Verwaltungsrecht

Darlegungsanforderung im Berufungszulassungsverfahren

Aktenzeichen  11 ZB 17.31728

Datum:
29.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 136940
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4

 

Leitsatz

1 Die vom Kläger für grundsätzlich bedeutsam erachtete Frage, ob in der Ukraine die Demobilisation abgeschlossen ist, ist nicht entscheidungserheblich, wenn ihm bereits aus Altersgründen keine Einberufung zum Wehrdienst mehr droht. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2 In der Rechtsprechung ist geklärt, dass Erkenntnissen des Auswärtigen Amts als selbständige Beweismittel besonderes Gewicht zukommt. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 6 K 16.31147 2017-09-27 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung ist nicht hinreichend dargelegt (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG). Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich, ist; ferner, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. Happ in Eyermann, a.a.O. § 124a Rn. 72; Meyer-Ladewig/Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Oktober 2016, § 124a Rn. 102 ff.; Berlit in GK-AsylG, Stand Oktober 2017, § 78 Rn. 88 m.w.N.). Dabei bedeutet „darlegen“ schon nach allgemeinem Sprachgebrauch mehr als lediglich einen allgemeinen Hinweis; „etwas darlegen“ bedeutet vielmehr so viel wie „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“ (BVerwG, B.v. 9.3.1993 – 3 B 105/92 – juris Rn. 3 m.w.N.). Bei einer auf tatsächliche Verhältnisse gestützten Grundsatzrüge muss der Rechtsmittelführer Erkenntnisquellen zum Beleg dafür angeben, dass die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts unzutreffend oder zumindest zweifelhaft sind (vgl. BayVGH, B.v. 1.6.2017 – 11 ZB 17.30602 – juris Rn. 2; OVG NW, B.v. 9.10.2017 – 13 A 1807/ 17.A – juris Rn. 5; B.v. 12.12.2016 – 4 A 2939/15.A – juris Rn. 7 m.w.N.; Berlit, a.a.O., § 78 Rn. 609 ff.).
Die vom Kläger für grundsätzlich bedeutsam erachtete Frage, ob die Demobilisierung abgeschlossen ist, ist nicht entscheidungserheblich, da ihm nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts bereits aus Altersgründen keine Einberufung zum Wehrdienst droht. Er leitet seine Befürchtung, bei einer Rückkehr in sein Heimatland eingezogen zu werden, aus einer Mitteilung des ukrainischen Verteidigungsministers „im November“ her, dass russische Separatisten die Donezk Region mit schweren Artilleriegeschossen angegriffen hätten und zwei Soldaten verwundet worden seien. Abgesehen davon, dass diese Schlussfolgerung nicht nachvollziehbar dargelegt ist, setzt sich der Zulassungsantrag nicht damit auseinander, dass das Verwaltungsgericht durch Bezugnahme gemäß § 77 Abs. 2 AsylG mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge davon ausgegangen ist, dass der mittlerweile 43jährige Kläger schon lange nicht mehr im wehrdienstpflichtigen Alter und auch kein Reservist ist und ggf. auch ein Recht auf Wehrdienstverweigerung geltend machen könnte.
Auch die weiter aufgeworfene Frage, „ob bei einer Entscheidung eines Verwaltungsgerichts in einem Asylverfahren sich das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung der Situation im Herkunftsland des Asylbewerbers allein oder überhaupt auf Lageberichte des Auswärtigen Amts berufen darf“, ist nicht entscheidungserheblich. Der Kläger hat diese Frage unmittelbar im Anschluss an seine Schilderung der Verhältnisse in der russischen Armee gestellt, in der Rekruten aufgrund des aus der Armee der UdSSR überkommenen „etablierten Herrschafts- und Foltersystems“ drangsaliert und schwer malträtiert bzw. misshandelt würden. Abgesehen davon, dass ihm als ukrainischem Staatsangehörigen keine Einberufung in die russische Armee droht und nicht dargelegt ist, dass die Verhältnisse in der ukrainischen und der russischen Armee vergleichbar sind, hat das Verwaltungsgericht bzw. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vor dem Hintergrund, dass dem Kläger keine Einberufung droht, auch keine Feststellungen über die Verhältnisse bei der Ableistung des Wehrdienstes auf der Grundlage von Erkenntnissen des Auswärtigen Amts getroffen. Sollte die Frage losgelöst von einer drohenden Einberufung zu verstehen sein, rechtfertigt sie
die Zulassung der Berufung nicht, weil sie einer rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich ist. Denn die Eignung und der Beweiswert von Erkenntnissen des Auswärtigen Amts richten sich nach den Umständen des Einzelfalls (vgl. BVerwG, B.v. 7.12.2010 – 1 B 24/10 – juris Rn. 6; HessVGH, B.v. 4.11.1999 – 3 UE 2717/95.A – juris Rn. 60; U.v. 31.8.1999 – 10 UE 864/98.A – juris Rn. 56). Im Übrigen ist in der Rechtsprechung geklärt, dass ihnen als selbständige Beweismittel besonderes Gewicht zukommt (vgl. BVerfG, B.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1507/93, 2 BvR 1508/93 – BVerfGE 94, 115 = juris Rn. 87; BVerwG, U.v. 22.1.1985 – 9 C 52/83 – Buchholz 310 § 87 Nr. 5 = juris Rn. 10 f.; B.v. 22.8.2001 – 1 B 95/01 – juris Rn. 4; HessVGH, U.v. 31.8.1999 – 10 UE 864/98.A – juris Rn. 55 f.). Eine mehr als 20 Jahre alte Äußerung eines Mitarbeiters des Auswärtigen Amts, eine nicht belegte, 1996 veröffentlichte Korrespondenz des Verwaltungsgerichts Wiesbaden und ein ebenfalls nicht vorgelegter Artikel im Spiegel aus dem Jahr 1999 vermag ihre in ständiger Rechtsprechung sämtlicher Obergerichte anerkannte Beweiseignung nicht ernsthaft in Zweifel zu ziehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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