Verwaltungsrecht

Bewertungsfehler in der Ersten Juristischen Staatsprüfung

Aktenzeichen  M 4 K 15.440

Datum:
4.10.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 118256
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LStVG Art. 8
JAPO § 31 Abs. 2
VwGO § 92 Abs. 3 S. 1

 

Leitsatz

1 Geht ein Korrektor in der Ersten Juristischen Staatsprüfung unzutreffend davon aus, dass nach “ganz h.M.” die Klagebefugnis einer Gemeinde im übertragenen Wirkungskreis nicht mit dem Selbstverwaltungsrecht begründet werden könne, liegt hierin ein zur Neubewertung der Klausur führender Bewertungsfehler. (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine erhöhte Begründungspflicht des Zweitkorrektors bei einer Abweichung vom Votum des Erstkorrektors besteht jedenfalls dann nicht, wenn er die Klausur besser bewertet als der Erstkorrektor. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 5. Januar 2015 verpflichtet, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über die Einwendung gegen die Randbemerkung auf Seite 3/II unten neu zu entscheiden.
Hinsichtlich der Einwendungen gegen die Anwendbarkeit des Art. 8 LStVG und bezgl. der erhöhten Begründungspflicht des Zweitkorrektors wird die Klage abgewiesen.
Im Übrigen wird das Verfahren eingestellt.
II. Von den Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin 3/4, der Beklagte 1/4.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene Klage ist insoweit begründet, als die Einwendung gegen die Randbemerkung auf Seite 3/II (unten) hinsichtlich der Klausur Nr. 6 durchgreift. Hinsichtlich der übrigen noch aufrecht erhaltenen Einwendungen gegen die Korrektur dieser Klausur (Anwendbarkeit des Art. 8 LStVG und erhöhte Begründungspflicht des Zweitkorrektors) dringt die Klägerin nicht durch. Soweit die Klage gegen die übrigen ursprünglich vorgebrachten Einwendungen gegen die Korrektur der Klausur 6 zurückgenommen wurde, ist das Verfahren nach § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Hinsichtlich der Einwendungen gegen die Anwendbarkeit des Art 8 LStVG sowie hinsichtlich der erhöhten Begründungspflicht des Zweitkorrektors ist die Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses mit Bescheid vom 5. Januar 2015 rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in eigenen Rechten. Die Klägerin hat insoweit keinen Anspruch auf Neubewertung dieser Klausur und Neuverbescheidung (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 Satz 2 VwGO).
I.
Prüfungsentscheidungen sind nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar.
Nach dem das Prüfungsrecht beherrschenden Grundsatz der Chancengleichheit müssen für vergleichbare Prüflinge so weit wie möglich vergleichbare Prüfungsbedingungen und Bewertungskriterien gelten. Mit diesem Grundsatz wäre es unvereinbar, wenn einzelne Kandidaten, indem sie einen Verwaltungsgerichtsprozess anstrengen, die Chance einer vom Vergleichsrahmen unabhängigen Bewertung erhielten. Die gleichmäßige Beurteilung aller vergleichbaren Kandidaten ist nur erreichbar, wenn den Prüfungsbehörden bei prüfungsspezifischen Wertungen ein Entscheidungsspielraum verbleibt und die gerichtliche Kontrolle insoweit eingeschränkt wird (BVerfG v. 17.4.1991 – 1 BvR 419/81 – BVerfGE 84, 34 [52]).
Dieser prüfungsspezifische Bewertungsspielraum erstreckt sich auch auf die Notenvergabe bei Prüfungen wie der streitgegenständlichen: Die Prüfer müssen bei ihrem wertenden Urteil von Einschätzungen und Erfahrungen ausgehen, die sie im Laufe ihrer Examenspraxis bei vergleichbaren Prüfungen entwickelt haben und allgemein anwenden. Auch die Bestehensgrenze lässt sich nicht starr und ohne den Blick auf durchschnittliche Ergebnisse bestimmen. Daraus folgt, dass die Prüfungsnoten nicht isoliert gesehen werden dürfen, sondern in einem Bezugssystem zu finden sind, dass durch die persönlichen Erfahrungen und Vorstellungen der Prüfer beeinflusst wird. Da sich die komplexen Erwägungen, die einer Prüfungsentscheidung zugrunde liegen, nicht regelhaft erfassen lassen, würde eine gerichtliche Kontrolle zu einer Verzerrung der Maßstäbe führen (BVerfG v. 17.4.1991 – 1 BvR 419/81 – BVerfGE 84, 34 [51 f.]).
