Verwaltungsrecht

Beschränkte gerichtliche Überprüfbarkeit der Ablehnung einer Aufnahmezusage für jüdische Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion

Aktenzeichen  19 ZB 15.1731

Datum:
9.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 128926
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 23 Abs. 2 S. 1
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6, Art. 20, Art. 103 Abs. 1
VwGO § 67 Abs. 4 S. 1, § 86 Abs. 1, 2, § 108 Abs. 2, § 116 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Eine pauschale Bezugnahme auf von anderen erstellte rechtliche Überlegungen ohne erkennbare eigenständige Würdigung durch den Prozessvertreter genügt nicht den Anforderungen des beim Verwaltungsgerichtshof geltenden Vertretungszwanges und ist prozessual unbeachtlich. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Aufnahmeregelung nach § 23 Abs. 2 AufenthG handelt es sich um eine der gerichtlichen Überprüfung entzogene politische Leitentscheidung, die keinen Rechtsanspruch auf Aufnahme vermittelt, sondern lediglich einen Anspruch auf Gleichbehandlung nach Maßgabe der vom Bundesministerium des Innern gebilligten tatsächlichen Anwendung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

5 K 15.557 2015-06-23 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerinnen tragen die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 15.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Das der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegende Vorbringen im Zulassungsantrag (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigt keine Zulassung der Berufung gegen das Urteil vom 23. Juni 2015, durch das das Verwaltungsgericht die Klage auf Erteilung einer Aufnahmezusage entsprechend der Anordnung des Bundesministeriums des Innern gemäß § 23 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes über die Aufnahme jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion mit Ausnahme der baltischen Staaten vom 24. Mai 2007 in der Fassung vom 21. Mai 2015 (Aufnahmeanordnung) abgewiesen und den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23. Februar 2015 bestätigt hat.
Die von den Klägerinnen vorgebrachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) sowie Verfahrensmängel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO bestehen nicht.
Soweit die Klägerseite pauschal auf umfangreiche Schreiben des Herrn K., Vater der Klägerinnen zu 2 und 3, verweist, ohne den Vortrag im Einzelnen rechtlich zu würdigen, ist dieser Vortrag bereits deshalb ungeeignet, eine Zulassung der Berufung herbeizuführen, weil er wegen des beim Verwaltungsgerichtshof geltenden Vertretungszwangs nach § 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO prozessual unbeachtlich ist. Das Gebot, sich vor dem Oberverwaltungsgericht durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule vertreten zu lassen, dient der Sachlichkeit des Verfahrens und dem rechtskundigen sowie konzentrierten Prozessieren und damit der Beschleunigung des Verfahrens. Deshalb kann nur solcher Vortrag berücksichtigt werden, der über die pauschale Bezugnahme hinaus erkennen lässt, dass der Streitstoff von dem Prozessbevollmächtigten rechtlich durchdrungen ist (vgl. BVerwG, U.v. 23.4.2014 – 9 A 25.12 – ZUR 2014, 668). Eine pauschale Bezugnahme auf von Anderen erstellte rechtliche Überlegungen ohne erkennbare eigenständige Würdigung durch den Prozessvertreter genügt nicht den Anforderungen des Vertretungszwangs und ist prozessual unbeachtlich (vgl. Hartung in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand 4/2015, § 67 Rn. 53 m.w.N.). Die pauschale Ausführung des Klägerbevollmächtigten im Schriftsatz vom 28. August 2015, die Darlegungen eines Dritten würden zum Bestandteil des Antrags auf Zulassung der Berufung gemacht, genügt damit nicht den Anforderungen des Vertretungszwangs, zumal auch die Darlegungen des Herrn K. auf weitere 39 Anträge in erster Instanz verweisen. Relevantes Zulassungsvorbringen ist im Übrigen in den Ausführungen des Dritten nicht zu erkennen.
