Verwaltungsrecht

Coronavirus, SARS-CoV-2, Beschwerde, Abschiebungsanordnung, Italien, Erfolgsaussicht, Anordnung, Verfahrenskostenhilfe, FamFG, Freiheitsentziehung, Kenntnis, Regierung, BAMF, Aussetzung, Haftanordnung, Aufhebungsverfahren, einstweilige Anordnung, berechtigtes Interesse, freiwillige Gerichtsbarkeit

Aktenzeichen  53 T 120/20

Datum:
30.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 57833
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

211 XIV 29/20 B 2020-02-14 Bes AGREGENSBURG AG Regensburg

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass der Betroffene durch den Beschluss des Amtsgerichts Regensburg vom 14.02.2020, Az. 211 XIV 29/20 B, ab dem 02.03.2020 bis zu seiner Freilassung am 03.03.2020, 17.35 Uhr in seinen Rechten verletzt wurde. Im Übrigen wird die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Regensburg vom 14.02.2020, Az. 211 XIV 29/20 B zurückgewiesen.
2. Der Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.
3. Von der Erhebung von Kosten wird abgesehen.

Gründe

I.
Der Betroffene ist irakischer Staatsangehöriger. Er reiste erstmals am 04.09.2018 unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 26.09.2018 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Anerkennung als Asylberechtigter (BAMF-Az.: 7609345-438). Mit Bescheid des BAMF vom 29.11.2018 wurde der Antrag als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung des Betroffenen nach Italien angeordnet. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf sechs Monate ab dem Tag der Ausreise befristet. Der hiergegen gerichtete Antrag des Betroffenen nach § 80 Abs. 5 VwGO wurde vom Verwaltungsgericht Regensburg am 17.12.2918 abgewiesen. Das Hauptverfahren wurde mit Beschluss vom 20. 08.2019 wegen Nichtbetriebs eingestellt.
Die Abschiebungsanordnung ist seit dem 17.12.2018 vollziehbar. Die Überstellungsfrist für die Überstellung nach Italien endete am 17.06.2020.
Am 14.02.2020 wurde der Betroffene in Gewahrsam genommen.
Mit Schreiben vom 14.02.2020 beantragte die beteiligte Ausländerbehörde beim Amtsgericht Regensburg die Anordnung der vorläufigen Freiheitsentziehung zur Sicherung der Überstellung bis zum 25.02.2020 und, sollte über die Anträge nicht sofort entschieden werden können, eine einstweilige Anordnung.
Mit Beschluss vom 14.02.2020 ordnete das Amtsgericht Regensburg – unter Anordnung der sofortigen Wirksamkeit – Haft zur Sicherung der Überstellung des Betroffenen nach Italien bis zum Ablauf des 25.03.2020 an. Auf den Beschluss vom 14.02.2020 wird Bezug genommen.
Mit Schriftsatz vom 20.02.2020 legte der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen gegen den Beschluss vom 14.02.2020 Beschwerde ein und beantragte festzustellen, dass der angefochtene Beschluss den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat. Zudem wurde beantragt, dem Betroffenen Verfahrenskostenhilfe zu gewähren.
Am 27.02.2020 gab das BAMF bekannt, dass aufgrund der aktuellen COVID-19-Pandemie im Hinblick auf die medizinische Situation in Italien Abschiebungen nach Italien nach dem Dublin – III – Übereinkommen vorübergehend ausgesetzt werden.
Hiervon wurde die Zentrale Ausländerbehörde der Regierung der Oberpfalz am 28.02.2002 in Kenntnis gesetzt.
Mit Fax vom 01.03.2020, bei Gericht eingegangen am selben Tag um 17.54 Uhr, teilte der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen mit, es sei davon auszugehen, dass der Betroffene bereits freigelassen worden sei, da Abschiebungen nach Italien aufgrund des Corona-Virus bis auf Weiteres ausgesetzt worden seien. Hierauf verfügte die zuständige Richterin am 02.03.2020, dem Verfahrensbevollmächtigten mitzuteilen, dass sich der Betroffene nach Auskunft der Haftdatenbank am 02.03.2020 noch in der JVA Erding befunden habe. Ob Antrag auf Aufhebung gestellt worden sei, sei nicht bekannt. Mit Fax vom 03.03.2020, bei Gericht eingegangen am selben Tag um 17.49 Uhr, beantragte der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen, diesen sofort aus der Haft zu entlassen. Mit Verfügung vom 04.03.2020 übersandte die zuständige Richterin dieses Schreiben per Fax an die Zentrale Ausländerbehörde zur Kenntnis und mit der Bitte um weitere Veranlassung: „Antragstellung zur Aufhebung des Beschlusses“.