Gegenstände des prüfungsspezifischen Beurteilungsspielraumes sind etwa die Punktevergabe und Notengebung, soweit diese nicht mathematisch determiniert sind, die Einordnung des Schwierigkeitsgrades einer Aufgabenstellung, bei Stellung verschiedener Aufgaben deren Gewichtung untereinander, die Würdigung der Qualität der Darstellung, die Gewichtung der Stärken und Schwächen in der Bearbeitung sowie die Gewichtung der Bedeutung eines Mangels (BVerwG v. 12.11.1997 – 6 C 11.96 – BVerwGE 105, 328 [333 f.] = Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 384, m.w.N.; BVerwG v. 13.3.1998 – 6 B 28.98 – juris; BVerwG v. 4.5.1999 – 6 C 13.98 – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 395 = NVwZ 2000, 915 [920]; BVerwG v. 14.7.1999 – 6 C 20.98 – BVerwGE 109, 211 = Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 396). Ebenso handelt es sich um eine den Prüfern vorbehaltene prüfungsspezifische Wertung, ob im Hinblick auf eine entsprechend determinierte Notenstufe bzw. zugeordnete Punktzahl eine Prüfungsleistung als „brauchbar“ zu bewerten ist (BVerwG v. 12.11.1997 – 6 C 11.96 – BVerwGE 105, 328 [334] = Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 384). In diesen Bereich des prüfungsspezifischen Bewertungsspielraumes dürfen die Gerichte grundsätzlich nicht eindringen, sondern haben nur zu überprüfen, ob die Prüfer die objektiven, auch rechtlich beachtlichen Grenzen ihres Bewertungsspielraumes überschritten haben (zusammenfassend: BVerwG v. 13.5.2004 – 6 B 25/04 – NVwZ 2004, 1375 = Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 406).
Der Bewertungsspielraum ist überschritten, wenn die Prüfungsbehörden Verfahrensfehler begehen, anzuwendendes Recht verkennen, von einem unrichtigen Sachverhalt ausgehen, allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe verletzen oder sich von sachfremden Erwägungen leiten lassen. Ein in diesem Sinne allgemeingültiger Bewertungsgrundsatz ist es, dass zutreffende Antworten und brauchbare Lösungen im Prinzip nicht als falsch bewertet werden und zum Nichtbestehen führen dürfen. Soweit die Richtigkeit oder Angemessenheit von Lösungen wegen der Eigenart der Prüfungsfrage nicht eindeutig bestimmbar ist, gebührt zwar dem Prüfer ein Bewertungsspielraum, dem aber ein Antwortspielraum des Prüflings gegenübersteht. Eine vertretbare und mit gewichtigen Argumenten folgerichtig begründete Lösung darf nicht als falsch gewertet werden. Überschritten wird der Beurteilungsspielraum ferner, wenn eine Bewertung auf einer wissenschaftlich-fachlichen Annahme des Prüfers beruht, die einem Fachkundigen als unhaltbar erscheinen muss (BVerfG v. 17.4.1991 – 1 BvR 419/81 – BVerfGE 84, 34 [53 ff.]; zum ganzen ebenso z.B. BVerwG v. 21.10.1993 – 6 C 12.92 – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 320 = BayVBl 1994, 443; BVerwG v. 17.12.1997 – 6 B 55.97 – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 385; zusammenfassend: BVerwG v. 13.5. 2004 – 6 B 25/04 – NVwZ 2004, 1375 = Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 406). Die wissenschaftlich-fachlichen Wertungen können vom Gericht stärker, wenn auch nicht vollständig, überprüft werden. Eine fachliche Antwort lässt sich bei entsprechendem Fachwissen als „richtig“, „falsch“ oder bei bestehenden Unklarheiten zumindest als „vertretbar“ bezeichnen. Ob eine als „falsch“ bewertete Lösung diese Voraussetzungen erfüllt, muss das Gericht gegebenenfalls durch Sachverständige klären. Bei der Beurteilung juristischer Fachfragen, insbesondere bei juristischen Staatsprüfungen, ist allerdings in aller Regel von der erforderlichen Qualifikation und Fachkompetenz der Verwaltungsgerichte auszugehen (BVerwG v. 24.2. 1993 – 6 C 38/92 – NVwZ 1993, 686 = BayVBl 1993, 504 = Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 314; BVerwG v. 21.7.1998 – 6 B 44/98 – NVwZ 1999, 187 = Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 390; VG Berlin v. 19.1. 2005 – 12 A 413.02 – juris).
