Verwaltungsrecht

Beschwerde, Prozesskostenhilfe, Fehlende Erfolgsaussichten, Erneuter Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung, Aufenthaltserlaubnis, Spezialitätenkoch, Visumerfordernis

Aktenzeichen  10 C 21.2212

Datum:
15.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 28447
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 146
VwGO § 166 Abs. 1 S. 1
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
VwGO § 80 Abs. 5
AufentG § 19c
BeschV § 11 Abs. 2
AufenthG § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1
AufenthG § 5 Abs. 2 S. 2

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 25 S 21.3872 2021-08-02 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich mit seiner Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 2. August 2021 (M 25 S 21.3872), soweit dieses darin seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten für den − erneut gestellten − Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage auf Erteilung der ihm versagten Aufenthaltserlaubnis abgelehnt hat.
Im Übrigen wird hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten in dem vorliegenden Verfahren sowie in dem vorangehenden Verfahren 10 CS 21.1957 verwiesen.
II.
1. Die Beschwerde des Antragstellers hat in der Sache keinen Erfolg. Es ist nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht den Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten abgelehnt hat.
a) Voraussetzung für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dies ist der Fall, wenn der vorgetragene Rechtsstandpunkt der um Prozesskostenhilfe nachsuchenden Partei bei summarischer Prüfung wenigstens vertretbar erscheint (vgl. Reichling in Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, 37. Aufl., Stand: 1.7.2020, § 114 Rn. 28 m.w.N.). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Bewilligungsreife, der gegeben ist, sobald die vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen vorliegen und die Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme angehört worden ist (vgl. BayVGH, B.v. 27.5.2019 – 10 C 19.315 – juris Rn. 6 m.w.N.).
b) Gemessen daran ist der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen.
aa) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Senats ist der 19. Juli 2021, da an diesem Tag die für die beabsichtigte Rechtsverfolgung abgegebene Erklärung des Antragstellers über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei dem Verwaltungsgericht eingegangen ist (vgl. VG München, Gerichtsakte M S 21.3872, Bl. 1) und sich dort bereits die von der Antragsgegnerin anlässlich des vorangehenden Verfahrens eingereichten Behördenunterlagen befanden.
bb) Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
(1) Der Senat verweist hierbei zur Vermeidung von Wiederholungen nach § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die Gründe des angegriffenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts (vgl. BA S. 4 f.) sowie auf seinen Beschluss vom 25. August 2021 (vgl. BA S. 6 f.).
(2) Darüber hinaus gilt ergänzend Folgendes:
(a) Beschlüsse nach § 80 Abs. 5 VwGO entscheiden bindend über einen vorläufigen Zustand und sind daher der − materiellen − Rechtskraft fähig. Allerdings unterliegen sie aus der Perspektive der Beteiligten unter den Voraussetzungen des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO einer erleichterten Abänderbarkeit. § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO bestimmt, dass ein Beteiligter dann einen Anspruch auf Abänderung einer Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts hat, wenn er einen entsprechenden Antrag auf Abänderung stellt und veränderte oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachte Umstände vorliegen, die zudem entscheidungserheblich sind. Im Übrigen und bis zu einer entsprechenden Abänderung entfaltet die Entscheidung des Verwaltungsgerichts für die Beteiligten (materielle) Bindungswirkung. Der Antragsteller kann daher bei einer vorangehenden ablehnenden Entscheidung seinen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht zulässigerweise beliebig wiederholen (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 121 Rn. 6 m.w.N.). Aus genannten Gründen ist der erneute Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO unzulässig.