Im Übrigen machen die Klägerinnen geltend, Entscheidungen nach § 23 Abs. 2 AufenthG müssten nach rechtsstaatlichen Grundsätzen stets und uneingeschränkt überprüfbar sein, auch wenn es sich um politische Leitentscheidungen handle. Menschen- und Grundrechte genössen Vorrang vor Erwägungen der Staatsräson, die ebenfalls Recht und Gerechtigkeit unterworfen sei. Eine Auflösung dieses Grundsatzes stelle die Identität und Existenz Europas in Frage. Das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht die Festsetzungen und Bestimmungen im jüdisch-religiös-metaphysischen Gesetz der Halacha zur Abstammungslehre, die von der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland e.V. (ZWSt) bzw. der Union Progressiver Juden in Deutschland e.V. (UPJ) vorgenommen worden sei, nicht im Lichte der Grundrechte geprüft. Es bestünden erhebliche Zweifel an der alleinigen Befugnis dieser Vereinigungen und der Richtigkeit der Zugehörigkeitskriterien. Unter dem Aspekt der Religionsfreiheit müssten insbesondere die Klägerinnen zu 2 und 3 eine Differenzierung der Abstammung von einem jüdischen Vater oder einer jüdischen Mutter nicht hinnehmen. Die Abgrenzung nach patrilinearer oder matrilinearer Abstammung erscheine willkürlich. Das Verwaltungsgericht habe eine Differenzierung zwischen der Zugehörigkeit zu einer jüdischen Religionsgemeinschaft und der Zugehörigkeit zum jüdischen Volk nicht getroffen. Die Frage der Verwaltungspraxis hätte durch Beweiserhebung näher aufgeklärt werden müssen. Die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung, da die vom Gericht akzeptierte jüdische Abstammungslehre Grund- und Menschenrechte verletze. Darüber hinaus sei der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, weil das Gericht auf die mit Schreiben vom 24. und 26. Juni 2015 weiter vorgetragenen Gesichtspunkte nicht mehr eingegangen sei.
Auch aus diesem Vorbringen ergeben sich nicht die geltend gemachten Zulassungsgründe.
1. Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (z.B. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546/547 – juris) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2010 – 7 AV 4/03 – DVBl 2004, 838/839 – juris). Dies ist in Ansehung der Antragsbegründung nicht der Fall.
Das klägerische Vorbringen lässt eine hinreichende Auseinandersetzung mit der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vermissen und ist nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils darzutun.
Nach der Bestimmung des § 23 Abs. 2 Satz 1 AufenthG – die in einem förmlichen Gesetzgebungsverfahren als parlamentarisches Gesetz erlassen wurde – kann das Bundesinnenministerium (im Benehmen mit den obersten Landesbehörden) zur Wahrung besonders gelagerter politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass das Bundesamt aus bestimmten Staaten oder in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen eine Aufnahmezusage erteilt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Rechtscharakter und Inhalt einer solchen Anordnung des Bundesinnenministeriums handelt es sich dabei um eine politische Leitentscheidung, die keiner gerichtlichen Überprüfung unterliegt (vgl. BVerwG, U.v. 15.11.2011 – 1 C 21.10; B.v. 16.6.2014 – 1 B 4/14 – juris Rn. 4, vgl. bereits U.v. 19.9.2000 – 1 C 19.99 – juris).
Das Bundesverwaltungsgericht führt in ständiger Rechtsprechung zu der inmitten stehenden Vorschrift des § 23 Abs. 2 AufenthG aus, Sinn und Zweck der Regelung bestünden darin, einen gesetzlichen Rahmen und das Verfahren zu schaffen, um bestimmten Gruppen von noch nicht eingereisten Ausländern zur Wahrung besonders gelagerter politischer Interessen der Bundesrepublik einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen. Dabei stehe es im Ermessen des Bundesinnenministeriums, ob eine solche Anordnung erlassen werde, und es ergebe sich aus der Natur der Sache, dass es bei der Festlegung der Aufnahmekriterien weitgehend frei sei, allenfalls begrenzt durch das Rechtsstaatsgebot und das Willkürverbot. Es handle sich um eine politische Leitentscheidung, die grundsätzlich keiner gerichtlichen Überprüfung unterliege; sie diene nicht dem Schutz und der Verwirklichung von Grundrechten der hierdurch begünstigten Ausländer. Das Bundesinnenministerium könne im Rahmen eines Entschließungs- und Auswahlermessens den von einer Anordnung erfassten Personenkreis bestimmen und dabei positive Kriterien (Erteilungsvoraussetzungen) und negative Kriterien (Ausschlussgründe) aufstellen. Ein Anspruch des einzelnen Ausländers, von einer Anordnung nach § 23 Abs. 2 AufenthG erfasst zu werden, bestehe nicht. Die Anordnung unterliege auch nicht wie eine Rechtsnorm einer eigenständigen richterlichen Auslegung, vielmehr sei sie unter Berücksichtigung des wirklichen Willens des Erklärenden und ihrer tatsächlichen Handhabung, d. h. der vom Urheber gebilligten und geduldeten tatsächlichen Verwaltungspraxis, auszulegen und anzuwenden. Eine Außenwirkung komme der Anordnung nur mittelbar zu über die Verpflichtung der Behörden zur Beachtung von Art. 3 Abs. 1 GG, soweit sich eine der Richtlinie entsprechende Behördenpraxis herausgebildet habe; den Gerichten obliege es nachzuprüfen, ob der Gleichheitssatz bei Anwendung der Anordnung durch das Bundesamt gewahrt sei.
