Verwaltungsrecht

Darlegungsgebot im Beschwerdeverfahren, Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu deutschem Ehegatten, Formunwirksamkeit einer Online-Trauung in U., Ordre-public-Vorbehalt

Aktenzeichen  10 CS 22.716

Datum:
20.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 15349
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AufenthG § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
EGBGB Art. 6, 11 Abs. 3, 13 Abs. 4 S. 1
BGB § 1310 Abs. 1 S. 1, § 1311 S. 1

 

Leitsatz

Verfahrensgang

Au 1 S 22.9 2022-02-21 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Eilrechtsschutzantrag bezüglich des Bescheids des Antragsgegners vom 18. November 2021 weiter, mit dem sein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären, humanitären bzw. unionsrechtlichen Gründen abgelehnt worden ist.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO im Wesentlichen aus den folgenden Gründen abgelehnt: Der Antrag sei unzulässig, da der Antrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels vom 7. September 2021 keine Fiktionswirkung ausgelöst habe. Der Eilantrag sei aber auch unbegründet, da dem Antragsteller ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht zustehe. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG komme schon deshalb nicht in Betracht, weil eine wirksame Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen nicht vorliege. Die durch den Antragsteller und seine deutsche Lebensgefährtin am 6. Dezember 2021 durchgeführte Online-Trauung vor einem Standesbeamten in U. sei gemäß Art. 13 Abs. 4 Satz 1 EGBGB formunwirksam. Denn sie sei nicht persönlich in beiderseitiger Anwesenheit vor einem deutschen Standesbeamten erklärt worden. Dabei bestimme sich das anzuwendende Eheschließungsrecht nach dem Eheschließungsort, der nach Auffassung des Gerichts im Bundesgebiet und nicht (aufgrund der Bild-/Ton-Übertragung) in U. liege. Selbst wenn man eine wirksame Eheschließung unter Anwesenden mittels Videokonferenztechnik bzw. Ferntrauung in den Vereinigten Staaten annehmen würde, stünde der Anerkennung dieser Eheschließung im Bundesgebiet der Vorbehalt des Art. 6 EGBGB (ordre public) entgegen. Unabhängig davon stünde der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG entgegen. Der Antragsteller sei zu keinem Zeitpunkt im Besitz eines nationalen Visums im Sinne des § 6 Abs. 3 AufenthG gewesen (§ 39 Satz 1 Nr. 1 AufenthV). Ein Anspruch auf Absehen von der Visumpflicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG bestehe auch nicht mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK, da eine Ausreise des Antragstellers zur Durchführung des Visumverfahrens nicht aus familiären Gründen unzumutbar sei. Nichts anderes ergebe sich aus der voraussichtlichen Dauer der Durchführung des Visumverfahrens bei der deutschen Botschaft in Indien (maximaler Trennungszeitraum von neun Monaten), europarechtlichen Erwägungen sowie der lediglich behaupteten Diskriminierung (Art. 3 Abs. 1 GG). Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG komme nicht in Betracht, da die Ausreise des Antragstellers aus den genannten Gründen weder aus rechtlichen noch aus tatsächlichen Gründen unmöglich sei.
Mit der Beschwerde trägt der Antragsteller vor, es sei im Eilrechtsschutzverfahren hinreichend deutlich geworden, dass er sein Begehren (in der Hauptsache) – die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis – bis zu einer mündlichen Verhandlung vom Bundesgebiet aus weiterverfolgen wolle, unabhängig davon, ob dies nach § 80 Abs. 5 oder § 123 VwGO zu erfolgen habe. Im Übrigen sei bei der zweiten Verlängerung das Schengenvisum als „nationales Visum“ im Sinne des § 6 Abs. 3 AufenthG verlängert worden. Dementsprechend habe er nach § 39 Satz 1 Nr. 1 AufenthV vom Inland aus einen Aufenthaltstitel beantragen dürfen. Das Verwaltungsgericht verneine zu Unrecht auch die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Die am 6. Dezember 2021 durchgeführte Online-Trauung sei wirksam. