Verwaltungsrecht

Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichtes durch das Bundesverwaltungsgericht, Zuständigkeit unterschiedlicher Verwaltungsgerichte, Antrag auf Familienzusammenführung nach der Dublin III-VO, ein Teil der Kläger in Deutschland, der andere Teil in Griechenland aufhältig

Aktenzeichen  AN 17 S 21.50183

Datum:
12.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 30851
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO Nr. 3 S. 2, § 52 Nr. 2 S. 3
VwGO Nr. 5, § 52 Nr. 2 S. 3 i.V.m. Nr. 3 S. 2, 3
VwGO § 53 Abs. 1 Nr. 3
Dublin III-VO
ZPO § 64 VwGO i. V. m. § 62 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

Das Bundesverwaltungsgericht wird angerufen, dass innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit zuständige Gericht zu bestimmen.

Gründe

I.
Die Kläger begehren der Beklagten aufzugeben, sich für die Prüfung der Asylanträge der Kläger zu 2) bis 6) gegenüber der Hellenischen Republik für zuständig zu erklären.
Alle Kläger sind afghanische Staatsangehörige. Hinsichtlich des am … 2005 geborenen Klägers zu 1), der sich seit November 2015 in Deutschland aufhält, wurde mit bestandkräftigem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 26. Oktober 2017 festgestellt, dass diesem ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG zusteht. In der Folge erhielt er eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG. Die Kläger zu 2) und 3) sind Vater und Mutter des Klägers zu 1), die Kläger zu 4) bis 6) sind seine minderjährigen Geschwister. Die Kläger zu 2) bis 6) halten sich in Griechenland auf und stellten dort am 6. November 2019 einen Antrag auf Zuerkennung internationalen Schutzes. Nach einem Übernahmeersuchen der griechischen Behörden stimmte das Bundesamt mit Schriftsatz vom 24. September 2020 gemäß Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO einer Übernahme der Kläger zu 2) bis 6) zu. Nachdem eine Überstellung nach Deutschland in der Folge nicht durchgeführt wurde, beantragten die griechischen Behörden mit Schreiben vom 21. April 2021 erneut die Übernahme der Kläger zu 2) bis 6) nach Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO. Das Bundesamt lehnte dieses erneute Übernahmeersuchen mit Schreiben vom 14. Mai 2021 ab und verwies darauf, dass Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO nur bei besonders gelagerten Fällen anzuwenden sei. Auf das Remonstrationsschreiben der griechischen Behörden vom 4. Juni 2021 hin bekräftigte das Bundesamt mit Schreiben vom 8. Juni 2021 seine bereits erteilte Ablehnung mit Verweis auf den Ablauf der Überstellungsfristen. Nach dem Remonstrationsschreiben und den Übernahmeersuchen vom 21. April 2021 ging der Zustimmung des Bundesamts zum Übernahmeersuchen vom 24. September 2020 bereits eine Zustimmung vom 12. März 2020 (nicht in der Behördenakte enthalten) voraus.
Die Kläger erhoben mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 27. Juli 2021, beim Verwaltungsgericht Ansbach eingegangen am selben Tag, Klage und beantragen,
1. die Beklagte zu verpflichten, sich gegenüber den zuständigen Stellen der Hellenischen Republik Griechenland für die Prüfung der Anträge auf Gewährung internationalen Schutzes der Kläger 2) bis 6) trotz Ablaufens der letzten Überstellungsfrist für zuständig zu erklären und dies den Klägern mitzuteilen,
2. die Beklagte zu verpflichten, der griechischen Dublin-Einheit durch die Liaisonbeamten des Bundesamtes in der Hellenischen Republik oder auf anderem Wege mitzuteilen, dass die Familienangehörigen des Klägers zu 1), die Kläger zu 2 bis 6), in die Bundesrepublik zu überstellen sind.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Kläger teilten auf Nachfrage des Verwaltungsgerichts Ansbach zur örtlichen Zuständigkeit mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 9. August 2021 mit, dass sich aus dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. Juli 2019 (1 AV 2/19) nicht zwingend die Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts Ansbach ergebe. Sollte eine Unzuständigkeit jedoch angenommen werden, werde um Verweisung des Rechtstreites an das Verwaltungsgericht Köln gebeten bzw. hiergegen keine Einwände erhoben.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die schriftlich vorgelegten Behördenakte der Kläger zu 2) bis 6) und die elektronisch vorgelegte Behördenakte zum Asylverfahren des Klägers zu 1) sowie die Gerichtsakte verwiesen.
II.
Die Entscheidung über die Klagen setzt eine Bestimmung des innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit zuständigen Gerichts durch das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO voraus. Gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO ist in Fällen, in denen sich der Gerichtsstand nach § 52 VwGO richtet und verschiedene Gerichte in Betracht kommen, das zuständige Gericht durch das nächsthöhere Gericht zu bestimmen.