Nach Nr. I.2. lit. ader Aufnahmeanordnung können als jüdische Zuwanderer nur Personen aufgenommen werden, die nach staatlichen, vor 1990 ausgestellten Personenstandsurkunden selbst jüdischer Nationalität sind oder von mindestens einem jüdischen Elternteil oder Großelternteil abstammen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beruht der dabei verwendete Begriff der „jüdischen Nationalität“ auf einer Besonderheit in der ehemaligen Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten. Diese unterscheiden zwischen der Staatsangehörigkeit und der Nationalität; das Judentum wurde der Nationalität zugerechnet, die in staatlichen Personenstandsurkunden angegeben ist. Nach der vom Wissen und Wollen des Bundesinnenministeriums getragenen einheitlichen Verwaltungspraxis des Bundesamtes kann der Nachweis der Abstammung von mindestens einem jüdischen Elternteil dagegen nicht nach der jüdischen Abstammungslehre (Halacha) erbracht werden (vgl. BVerwG, U.v. 15.11.2011, a.a.O., juris Rn. 20).
Gemäß Nr. I.2. lit. eder Aufnahmeanordnung können als jüdische Zuwanderer nur Personen aufgenommen werden, für die der Nachweis erbracht wird, dass die Möglichkeit zu einer Aufnahme in einer jüdischen Gemeinde im Bundesgebiet besteht. Der Nachweis erfolgt durch gutachterliche Stellungnahme der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden e.V. (ZWSt); die Union Progressiver Juden e.V. (UPJ) wird in dieses Verfahren eingebunden und kann im Rahmen dieses Verfahrens eine Stellungnahme abgeben. Ausweislich des Merkblatts des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) zum Aufnahmeverfahren für jüdische Zuwanderer (Stand 6/2015) kann das Bundesamt keine Aufnahmezusage erteilen, wenn die Empfehlung der Zentralwohlfahrtsstelle bzw. der Union progressiver Juden negativ ausfällt.
Das Verwaltungsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (grundlegend: BVerwG, U.v. 15.11.2011 – 1 C 21/10) zutreffend betont, dass es sich bei den Aufnahmeregelungen um eine der gerichtlichen Überprüfung entzogene politische Leitentscheidung handelt. Sie vermitteln dem Betroffenen keinen Rechtsanspruch auf Aufnahme, sondern lediglich einen Anspruch auf Gleichbehandlung nach Maßgabe der vom Bundesministerium des Innern gebilligten tatsächlichen Anwendung durch das Bundesamt. Es liegt somit allein im weitgehend freien und weiten Entschließungs- und Auswahlermessen des Bundesinnenministeriums, von der jüdischen Abstammungslehre unabhängige Aufnahmekriterien aufzustellen. Die Aufnahmeanordnung, die den begünstigten Personenkreis detailliert regelt, unterliegt nicht der unmittelbaren gerichtlichen Kontrolle.
