Verwaltungsrecht

Beschwerde, Räumliche Beschränkung, Mitwirkungspflicht

Aktenzeichen  10 CS 21.934

Datum:
4.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 12499
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 146
VwGO § 80 Abs. 5
AufenthG § 61 Abs. 1c S. 2 Var. 4

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 24 S 20.4005 2021-03-11 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,– Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Mit der Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihren vor dem Verwaltungsgericht erfolglosen Eilantrag weiter, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen eine räumliche Beschränkung auf das Gebiet des Landeskreises T* … wiederherzustellen.
Die Antragstellerin ist ihren Angaben im Asylverfahren zufolge nigerianische Staatsangehörige und reiste im Juni 2018 in das Bundesgebiet ein.
Mit Bescheid vom 3. Juli 2019 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) den Asylantrag der Antragstellerin als unzulässig ab (Nr. 1 d. Bescheidstenors), stellte fest, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2), und drohte die Abschiebung nach Nigeria an (Nr. 3). Den Eilantrag der Antragstellerin gerichtet auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der hiergegen erhobenen Klage lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 6. April 2020 ab (Az. M 32 S 19.33064). Der Beschluss des Verwaltungsgerichts wurde der Antragstellerin am 23. April 2020 zugestellt. Die vorgenannte KIage wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 30. Oktober 2020 ab.
Die Regierung von Oberbayern forderte die Antragstellerin erstmals bei der Anhörung am 29. Juni 2018 – nach Belehrung über deren Mitwirkungspflicht – auf, bis zum 30. Juli 2018 vorhandene Identitätsdokumente vorzulegen, andernfalls schriftlich mitzuteilen, warum dies nicht möglich sei. Die Antragstellerin erklärte damit ihr Einverständnis.
Mit Bescheid vom 8. Juni 2020 – gestützt auf § 48 Abs. 1 und 3 Satz 1, § 49 Abs. 2 und § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG – forderte der Antragsgegner die Antragstellerin zudem auf, innerhalb von einem Monat nach Zustellung des Bescheides der Ausländerbehörde den Pass oder einen Passersatz vorzulegen (Nr. 1 a), sollte sie hierüber nicht verfügen, innerhalb derselben Frist die beiliegenden Passersatzantragsformulare vollständig und wahrheitsgemäß auszufüllen, zu unterschreiben und mit vier aktuellen, biometrischen Lichtbildern und gegebenenfalls vorhandenen Identitätsnachweisen der Ausländerbehörde zu übergeben (Nr. 1 b) sowie, sollte der Heimatstaat die persönliche Vorsprache zur Klärung der Identität verlangen, bei der zuständigen Auslandsvertretung von Nigeria einen Pass oder Passersatz zu beantragen und zu diesem Zweck an einem vom Antragsgegner bestimmten Termin dort vorzusprechen (Nr. 1 c). Der Antragsgegner erklärte die in Nrn. 1 a) bis b) getroffenen Regelungen für sofort vollziehbar (Nr. 2) und drohte für den Fall, dass die Antragstellerin die Verpflichtung zu einer erforderlichen persönlichen Vorsprache nach Nr. 1 c) nicht erfüllen sollte, die zwangsweise Vorführung bei einer Auslandsvertretung der Republik Nigeria an, oder, falls die Vertretung dieses Staates in Bayern oder anderen Ländern Außentermine abhalten sollte, die zwangsweise Vorführung am Ort des Außentermins. Den Aufforderungen kam die Antragstellerin nicht nach, woraufhin der Antragsgegner ein Passersatzpapierbeschaffungsverfahren von Amts wegen in die Wege leitete.
Mit streitbefangenem Bescheid vom 19. August 2020 hat der Antragsgegner den Aufenthalt der Antragstellerin räumlich auf das Gebiet des Landkreises T* … beschränkt und die sofortige Vollziehung der räumlichen Beschränkung angeordnet.
Mit Schriftsatz vom 28. August 2020 hat die Antragstellerin − neben der hiergegen erhobenen Klage – der Sache nach beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die räumliche Beschränkung wiederherzustellen.
Mit angegriffenem Beschluss vom 11. März 2021 hat das Verwaltungsgericht den Eilantrag der Antragstellerin abgelehnt.