Das Gericht hat jedoch die zu Grunde liegenden Prüfungsbewertungen nur insoweit zu überprüfen, als vom Prüfling dagegen substantiierte Einwendungen vorgebracht werden. Der Prüfling muss also auf vermeintliche Irrtümer und Rechtsfehler wirkungsvoll hinweisen (BVerfG v. 17.4.1991 – 1 BvR 419/81 – BVerfGE 84, 34 [48]). Dazu genügt es nicht, dass er sich generell gegen eine bestimmte Bewertung seiner Prüfungsleistungen wendet und etwa pauschal eine zu strenge Korrektur bemängelt. Vielmehr muss er konkret darlegen, in welchen Punkten die Korrektur bestimmter Prüfungsleistungen nach seiner Auffassung Bewertungsfehler aufweist, indem er substantiierte Einwände gegen Prüferbemerkungen und -bewertungen erhebt. Macht er geltend, dass etwa eine als falsch bewertete Antwort in Wahrheit vertretbar sei und auch so vertreten werde, so hat er dies unter Hinweis auf entsprechende Fundstellen näher darzulegen (BVerwG v. 24.2. 1993 – 6 C 35/92 – BVerwGE 92, 132).
Ist die vom Prüfling gerügte Bewertung einer Prüfungsaufgabe fehlerhaft und hat dieser Fehler Einfluss auf das Prüfungsergebnis, so führt dies zur Aufhebung des Bescheides über die Prüfungsendnote und zur Verpflichtung der Prüfungsbehörde, das Prüfungsverfahren durch Neubewertung der betreffenden Aufgabe fortzusetzen (BVerwG v. 16.3.1994 – 6 C 5/93 – DVBl 1994, 1356 = Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 329). Können allerdings Auswirkungen dieser materiellen Prüfungsfehler auf das Ergebnis der Prüfungsentscheidung ausgeschlossen werden, so folgt – wie bei unwesentlichen Verfahrensfehlern – aus dem Grundsatz der Chancengleichheit, dass ein Anspruch auf Neubewertung nicht besteht, weil sich die Prüfungsentscheidung im Ergebnis als zutreffend und damit als rechtmäßig darstellt (BVerwG v. 13.3.1998 – 6 B 28/98 – juris).
II.
Unter Anwendung dieser Rechtsgrundsätze ergibt sich für den vorliegenden Fall, dass die Einwendung gegen die Randbemerkung auf Seite 3/II (unten) der Klausur Nr. 6 durchgreift; mit den übrigen Einwendungen gegen die Korrektur der Klausur 6 (Anwendbarkeit des Art. 8 LStVG; erhöhte Begründungspflicht des Zweitkorrektors) dringt die Klägerin hingegen nicht durch.
Die öffentliche Klausur Nr. 6 wurde vom Erstkorrektor mit 3 Punkten und vom Zweitkorrektor mit 4 Punkten bewertet.
