Verwaltungsrecht

Der Verpflichtung zum Waffendienst in Israel wohnt keine politische Verfolgungstendenz inne

Aktenzeichen  M 17 K 16.31574

Datum:
8.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
AsylG AsylG § 3, § 3a Abs. 2 Nr. 3, Nr. 5, § 30 Abs. 1
RL 2011/95/EU Art. 9 Abs. 1, Abs. 2
EMRK EMRK Art. 15 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Bei der Berufung auf eine Individualverfolgung kann das Offensichtlichkeitsurteil unter anderem dann gerechtfertigt sein, wenn die im Einzelfall behauptete Gefährdung offensichtlich nicht asylrelevant ist, den erforderlichen Grad der Verfolgungsintensität nicht erreicht oder sich das Vorbringen des Asylbewerbers insgesamt als eindeutig unglaubhaft erweist. (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Verpflichtung zum Waffendienst in Israel wohnt keine politische Verfolgungstendenz iSd § 3 AsylG, zB in Form einer politischen Disziplinierung und Einschüchterung von politischen Gegnern in den eigenen Reihen, einer Umerziehung von Andersdenkenden oder eine Zwangsassimilation von Minderheiten, inne. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird als offensichtlich unbegründet abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1. Über den Rechtsstreit konnte mit Einverständnis der Klagepartei (Schriftsatz vom 1. Dezember 2016) und der Beklagten (allgemeine Prozesserklärung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25. Februar 2016 – Generalerklärung) ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
2. Die Klage ist unzulässig, soweit sie sich gegen Nr. 6 des Bescheids vom 24. Juni 2016 richtet (2.1.), im Übrigen ist sie unbegründet (2.2.), da der Bescheid rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
2.1. Bezüglich Nr. 6 des streitgegenständlichen Bescheids, in der das sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG lediglich gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG zeitlich befristet wird, ist die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig. Denn die schlichte Aufhebung der Nr. 6 des Bescheids aufgrund einer Anfechtungsklage beträfe lediglich die getroffene Befristungsentscheidung als solche, so dass ein erfolgreiches Rechtsmittel zur Folge hätte, dass das – unmittelbar kraft Gesetz geltende – Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG unbefristet gelten würde. Die Rechtsstellung des Klägers wäre somit nicht verbessert. Das Ziel einer kürzeren Befristung der gesetzlichen Sperrwirkung nach § 11 Abs. 2 AufenthG müsste, ebenso wie die Erteilung einer Betretenserlaubnis gemäß § 11 Abs. 8 AufenthG, im Wege der Verpflichtungsklage erstritten werden (vgl. NdsOVG, B. v. 14.12.2015 – 8 PA 199/15 – juris Rn. 5; VG München, B. v. 12.1.2016 – M 21 S 15.31689 – UA S. 8; VG Ansbach, B. v. 20.11.2015 – AN 5 S 15.01667 – juris Rn. 2; B. v. 18.11.2015 – AN 5 S 15.01616 – UA S. 2; VG Aachen, B. v. 30.10.2015 – 6 L 807/15.A – juris Rn. 8; Funke/Kaiser, GK-AufenthG, Stand Dezember 2015, § 11 Rn. 183, 190, 193, 196).
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass von Klägerseite keine substantiierten Bedenken gegen die Länge der Befristung vorgebracht wurden.
2.2. Im Übrigen ist die Klage zulässig, aber offensichtlich unbegründet.
Ein Verfolgungs- oder Lebensschicksal, das die Zuerkennung einer Rechtsstellung als Flüchtling rechtfertigen würde, ist vorliegend aus dem Vortrag des Klägers nicht im Ansatz (§ 78 AsylG) erkennbar.
