Verwaltungsrecht

Beschwerde (einstweiliger Rechtsschutz), Sicherheitsrechtliche Anordnung zum Rückschnitt von Pflanzenbewuchs

Aktenzeichen  8 CS 21.1595

Datum:
12.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 987
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 146 Abs. 4
LStVG Art. 6, Art. 7
BayStrWG Art. 29 Abs. 2 S. 1, Art. 66 Nr. 4

 

Leitsatz

Verfahrensgang

Au 8 S 21.944 2021-04-28 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen eine sicherheitsrechtliche Verpflichtung zum Rückschnitt von Pflanzenbewuchs, deren sofortige Vollziehung angeordnet wurde.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung K. …, das mit einem Einfamilienhaus und einer Garage bebaut ist. An der Nordseite ist das Grundstück erschlossen über die Orts straße „A. …“. Es grenzt direkt an den Straßenkörper; einen Bordstein oder Gehweg gibt es nicht. Zur Straße hin ist das Grundstück eingefriedet mit einem Gartenzaun und einer Thujenhecke.
Bereits mit Bescheid vom 29. April 2019 verpflichtete der Antragsgegner die Antragstellerin zum Rückschnitt des Bewuchses an der Nordseite des Grundstücks. Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Den hiergegen eingereichten Antrag auf Zulassung der Berufung hat der Senat abgelehnt (B.v. 11.11.2019 – 8 ZB 19.1855). Am 11. Dezember 2019 führte der Antragsgegner nach vorheriger Androhung den Rückschnitt der Hecke im Wege der Ersatzvornahme durch.
Nach weiteren schriftlichen Aufforderungen verpflichtete der Antragsgegner die Antragstellerin mit Bescheid vom 19. März 2021 erneut, den Bewuchs, der entlang der Nordgrenze ihres Grundstücks in den Straßenraum der Straße „A. …“ hineinragt, bis spätestens drei Wochen nach Bekanntgabe des Bescheids soweit zurückzuschneiden, dass über der Fahrbahn eine lichte Höhe von mindestens 4,50 m frei von Bewuchs ist (Ziffer I). Der Sofortvollzug wurde angeordnet (Ziffer II) und ein Zwangsgeld in Höhe von 100,00 Euro angedroht für den Fall der nicht ordnungsgemäßen Durchführung des geforderten Rückschnitts innerhalb der gesetzten Frist (Ziffer III). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Pflanzenbewuchs stellenweise über 1 m in den Straßenraum hineinrage und durch die Verengung des Straßenraums die Sicherheit und Leichtigkeit vor allem des Begegnungsverkehrs beeinträchtigt sei.
Gegen diesen Bescheid ließ die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht Klage erheben (Az. Au 8 K 21.943), über die noch nicht entschieden worden ist. Den zugleich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gestellten Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 28. April 2021 abgelehnt. Hiergegen wendet sich die Antragstellerin und verfolgt mit der Beschwerde ihr Rechtsschutzbegehren weiter.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
Das Beschwerdevorbringen, auf das sich die Prüfung des Verwaltungsgerichtshofs beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt keine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung zu Recht abgelehnt. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der sicherheitsrechtlichen Anordnung zum Rückschnitt des Pflanzenbewuchses überwiegt das gegenläufige Suspensivinteresse der Antragstellerin, weil ihre Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 19. März 2021 voraussichtlich keinen Erfolg haben wird (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Der angegriffene Bescheid findet seine Rechtsgrundlage in Art. 7 Abs. 2 Nr. 2 LStVG i.V.m. Art. 66 Nr. 4, Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG. Nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG dürfen unter anderem Anpflanzungen aller Art nicht angelegt werden, soweit sie die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigen können. Die Zuwiderhandlung ist durch Art. 66 Nr. 4 BayStrWG zur Ordnungswidrigkeit erklärt. Für die erforderlichen Anordnungen zur Beseitigung verbotswidriger Behinderungen ist der Sicherheitsbehörde in Art. 7 Abs. 2 Nr. 2 LStVG die entsprechende Befugnis eingeräumt worden. Ob der Senat an der Auffassung festhält, dass als öffentlich-rechtliche Rechtsgrundlage für die Beseitigung der in den Lichtraum einer angrenzenden Verkehrsfläche hineinragenden Anpflanzungen allein das Regime des Art. 29 BayStrWG heranzuziehen ist (BayVGH, U.v. 15.12.2004 – 8 B 04.1524 – BayVBl 2005, 274; B.v. 10.8.2017 – 8 ZB 15.1428 – BayVBl 2018, 385 = juris Rn. 14), kann offenbleiben. Die zusätzliche Heranziehung des Art. 7 Abs. 2 Nr. 2 LStVG hat keinen Einfluss auf das Ergebnis (vgl. BayVGH, B.v. 10.8.2017 a.a.O. juris Rn. 14).
