Verwaltungsrecht

Beschwerde gegen ursprünglichen Eilrechtsbeschluss nach Abänderungsverfahren

Aktenzeichen  10 CE 19.650

Datum:
15.4.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 6729
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 7, § 123, § 146, § 147 Abs. 1
AufenthG § 60a Abs. 2, Abs. 4

 

Leitsatz

Eine Beschwerde gegen den ursprünglichen Eilrechtsbeschluss ist mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig, wenn sie erst nach einer erneuten Entscheidung in einem Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO (analog) eingelegt wird. (Rn. 18 – 19) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 12 E 19.892 2019-02-26 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird verworfen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist nigerianischer Staatsangehöriger. Sein Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10. Oktober 2018 abgelehnt. Die dagegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 27. August 2018 (M 21 K 17.43581) abgewiesen.
Die Abschiebung des Antragstellers war ursprünglich für den 26. Februar 2019 geplant. Seinen Antrag, die Ausländerbehörde zu verpflichten, der die Abschiebung durchführenden Bundespolizei mitzuteilen, dass die Abschiebung abzubrechen ist, lehnte das Bayerische Verwaltungsgericht München mit Beschluss vom 26. Februar 2019 (M 12 E 19.892) ab. Duldungsgründe im Sinne des § 60a Abs. 2 AufenthG lägen nicht vor. Der Kläger habe keine den Anforderungen des § 60 Abs. 2c Satz 3 AufenthG genügende Bestätigung vorgelegt. Im Hinblick auf die familiäre Beziehung zu seinen Kindern sei bereits nicht glaubhaft gemacht, dass er tatsächlich deren Vater sei. Der Antragsteller habe die Mutter der 6 bzw. 12 Jahre alten Kinder erst am 25. November 2017, d.h. lange nach deren Geburt, geheiratet. Eine Urkunde über eine Vaterschaftsanerkennung sei ebenso wenig vorgelegt worden wie ein Nachweis über eine gerichtliche Feststellung der Vaterschaft. Zudem sei bereits nicht glaubhaft gemacht worden, dass sich die Ehefrau und deren Kinder berechtigterweise im Bundesgebiet aufhielten. Zwar seien diese im Besitz einer italienischen Aufenthaltserlaubnis zum Daueraufenthalt/EU. Diese berechtige jedoch zunächst nur zur Einreise und zum Aufenthalt im Bundesgebiet für Besuchsaufenthalte von bis zu 3 Monaten. Für einen darüber hinausgehenden Aufenthalt bedürfe es einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 38a AufenthG. Abgesehen davon sei auch nicht glaubhaft gemacht, dass die eheliche bzw. familiäre Lebensgemeinschaft zwischen dem Antragsteller, seiner Ehefrau und den Kindern nur in der Bundesrepublik stattfinden könne.
Die geplante Abschiebung wurde nicht vollzogen. Der Beschluss vom 26. Februar 2019 wurde der Bevollmächtigten des Antragstellers am 12. März 2019 zugestellt.
Am 25. März 2019 beantragte der Antragsteller erneut, die für diesen Tag vorgesehene Abschiebung vorläufig auszusetzen. Er legte ein fachärztliches Attest vom 20. März 2019 vor, das ihm Reiseunfähigkeit bescheinigte. Mit Beschluss vom 25. März 2019 (M 12 E 19.1413) lehnte das Verwaltungsgericht München auch diesen Antrag ab. Beim Antragsteller liege weder eine Reiseunfähigkeit im engeren noch im weiteren Sinne vor. Auch aus Art. 6 GG ergebe sich kein Abschiebungshindernis.
Der Antragsteller wurde am 25. März 2019 nach Nigeria abgeschoben. Am 26. März 2019 legte er gegen den Beschluss vom 26. Februar 2019 (Az. M 12 E 19.892) Beschwerde ein. Er beantragt,
I.
Der Beschluss vom 26. Februar 2019 wird aufgehoben.
II.
Es wird festgestellt, dass der Antragsteller einen Duldungsanspruch gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG hat.
III.
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, die Abschiebung des Antragstellers rückgängig zu machen und ihm eine Duldungsbescheinigung gemäß § 60a Abs. 4 AufenthG auszustellen.