Am 03.03.2020, 17.35 Uhr, wurde der Betroffene auf Anordnung der Zentralen Ausländerbehörde der Regierung der Oberpfalz aus der Haft entlassen.
Mit Schriftsätzen vom 10.03.2020 und 13.05.2020 wurde die Beschwerde begründet. Auf die Beschwerdebegründungen wird Bezug genommen. Die beteiligte Ausländerbehörde nahm mit Schreiben vom 12.03.2020 und 05.06.2020 hierzu jeweils Stellung.
Mit Beschluss vom 08.04.2020 half das Amtsgericht der Beschwerde des Betroffenen nicht ab und legte die Akten dem Landgericht Regensburg zur Entscheidung über die Beschwerde vor. Auf den Beschluss wird Bezug genommen.
II.
Die zulässige (Fortsetzungsfeststellungs-) Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Regensburg vom 14.02.2020 hat in der Sache teilweise Erfolg.
1. Die Beschwerde gegen den o.g. Beschluss ist zulässig gem. §§ 58 Abs. 1. 59 Abs. 1 FamFG. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht innerhalb der Monatsfrist eingelegt (§§ 63 Abs. 1 Nr. 1, 64 Abs. 2 FamFG).
Der Betroffene hat auch in zulässiger Weise den Antrag gestellt, festzustellen, dass er durch den Beschluss des Amtsgerichts Regensburg vom 14.02.2020 in seinen Rechten verletzt worden ist, § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG. Ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 62 Abs. 1 Nr. 1 FamFG liegt vor, da die Freiheitsentziehung stets einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff darstellt (vgl. BGH, NJW 2012, 1582, 1583 m. w. N.).
2. Auf die Beschwerde des Betroffenen war festzustellen, dass der Fortbestand der angeordneten Haftanordnung vom 14.02.2020 ihn ab dem 02.03.2020 in seinen Rechten verletzt hat. Im Übrigen ist die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Regensburg vom 14.02.2020 unbegründet.
a. Es waren sämtliche materiellen Voraussetzungen für die Anordnung der Überstellungshaft erfüllt.
Auf die ausführliche Begründung im angegriffenen Beschluss vom 14.02.2020 wird zur Vermeidung von Wiederholungen vollumfänglich Bezug genommen. Die Überstellungshaft war vorliegend auch verhältnismäßig, da andernfalls die Gefahr bestanden hätte, dass der Betroffene sich der Überstellung nach Italien nicht stellen und untertauchen werde. Dieser Annahme steht auch nicht entgegen, dass der Betroffene anlässlich seiner Anhörung vor dem Amtsgericht Regensburg am 14.02.2020 geäußert hat, lieber freiwillig in den Irak auszureisen als nach Italien abgeschoben zu werden. Der Betroffene hat auf ein Schreiben der Zentralen Ausländerbehörde der Regierung der Oberpfalz vom 17.02.2020 mit der Bitte um Mitteilung seiner Bereitschaft, freiwillig auszureisen, nicht reagiert. Auch vor dem Hintergrund, dass der Betroffene bereits mehrfach als untergetaucht gemeldet wurde, muss daher von einer nur vorgeschobenen Rückkehrabsicht ausgegangen werden.
b. Der Fortbestand der angeordneten Haftanordnung vom 14.02.2020 ist aber ab dem 02.03.2020 aufgrund der vorübergehenden Aussetzung von Abschiebungen nach Italien durch das BAMF unzulässig geworden.