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei seit 1958 geklärt, dass in Fällen wie dem vorliegenden das Ortsrecht der Trauungsperson Anwendung finde, egal wo sich die zu trauenden Personen aufhielten, also im konkreten Fall das Recht des US-Bundesstaates U., das ausdrücklich entsprechende Eheschließungen erlaube. Im Übrigen habe der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 29. September 2021 (XII ZB 309/21) klargestellt, dass selbst eine Handschuhehe wirksam sei, sofern diese nicht gegen den ordre public verstoße. Ein solcher Verstoß werde beispielsweise angenommen, wenn die Ehe gegen den Willen einer zu trauenden Person geschlossen werde. Dies sei im Fall des Antragstellers jedoch offensichtlich nicht der Fall, sodass von einer wirksamen Eheschließung auszugehen sei. Zu Unrecht werde vom Verwaltungsgericht auch das Vorliegen einer Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG verneint. Dabei werde übersehen, dass – anders als im nationalen Recht – eine Verletzung der unionsrechtlichen Visumpflicht (für drittstaatsangehörige Familienangehörige) nach § 2 Abs. 4 Satz 2 FreizügG/EU keine rechtliche Bedeutung habe, da die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an den Ehegatten eines Unionsbürgers nicht konstitutiv, sondern lediglich deklaratorisch erfolge. Die weitere Anwesenheit des Antragstellers sei ausweislich der vorgelegten Stellungnahme der Teilhabeberatungsstelle EUTB O.-K. vom 30. März 2022 für die Gesundheit der Ehefrau dringend erforderlich.
Der Antragsgegner beantragt die Zurückweisung der Beschwerde im Wesentlichen mit der Begründung, das Verwaltungsgericht habe zutreffend festgestellt, dass die am 6. Dezember 2021 durchgeführte Online-Trauung des Antragstellers und seiner deutschen Lebensgefährtin vor einem Standesbeamten in U. aufgrund von Art. 13 Abs. 4 Satz 1 EGBGB formunwirksam sei. Bei Art. 13 Abs. 4 EGBGB handle es sich um eine spezielle Formkollisionsnorm für Eheschließungen im Inland als besondere Ausprägung des ordre-public-Grundsatzes. Im Fall der Eheschließung per Online-Videokonferenz handele es sich um eine Eheschließung im Inland, da die maßgeblichen Willenserklärungen zur Eheschließung durch die beiden Verlobten jeweils auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland abgegeben worden seien und sich lediglich der „Standesbeamte“ im Ausland befunden habe. Die Online-Trauung entspreche nicht der in Deutschland gemäß § 1310 Abs. 1 Satz 1 und § 1311 Satz 1 BGB vorgeschriebenen Form der Eheschließung. Die Voraussetzungen für eine Heilung dieses Formmangels lägen nicht vor. Die Online-Trauung sei auch nicht mit Vertreterkonstellationen (insbesondere der sogenannten Handschuhehe) vergleichbar, für die gemäß Art. 11 Abs. 3 EGBGB im Falle der Eheschließung der Ort der Trauungshandlung maßgebend sei. Die Ausführungen zur vermeintlichen Ungleichbehandlung von drittstaatsangehörigen Ehegatten eines Unionsbürgers gingen demgemäß ins Leere.
II.
Die zulässige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die vom Antragsteller dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen nicht die beantragte Abänderung des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts.
Gemäß dem Darlegungsgebot des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO muss der Beschwerdeführer ausgehend von der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts aufzeigen, in welchen Punkten und weshalb diese aus seiner Sicht nicht tragfähig ist, er muss also die die Entscheidung des Verwaltungsgerichts tragenden Rechtssätze und die dafür erheblichen Tatsachenfeststellungen substantiiert infrage stellen. Ist die Entscheidung des Verwaltungsgerichts auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt, so müssen sich die Beschwerdegründe auf jeden die Entscheidung tragenden Grund beziehen und sich insoweit mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen (stRspr; vgl. z.B. BayVGH, B.v. 17.7.2012 – 11 CE 12.1175 – juris Rn. 9 f.; B.v. 7.5.2020 – 10 CS 20.842 – juris Rn. 4; B.v. 22.3.2022 – 10 CS 21.1973 – juris Rn. 4; vgl. auch Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 146 Rn. 22 ff.). Daran fehlt es hier.