Es verstößt auch nicht gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung (d.h. der Verteilung der Staatsgewalt auf verschiedene Staatsorgane), wenn der Gesetzgeber die Exekutive in Gestalt des Bundesministeriums des Innern zur Erteilung von Aufnahmezusagen ermächtigt, die in der Ausgestaltung der Aufnahmevoraussetzungen gerichtlicher Kontrolle entzogen sind. Eine Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze im Sinne von Art. 20 GG ist darin unter Berücksichtigung des Rechtscharakters der Aufnahmeanordnung als innerdienstliche Richtlinie und politische Leitentscheidung nicht ersichtlich. Im Hinblick auf die Wahrung besonders gelagerter Interessen der Bundesrepublik Deutschland kann es nicht Aufgabe der Gerichte sein, mit ihrer Einschätzung an die Stelle der dazu berufenen politischen Organe zu treten. Der politische Charakter einer nach § 23 Abs. 2 AufenthG erlassenen Anordnung verbietet eine Auslegung, die ihr entgegen der Intention ihres Urhebers und der tatsächlichen Verwaltungspraxis unter Verhältnismäßigkeitserwägungen einen weitergehenden Anwendungsbereich zuweist. Eine Außenwirkung kommt der Anordnung nur mittelbar über die Verpflichtung der Behörden zur Beachtung von Art. 3 Abs. 1 GG zu, soweit sich eine der Richtlinie entsprechende Behördenpraxis herausgebildet hat; dem Gericht obliegt es lediglich nachzuprüfen, ob der Gleichheitssatz bei Anwendung der Anordnung durch das Bundesamt gewahrt ist (vgl. BayVGH, B.v. 19.9.2014 – 19 ZB 12.1010 – juris Rn. 19). Das Zulassungsvorbringen, Entscheidungen nach § 23 Abs. 2 AufenthG müssten nach rechtsstaatlichen Grundsätzen uneingeschränkt gerichtlich nachprüfbar sein, vermag im Hinblick auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts somit keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils zu begründen.
Nach diesen Maßstäben ist es dem Gericht entgegen dem Zulassungsvorbringen auch verwehrt, die jüdische Abstammungslehre sowie die Differenzierung nach matri- oder patrilinearer Abstammung inhaltlich zu hinterfragen oder zwischen jüdischer Religionszugehörigkeit und jüdischer Volkszugehörigkeit zu differenzieren. Das Verwaltungsgericht hat insoweit zu Recht ausgeführt, dass sich unter dem Aspekt der Religionsfreiheit eine Wertung der jüdischen Abstammungslehre sowie der Differenzierung zwischen matrilinearer und patrilinearer Abstammung verbietet. Der Nachweis der Abstammung kann nicht nach der jüdischen Abstammungslehre (Halacha) erbracht werden. Vielmehr geht das Bundesamt in ständiger, vom Bundesinnenministerium gebilligter Praxis bei der Entscheidung über Anträge auf Aufnahmezusage für jüdische Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion davon aus, dass die jüdische Nationalität eines Elternteils oder Großelternteils nachgewiesen werden muss (Nr. I.2. lit. ader Aufnahmeanordnung). Der dabei verwendete Begriff der „jüdischen Nationalität“ beruht entsprechend der angeführten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf einer Besonderheit in der ehemaligen Sowjetunion und ihrer Nachfolgestaaten, wonach zwischen der Staatsangehörigkeit und der Nationalität unterschieden wird; das Judentum wird der Nationalität zugerechnet, die in staatlichen Personenstandsurkunden des Herkunftsgebietes angegeben ist. Auf die im Zulassungsvorbringen geforderte Differenzierung zwischen jüdischer Religionszugehörigkeit und jüdischer Volkszugehörigkeit kommt es insoweit nicht an.
Diese Aufnahmevoraussetzung entspricht dem Rechtsstaatsgebot und verstößt nicht gegen das Willkürverbot (vgl. BayVGH, B.v. 18.9.2014 – 19 ZB 12.1008). Es ist nicht sachwidrig, wenn die Exekutive, dem primären Zweck der Aufnahmeregelung entsprechend, das Leben der jüdischen Gemeinden in der Bundesrepublik Deutschland zu stärken, die Aufnahmeberechtigung auf Personen beschränkt, die selbst oder zumindest deren Eltern oder Großeltern sich vor 1990 – seinerzeit eventuell auch unter Hinnahme von Nachteilen – zu ihrer jüdischen Glaubenszugehörigkeit in Form der Angabe einer jüdischen Nationalität in staatlichen Personenstandsurkunden bekannt haben. Damit wurde für das Aufnahmeverfahren ein klares, leicht feststellbares Kriterium gewählt, das seitens des Gerichts nicht weiter inhaltlich hinterfragt werden kann.
