Verwaltungsrecht

Bescheid, Zweitwohnungsteuer, Widerspruchsbescheid, Berufung, Satzung, Widerspruch, Veranlagungsjahr, Landratsamt, Wirksamkeit, Kostenentscheidung, Zweitwohnungsteuersatzung, Klage, Rechtsgrundlage, Zeitpunkt

Aktenzeichen  4 B 20.569

Datum:
8.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 45336
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

Au 2 K 18.809 2020-01-23 VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens als Gesamtschuldner.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Kläger, die Inhaber einer Wohnung im Gemeindegebiet des Beklagten sind, wenden sich gegen ihre Heranziehung zur Zweitwohnungsteuer.
Mit Bescheid vom 25. Mai 2016 zog der Beklagte die Kläger für das Veranlagungsjahr 2016 und die folgenden Jahre (bis er durch einen neuen Steuer- bzw. Berichtigungsbescheid ersetzt werde) zur Zweitwohnungsteuer in Höhe von je 1.030 Euro heran. Den gegen den Bescheid eingelegten Widerspruch der Kläger wies das Landratsamt O. mit Widerspruchsbescheid vom 16. November 2016 zurück.
Hiergegen erhoben die Kläger am 30. November 2016 Klage zum Verwaltungsgericht Augsburg mit dem Ziel der Aufhebung von Bescheid und Widerspruchsbescheid. Zur Begründung führten sie aus, der Zweitwohnungsteuerbescheid sei rechtswidrig, weil er nicht auf eine wirksame Satzungsgrundlage geschützt werden könne. Die Zweitwohnungsteuersatzung des Beklagten vom 29. Oktober 2004, die durch Satzung vom 19. Dezember 2008 geändert worden sei (im Folgenden: Zweitwohnungsteuersatzung 2004/2008), sei verfassungswidrig, weil sie einerseits an die indexierte Jahresrohmiete anknüpfe und andererseits einen degressiven Steuersatz vorsehe. Das sei jeweils mit dem Gleichheitssatz nicht vereinbar.
Am 18. Juni 2018 erließ der Beklagte eine neue Satzung über die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer (im Folgenden: Zweitwohnungsteuersatzung 2018), die laut ihrem § 12 Abs. 1 rückwirkend zum 1. Januar 2018 in Kraft trat; gleichzeitig trat die Zweitwohnungsteuersatzung 2004/2008 außer Kraft (§ 12 Abs. 2). Am 28. September 2018 erließ der Beklagte aufgrund der Zweitwohnungsteuersatzung 2018 einen neuen Zweitwohnungsteuerbescheid für die Veranlagungsjahre ab 2018.
Nachdem das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 18. Juli 2019 (1 BvR 807/12 – ZKF 2020, 16) zwar festgestellt hatte, dass sowohl die Anknüpfung an die indexierte Jahresrohmiete als auch der degressive Steuersatz in der Zweitwohnungsteuersatzung 2004/2008 verfassungswidrig sei, jedoch die Weitergeltung der Zweitwohnungsteuersatzung bis längstens 31. März 2020 angeordnet hatte, wiesen die Kläger darauf hin, dass der Beklagte diese Satzung durch eine neue Zweitwohnungsteuersatzung vom 18. Juni 2018 selbst aufgehoben habe. Dies habe das Bundesverfassungsgericht nicht gewusst, sonst hätte es die Fortgeltungsanordnung nicht erlassen. Da im Abgabenrecht auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Entscheidung abzustellen sei, könne der streitgegenständliche Zweitwohnungsteuerbescheid sich nicht auf wirksames Satzungsrecht stützen. Denn der Beklagte habe die vermeintlich fortgeltende Satzung selbst aufgehoben und durch eine neue Satzung ersetzt, die erneut einen rechtswidrigen Steuermaßstab (indizierte Jahresrohmiete) habe.
Mit Urteil vom 23. Januar 2020 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Der streitgegenständliche Bescheid könne sich auf die Zweitwohnungsteuersatzung 2004/2008 stützen, da das Bundesverfassungsgericht die Fortgeltung dieser Satzung angeordnet habe und diese Entscheidung für das Verwaltungsgericht in entsprechender Anwendung des § 31 BVerfGG verbindlich sei. Der Beklagte habe diese Satzung zwar durch die neue Zweitwohnungsteuersatzung vom 18. Juni 2018 mit Wirkung vom 1. Januar 2018 aufgehoben; dies ändere aber nichts daran, dass bis zum 31. Dezember 2017 die Zweitwohnungsteuersatzung 2004/2008 Anwendung finde.
Gegen dieses Urteil wenden sich die Kläger mit ihrer vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung. Sie tragen vor, der Beklagte verfüge über keine wirksame Rechtsgrundlage für die Festsetzung einer Zweitwohnungsteuer, weil sowohl die Zweitwohnungsteuersatzung 2004/2008 als auch die Zweitwohnungsteuersatzung 2018 nichtig seien. Eine wirksame Rechtsgrundlage für die streitgegenständlichen Veranlagungsjahre 2016 und 2017 fehle auch deswegen, weil die Zweitwohnungsteuersatzung 2004/2008 bereits mit Wirkung zum 1. Januar 2018 außer Kraft getreten sei und damit zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht mehr in Kraft gewesen sei. Der Beklagte könne sich auch nicht auf die Fortgeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 18. Juni 2019 berufen, weil der Beklagte bereits zuvor – mit § 12 Abs. 2 der Zweitwohnungsteuersatzung 2018 – die Zweitwohnungsteuersatzung 2004/2008 außer Kraft gesetzt habe.
Die Kläger beantragen,
den Bescheid des Beklagten vom 25. Mai 2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheids des Landratsamts O. vom 16. November 2016 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