Zwar kann eine von der Behörde pflichtwidrig unterlassene Beendigung der Freiheitsentziehung nicht Gegenstand eines Antrags nach § 62 FamFG auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Vollzugs der Freiheitsentziehung für den davon betroffenen Zeitraum sein, da Gegenstand eines Feststellungsantrags nach § 62 FamFG nur Entscheidungen der Gerichte sein können (vgl. Keidel, FamFG – Familienverfahren, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 20. Auflage 2020, Rn. 4). Ergeben sich aber nach der Anordnung der Haft für das Gericht hinreichende Anhaltspunkte, dass die Voraussetzungen der Freiheitsentziehung möglicherweise nicht mehr vorliegen, hat es im Hinblick auf § 426 FamFG gem. § 26 FamFG den Sachverhalt aufzuklären. Unterlässt es das Gericht, in die gebotene Sachaufklärung einzutreten, verletzt die weitere Freiheitsentziehung den Betroffenen in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG. Diese Rechtsverletzung durch das Gericht, die u. U. mit einer Rechtsverletzung durch die Behörde einhergeht, kann der Betroffene gem. § 62 FamFG feststellen lassen.
Diese Aufklärungspflicht hat das Amtsgericht Regensburg vorliegend verletzt. Zwar musste das Amtsgericht Regensburg nicht bereits aufgrund des von dem Beschwerdeführer angesprochenen Artikels in der BILD-Zeitung tätig werden, sondern durfte grundsätzlich eine Mitteilung auf justiziellem Weg abwarten. Allerdings wurde das Amtsgericht durch das Schreiben des Verfahrensbevollmächtigten vom 01.03.2020 auf die veränderte Sachlage hingewiesen. Da dieses Schreiben erst gegen 17.54 Uhr bei Gericht einging, ist davon auszugehen, dass das Gericht hiervon erst am Folgetag Kenntnis erlangt hat. Nach Kenntniserlangung hätte das Amtsgericht Regensburg vor diesem Hintergrund prüfen müssen, ob die Haftanordnung gemäß § 426 Abs. 1 Satz 1 FamFG wieder aufzuheben ist und ggf. weitere Ermittlungen bei den zuständigen Behörden anstellen müssen. Dies ist aber zunächst unterblieben. Erst am 04.03.2020 wurde die zuständige Ausländerbehörde angehört. Zu diesem Zeitpunkt war der Betroffene aber bereits entlassen.
Ein Berühren der Freiheitsentziehung auf dem Verfahrensfehler des Amtsgerichts kann unter Berücksichtigung des Vorbringens des Beschwerdeführers und der Ausländerbehörde nicht ausgeschlossen werden (vgl. Keidel, Rn 46 zu § 34 FamFG).
Für das Aufhebungsverfahren bleibt auch die örtliche Zuständigkeit desjenigen Gerichts bestehen, das die erstmalige Entscheidung getroffen hat, und zwar auch dann, wenn sich der Betroffene nunmehr in einer im Bezirk eines anderen Amtsgerichts gelegenen Einrichtung befindet (Keidel, FamFG – Familienverfahren, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 20. Auflage 2020, Rn. 7).
Von einer persönlichen Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren hat die Kammer nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG abgesehen, da hiervon keine neuen Erkenntnisse zu erwarten waren.
III.
Der Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe war zurückzuweisen, da die Beschwerde keine Aussicht auf Erfolg hatte (§ 76 Abs. 1 FamFG, § 114 Satz 1 ZPO). Die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe setzt neben der Bedürftigkeit des Betroffenen voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (vgl. BGH vom 20.05.2016, V ZB 140/15). Erfolgreich war die Beschwerde nur in geringfügigem Umfang betreffend die Länge der Haft von einem Tag.
Die Verfahrenskostenhilfe war auch nicht wegen der Schwierigkeit der Rechtslage zu gewähren. Da das Verfahrenskostenhilfeverfahren nicht dem Zweck dient, über zweifelhafte Rechtsfragen abschließend vorweg zu entscheiden, darf ein Gericht zwar die Erfolgsaussicht nicht verneinen, wenn eine solche Rechtsfrage zu klären ist, auch wenn das Gericht in der Sache zu Ungunsten des Antragstellers entscheiden möchte. Entsprechendes muss dann gelten, wenn sich in tatsächlicher Hinsicht schwierige und komplexe Fragen stellen. (vgl. BGH a.a.O.). Solche schwierigen Rechtsfragen sind hier jedoch nicht zu klären.
IV.
Von der Erhebung von Kosten konnte vorliegend nach § 81 Abs. 1 Satz 2 FamFG abgesehen werden.


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