Die Ablehnung des Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Anerkennung als Asylberechtigter als offensichtlich unbegründet beruht auf § 30 Abs. 1 AsylG. Nach § 30 Abs. 1 AsylG i. d. F. vom … August 2016 (BGBl S. 1939 ff) ist ein Asylantrag offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen. Offensichtlich unbegründet ist ein Asylantrag nach ständiger Rechtsprechung dann, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen, und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung sich die Abweisung geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B. v. 5.2.1993 – 2 BvR 1294/92 – InfAuslR 1993, 196; BVerwG, B. v. 01.03.1979 – 1 B 24/79 – sowie BVerfG, B. v. 12.07.1983 – 1 BvR 1470/82 – BVerfGE 65, 76; U. v. 11.12.1985 – 2 BvR 361/83, 2 BvR 449/83 – BVerfGE 71, 276; B. v. 20.12.2006 – 2 BvR 2063/06 – NVwZ 2007, 1046, jeweils in juris).
Bei der Berufung auf eine Individualverfolgung kann das Offensichtlichkeitsurteil unter anderem dann gerechtfertigt sein, wenn die im Einzelfall behauptete Gefährdung offensichtlich nicht asylrelevant ist, den erforderlichen Grad der Verfolgungsintensität nicht erreicht oder sich das Vorbringen des Asylbewerbers insgesamt als eindeutig unglaubhaft erweist.
Gemessen an diesen Grundsätzen bestehen hier keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der insoweit seitens des Bundesamts getroffenen Entscheidungen. Das Gericht folgt der zutreffenden Begründung der Beklagten im angegriffenen Bescheid, auf die verwiesen wird (§ 77 Abs. 2 AsylG).
2.2.1. Für das Gericht ist offensichtlich, dass der geltend gemachte Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dem Kläger nicht zusteht. Es ergeben sich schon im Ansatz ganz offensichtlich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass beim Kläger eine asylrelevante und asylerhebliche Verfolgung, Bedrohung oder Gefährdung vorliegen könnte.
Soweit der Kläger im Wesentlichen vortrug, er werde von den Einheimischen diskriminiert, es sei allgemein sehr gefährlich in Israel zu leben und die arabische Bevölkerung halte sich nicht an Gesetze, ergeben sich offensichtlich keine Hinweise für eine staatliche, politische Verfolgung i. S. des § 3 AsylG. Die im Einzelfall behauptete Gefährdung erreicht schon nicht den erforderlichen Grad der Verfolgungsintensität. Durch seinen Vortrag, sich in Israel allgemein benachteiligt zu fühlen und wirtschaftlich kaum Perspektiven zu haben, erhellt sich die Situation des Klägers eher als eine typische Integrationsproblematik eines spät und in ein ihm fremdes Land ausgewanderten Menschen. Es mag sein, dass er in Usbekistan als „Russischsprachiger“ und in Israel als „Nicht-Jude“ diffamiert werde, wie er meint. Aber eine politische und die Flüchtlingsanerkennung rechtfertigende Verfolgung liegt darin offensichtlich nicht (VG Augsburg, U. v. 10.08.2011 – Au 6 K 11.30189 – juris Rn. 26).
Auch die Furcht des Klägers, bei einer Rückkehr nach Israel wegen der von ihm vorgetragenen Wehrpflichtentziehung festgenommen und verurteilt zu werden, führt nicht zu einer (politischen) Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG.
a) Der Verpflichtung des Klägers zum Waffendienst in seinem Herkunftsland Israel wohnt keine politische Verfolgungstendenz im Sinne des § 3 AsylG, z. B. in Form einer politischen Disziplinierung und Einschüchterung von politischen Gegnern in den eigenen Reihen, einer Umerziehung von Andersdenkenden oder eine Zwangsassimilation von Minderheiten, inne. Dafür ergeben sich weder aus der besonderen Ausformung der die Wehrpflicht begründenden Regelungen noch aus ihrer praktischen Handhabung oder ihrer Funktion im allgemeinen politischen System des Staates Israels Anhaltspunkte.