Die Antragstellerin beantragt der Sache nach,
unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
1. Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die dargelegten Gründe, auf die der Senat seine Prüfung nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen keine Abänderung des angefochtenen Beschlusses.
a) Die Antragstellerin hat bei summarischer Prüfung aufgrund der dargelegten Gründe keinen Anspruch auf Aufhebung der aufgrund von § 61 Abs. 1c Satz 2 Var. 4 AufenthG erlassenen räumlichen Beschränkung des Aufenthalts.
aa) Die Antragstellerin ist mit der Zustellung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 6. April 2020 (Az. M 32 S 19.33064), mit dem dieses den Eilantrag der Antragstellerin in Bezug auf die von dem Bundesamt erlassene Abschiebungsandrohung ablehnte, gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG in Verbindung mit § 71a Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 AsylG sowie § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, § 36 und § 75 Abs. 1 Satz 1 AsylG in Verbindung mit Nr. 3 des Tenors des Bescheides des Bundesamtes vom 3. Juli 2019, wie es § 61 Abs. 1c Satz 2 Var. 4 AufenthG voraussetzt, vollziehbar ausreisepflichtig geworden.
bb) Der Einwand, der sich gegen das Tatbestandsmerkmal der Nichterfüllung der zumutbaren Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen in § 61 Abs. 1c Satz 2 Var. 4 AufenthG richtet, wonach der Antragsgegner nichts veranlasst habe, um die Identität der Antragstellerin nachzuweisen und entsprechende Dokumente von ihr zu erlangen, beziehungsweise fälschlicherweise vorgetragen habe, dass man irgendwelche Bemühungen von Seiten der Ausländerbehörde entfaltet habe, erschließt sich dem Senat nicht. Das Vorbringen steht im Widerspruch zu dem Sachverhalt, wie er sich aus den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts beruhend auf den Behördenakten ergibt (s.o. u. vgl. BA S. 3 sowie Behördenakte, Bl. 134), ohne dass die Antragstellerseite sich damit auseinandergesetzt, geschweige denn die Widersprüche aufgelöst hätte.
cc) Unsubstantiiert ist auch der Einwand der Antragstellerin, die räumliche Beschränkung sei ungeeignet, das von der Antragsgegnerin verfolgte Ziel zu befördern, dass sich nämlich die Antragstellerin um einen Pass bemühe beziehungsweise Dokumente über ihre Identität vorlege, weil sie hiergegen verstoßen würde, wenn sie sich zur nigerianischen Botschaft begäbe.
Die Antragstellerin blendet aus, dass das Verwaltungsgericht ausdrücklich auf die Möglichkeit des Antragsgegners abgestellt hat, der Antragstellerin zu diesem Zweck eine Verlassenserlaubnis zu erteilen (vgl. BA S. 10), worauf dieser im Zulassungsverfahren erneut hingewiesen hat. Des Weiteren ignoriert die Antragstellerin, dass das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang die vom Gesetzgeber angeführten Zwecke der räumlichen Beschränkung herangezogen hat (vgl. BA S. 7 unter Verweis auf: BT-Drs. 18/11546, S. 22: „ggf. sicherzustellen, dass sie für etwaige erforderliche Mitwirkungshandlungen leichter erreichbar sind und um ein mögliches Untertauchen zu erschweren“ u. BA S. 10: „nicht ersichtlich, dass die räumliche Beschränkung ihren Zweck, die Antragstellerin näher an die Ausländerbehörde zu binden und ein Untertauchen zu erschweren … verfehlen würde“). Ein Mittel ist bereits dann im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als geeignet anzusehen, wenn es den gewünschten Erfolg fördert. Zu alledem verhält sich die Zulassungsschrift nicht.
dd) Nicht durchdringen kann die Antragstellerin des Weiteren mit dem Einwand, die räumliche Beschränkung sei unverhältnismäßig, weil der Antragsgegner sie, die zu jeder Mitwirkung in passiver Form bereit sei, der nigerianischen Botschaft vorführen könnte beziehungsweise sie seit Monaten, nämlich seit Erlass des Bescheides, hätte vorführen können, wobei eine Vorsprache dort ohne entsprechende Dokumente, insbesondere Geburtsurkunde, ohnehin sinnlos sei.