Das Verwaltungsgericht hat einen Anspruch des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG aus mehreren selbständig tragenden Gründen verneint. Die durch Online-Trauung vor einem Standesbeamten in U. durchgeführte Eheschließung sei gemäß Art. 13 Abs. 4 Satz 1 EGBGB formunwirksam, da der maßgebliche Eheschließungsort im Bundesgebiet und damit „im Inland“ liege und die Ehe deshalb nur in der in Deutschland vorgeschriebenen Form (§§ 1310 Abs. 1 Satz 1,1311 Satz 1 BGB) geschlossen werden könne; entscheidend sei insofern die Abgabe der maßgeblichen Willenserklärungen der Eheschließenden im Bundesgebiet (so im Übrigen zuletzt auch OLG Köln, B.v. 8.3.2022 – 26 Wx 3/22 – juris Rn. 9 f.). Die Rüge der Antragstellerseite, dies stehe im Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs seit 1958 und insbesondere auch dessen Beschlusses vom 29. September 2021 (XII ZB 309/21), wonach „in Fällen wie dem vorliegenden das Ortsrecht der Trauungsperson Anwendung finde“ greift nicht durch. Denn die angeführte Rechtsprechung des BGH betrifft den hier gerade nicht vorliegenden Fall der Eheschließung im Ausland im Wege doppelter bzw. beidseitiger Stellvertretung (sog. Handschuhehe), für den Art. 11 Abs. 3 EGBGB ausdrücklich bestimmt, dass es (entscheidend) auf den Aufenthaltsort des Vertreters bzw. der Vertreter im Zeitpunkt der Abgabe seiner/ihrer Erklärung ankommt. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass die Konstellation einer sogenannten Handschuhehe im Fall der Online-Trauung des Antragstellers nicht vorliegt.
Weiter hat das Verwaltungsgericht selbständig tragend festgestellt, einer Anerkennung dieser Online-Trauung stehe selbst bei der Annahme ihrer Formwirksamkeit der ordre-public-Vorbehalt des Art. 6 EGBGB entgegen, weil in dieser Konstellation ein in Art. 13 Abs. 4 Satz 1 EGBGB zum Ausdruck kommender wesentlicher Grundsatz des deutschen Eherechts, wonach eine Ehe im Inland nur in der hier vorgeschriebenen Form, d.h. nach § 1310 Abs. 1 Satz 1, § 1311 Satz 1 BGB höchstpersönlich bei gleichzeitiger Anwesenheit vor einem Standesbeamten, geschlossen werden kann, verletzt. Dem hält die Antragstellerseite entgegen, der Bundesgerichtshof habe in der bereits zitierten Entscheidung vom 29. September 2021 (XII ZB 309/21) selbst eine Handschuhehe für wirksam erachtet, soweit diese nicht gegen den ordre public verstoße, was zum Beispiel der Fall sei, wenn die Ehe gegen den Willen einer zu trauenden Person geschlossen worden sei. Letzteres sei im Fall des Antragstellers offensichtlich nicht der Fall, sodass von einer wirksamen Eheschließung auszugehen sei. Damit wird die Bewertung des Verwaltungsgerichts aber nicht ernstlich in Zweifel gezogen. Denn das Verwaltungsgericht hat sich nicht darauf beschränkt, die Unvereinbarkeit der ausländischen Rechtsordnung (mögliche Online-Trauung in U.) mit den Grundsätzen des deutschen Rechts festzustellen, sondern weiter begründet, weshalb das konkrete Ergebnis der Anwendung dieses Rechts aus der Sicht des deutschen Eherechts zu missbilligen sei (zu diesen Anforderungen vgl. auch BGH, B.v. 29.9.2021 – XII ZB 309/21 – juris Rn. 32 f.). Dazu verhält sich die Beschwerdebegründung jedoch nicht.
Vor diesem Hintergrund legt die Beschwerde auch nicht hinreichend dar, inwiefern die unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme der Teilhabeberatungsstelle EUTB O.-K. vom 30. März 2022 geltend gemachte „dringend erforderliche weitere Anwesenheit des Beschwerdeführers für die Gesundheit der Ehefrau“ (noch) entscheidungserhebliche Bedeutung für den Anspruch des Antragstellers auf Erteilung einer (familienbezogenen) Aufenthaltserlaubnis hat.
Auf die Einwendungen der Antragstellerseite gegen die weiteren tragenden Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung – Unzulässigkeit des Eilrechtsschutzantrags nach § 80 Abs. 5 VwGO, fehlende allgemeine Erteilungsvoraussetzung gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG – kommt es nach alledem nicht mehr an.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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