1. Über die Berufung kann durch Beschluss entschieden werden, weil der Senat sie gemäß § 130a VwGO einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten wurden hierzu gemäß § 130a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO angehört.
2. Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Zweitwohnungsteuerbescheid des Beklagten vom 25. Mai 2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheids des Landratsamts O. vom 16. November 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Rechtsgrundlage für den Bescheid ist die Zweitwohnungsteuersatzung 2004/2008, die ungeachtet der Zweitwohnungsteuersatzung 2018 für das Veranlagungsjahr 2016 einschlägig ist und die trotz ihrer Verfassungswidrigkeit wegen der Fortgeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts für den maßgeblichen Zeitraum fort gilt.
a) Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist die Zweitwohnungsteuer für die Veranlagungsjahre 2016 und 2017. Der Beklagte hat am 18. Juni 2018 eine neue Zweitwohnungsteuersatzung erlassen, die rückwirkend zum 1. Januar 2018 in Kraft trat, und am 28. September 2018 nach dieser Satzung einen neuen Zweitwohnungsteuerbescheid für die Veranlagungsjahre ab 2018 erlassen. Die Tatsache, dass dieser Bescheid später wieder aufgehoben wurde, lässt den Bescheid vom 25. Mai 2016 für die Veranlagungsjahre ab 2018 nicht wiederaufleben.
b) Rechtsgrundlage für den Zweitwohnungsteuerbescheid vom 25. Mai 2016 ist die Satzung des Beklagten über die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer vom 29. Oktober 2004 in der Fassung vom 19. Dezember 2008. Nur diese Satzung ist für die Veranlagungsjahr 2016 und 2017 einschlägig; eine andere Zweitwohnungsteuersatzung für den betreffenden Veranlagungszeitraum existiert nicht. Die Satzung des Beklagten über die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer vom 12. Juni 2018, die rückwirkend zum 1. Januar 2018 in Kraft trat, ist für den streitgegenständlichen Erhebungszeitraum nicht maßgeblich. Bei der Abgabenerhebung kommt es immer auf das für den Veranlagungszeitraum geltende Abgabenrecht an. Dies hat entgegen der Berufungsbegründung nichts damit zu tun, dass maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtswirksamkeit einer – unter Umständen längst außer Kraft getretenen – Satzung der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist (vgl. BayVGH, B.v. 14.1.2020 – 4 ZB 19.1643 – ZKF 2020, 119 = juris Rn. 15). Da die Zweitwohnungsteuersatzung 2004/2008 lediglich mit Wirkung ab dem 1. Januar 2018 durch die Zweitwohnungsteuersatzung 2018 aufgehoben wurde, beansprucht sie für die Erhebungszeiträume bis zum 31. Dezember 2017 weiterhin Wirksamkeit.
c) Die Bemessungsvorschriften der Zweitwohnungsteuersatzung 2004/2008 (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 2 bis 4, § 5 Abs. 1 Satz 1) sind zwar, wie das Verwaltungsgericht entsprechend der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2019 (1 BvR 807/12 u.a. – ZKF 2020, 16) dargelegt hat, in mehrfacher Hinsicht verfassungswidrig. Gleichwohl sind diese Bestimmungen und damit die Satzung insgesamt – ausnahmsweise – nicht nichtig, sondern wirksam; denn das Bundesverfassungsgericht hat im Entscheidungstenor ausgesprochen, dass die Nichtigkeit dieser Vorschriften erst eintritt, wenn sie nicht bis zum 31. März 2020 durch eine verfassungsgemäße Neuregelung ersetzt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat daher dem Beklagten eine Übergangsfrist für die weitere Anwendung dieser Satzung eingeräumt (B.v. 18.7.2019 – 1 BvR 807/12 u.a. – ZKF 2020, 16 Rn. 73). Diese sog. Fortgeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts gilt für den gesamten Zeitraum, in dem diese Satzung in Kraft war, also auch für die Veranlagungsjahre 2016 und 2017. Ungeachtet der Frage, ob es einer solchen Fortgeltungsanordnung bedurft hätte (vgl. BayVGH, B.v. 24.2.2020 – 4 CS 19.2271 – BayVBl 2020, 443 Rn. 14), ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach § 31 Abs. 1 BVerfGG für alle Gerichte bindend. Dass der Beklagte selbst diese Satzung – bereits vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – mit Wirkung zum 1. Januar 2018 außer Kraft gesetzt hat und daher die Fortgeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts ab diesem Zeitraum ins Leere geht, weil sie nicht für eine – zum Teil denselben Mangel aufweisende – Nachfolgesatzung gilt (vgl. BayVGH, a.a.O., Rn. 13), ändert daran nichts. Das Bundesverfassungsgericht hat es für gerechtfertigt gehalten, die Zweitwohnungsinhaber im Gebiet des Beklagten nach dem Maßstab der Zweitwohnungsteuersatzung 2004/2008 zu einer Zweitwohnungsteuer heranzuziehen, und daher auch den dort ergangenen Zweitwohnungsteuerbescheid nicht aufgehoben (vgl. zum Ganzen bereits BayVGH, B.v. 8.10.2020 – 4 ZB 20.1216 – juris Rn. 3 ff.).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
4. Die Revision war nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.


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