1. Der Einwand gegen die Randbemerkung auf Seite 3/II (unten) ist begründet. Ein Bewertungsfehler liegt vor.
Es ist der Erstkorrektorin zuzugestehen, dass die Prüfung des Selbstverwaltungsrechts bei der „Außenwirkung“ eines Verwaltungsaktes nicht geprüft werden muss, da diese im vorliegenden Fall deshalb vorliegt, weil die Maßnahme des staatlichen Landratsamtes in den Rechtskreis einer anderen Gebietskörperschaft, der Gemeinde, hineinwirkt. Eine fachaufsichtliche Weisung ist ihrem objektiven Sinngehalt nach auf Außenwirkung gerichtet und damit ein für die Gemeinde anfechtbarer Verwaltungsakt, wenn ihre Rechtswirkung unter Berücksichtigung des zugrundeliegenden materiellen Rechts nicht im staatlichen Innenbereich verbleibt, sondern auf den rechtlich geschützten Bereich der Gemeinde in Selbstverwaltungsangelegenheiten übergreift und damit Außenwirkung erzeugt (BVerwG, U. v. 14.12.1994 – 11 C 4/94; BayVGH, B. v. 7.4.2000 – 11 ZS 99.2198 und B. v. 21.7.2009 – 11 C 09.712 – jeweils juris) bzw. eine Rechtsverletzung bedingt (VG Regensburg, U. v. 5.7.2000 – RO 9 K 99.627 – juris; VG München, U. v. 26.8.2003 – M 23 K 00.1242, unveröffentlicht). Die Frage des eigenen und übertragenen Wirkungskreises und damit des Selbstverwaltungsrechts muss daher bei der Verwaltungsakts-Qualität der „Weisung“ noch nicht geprüft werden, aber jedenfalls bei der Frage der Klagebefugnis (und nicht – wie die Erstkorrektorin meint (vgl. SN 28.9.2016) – erst bei der Begründetheit). Bei der Klagebefugnis ist es so, dass in der Rechtsprechung vertreten wird, dass sie einer Gemeinde grundsätzlich zusteht, unabhängig davon, ob sich der Verwaltungsakt auf den eigenen oder übertragenen Wirkungskreis bezieht (BayVGH U. v. 13.8.2001 Az: 11B98, 1058), da in beiden Fällen das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde (grds.) betroffen ist (denkbare Ausnahmen vgl. VGH a.a.O. RNr. 19), auch wenn in der Rechtsprechung auch – wohl sogar überwiegend – die gegenteilige Meinung vertreten wird, dass eine Klagebefugnis der Gemeinde im übertragenen Wirkungskreis nur in bestimmten Fällen besteht, z.B. wenn sie geltend machen kann, sie sei durch eine fachaufsichtliche Maßnahme in ihrem Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über eine angemessene Berücksichtigung und Unterstützung ihrer örtlichen Verkehrsplanung beeinträchtigt (VG München, U.v. 17.2.2016 – M 23 K 16.178 – juris -; BVerwG, U.v. 14.12.1994, a.a.O.; BayVGH, B.v. 7.4.2000, a.a.O.). Eine „ganz h.M.“, dass man im übertragenen Wirkungskreis nicht mit dem Selbstverwaltungsrecht argumentieren kann, gibt es jedenfalls nicht; daher ist die Bemerkung der Erstkorrektorin („kann man im übertragenen Wirkungskreis so argumentieren? Nach ganz h.M. -„), wonach im übertragenen Wirkungskreis nicht mit dem Selbstverwaltungsrecht die Klagebefugnis begründet werden kann, nicht richtig (auch aus der Stellungnahme im Nachprüfungsverfahren sowie aus B. II. 1. des Begründungsblatts ergibt sich wohl diese Auffassung der Erstkorrektorin). Die Bemerkung auf Seite 3/II unten kann man auch nicht so verstehen, dass sie sich nur auf den Problemkreis Außenwirkung Verwaltungsakt/Selbstverwaltungsrecht bezieht (insoweit gibt es erkennbar keinen Meinungsstreit, vgl. VG München U.v. 17.2.2016 a.a.O. RNr. 20); auch hat die Erstkorrektorin nicht angemerkt, dass man bei der Außenwirkung nicht so argumentieren kann, sondern im übertragenen Wirkungskreis. Daher muss man die Bemerkung wohl allgemein auf die Frage der Rechte aus dem Selbstverwaltungsrecht im übertragenen Wirkungskreis beziehen. Die Erstkorrektorin wurde insoweit mehrfach um Stellungnahme gebeten; sie hat jedoch – ohne sich überhaupt mit dem Urteil des BayVGH aus dem Jahr 2001 auseinandersetzen – ihre zumindest missverständliche Randbemerkung nicht erläutert. Auch nach ihrer letzten Stellungnahme vom 28. September 2016 scheint sie nicht erkannt zu haben, dass die Problematik ihrer generalisierenden Aussage bei der Klagebefugnis liegt.
