Verwaltungsrecht

Bestimmtheit einer lebensmittelrechtlichen Anordnung, Untersagung krankheitsbezogener Aussagen

Aktenzeichen  20 CS 21.3209

Datum:
14.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 5024
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 146
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1
LFGB § 11 Abs. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

Verfahrensgang

W 8 S 21.1419 2021-12-10 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 10. Dezember 2021 wird geändert. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Landratsamtes Würzburg vom 19. März 2021 in der Fassung der Bescheide vom 29. September 2021 und vom 12. November 2021 wird wiederhergestellt.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Die nach § 146 Abs. 1 VwGO zulässig erhobene und nach § 146 Abs. 4 Satz 1 und 2 VwGO fristgerecht begründete Beschwerde ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage zu Unrecht abgelehnt.
I. Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen. Der Verwaltungsgerichtshof hat – unter Zugrundelegung des Beschwerdevorbringens, auf das sich die Prüfung des Senats grundsätzlich beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) – bei seiner Entscheidung eine originäre Interessenabwägung auf der Grundlage der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage darüber zu treffen, ob die Interessen, die für die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung streiten, oder diejenigen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts sprechen, überwiegen. Dabei sind die Erfolgsaussichten der Klage im Hauptsacheverfahren wesentlich zu berücksichtigen, soweit sie bereits überschaubar sind. Nach allgemeiner Meinung besteht an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer voraussichtlich aussichtslosen Klage kein überwiegendes Interesse. Wird dagegen der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein, ist regelmäßig die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen (BayVGH, B.v. 27.3.2019 – 8 CS 18.2398 – ZfB 2019, 202 = juris Rn. 25 m.w.N.).
II. Die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage wird aller Voraussicht nach Erfolg haben. Die von dem Antragsgegner getroffene Verfügung (1.3 Der … GmbH wird untersagt, Aussagen zu dem Produkt „Vitamin D3 Tropfen für G …“ zu treffen, die gegen das Verbot des § 11 Abs. 1 Nr. 2 LFBG und/oder des Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 verstoßen (s. im Einzelnen Feststellungen im Gutachten)) dürfte rechtswidrig sein und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzen. Die Anordnung erweist sich voraussichtlich als rechtswidrig, weil sie inhaltlich nicht hinreichend bestimmt ist (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG). Sie erschöpft sich sinngemäß in einer Wiederholung des Normtextes. Dies genügt nicht, denn es ist unter Zugrundelegung eines die Behörde und die Antragstellerin umgreifenden gemeinsamen Verständnishorizontes der Anordnung durch Auslegung nicht zu entnehmen, welches konkrete Verhalten verhindert werden soll oder von der Antragstellerin erwartet wird. Die Konkretisierung dessen, was geboten ist, muss bereits im anordnenden Verwaltungsakt erfolgen und darf nicht der Vollstreckung überlassen bleiben. Im Vollstreckungsverfahren tritt dann nur noch die Feststellung hinzu, dass das Verhalten des Adressaten in tatsächlicher Hinsicht der konkreten Anordnung des Verwaltungsaktes nicht entspricht. (BVerwG U.v. 2.12.1993 – 3 C 42.92 – BVerwGE 94, 341). Die Erkennbarkeit des geforderten Verhaltens setzt voraus, dass der Inhalt des Verwaltungsakts, insbesondere der verfügende Teil, aus sich heraus verständlich ist und keine mehrdeutige Auslegung mehr zulässt. Es muss klar sein, von wem was und wann verlangt wird (Schoch/Schneider, § 37 VwVfG Rn. 36). Nicht zulässig ist insbesondere ein pauschaler Verweis auf Gutachten (OVG Münster, U.v. 11.06.1992 – 20 A 2485/89 – NVwZ 1993, 1000). Der Bescheid vom 19. März 2021 wiederholt zwar einige der im Gutachten des LGL aufgezeigten Verstöße. In Ziffer 1.3 des Tenors des Bescheides wird jedoch pauschal auf die Feststellungen des Gutachtens verwiesen, ohne dass diese Feststellungen konkret zum Gegenstand des Bescheides gemacht wurden. Dies genügt den rechtsstaatlichen Bestimmtheitsanforderungen nicht.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte war der Streitwert der Hauptsache nach § 52 Abs. 2 GKG für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren.
Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.


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