(b) Der erneute Eilantrag des rechtsanwaltlich vertretenen Antragstellers kann − wegen der nicht eingetretenen Fiktionswirkung − nicht als Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO ausgelegt werden, da, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat (vgl. BA S. 4), in einem solchen Fall allein der Eilantrag nach § 123 VwGO statthaft ist.
(c) Der erneute Eilantrag des Antragstellers kann auch nicht als Antrag nach § 123 VwGO ausgelegt werden. Dem steht entgegen, dass der rechtsanwaltlich vertretene Antragsteller − trotz des vorangehenden Beschlusses des Verwaltungsgerichts und der dort angeführten einschlägigen Erwägungen – einen solchen erneut nicht gestellt hat.
(d) Abgesehen davon kommt auch mangels eines zu sichernden Anspruchs die Erteilung einer − lediglich ausnahmsweise möglichen (vgl. BayVGH, B.v. 24.6.2021 – 10 CE 21.748 u.a. – juris Rn. 51 m.w.N.) − Verfahrensduldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht in Betracht.
Die hierfür erforderlichen Voraussetzungen, dass zweifelsfrei ein Anspruch auf Erteilung des Aufenthaltstitels besteht oder der Erlass der einstweiligen Anordnung auf ermessensfehlerfreie Ermessensausübung geboten ist oder dass keine tragfähigen Ermessensgesichtspunkte ersichtlich sind, die eine Ablehnung rechtfertigen könnten (vgl. VGH BW, B.v. 2.3.2021 – VGH 11 S 120/21 − BeckRS 2021, 4045 Rn. 16), sind bei summarischer Prüfung nicht erfüllt. Der Antragsteller ist, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat (vgl. BA S. 4), entgegen § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist.
Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 19c AufenthG in Verbindung mit § 11 Abs. 2 BeschV ohne vorherige Ausreise des Antragstellers steht entgegen, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung das zuvor erteilte Visum wegen Ablaufs der Gültigkeitsdauer nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG bereits erloschen war und der Antragsteller die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht vom Inland aus beantragen kann. Eine Aufenthaltserlaubnis kann grundsätzlich auch dann nicht vom Inland aus beantragt werden, wenn der Ausländer zwar ursprünglich mit dem dafür erforderlichen Visum eingereist ist, dieses aber zum Zeitpunkt des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bereits erloschen war. Aus § 99 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in Verbindung mit § 39 Satz 1 Nr. 1 AufenthV folgt, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis einen zum Zeitpunkt der Antragstellung gültigen Aufenthaltstitel voraussetzt (vgl. § 99 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG: „zu bestimmen, dass der Aufenthaltstitel … nach der Einreise eingeholt werden kann“ u. § 39 Satz 1 Nr. 1 AufenthV: „besitzt“, vgl. BayVGH, B.v. 18.9.2020 − 10 CE 20.1914 u.a. − juris Rn. 31), wenn nicht eine Ausnahmeregelung die Antragstellung im Inland zulässt. Für letzteres ist hier nichts ersichtlich.
Aus dem Vorbringen des Antragstellers geht zudem nicht hervor, dass aus den Gründen des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zwingend davon abzusehen sein könnte, das Visumverfahren erneut zu durchlaufen. Die Ausnahme eines Rechtsanspruchs gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG liegt nicht vor, weil der geltend gemachte Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 19c AufenthG in Verbindung mit § 11 Abs. 2 BeschV in das pflichtgemäße Ermessen der Ausländerbehörde gestellt ist („kann“). Eine Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG kommt bei summarischer Prüfung ebenfalls nicht in Betracht.
Die mit der Durchführung des Visumverfahren typischerweise verbundenen Belastungen sind von dem Betroffenen regelmäßig hinzunehmen. Unzumutbarkeit liegt dann vor, wenn die Durchführung des Visumverfahren zu unverhältnismäßigen Eingriffen in die Grundrechte der Betroffenen, namentlich Art. 6 GG und Art. 8 EMRK, führte (vgl. BVerwG, U.v. 25.6.2019 – 1 C 40.18 − juris Rn. 25). Dafür spricht im vorliegenden Fall auch nach dem Vortrag des Antragstellers im Beschwerdeverfahren jedoch nichts. Dem gleichgestellt ist, wenn die Reise allgemein unmöglich ist oder in Extremfällen nur unter großen Schwierigkeiten möglich ist (vgl. Maor in Kluth/Heusch, BeckOK, Ausländerrecht, AufenthG, 30. Aufl., Stand: 