Der Bewertungsfehler ist nach Überzeugung des Gerichts auch kausal für das Ergebnis der Bewertung. Die ergänzenden Ausführungen der Erstkorrektorin im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens bzw. im vorbereitenden Verfahren überzeugen ebenfalls nicht (s.o.).
Die Feststellung eines kausalen Bewertungsfehlers präjudiziert allerdings keineswegs, dass die Prüfungsarbeit der Klägerin bei einer erneuten Bewertung besser benotet werden muss als bisher. Gleichwohl ist es nicht völlig auszuschließen, dass die Erstprüferin bei der Neubewertung der Arbeit im Rahmen ihres Prüferspielraums in der zusammenfassenden Würdigung zu einer höheren Punktzahl kommt.
2. Im Übrigen greifen die Einwendungen nicht durch.
a) Soweit die Klägerin über ihren Bevollmächtigten die Randbemerkung der Erstkorrektorin auf Seite 14 unten sowie auf Seite 2 des Begründungsblattes unter 2c sowie in der zusammenfassenden Beurteilung hinsichtlich der Anwendbarkeit des Art. 8 LStVG nicht auf Einzelmaßnahmen, sondern auch auf Normsetzungen rügt, dringt die Einwendung nicht durch. Die Erstkorrektorin hat im Nachprüfungsverfahren die Anmerkung, wonach Art. 8 LStVG ausschließlich auf Einzelmaßnahmen zu beschränken sei, ausdrücklich zurückgenommen, die Heranziehung von Art. 8 LStVG also nicht länger als Fehler gewertet. An der abschließenden Feststellung der Erstprüferin, wonach der damit hinzugenommene positive und gleichzeitig weggefallene negative Aspekt nichts an der Gesamtbewertung ändert, stellt keine Überschreitung des Prüferermessens dar. Es ist nicht bewertungsfehlerhaft, trotz dieses nun anders bewerteten Einzelpunktes in der zusammenfassenden Würdigung daran festzuhalten, dass es für eine ausreichende Leistung insgesamt nicht reicht.
b) Soweit die Klägerin unter Verweis auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Ansbach (U. v. 4.8.2011 – AN 2 K 10.01591 – juris), der Rechtsauffassung ist, für den Zweitbewerter habe eine gesteigerte Begründungspflicht bestanden, der er nicht nachgekommen sei, so dringt sie damit ebenfalls nicht durch.