Das Gericht gehe von falschen Tatsachen aus. Die Vaterschaft des Antragstellers sei bereits durch die Geburtsurkunde für das am 6. Juni 2012 geborene Kind nachgewiesen. Die Familie habe bis zur Abschiebung des Antragstellers am 25. März 2019 in familiärer Lebensgemeinschaft gelebt. Die Führung der familiären Lebensgemeinschaft in Nigeria sei der Ehefrau und dem Sohn des Antragstellers nicht zumutbar. Es werde nicht möglich sein, sich in Nigeria eine Existenzgrundlage zu schaffen. Für den Sohn sei der Antragsteller eine zentrale Bezugsperson, eine Trennung von ihm sei kindeswohlgefährdend. Auch die Führung einer familiären Lebensgemeinschaft in Italien sei de facto nicht möglich. Nach dem gescheiterten Abschiebungsversuch am 26. Februar 2019 habe der Antragsteller eine psychische Krise erlitten und sei daher am 7. März 2019 in das I.-A.-Klinikum aufgenommen worden, wo er bis 22. März 2019 stationär psychiatrisch behandelt worden sei.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Das Vorbringen im Beschwerdeschriftsatz decke sich weitgehend mit dem erstinstanzlichen Vortrag des Antragstellers aus dem zweiten Eilverfahren (M 12 E 19.1413), in dem der Antragsteller die vorläufige Aussetzung seiner für den 25. März 2019 geplanten und schließlich vollzogen Abschiebung nach Nigeria habe erreichen wollen. Das Verwaltungsgericht München habe diesen Antrag nach § 123 VwGO mit Beschluss vom 25 . März 2019 abgelehnt. Dementsprechend stehe dem Antragsteller kein Recht auf Rückgängigmachung der vollzogenen Abschiebung aus dem allgemeinen Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch zu. Die Ehefrau werde am 8. Juni 2019 freiwillig nach Italien ausreisen. Angesichts des Beschlusses vom 25. März 2019 bestünden bereits Zweifel am Rechtsschutzbedürfnis der vorliegenden Beschwerde. Schließlich werde noch darauf hingewiesen, dass die vorgelegte italienische Geburtsbescheinigung vom 19. Januar 2015 bereits nach ihrem Inhalt nicht zur Vorlage bei Organen der öffentlichen Verwaltung genutzt werden könne.
Ergänzend wird auf die Gerichtsakten, auch in den Verfahren M 12 E 19.892 und M 12 E 19.1413, verwiesen.
II.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 26. Februar 2019 ist unzulässig und daher zu verwerfen. Zwar wurde die Beschwerde innerhalb der Beschwerdefrist des § 147 Abs. 1 VwGO beim Verwaltungsgericht eingelegt. Der vollständige, d.h. mit Gründen versehene, Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 26. Februar 2019 wurde der Bevollmächtigten des Antragstellers ausweislich des Empfangsbekenntnisses erst am 12. März 2019 zugestellt, so dass die Beschwerde am 26. März 2019 fristgerecht beim Verwaltungsgericht eingelegt wurde (§ 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO sowie § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB). Mit der Zustellung des Entscheidungstenors per Telefax am 26. Februar 2019 hat die Beschwerdefrist noch nicht zu laufen begonnen (Kaufmann in BeckOK, VwGO, Stand 1.1.2019, § 147 Rn. 4). Es fehlt jedoch am Rechtsschutzbedürfnis für die erst am 26. März 2019 nach dem Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 25. März 2019 und der am selben Tag vollzogenen Abschiebung des Antragstellers nach Nigeria eingelegte Beschwerde.
Dies ergibt sich aus folgendem:
Der Antragsteller hat nach dem mit der Beschwerde angegriffenen Beschluss vom 26. Februar 2019 einen weiteren Antrag auf „vorläufige Aussetzung der Abschiebung“ nach § 123 VwGO gestellt, den er – wie schon den Antrag, der zum Beschluss vom 25. Februar 2019 geführt hat – mit dem Bestehen einer familiären Lebensgemeinschaft mit seinem Sohn und seiner Ehefrau begründet hat. Zudem hat er erstmals eine posttraumatische Belastungsstörung und eine Selbstmordgefährdung als weitere Abschiebungshindernisse geltend gemacht. Diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 25. März 2019 abgelehnt und in der Sache zu den vorgebrachten Abschiebungshindernissen entschieden. Soweit ersichtlich ist gegen diesen Beschluss bislang keine Beschwerde eingelegt worden.
