Verwaltungsrecht

Bestandskräftige Nutzungsuntersagung, Zwangsgeldandrohung, Erforderlichkeit einer Duldungsanordnung (verneint), Angemessene Erfüllungsfrist

Aktenzeichen  1 CS 21.31

Datum:
23.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 9403
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwZVG Art. 19 Abs. 1, 36 Abs. 1 S. 2
BayVwVfG Art. 44 Abs. 1

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 11 S 20.4129 2020-12-10 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.250 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen eine Zwangsgeldandrohung, die zur Durchsetzung einer Nutzungsuntersagung für eine neu errichtete Doppelhaushälfte erlassen wurde.
Die Antragstellerin erwarb von einem Bauträger eine zu errichtende Doppelhaushälfte auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung K …
Das Landratsamt untersagte nach Fertigstellung des Vorhabens gegenüber dem Bauträger als damaligen Eigentümer mit bestandskräftigem Bescheid vom 4. Juni 2020 unter Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit die Nutzung der Doppelhaushälfte. Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, dass das Wohngebäude entgegen den im Genehmigungsfreistellungsverfahren eingereichten Planunterlagen teilweise außerhalb des Bauraumes errichtet und die zulässige Grundflächenzahl deutlich überschritten worden sei. Die Antragstellerin als Auflassungsvormerkungsberechtigte wurde ebenfalls unter Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit zur Duldung der Nutzungsuntersagung verpflichtet. Die Übergabe der Doppelhaushälfte auf die Antragstellerin erfolgte in der Woche vom 8. Juni 2020, die Eigentumsumschreibung im Grundbuch am 29. Juni 2020. Im Zuge einer Ortsbesichtigung stellte der Antragsgegner fest, dass die Dachgeschosswohnung der Doppelhaushälfte von Herrn E. bewohnt wird.
Mit Bescheid vom 6. August 2020 drohte das Landratsamt der Antragstellerin ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000 EUR an, falls sie die mit Bescheid vom 4. Juni 2020 ausgesprochene Nutzungsuntersagung nicht innerhalb von vier Wochen ab Zustellung beachte. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die gegenüber dem Bauträger ausgesprochene bestandskräftige Nutzungsuntersagung gegen die Antragstellerin als Rechtsnachfolgerin wirke. Der Nutzungsuntersagung werde nicht Folge geleistet, da die Wohnung im Dachgeschoss der Doppelhaushälfte zu Wohnzwecken genutzt werde.
Hiergegen hat die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht Klage erhoben (M 11 K 20.4128), über die bislang nicht entschieden wurde. Den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat das Verwaltungsgericht abgelehnt. Die Erfolgsaussichten der Klage seien offen. Es lasse sich nicht abschließend beurteilen, ob eine Duldungsanordnung gegen den Mieter der Antragstellerin erforderlich sei und deshalb ein Vollstreckungshindernis bestehe. Die Antragstellerin habe bislang weder im behördlichen noch im gerichtlichen Verfahren substantiiert vorgetragen, dass sie mit dem derzeitigen Mieter wegen einer Räumung der Wohnung Kontakt aufgenommen habe. Die Interessensabwägung falle unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Wertung des Art. 21a VwZVG zu Lasten der Antragstellerin aus.
Mit der Beschwerde macht die Antragstellerin geltend, dass die Nutzungsuntersagung als zu vollstreckender Grundverwaltungsakt nichtig sei. Jedenfalls aber stünden ihrer zwangsweisen Durchsetzung unüberwindbare Vollstreckungshindernisse entgegen, insbesondere sei gegenüber dem Mieter keine Duldungsanordnung ergangen. Die Sach- und Rechtslage habe sich zudem geändert, da zwischenzeitlich ein Bauantrag gestellt worden sei. Zudem sei die Erfüllungsfrist von vier Wochen nicht angemessen. Der Zwangsgeldandrohung fehle es an einer hinreichenden Bestimmtheit und sie verstoße gegen das Gebot der Gleichbehandlung.
Der Antragsgegner trat der Beschwerde entgegen.
Ergänzend wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) rechtfertigen keine Änderung oder Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist aufgrund der während des anhängigen Beschwerdeverfahrens erfolgten Zahlung des Zwangsgelds nicht das Rechtsschutzbedürfnis entfallen. Denn der gesetzlich angeordnete Sofortvollzug nach Art. 21a VwZVG stellt für den Antragsgegner den Rechtsgrund für das vorläufige Behaltendürfen der Zahlung dar, so dass die begehrte Anordnung nicht ohne Wirkung bleiben würde.
Die Klage der Antragstellerin wird im Hauptsacheverfahren nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung voraussichtlich erfolglos bleiben, so dass das Interesse an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegenüber dem Vollzugsinteresse bei der angefochtenen Zwangsgeldandrohung nachrangig ist.