Das Verwaltungsgericht Ansbach hat eine erhöhte Begründungspflicht des Zweitkorrektors bei einer Abweichung vom Votum des Erstkorrektors damit begründet, dass im Grenzbereich zwischen 4 Punkte (ausreichend) und 3 Punkten (mangelhaft) dem Zweitkorrektor nach der gesetzlichen Systematik eine im Ergebnis stärkere Position zukomme als dem Erstkorrektor. Generell gelte nach § 30 Abs. 1 JAPO, dass die schriftlichen Prüfungsarbeiten von zwei Prüfern selbständig mit den Noten und Punktezahlen gemäß § 4 Abs. 1 JAPO i.V.m. § 1 der Verordnung des Bundesministers der Justiz über eine Noten und Punkteskala bewertet würden. Wichen die Bewertungen der beiden Prüfer um nicht mehr als 2 Punkte voneinander ab, so errechne sich die Note aus der durchschnittlichen Punktzahl. Nur bei größeren Abweichungen werde die Arbeit per Stichentscheid bewertet, wenn sich die Prüfer nicht einigen oder bis auf 2 Punkte annähern können, § 30 Abs. 1 Satz 4 JAPO. Für das Bestehen des schriftlichen Teils der Ersten Juristischen Staatsprüfung sei aber neben dem erforderlichen Gesamtdurchschnitt kumulativ noch erforderlich, dass der Prüfling in nicht mehr als der Hälfte der Klausuren eine geringere Punktzahl als 4 erhalten hat (§ 31 Abs. 2 JAPO). Wenn nun der Zweitkorrektor von der Bewertung des Erstkorrektors mit 4 Punkten nach unten abweiche, so werde deutlich, dass letztlich er allein entscheide, ob die Klausur ausreichend oder mangelhaft sei und damit dem einen oder anderen Bereich des § 31 Abs. 2 JAPO zuzuordnen sei.
Diese Fallkonstellation liegt bei der Bewertung der Aufgabe 6 der Klägerin ersichtlich nicht vor, da der Zweitkorrektor zum einen zu Gunsten der Klägerin vom Votum der Erstprüferin (3 Punkte) um einen Punkt nach oben abgewichen ist und zum anderen eine Benotung durch den Zweitkorrektor von 5 Punkten erforderlich gewesen wäre, um die Arbeit insgesamt auf 4 Punkte zu heben. Der Zweitkorrektor hat im Nachprüfungsverfahren deutlich gemacht, dass er lediglich in der Gesamtabwägung zwischen den Mängeln der Bearbeitung und ihren positiven Aspekten unter Berücksichtigung des bei seinen eigenen Erstkorrekturen angewandten – sehr milden – Prüfungsmaßstabs die Klausur etwas besser bewertet hat. Eine gesteigerte Begründungspflicht im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Ansbach lässt sich daraus nicht ableiten.
Denn der Zweitkorrektor hätte sich mit einem bloßen „Einverstanden“ ohne weitere Begründung der Bewertung des Erstkorrektors anschließen können (VG Ansbach a.a.O. Rn. 45). Auch in diesem Fall hätte er darüber mitentschieden, ob die Arbeit mit „mangelhaft“ oder „ausreichend“ benotet worden wäre. Umso weniger können ihn gesteigerte Begründungspflichten treffen, wenn er sogar zu Gunsten des Kandidaten von der Bewertung des Erstkorrektors nach oben abweicht. Eine gesteigerte Begründungspflicht des Zweitkorrektors ist allenfalls bei einer Abweichung nach unten, die zu einer Unterpunktung der Arbeit führt, anzunehmen. Die Begründung des Zweitkorrektors (keine inhaltliche Abweichung, sondern nur milderer Prüfungsmaßstab) genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Begründung völlig.
Im Übrigen ist schon zweifelhaft, ob die Klägerin hinsichtlich der Besserbewertung durch den Zweitkorrektor überhaupt ein Rechtsschutzbedürfnis geltend machen könnte.
Doch selbst wenn man von einem Begründungsmangel ausginge, spricht wohl einiges dafür, dass es sich hierbei um einen bloß formalen Fehler handelt, der nach § 12 Abs. 2 Satz 1 JAPO unverzüglich zu rügen ist. Dem ist die Klägerseite mit Schriftsatz vom 9. März 2015, in welchem erstmals ein Begründungsmangel geltend gemacht wurde, nicht nachgekommen.
Die Klage war daher im Übrigen abzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 i.V.m. § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Soweit die Rügen zurückgenommen und das Verfahren eingestellt wurde, richtet sich die Kostenentscheidung nach § 155 Abs. 2 VwGO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Gründe für die Zulassung der Berufung nach § 124a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO liegen nicht vor.


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