1. Der Gerichtsstand bestimmt sich nach § 52 VwGO. Es kommen verschiedene Gerichte in Betracht. Für die Entscheidung der Klage des Klägers zu 1) ist das Verwaltungsgericht Köln örtlich zuständig, für die Entscheidung über die Klagen der Kläger zu 2) bis 6) ist es das Verwaltungsgericht Ansbach.
a) Für die Entscheidung der Klage des Klägers zu 1) ist das Verwaltungsgericht Köln gemäß § 52 Nr. 2 Satz 3, Nr. 3 Satz 2 VwGO örtlich zuständig, weil dieser nach dem rechtskräftigen Abschluss seines Asylverfahrens und Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG seinen Aufenthalt nicht mehr nach dem AsylG zu nehmen hat, sondern in … und damit im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Verwaltungsgerichts Köln wohnt. Der Umstand, dass sein Asylverfahren abgeschlossen ist, nimmt der von ihm begehrten Mitwirkung des Bundesamts bei der Bestimmung des für das Asylbegehren der Kläger zu 2) bis 6) zuständigen Mitgliedstaats nicht den Charakter einer asylrechtlichen Streitigkeit (vgl. BVerwG, B.v. 10.2.2020 – 1 AV 1/20 – juris Rn. 7).
b) Hinsichtlich der Klagen der Kläger zu 2) bis 6) ist das Verwaltungsgericht Ansbach das örtlich zuständige Gericht, § 52 Nr. 2 Satz 3 i.V.m. Nr. 3 Satz 2, 3, Nr. 5 VwGO. Auseinandersetzungen über die Verpflichtung der Beklagten, sich gemäß der Dublin-III-VO gegenüber einem anderen Mitgliedstaat für den Asylantrag eines Ausländers für zuständig zu erklären, sind asylrechtliche Streitigkeiten i.S.v. § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO (hierzu ausführlich: BVerwG, B.v. 10.2.2020 – 1 AV 1/20 – juris Rn. 5, B.v. 2.7.2019 – 1 AV 2.19 – juris Rn. 5 m.w.N.); über eine entsprechende Verpflichtung streiten die Beteiligten hier.
Die für asylrechtliche Streitigkeiten regelmäßige Zuständigkeitsvorschrift des § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbsatz 1 VwGO und auch § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbsatz 2, Nr. 3 Satz 2 VwGO greift nicht, denn die sich in Griechenland aufhaltenden Kläger haben weder i.S.d. § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbsatz 1 VwGO ihren Aufenthalt nach den Vorschriften des Asylgesetzes zu nehmen noch verfügen sie über einen Wohnsitz im Bundesgebiet (§ 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO), weshalb für die örtliche Zuständigkeit nur die Auffangregelung des § 52 Nr. 3 Satz 3, Nr. 5 VwGO in Betracht kommt. Danach ist dasjenige Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Beklagte ihren Sitz hat. Wird der Antrag gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet, ist auf den Sitz der handelnden Behörde abzustellen. Im vorliegenden Fall ist dies das Bundesamt, das seinen Sitz in Nürnberg und mithin nach Art. 1 Abs. 2 Nr. 4 AGVwGO im Bezirk des Verwaltungsgerichts Ansbach hat (zum Ganzen BVerwG, B.v. 2.7.2019 – 1 AV 2/19 – juris Rn. 6).
2. Eine Zuständigkeitsbestimmung ist vorliegend nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO erforderlich, da die Annahme einer notwendigen Streitgenossenschaft gemäß § 64 VwGO i. V. m. § 62 Abs. 1 ZPO nicht fernliegend ist und nach dem Vorstehenden verschiedene Gerichte als zuständiges Gericht in Betracht kommen. (vgl. BVerwG, B. v. 2.7.2019 – 1 AV 2.19 – juris Rn. 9 m.w.N.). Eine „unechte“ notwendige Streitgenossenschaft besteht zwischen mehreren Klägern, wenn sie ihre Begehren zwar auch losgelöst voneinander gerichtlich geltend machen könnten, darüber aber eine identische Sachentscheidung ergehen muss (vgl. Bier/Steinbeiß-Winkelmann in Schoch/Schneider/ Bier, VwGO, 40. EL Februar 2021, § 64 Rn. 16). Dies ist in „Familienzusammenführungs“-Fällen, die nach der Dublin-III-VO zu beurteilen sind, zumindest nicht fernliegend (vgl. BVerwG, B.v. 2.7.2019 – 1 AV 2.19 – juris Rn. 10 ff., B.v. 16.9.2019 – 1 AV 4/19 – juris, B.v. 25.9.2019 – 1 AV 5/19 – juris, B.v. 10.2.2020 – 1 AV 1/20 – juris). Um eine entsprechende „Familienzusammenführung“ geht es den Klägern zu 1) bis 6) im hier zu entscheidenden Fall.
3. Das gegenüber den beiden in Betracht kommenden Verwaltungsgerichten Ansbach und Köln nächsthöhere Gericht ist mangels gemeinsamen Obergerichts das Bundesverwaltungsgericht.
4. Zwar wurden die Beteiligten vor Erlass dieses Beschlusses nicht explizit zur beabsichtigten Anrufung des Bundesverwaltungsgerichts gehört. Die fehlende Gewährung rechtlichen Gehörs für die Beteiligten vor Erlass des Beschlusses ist aber unschädlich, weil das um Zuständigkeitsbestimmung angerufene Gericht rechtliches Gehör gewähren muss (vgl. Ziekow in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 53 Rn. 21).
5. Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.


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