1. Die isolierte Zwangsgeldandrohung zur Durchsetzung der bestandskräftigen Nutzungsuntersagung ist nach Art. 31, 36 VwZVG voraussichtlich rechtmäßig, insbesondere fehlt es nicht an einem wirksamen Grundverwaltungsakt im Sinn des Art. 19 Abs. 1 VwZVG und damit an einem Vollstreckungstitel (vgl. BVerwG, U.v. 16.12.2004 – 1 C 30.03 – BVerwGE 122, 293; BayVGH, B.v. 4.7.2012 – 22 ZB 12.204 – juris Rn. 12), da die Nutzungsuntersagung entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht nichtig ist.
Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist (Art. 44 Abs. 1 BayVwVfG). Die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts ist stets als besondere Ausnahme von dem Grundsatz anzusehen, dass ein Akt der staatlichen Gewalt die Vermutung seiner Gültigkeit in sich trägt und vom Bürger nur auf dem Rechtsweg beseitigt werden kann. Der dem Verwaltungsakt anhaftende Fehler muss diesen schlechterdings unerträglich, d.h. mit tragenden Verfassungsprinzipien oder der Rechtsordnung immanenten wesentlichen Wertvorstellungen unvereinbar erscheinen lassen. Der schwerwiegende Fehler muss darüber hinaus für einen verständigen Bürger offensichtlich sein. Die Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes ist daher nur dann anzunehmen, wenn die an eine ordnungsmäßige Verwaltung zu stellenden Anforderungen in so erheblichem Maße verletzt werden, dass von niemandem erwartet werden kann, den Verwaltungsakt als verbindlich anzuerkennen (vgl. BVerwG, B. v. 11.5.2000 – 11 B 26.00 – NVwZ 2000, 1039; U.v. 26.9.1991 – 4 C 36.88 – DVBl 1992, 568; BayVGH, B.v. 21.8.2017 – 1 ZB 17.926 – juris 6). Selbst ein Verwaltungsakt, der einer gesetzlichen Grundlage entbehrt oder gegen eine wichtige Rechtsbestimmung verstößt, ist nicht allein schon aus diesem Grund nichtig (BayVGH, U.v. 27.3.2012 – 8 B 12.112 – BayVBl 2013, 342).
Hieran gemessen zeigt das Beschwerdevorbringen keine entsprechenden Rechtsfehler im vorgenannten Sinn auf. Die angeführten Gründe betreffen die Rechtmäßigkeit des Grundverwaltungsakts, nicht hingegen dessen Wirksamkeit. Eine Nichtigkeit der Nutzungsuntersagung wird lediglich behauptet, ohne dies anhand der erforderlichen Kriterien darzulegen. Auch kann sich die Nichtigkeit der Nutzungsuntersagung nicht aus der behaupteten Nichtigkeit der Duldungsanordnung gegenüber der Antragstellerin ergeben, da es sich hier um zwei selbständige Verfügungen handelt.
2. Der Vollstreckung stehen voraussichtlich keine Vollstreckungshindernisse entgegen.
Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit einer Zwangsgeldandrohung ist es u.a. auch, dass der durch den zugrundeliegenden Verwaltungsakt als Störer Verpflichtete in der Lage ist, die ihm auferlegten Pflichten innerhalb der ihm gesetzten Frist nach Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG zu erfüllen. Muss ein zu bauordnungsrechtlichen Maßnahmen herangezogener Verantwortlicher zur Erfüllung seiner Verpflichtungen in Rechte Dritter eingreifen und ist der Dritte nicht bereit, den Eingriff in seine Rechte zu dulden, so besteht ein Vollzugshindernis. Es bedarf dann einer Duldungsanordnung gegenüber dem Dritten zur Durchsetzung des bauordnungsrechtlichen Vollzugs (vgl. BayVGH, B.v. 26.2.2021 – 1 ZB 21.59 – juris Rn. 5; B.v. 6.11.2020 – 15 C 20.2229 – juris Rn. 33; B.v. 18.9.2017 – 15 CS 17.1675 – juris Rn. 32). Eine Duldungsanordnung ist aber nicht notwendig, wenn weder dargetan noch ersichtlich ist, dass ein Berechtigter sich dem Vollzug der Anordnung entgegenstellen wird (vgl. BayVGH, B.v. 14.8.2003 – 22 ZB 03.1661 – juris Rn. 27; B.v. 11.7.2001 – 1 ZB 01.1255 – BayVBl 2002, 275; Decker in Busse/Kraus, BayBO, Stand Februar 2021, Art. 76 Rn. 414).