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend auch darauf hingewiesen, dass die Klägerinnen die Anforderungen nach Nr. I 2 lit. eder Verfahrensordnung nicht erfüllen. Nr. I 2. lit. eder Aufnahmeanordnung regelt unmissverständlich, dass die Möglichkeit einer Aufnahme in einer jüdischen Gemeinde im Bundesgebiet nachzuweisen ist und dass der Nachweis durch eine gutachterliche Stellungnahme der Zentralwohlfahrtsstelle unter Beteiligung der Union Progressiver Juden erfolgt. Diese Aufnahmevoraussetzung entspricht dem Rechtsstaatsgebot und verstößt nicht gegen das Willkürverbot. Die nach der Aufnahmeanordnung erforderlichen Stellungnahmen liegen mit den Schreiben der Zentralwohlfahrtsstelle vom 16. Februar 2015 und mit Stellungnahmen der Union Progressiver Juden mit Schreiben vom 12. Februar 2015 und vom 8. Juni 2015 für die Klägerinnen vor und sie enthalten die eindeutige Aussage, dass eine Aufnahmemöglichkeit in einer jüdischen Gemeinde nicht besteht. Die in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vorgelegte Bestätigung der jüdischen Gemeinde in der Stadt P., wonach die Klägerinnen zu 2 und 3 als assoziierte Mitglieder Aufnahme finden könnten, vermag die Aufnahmevoraussetzungen nach Nr. I.2. lit eder Aufnahmeanordnung nicht zu erfüllen. Die Aufnahmeanordnung kennt weder die Möglichkeit einer Ersetzung der gutachterlichen Stellungnahme der Zentralverbände noch einer inhaltlichen Korrektur. Das Zulassungsvorbringen, an der Befugnis der in der Aufnahmeanordnung genannten Vereine und an der Richtigkeit und Vernünftigkeit der von ihnen zugrunde gelegten Zugehörigkeitskriterien bestünden erhebliche Zweifel, vermag damit keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung zu begründen.
Vor diesem Hintergrund ist ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG weder dargelegt noch ersichtlich. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass in sämtlichen Fällen, in denen die Stellungnahmen der Zentralwohlfahrtsstelle bzw. der Union Progressiver Juden negativ ausfielen, die Aufnahmezusage nicht erteilt worden ist. Von der Klägerseite wurde nicht substantiiert dargelegt, dass nach der Verwaltungspraxis des Bundesamtes – mit Billigung des Bundesinnenministeriums – entgegen der in Nr. I.2. lit. eder Aufnahmeanordnung geforderten Stellungnahmen der ZWSt oder der UPJ Aufnahmezusagen erteilt worden wären. Die Klägerseite hat die Angabe des Beklagtenvertreters nicht bestritten. Auch ist dem Senat eine von der Aufnahmeanordnung insoweit abweichende Verwaltungspraxis nicht bekannt. Eine Beweiserhebung über die Verwaltungspraxis des Bundesamts in diesem Punkt hat sich bei dieser Sachlage nicht aufgedrängt. Sie wäre sozusagen „ins Blaue hinein“ erfolgt.
Da die durch § 23 Abs. 2 AufenthG als Parlamentsgesetz eingeräumte Befugnis des Bundesinnenministeriums, Anordnungen zur Aufnahme von Ausländern aus bestimmten Staaten oder in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen zu treffen, ausdrücklich der Wahrung besonders gelagerter politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland dient und grundsätzlich nicht dem Schutz und der Verwirklichung von Grundrechten der hierdurch begünstigten Ausländer (vgl. BVerwG, U.v. 15.11.2010, a.a.O. Rn. 16), verstößt die Ablehnung einer Aufnahmezusage auch nicht gegen den grundrechtlichen Schutz der Familie aus Art. 6 GG (vgl. BayVGH, U.v. 22.1.2014 – 19 BV 13.1447 – juris Rn. 37).