Stellt ein Antragsteller nach einer gerichtlichen Entscheidung, die seinen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ablehnt, einen weiteren Antrag (hier am 25.3.2019), so handelt es sich nach überwiegender Auffassung in der Kommentarliteratur (Kuhla in BeckOK, VwGO, Stand 1.7.2018, § 123 Rn. 182; Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand September 2018, § 123 Rn. 175) und in der Rechtsprechung (vgl. OVG RhPf, B.v. 1.7.2015 – 2 B 10498/15.OVG – juris; NdsOVG, B.v. 24.4.2013 – 4 MC 56/13 – juris, jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen) um einen Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO analog auf Abänderung der ursprünglichen Entscheidung (a.A. für die Abänderung einer den Erlass einer einstweiligen Anordnung ablehnenden Entscheidung: Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 123 Rn. 81). Trotz fehlender ausdrücklicher gesetzlicher Regelung ist auch im System der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO angesichts der dringenden praktischen Notwendigkeit hierfür ein Abänderungsverfahren statthaft. Ein derartiger Antrag auf Abänderung der gerichtlichen Entscheidung ist auch nicht ausgeschlossen, wenn der gerichtliche Beschluss – wie hier – noch nicht in formeller Rechtskraft erwachsen ist und eine Änderung der Sachlage auch noch im Beschwerdeverfahren geltend gemacht werden könnte (vgl. Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand September 2018, § 146 Rn. 13c m.w.N.). Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass der Antragsteller sich auf geänderte Umstände berufen kann. Nur wenn der Antragsteller vor Stellung des weiteren Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz am 25. März 2019 gegen den Beschluss vom 26. Februar 2019 bereits Beschwerde eingelegt hätte, wäre ein Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 VwGO unzulässig (Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018; § 123 Rn. 130).
Hat das Gericht über den vom Antragsteller am 25. März 2019 sinngemäß (§ 88 VwGO) gestellten Antrag auf Abänderung der Entscheidung vom 26. Februar 2019 durch Beschluss vom 25. März 2019 über eine Aussetzung der Abschiebung neu entschieden, ist der Beschluss vom 26. Februar 2019 obsolet geworden, weil er durch den Beschluss vom 25. März 2019 ersetzt worden ist. Das Abänderungsverfahren ist ein gegenüber dem vorangegangenen Verfahren neues, selbständiges Verfahren. Im Abänderungsverfahren wird die „Fortdauer“ der im vorangegangenen Verfahren getroffenen Entscheidung geprüft, so dass die Rechtswirkungen (für die Zukunft) nur mehr von der Abänderungsentscheidung ausgehen (Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 80 Rn. 183).
Durch den Beschluss vom 26. Februar 2019 ist der Antragsteller folglich nicht mehr beschwert. Die Aufhebung des Beschlusses in einem Beschwerdeverfahren würde für ihn keine rechtlichen Vorteile bringen, weil der zeitlich und inhaltlich aktuelle Beschluss vom 25. März 2019 weiterhin Bestand hätte. Folglich fehlt ihm für die am 26. März 2019 gegen den Beschluss vom 26. Februar 2019 eingelegte Beschwerde das Rechtsschutzbedürfnis.
Ist die Beschwerde somit bereits unzulässig, kommt es nicht mehr darauf an, ob die erst nach der durchgeführten Abschiebung erhobene Beschwerde mit der Änderung des ursprünglichen Antrags auf Aussetzung der Abschiebung in einen Antrag auf Rückgängigmachung der Abschiebung zulässig ist (zum Meinungsstand: OVG RhPf, B.v. 11.7.2017 – 7 B 11079/17 – juris; B.v. 5.1.2017 – 7 B 11589/16 – juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 28.1.2016 – 10 CE 15.2653 – juris, B.v. 21.6.2007 – 19 ZB 06.3373 -juris; B.v. 18.12.2017 – 19 CE 17.1541 – juris Rn. 9; B.v. 30.7.2018 – 10 CE 18.769 – juris Rn. 15; B.v. 3.3. 2016 – 11 CE 16.219 – juris Rn. 17; OVG NW, B.v. 9.3.2007 – 18 B 2533/06 – juris; B.v. 18.7.2006 – 18 B 1324/06 – juris; OVG LSA, B.v. 6.6.2016 – 2 M 37/16 – juris; B.v. 26.9.2008 – 2 M 188/08 – juris; OVG Bremen, B.v. 19.5.2017 – 1 B 47/17 – juris; SächsOVG, B.v. 14.12.2011 – 3 B 244/11 – juris; OVG Saarl, B.v. 18.10.2005 – 2 W 15/05 – juris, B.v. 24.1.2003 – 9 W 50/02 – juris; Ham OVG, B.v. 6.7.2018 – 3 Bs 97/18 – juris Rn. 20). Auch über die Zulässigkeit des Antrags auf Feststellung, dass ein Duldungsgrund nach § 60a Abs. 2 AufenthG besteht, braucht nicht mehr entschieden zu werden.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 VwGO, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 2, § 39 GKG, wobei für den Feststellungsantrag und für den Antrag auf Folgenbeseitigung jeweils ein Streitwert von 1.250,- Euro festgesetzt wird, da es sich um zwei verschiedene Streitgegenstände handelt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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