Verwaltungsrecht

Darlegungsanforderungen an den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache

Aktenzeichen  20 ZB 18.30350

Datum:
19.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 7834
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4
EMRK Art. 3
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

1 Hat der Kläger die letzten zwei Jahre vor seiner Ausreise seinen Lebensunterhalt im Irak selbständig verdient, indem er in einem Fischladen gearbeitet hat und kann er bei einer Rückkehr auf ein breites familiäres Netzwerk zurückgreifen, ist davon auszugehen, dass der Kläger in seinem Heimatland zumindest das Existenzminimum erreichen wird.  (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2 Aus dem Rundschreiben des Bayerischen Staatsministerium des Innern vom 10. August 2012 idF vom 3. März 2014 geht eindeutig hervor, dass eine Rückführung irakischer Staatsangehöriger in das von der irakischen Zentralregierung beherrschte Gebiet faktisch noch nicht möglich ist. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 4 K 17.31641 2018-01-09 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) nicht in einer § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügenden Art und Weise dargelegt wurde bzw. nicht vorliegt.
Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG verlangt, dass der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert, ausführt, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, erläutert, weshalb die Frage klärungsbedürftig ist und schließlich darlegt, weshalb der Frage eine über die einzelfallbezogene Rechtsanwendung hinausgehende Bedeutung zukommt (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72). „Darlegen“ bedeutet schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch mehr als lediglich einen allgemeinen Hinweis. „Etwas darlegen“ bedeutet vielmehr so viel wie „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“ (BVerwG, B.v. 2.10.1961 – 8 B 78.61 – BVerfGE 13, 90/91; B.v. 9.3.1993 – 3 B 105.92 – NJW 1993, 2825). Der Orientierungspunkt dieser Erfordernisse ist die Begründung der angefochtenen Entscheidung, mit der sich die Begründung des Zulassungsantrags substantiiert auseinandersetzen muss (BVerfG, B.v. 2.3.2006 – 2 BvR 767/02 – NVwZ 2006, 683). Die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit erfordert regelmäßig eine Durchdringung der Materie und in diesem Zusammenhang eine Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts, die verdeutlicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts dem Klärungsbedarf nicht gerecht wird (BVerfG, B.v. 7.11.1994 – 2 BvR 2079/93 – juris Rn. 15; BVerwG, B.v. 9.3.1993 – 3 B 105/92 – NJW 1993, 2825). Diese Anforderungen sind bezüglich keiner der gestellten Fragen erfüllt.
1. Der Kläger hält einerseits für grundsätzlich klärungsbedürftig,
ob aufgrund der schlechten humanitären Bedingungen im Irak die Rahmenbedingungen eine Gefahrenlage begründen, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK führen kann.
Insoweit ist die Klärungsbedürftigkeit der Frage nicht dargelegt. Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil festgestellt, dass nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG nicht gegeben seien und ergänzend gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die von ihm für zutreffend erachteten Ausführungen im angefochtenen Bescheid verwiesen. Dort ist das Bundesamt unter Berücksichtigung der auch im Zulassungsantrag zitierten Ausführungen des Auswärtigen Amtes in seinem Lagebericht vom 18. Februar 2016 zu der Einschätzung gelangt, dass die vom EGMR geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab einer Verletzung des Art. 3 EMRK nicht erfüllt seien (Bescheid vom 19.1.2017, S. 7, unter Verweis auf VGH BW, U.v. 24.7.2013 – A 11 S 697/13 mit Verweis auf Rechtsprechung des EGMR). Es werde zwar nicht verkannt, dass die gegenwärtige Versorgungslage sehr schwierig sei, jedoch seien unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Klägers die humanitären Bedingungen bei einer Rückkehr nicht als derart schlecht zu bewerten, dass diese den Schweregrad einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK erreichten. Ein Abschiebungsverbot komme insbesondere bei sogenannten vulnerablen Personen in Betracht, die bei einer Rückkehr in den Irak dort nicht das Existenzminimum erreichen würden. Der Kläger habe allerdings schon die letzten zwei Jahre vor seiner Ausreise seinen Lebensunterhalt selbständig verdient, indem er in einem Fischladen gearbeitet habe. Außerdem könne er bei einer Rückkehr auf ein breites familiäres Netzwerk zurückgreifen. So habe sein Vater angegeben, dass er ihn trotz ihrer schwierigen Beziehung bei sich aufnehmen würde. Man könne also davon ausgehen, dass der Kläger in seinem Heimatland zumindest das Existenzminimum erreichen werde (Bescheid, S. 8).