2. Die Berufung ist auch nicht wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. Insoweit fehlt es bereits an der nach § 124 Abs. 4 Satz 4 VwGO erforderlichen Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung. Dazu muss der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- und Tatsachenfrage formulieren, ausführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, erläutern, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist, und darlegen, weshalb der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72). Die von der Klägerseite erhobenen Zweifel an der Vereinbarkeit der jüdischen Abstammungslehre mit Grund- und Menschenrechten stellen sich nicht als eine entscheidungserhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage dar. Mit diesem Vorbringen wird verkannt, dass es im Aufnahmeverfahren nicht um eine (nach klägerischen Vorstellungen definierte) jüdische Abstammung, sondern um die jüdische Nationalität in der ehemaligen Sowjetunion und in ihren Nachfolgestaaten und um die diesbezüglichen Nachweise geht. Auch hinsichtlich der Aufnahmevoraussetzung des Nachweises einer möglichen Aufnahme in einer jüdischen Gemeinde im Bundesgebiet durch Stellungnahme der Zentralwohlfahrtsstelle oder der Union Progressiver Juden nach Nr. I.2. lit. eder Aufnahmeanordnung ist dem Bundesamt und dem Gericht eine inhaltliche Überprüfung der jüdischen Abstammungslehre verwehrt. Die mit der eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung der Aufnahmevoraussetzungen im Einzelnen zusammenhängenden Fragen sind in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes – wie ausgeführt – hinlänglich geklärt (BVerwG, U.v. 15.11.2011 – 1 C 21/10 – juris).
3. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf einem Verfahrensmangel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO.
Die Klägerinnen machen eine Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) geltend, die aber nicht vorliegt.
Der Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, nicht aber sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen (BVerfG, B.v. 1.2.1978 – 1 BvR 426/77 – BVerfGE 47, 182 ; BVerwG, U.v. 29.11.1985 – 9 C 49.85 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 177). Die Gerichte dürfen ein Vorbringen außer Betracht lassen, das nach ihrem Rechtsstandpunkt unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert ist.
Mit Übermittlung der Urteilsformel an die Geschäftsstelle nach § 116 Abs. 2 VwGO wird ein Urteil wirksam im Sinne einer Unabänderbarkeit durch das Gericht (vgl. BVerwG, B.v. 27.4.2005 – 5 B 107/04 – juris). Bis zu diesem Zeitpunkt kann und muss das Gericht entscheidungserhebliches neues Vorbringen noch berücksichtigen (vgl. Clausing/Kimmel in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand 10/2016 § 116 Rn. 10).
Nachdem die klägerischen Schreiben vom 24. und 26. Juni 2015 nach der Niederlegung des Urteilstenors am 23. Juni 2015 eingingen, ist die Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht zu beanstanden, im Hinblick auf die Unabänderbarkeit des Urteils sei auf das weitere Vorbringen nicht mehr näher einzugehen, zumal eine inhaltliche Würdigung durch das Verwaltungsgericht bereits im Rahmen des berücksichtigungsfähigen Vorbringens erfolgte.
Eine Verletzung des in § 86 Abs. 1 VwGO enthaltenen Untersuchungsgrundsatzes kann grundsätzlich dann nicht geltend gemacht werden, wenn ein sachkundig vertretener Verfahrensbeteiligter in der mündlichen Verhandlung Beweiserhebungen nicht in der gemäß § 86 Abs. 2 VwGO vorgesehenen Form beantragt hat (vgl. BVerwG, B.v. 25.1.2005 – 9 B 38.04 – juris, Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl. 2011, § 124 Rn. 13). So liegt es hier. Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 23. Juni 2015 hat der Vertreter der Klägerinnen keinen Beweisantrag gestellt. Abgesehen davon hat sich mangels substantiierter Anhaltspunkte hinsichtlich einer Abweichung des Bundesamtes von seiner Verwaltungspraxis im Rahmen der Aufnahmevoraussetzung nach Nr. I.2. lit. eder Aufnahmeanordnung eine diesbezügliche Beweiserhebung nicht aufgedrängt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 47 Abs. 3, Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 4 Satz 5 VwGO).

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