Das Verwaltungsgericht hat nachvollziehbar dargelegt, dass im konkreten Einzelfall die entlang der Nordgrenze des streitgegenständlichen Grundstücks in den Straßenraum überhängenden Äste augenscheinlich nicht nur eine Sichtbehinderung darstellen, sondern konkret die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs in der Gemeindestraße gefährden (vgl. BA Rn. 24).
a) Die Antragstellerin kann nicht mit ihrem Einwand durchdringen, das Verwaltungsgericht habe sich mit den Voraussetzungen des Verbotstatbestandes des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG nicht auseinandergesetzt. Entgegen der Auffassung der Beschwerde bestand keine Veranlassung festzustellen, ob zuerst die Straße oder zuerst die Anpflanzung vorhanden war. Der von der Beschwerde aus Art. 29 Abs. 2 Satz 2 BayStrWG gezogene Umkehrschluss, die Antragsgegnerin könne lediglich die Duldung der Beseitigung nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 BayStrWG verlangen, wenn die Anpflanzungen der Antragstellerin zeitlich vor der Straße existent gewesen seien, trifft nicht zu.
Zum einen bezieht sich die Formulierung „bereits vorhanden“ in Art. 29 Abs. 2 Satz 2 BayStrWG auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Regelung am 1. September 1958 (vgl. dazu Sieder-Zeitler, BayStrWG, 1. Aufl. 1960, Art. 29 Rn. 15). Zum anderen ist einer Gesamtschau von Art. 29 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 zu entnehmen, dass von Satz 1 nicht nur das Neuanlegen von Anpflanzungen nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Regelung erfasst ist, sondern auch das Wachsenlassen der Pflanzen, die erst während der Geltung der Vorschrift die Sicht behindern und dadurch die verbotene Wirkung eintritt (vgl. BayObLG, B.v. 4.4.1995 – 3 ObOWi 30/95 – BayVBl 1995, 541 = juris Rn. 5; Wiget in Zeitler, BayStrWG, Stand März 2020, Art. 29 Rn. 26). Selbst wenn die Auffassung der Antragstellerin zutreffen würde, wäre die Anordnung dennoch zutreffend auf Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG gestützt worden, da nach dem unbestrittenen Vortrag des Antragsgegners die Straße „A. …“ am 23. April 1963 in das Straßenbestandsverzeichnis aufgenommen und das Haus der Antragstellerin erst im Jahr 1965 errichtet wurde.
b) Nicht zutreffend ist der Vortrag der Antragstellerin, dass die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs bei der Sackgasse „A. …“ lediglich ein abstraktes Argument sei im Gegensatz zu dem bei einem Rückschnitt im Zeitraum vom 1. März bis 30. September real beeinträchtigten Naturschutz, was in § 39 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG zum Ausdruck komme.
Das Erstgericht hat in diesem Zusammenhang zu Recht darauf verwiesen, dass die Verkehrsfläche „A. …“ nicht in Fahrbahn und Gehweg unterteilt ist, und es somit – zusätzlich zu den Gefahren im Begegnungsverkehr zwischen PKW – auch zu einer Gefahr für die körperliche Integrität von Fußgängern kommen kann (vgl. BA Rn. 24). Des Weiteren umfasst die streitgegenständliche Anordnung nicht einen vollständigen Rückschnitt des Pflanzenbewuchses, sondern nur einen teilweisen soweit, dass über der Fahrbahn eine lichte Höhe von mindestens 4,50 m frei von Bewuchs ist. Insofern ist unabhängig vom Vorliegen des Ausnahmetatbestands des § 39 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BNatSchG bereits fraglich, ob das Schneideverbot des § 39 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 1 BNatSchG überhaupt eingreift oder nicht eher ein ausdrücklich zulässiger schonender Form- und Pflegeschnitt zur Beseitigung des Zuwachses der Pflanzen (vgl. § 39 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 BNatSchG) vorliegt.
c) Das Beschwerdevorbringen, wonach bei der Bepflanzung des Straßenkörpers dem Natur- und Landschaftsschutz gemäß Art. 30 Abs. 1 Satz 2 BayStrWG Rechnung zu tragen ist, führt zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung. Diese Regelung bezieht sich entgegen der Ansicht der Beschwerde nicht auf alle Bepflanzungen in der Nähe des Straßenkörpers, sondern auf reine Straßenbepflanzungen. Zudem richtet sich die Vorschrift an den Träger der Straßenbaulast und nicht an die Sicherheitsbehörde. Im Übrigen bedeutet die Formulierung „Rechnung zu tragen“ nicht, dass dem Natur- und Landschaftsschutz stets der Vorrang einzuräumen wäre, sondern dass dieser gebührend berücksichtigt wird, soweit dies im Einzelnen mit den Belangen der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs verträglich ist (Wiget, in Zeitler, BayStrWG, Art. 30 Rn. 17).
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG unter Orientierung an Nr. 1.5 und Nr. 35.1 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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