In seinem Urteil vom 28. Juni 2011 im Verfahren Sufi und Elmi gegen Vereinigtes Königreich (Nr. 8319/07 – NVwZ 2012, 681) stellt der EGMR klar, dass in Abschiebungsfällen nur zu prüfen ist, ob unter Berücksichtigung aller Umstände ernstliche Gründe für die Annahme nachgewiesen worden sind, dass der Betroffene im Fall seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr liefe, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Wenn eine solche Gefahr nachgewiesen ist, verletzt die Abschiebung des Ausländers notwendig Art. 3 EMRK, einerlei, ob sich die Gefahr aus einer allgemeinen Situation der Gewalt ergibt, einen besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (Rn. 218). Zugleich weist der EGMR darauf hin, dass die sozioökonomischen und humanitären Verhältnisse im Bestimmungsland nicht notwendig für die Frage bedeutsam und erst recht nicht dafür entscheidend sind, ob der Betroffene in diesem Gebiet wirklich der Gefahr einer Misshandlung unter Verstoß gegen Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Denn die Konvention ziele hauptsächlich darauf ab, bürgerliche und politische Rechte zu schützen. Die grundlegende Bedeutung von Art. 3 EMRK mache nach Auffassung des EGMR aber eine gewisse Flexibilität erforderlich, um in sehr ungewöhnlichen Fällen eine Abschiebung zu verhindern. In ganz außergewöhnlichen Fällen könnten daher auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ seien (Rn. 278).
Der Zulassungsantrag bezieht sich zur Begründung der Klärungsbedürftigkeit der formulierten Frage auf Ausführungen im Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 18. Februar 2016, wonach rund 2,4 Millionen Menschen im Irak auf Nahrungshilfe angewiesen seien und nicht einmal die Grundversorgung der Bürger in allen Bereichen des Landes gewährleistet sei. Die Lebensbedingungen der in den Städten befindlichen Menschen glichen denen von Slums. Ein Viertel der gesamten Bevölkerung lebe unter der Armutsgrenze und nach den UN-Missionen seien 4 Millionen Iraker unterernährt. Daneben sei auch die medizinische Versorgung weder technisch noch personell zureichend. Es fehlt in der Begründung des Zulassungsantrags jedoch an einer Auseinandersetzung mit der tragenden Begründung des streitgegenständlichen Bescheids und des verwaltungsgerichtlichen Urteils, dass der Kläger bereits vor seiner Ausreise aus dem Irak seinen Lebensunterhalt selbst bestritten habe und er zudem bei einer zwangsweisen Rückkehr in den Irak auf Unterstützung durch seinen Vater zählen könne. Daher sind die Darlegungsanforderungen insoweit nicht erfüllt.
2. Daneben hält der Kläger für grundsätzlich klärungsbedürftig,
ob aufgrund des durch das Bayerische Staatsministerium des Innern bekannt gegebenen Rundschreibens vom 10. August 2012 mit dem Inhalt, dass eine zwangsweise Rückführung zur Ausreise verpflichteter irakischer Staatsangehöriger grundsätzlich nach wie vor nicht möglich ist, auch automatisch der Tatbestand des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG umfasst ist und deshalb ein Schutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gewährt werden muss.
Diese Frage ist ungeachtet der Darlegungsanforderungen nicht klärungsbedürftig. Dies ist nämlich nur der Fall bei einer Frage, die sich nicht ohne weiteres aus dem Gesetz bzw. durch Auslegung oder aus vorhandener obergerichtlicher Rechtsprechung beantworten lässt. Denn aus dem Rundschreiben des Bayerischen Staatsministerium des Innern vom 10. August 2012 i.d.F. vom 3. März 2014 geht eindeutig hervor, dass eine Rückführung irakischer Staatsangehöriger in das von der irakischen Zentralregierung beherrschte Gebiet faktisch noch nicht möglich ist. Dafür spricht im Übrigen bereits die auf in der Begründung des Zulassungsantrags verwendete Formulierung „faktischer Abschiebestopp“. Wieso aus einem faktischen Abschiebehindernis eine Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 AufenthG abzuleiten sein soll, legt der Zulassungsantrag auch nicht dar.
Soweit der Zulassungsantrag ergänzend zu den beiden als klärungsbedürftig erachteten Rechtsfragen ausführt, dass beim Kläger eine psychische Störung mit Suizidgedanken vorläge und auf die vorgelegten Unterlagen über einen Aufenthalt in der I. A. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie vom 30. November 2017 bis zum 15. Dezember 2017 verwiesen und ausgeführt wird, dass dem Kläger aufgrund der Krankheit ein Abschiebungshindernis zuzusprechen sei, ist einerseits nicht erkennbar, inwiefern sich dieser Vortrag auf eine der beiden als grundsätzlich klärungsbedürftig erachteten Fragen beziehen könnte. Soweit darüber hinaus ausgeführt wird, dass die Krankheit des Klägers nicht ausreichend berücksichtigt worden sei, macht der Kläger offenbar sinngemäß den im allgemeinen Berufungszulassungsrecht geltenden Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung können aber aufgrund der abschließenden Regelung des § 78 Abs. 3 AsylG im Asylprozess von vornherein nicht geltend gemacht werden.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig, § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG.


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