2.1 Auch mit der Beschwerdebegründung werden keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass der Mieter nicht bereit ist, den Eingriff in seine Rechte zu dulden. Es obliegt der Antragstellerin, das Vorliegen eines Vollstreckungshindernisses darzulegen. Die umfangreiche Beschwerdebegründung verhält sich hierzu nicht, insbesondere hat sie nicht dargetan, dass der Mieter nicht bereit ist, freiwillig auszuziehen bzw. dass er einer Kündigung widersprochen hat. Das Landratsamt hat den Mieter mit Schreiben vom 6. August 2020 angehört. Eine inhaltliche Äußerung des Mieters ist nicht erfolgt, so dass sich für das Landratsamt die Notwendigkeit einer Duldungsanordnung nicht aufdrängen musste.
2.2 Soweit sich die Antragstellerin darauf bezieht, dass zwischenzeitlich ein Bauantrag gestellt und daher eine nachträgliche Veränderung der Sach- und Rechtslage eingetreten sei, betrifft dies Einwendungen gegen den zu vollstreckenden Anspruch, die ggf. in einem gesonderten Verwaltungsverfahren gemäß Art. 21 VwZVG geltend zu machen sind (vgl. BayVerfGH, Entscheidung vom 24.1.2007 – Vf. 50-VI-05 – juris Rn. 46; BayVGH, B.v. 19.2.2021 – 1 ZB 20.2691 – juris Rn. 4; B.v. 27.11.2018 – 1 ZB 17.1070 – juris Rn. 4). Ein Betroffener hat jedoch erst dann einen Anspruch auf Aufhebung einer solchen Anordnung bzw. hier auf Außervollzugsetzung der Zwangsgeldandrohung, wenn sich die Sach- und Rechtslage tatsächlich mit dem Ergebnis geändert hat, dass das Vorhaben rechtmäßig geworden ist. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit rechtfertigt nicht die gerichtliche Aufhebung einer von der Behörde rechtmäßig erlassenen Anordnung, wenn eine positive Rechtsänderung lediglich nicht auszuschließen ist (vgl. BVerwG, U.v. 6.12.1985 – 4 C 23.83 u.a. – BauR 1986, 195; BayVGH, B.v. 5.11.2020 – 1 ZB 20.598 – juris Rn. 8). So liegt der Fall hier. Eine Genehmigung der abweichend vom Bebauungsplan errichteten Doppelhaushälfte ist nach wie vor nicht erfolgt.
2.3 Die Erfüllungsfrist von vier Wochen nach Zustellung der Zwangsgeldandrohung begegnet ebenfalls keinen durchgreifenden Bedenken.
Nach Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG ist für die Erfüllung der Verpflichtung eine Frist zu bestimmen, innerhalb derer dem Pflichtigen der Vollzug billigerweise zugemutet werden kann. Dass die Antragstellerin nicht in der Lage gewesen ist, ihrer aus der bestandskräftigen Nutzungsuntersagung ergebenden Verpflichtung innerhalb dieser Frist nachzukommen, zeigt das Beschwerdevorbringen nicht auf. Eine längere Fristsetzung war auch nicht im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG geboten. Die Antragstellerin hatte ausreichend Zeit, um vorläufigen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, insbesondere folgt aus Art. 19 Abs. 4 GG keine Verpflichtung, die Erfüllungsfrist so zu bemessen, dass eine Klagefrist vollumfänglich ausgeschöpft werden kann. Einem effektiven Rechtsschutz wird regelmäßig – wie auch hier – dadurch Rechnung getragen, dass der Antragsgegner vor einer Entscheidung im erstinstanzlichen Verfahren nicht vollstreckt. Dieses Zugeständnis berücksichtigt die Belastung der Verwaltungsgerichte mit Streitsachen und hat keinen Einfluss auf die Angemessenheit der Erfüllungsfrist.
3. Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist die Zwangsgeldandrohung hinsichtlich der zu erfüllenden Pflicht hinreichend bestimmt. Die Zwangsandrohung nimmt Bezug auf die gegenüber der Rechtsvorgängerin erfolgte Nutzungsuntersagung vom 4. Juni 2020. Sowohl aus dieser Bezugnahme als auch aus der Begründung zur Zwangsgeldandrohung ergibt sich unzweifelhaft das von der Antragstellerin geforderte Verhalten. Soweit sich die Antragstellerin für einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz auf die Ausführungen zur Nichtigkeit der Nutzungsuntersagung bezieht, verkennt sie die Selbständigkeit des Vollstreckungsverfahrens.
4. Im Übrigen würde auch bei Annahme offener Erfolgsaussichten der Hauptsache nach der gesetzgeberischen Wertung des Art. 21a VwZVG das öffentliche Vollzugsinteresse das monetäre Interesse der Antragstellerin überwiegen, zumal sie in Kenntnis von im Raum stehenden bauaufsichtlichen Maßnahmen einen Mietvertrag abgeschlossen und trotz für sofort vollziehbar erklärter Nutzungsuntersagung bzw. Duldungsanordnung die Mietsache übergeben hat.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5, 1.7.1. Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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