counselling Projekt über erhältliche Medikamente in Äthiopien zu erkundigen und sich – ggf. mit einem in Deutschland angelegten Medikamentenvorrat – auf eine Medikamentenumstellung in Äthiopien einzulassen (UA S. 18 ff). Die Frage der Suizidgefahr im Falle der Abschiebung stelle allenfalls ein inländisches Vollstreckungshindernis dar und sei nicht im Rahmen dieses Verfahrens, sondern von der zuständigen Ausländerbehörde im Falle einer Abschiebung zu prüfen (UA S. 24). Vor diesem Hintergrund zeigt die Klägerseite allein mit dem Verweis auf den psychischen Zusammenbruch des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht auf, dass das Verwaltungsgericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung, mit der sich der Zulassungsantrag im Einzelnen gar nicht auseinandersetzt, Anlass zu weiterer Aufklärung hätte sehen müssen. Ebenso wenig hat die Klagepartei dargelegt, inwiefern etwaige Feststellungen zum Vorliegen einer „gravierenden psychischen Störung“, einer Suizidalität oder eines traumatisierenden Ereignisses im Heimatland nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts konkret zu einer für sie günstigeren Entscheidung hätten führen können.
Letztlich greift die Klagepartei mit ihrer Rüge, das Verwaltungsgericht habe durch die geltend gemachten Mängel gegen die Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung verstoßen (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO), der Sache nach die Sachverhaltswürdigung durch das Verwaltungsgericht an (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Damit wird jedoch kein Verfahrensmangel i.S.d. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO geltend gemacht, sondern allenfalls (ernstliche) Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung vorgetragen. Diese stellen jedoch keinen Zulassungsgrund i.S.d. § 78 Abs. 3 AsylG dar (vgl. BayVGH, B.v. 5.7.2019 – 23 ZB 18.32580 – Rn. 10; B.v. 27.2.2017 – 20 ZB 17.30078 – juris Rn. 3).
d) Soweit die Klagepartei schließlich rügt, sie sei überrascht worden, indem das Verwaltungsgericht nach dem dramatischen Abbruch der mündlichen Verhandlung ein Urteil zu Lasten des Klägers gefällt habe, legt sie damit ebenfalls keinen Gehörsverstoß i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO dar (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG).
Das Recht auf rechtliches Gehör begründet keine Pflicht des Gerichts, die Beteiligten vorab auf seine Rechtsauffassung oder seine (mögliche) Würdigung des Sachverhalts hinzuweisen. Die Hinweispflicht des § 86 Abs. 3 VwGO konkretisiert zwar den Anspruch der Verfahrensbeteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG und zielt mit dieser Funktion insbesondere auf die Vermeidung von Überraschungsentscheidungen. Eine solche Überraschungsentscheidung liegt aber nur vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen braucht (vgl. BVerfG, B.v. 19.5.1992 – 1 BvR 986.91 – BVerfGE 86, 133 = juris Rn. 36; B.v. 31.5.1995 – 2 BvR 736.95 – juris Rn. 27; BVerwG, B.v. 1.2.1999 – 10 B 4.98 – juris Rn. 6; B.v. 26.2.2013 – 4 B 53.12 – juris Rn. 4; B.v. 1.7.2013 – 8 BN 1.13 – juris Rn. 10; B.v. 15.5.2014 – 9 B 57.13 – NVwZ-RR 2014, 657 Rn. 19; BayVGH, B.v. 24.7.2017 – 11 ZB 17.30821 – juris Rn. 8; B.v. 16.1.2019 – 15 ZB 19.30148 – juris Rn. 4 m.w.N.; B.v. 5.6.2019 – 15 ZB 19.32063 – juris Rn. 5).
Vorliegend hat das Verwaltungsgericht die Klägerbevollmächtigte – wie bereits ausgeführt – ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung darauf hingewiesen, dass aus seiner Sicht auch aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gezeigten Verhaltens des Klägers nicht ohne Weiteres von einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausgegangen werden könne. Die Klagepartei hatte demnach Gelegenheit, sich zu den vom Verwaltungsgericht zur Grundlage seiner Entscheidung gemachten Gesichtspunkten zu äußern. Der Kläger war auch anwaltlich vertreten, so dass er Gelegenheit hatte, alle prozessualen Möglichkeiten auszuschöpfen, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Das Verwaltungsgericht war im Übrigen nicht gehalten, seine Rechtsauffassung und Beweiswürdigung hinsichtlich der sich im vorliegenden Fall stellenden Tatsachen- und Rechtsfragen jeweils vorab durch richterlichen Hinweis zu erörtern und offen zu legen, wie es seine Entscheidung im Einzelfall zu begründen beabsichtigt (vgl. BVerwG, B.v. 30.3.2016 – 5 B 11.16 – juris Rn. 20 m.w.N.).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
3. Angesichts der fehlenden Erfolgsaussichten des Zulassungsantrages war auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung für das Zulassungsverfahren nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO abzulehnen.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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