Erstens setzt sich die Zulassungsschrift auch insoweit nicht mit den von dem Verwaltungsgericht herangezogenen gesetzgeberischen Zwecken der räumlichen Beschränkung auseinander (s.o.). Zweitens verhält sie sich nicht zu dem Umstand, dass der Gesetzgeber das Instrument der räumlichen Beschränkung parallel zu dem Instrumentarium des § 84 Abs. 4 AufenthG samt der darin geregelten Verwaltungsvollstreckung sowie noch dazu als Sollvorschrift ausgestaltet hat. Drittens handelt es sich bei der von Antragstellerseite als milderes Mittel postulierten behördlichen Vorführung um das Zwangsvollstreckungsmittel des unmittelbaren Zwangs, mit dem die unvertretbare Handlung der Vorsprache bei der Auslandsvertretung durchgesetzt werden soll. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Zwangsmittel des unmittelbaren Zwangs unter den Instrumenten staatlichen Handelns grundsätzlich nur als ultima ratio anwendbar ist (vgl. Art. 34 Satz 1 VwZVG). Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beanspruchte im Übrigen auch Geltung, wenn die Antragstellerin eine begleitete Vorspracheanordnung gemeint haben sollte (vgl. BVerwG, U.v. 8.5.2014 – 1 C 3/13 – juris Rn. 23 f.). Zu alldem ist der Zulassungsschrift nichts an Ausführungen zu entnehmen. Viertens basiert der geltend gemachte Einwand auf einer Fehlvorstellung der von dem Antragsgegner im konkreten Fall auch − im Wege von Hinweisen und Anstößen − aktualisierten Mitwirkungspflicht der Antragstellerin, die sich nicht in passivem Hinnehmen und Dulden erschöpft, sondern eine aktive Mitwirkungs- und Initiativpflicht ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine ausländische Person, die es unterlässt, an der Passbeschaffung mitzuwirken, im Ergebnis eine Aufenthaltsbeendigung genauso behindert wie durch Tun in Form von Falschangaben oder Täuschungshandlungen über die eigene Identität (vgl. BayVGH, B.v. 7.5.2018 – 10 CE 18.464 – juris Rn. 11 m.w.N.). Fünftens fehlt es auch an Ausführungen zu der gleichartigen Wirksamkeit der behördlichen Vorführung beziehungsweise der begleiteten Vorspracheanordnung, die entweder in der Auslandsvertretung stattfindet, oder, falls die Auslandsvertretung einen Außentermin abhält, am Ort des Außentermins (s.o.), mit der Folge, dass die Ausländerbehörde sie mit der Auslandsvertretung abstimmen muss. Letztendlich ist das Vorbringen der Antragstellerin auch in sich widersprüchlich, da sie einerseits die zwangsweise Durchsetzung einer vertretbaren Handlung als milderes Mittel propagiert, diese vertretbare Handlung, die Vorsprache, andererseits gleichzeitig als untauglich darstellt.
ee) An alledem ändert auch die mit Schriftsatz des Bevollmächtigten der Antragstellerin vom 3. Mai 2021 nachträglich übersandte Mitteilung nichts, dass die Antragstellerin mittlerweile eine Geburtsurkunde vorgelegt habe. Die Antragstellerin hat gegenwärtig nicht alle Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung des Ausreisehindernisses erfüllt, wie sie sich insbesondere aus dem Bescheid vom 8. Juni 2020 ergeben (s.o.). Dass ihr dies nicht möglich und zumutbar ist, ist angesichts aller Umstände weder substantiiert dargetan noch anderweitig ersichtlich.
ff) Ins Leere geht schließlich der pauschale Verweis der Antragstellerin auf ihren Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren. Das erstinstanzliche Vorbringen scheint im Wesentlichen identisch zu sein mit dem Zulassungsvorbringen (vgl. BA S. 4), so dass die vorstehenden Erwägungen entsprechend gelten (s.o.). Abgesehen davon ist es nicht Aufgabe des Senats, aufgrund pauschaler Bezugnahmen auf Entscheidungs- und Aktenbestandteile in anderen Verfahren die dort enthaltenen, gegebenenfalls für das Beschwerdeverfahren relevanten Teile herauszufiltern und in eine konkrete Beziehung zu den tragenden Gründen der angegriffenen Entscheidung zu setzen (vgl. HessVGH, B.v. 24.3.2016 – 28 A 2764/15.D – juris Rn. 26).
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
4. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.


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