1.7.2021, § 5 Rn. 37.8). Davon ist im vorliegenden Fall ebenfalls nicht auszugehen. Der Antragsteller hat sich zur Ausreise bereit erklärt (vgl. Senatsakte, Bl. 19: „bemüht sich derzeit um einen zeitnahen Ausreisetermin“). Sein Vorbringen zu den Reisevorbereitungen ist vage, unplausibel und unsubstantiiert. Was mit den „derzeitigen Einreisebestimmungen in China“, den „in China gültigen Coronabestimmungen“ oder „veränderten Umständen, die eine Ausreise … möglicherweise nicht gestatten“ gemeint ist, dass und inwiefern es dem Antragsteller unmöglich ist, ihnen gerecht zu werden, und wie sich dies zu dem Zeitrahmen bis zum 30. September 2021 verhält, bleibt gänzlich im Dunkeln, obgleich die zu konkretisierenden Umstände in der Sphäre des Antragstellers liegen.
Selbst wenn die erneute Durchführung des Visumverfahrens unzumutbar wäre, stünde das Absehen hiervon gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG im Ermessen der Antragsgegnerin. Hierbei ist zum Nachteil des Betroffenen zu werten, wenn dieser es fahrlässig versäumt hat, den inländischen Aufenthaltstitel rechtzeitig nach der Einreise mit einem für den vorgesehenen weiteren Aufenthalt richtigen, aber zwischenzeitlich abgelaufenen Visum zu beantragen, da das Aufenthaltsgesetz dem Ausländer allgemein die Vornahme fristgerechter Mitwirkungshandlungen zumutet (vgl. VGH BW, B.v. 2.3.2021 – VGH 11 S 120/21 − BeckRS 2021, 4045; Maor in Kluth/Heusch, BeckOK, Ausländerrecht, AufenthG, 30. Aufl., Stand: 1.7.2021, § 5 Rn. 39 a.E.). So liegt der Fall hier. Es ist nicht erkennbar, dass der Antragsteller die rechtzeitige Einreichung seines Antrags auf Erteilung einer dem Visum entsprechenden Aufenthaltserlaubnis aus ihm oder − ihm zurechenbar − seinem damaligen Arbeitgeber nicht vorzuwerfenden Gründen versäumt haben könnte. Vielmehr geht aus seinen Äußerungen im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren hervor, dass ihm selbst beziehungsweise seinem damaligen Arbeitgeber jedenfalls Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist (vgl. VG München, Gerichtsakte M 25 S 21.2428, Bl. 2 ff. u. BA S. 4).
(e) Im Übrigen steht dem Erlass einer verwaltungsgerichtlichen einstweiligen Anordnung mit dem Inhalt, die Antragsgegnerin zu der Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu verpflichten ist, entgegen, dass der Antragsteller vor der Inanspruchnahme verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes keinen entsprechenden Antrag bei der Behörde gestellt hat und es daher an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis mangelt. Der Senat hat bereits in seinem Beschluss vom 25. August 2021 darauf aufmerksam gemacht, dass ein solcher Antrag bei der Behörde erforderlich ist (vgl. BA S. 6 f.). Dem ist der Antragsteller erst jetzt nachkommen. Der von dem Antragsteller nunmehr nachträglich bei der Behörde gestellte Antrag auf Erteilung einer Duldung war allerdings nicht Gegenstand des Eilverfahrens vor dem Verwaltungsgericht und ist dementsprechend auch nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens vor dem Senat.
Die Motivation des Antragstellers, zur Tilgung seiner Schulden sowie zur Sicherung des Lebensunterhalts seiner Ehefrau in China Geld verdienen zu wollen, begründet kein Abschiebungshindernis im Sinne von § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Mit dem unsubstantiierten Vorbringen im Beschwerdeverfahren zu den Reisevorbereitungen (s.o.) ist ebenfalls kein Abschiebungshindernis gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG im Sinne von § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO und § 294 ZPO hinreichend dargetan und glaubhaft gemacht.
c) Aus genannten Gründen scheidet auch eine Beiordnung der Bevollmächtigten nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 ZPO aus.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Anders als das Prozesskostenhilfeverfahren erster Instanz ist das Beschwerdeverfahren in Prozesskostenhilfesachen kostenpflichtig. Eine Streitwertfestsetzung ist entbehrlich, weil gemäß Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG eine Festgebühr anfällt. Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet.
3. Diese Entscheidung ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.


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