Am 26. Mai 1948 gründete der erste Premierminister des neuen Staates Israel, David Ben Gurion, die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte. Gemäß dem israelischen Verteidigungsgesetz von 1949 werden sowohl jüdische Männer als auch jüdische Frauen im Alter von 18 Jahren wehrpflichtig. Die Einführung der Wehrpflicht im Allgemeinen und die Einberufung des Klägers im Besonderen basiert nicht auf Gründen der politischen Verfolgung, sondern auf den damals wie heute vorherrschenden Bedrohungen Israels durch benachbarte Länder und der instabilen politischen Lage im Nahen Osten. Die Bestrafung der Wehrdienstentziehung erfolgt zur Aufrechterhaltung der Disziplin innerhalb der Streitkräfte. Nahezu jeder Staat nimmt ein Desertieren von den Streitkräften nicht sanktionslos hin. Dafür, dass die Bestrafung des israelischen Staates auf das Desertieren letztlich wegen einer politischen Überzeugung des Klägers oder anderer asylrelevanter Merkmale getroffen werden soll (sog. Polit-Malus; siehe BVerfG, U. v. 11.12.1985 – 2 BvR 361/83, 2 BvR 449/83 – juris; BVerwG, U. v. 31.03.1981 – 9 C 6/80 – juris) ist hier konkret nichts ersichtlich.
b) Auch ist der Umstand der Wehrpflicht und der Strafbarkeit der Wehrpflichtentziehung in Israel allein noch nicht als schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte im Sinne von § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG bzw. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a) der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (Qualifikationsrichtlinie, im Folgenden: QualfRL) i. V. m. Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention vom 4. November 1950 (EMRK), zuletzt geändert durch Protokoll Nr. 14 vom 13. Mai 2004, anzusehen. Denn Art. 15 Abs. 2 EMRK bezieht sich nur auf Art. 4 Abs. 1 EMRK, nicht aber auch auf Art. 4 Abs. 2 i. V. m. Abs. 3 Buchst. b) EMRK und auch nicht auf Art. 9 EMRK (VG München, U. v. 17.09.2012 – M 24 K 12.30088).
c) Der Kläger vermag sich zudem nicht mit Erfolg auf § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG bzw. Art. 9 Abs. 2 Buchst. c) QualfRL zu berufen. Als Verfolgung kann nach diesen Vorschriften grundsätzlich eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung gelten (BayVGH, B. v. 15.02.2016 – 11 ZB 16.30012 – juris Rn. 13; EuGH, U. v. 26.2.2015 – C-472/13 – Shepherd – ABl EU 2015 C 138, S. 7 = juris Rn. 56; Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, 1. Aufl. 2009, § 9 Rn. 178). Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass jeder Staat ein legitimes Recht hat, eine Streitkraft zu unterhalten, seine Staatsangehörigen zum Wehrdienst in dieser Streitkraft heranzuziehen und Personen, die sich dem Wehrdienst entziehen, angemessen zu bestrafen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gehört das in Art. 51 UN-Charta anerkannte Recht zur Organisation der Selbstverteidigung zu den originären und souveränen Rechten eines jeden Staates. Dieses Recht erlaube es den Staaten, die Wehrpflicht ihrer Bürger als staatsbürgerliche Pflicht einzuführen und die Erfüllung dieser Pflicht durch Strafandrohungen zu sichern (BVerwG, B. v. 17.7.1979 – 1 B 492.79; ebenso VGH BW, U. v. 6.2.1985 – A 13 S 223/84; BVerwG, U. v. 06.12.1988 – 9 C 22/88 – juris; so schon BVerwG, B. v. 26.09.1974 – I B 57.74 – juris). Eine unverhältnismäßige Bestrafung wegen einer Wehrdienstentziehung kann aber regelmäßig nur dann angenommen werden, wenn der Betreffende durch die fehlende Möglichkeit der Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen und die daraus folgende Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung, in seinem Recht aus Art. 9 EMRK verletzt wird (vgl. EGMR, U. v. 7.7.2011 – 23459/03 – BeckRS 2012 80059; BayVGH, B. v. 15.02.2016 – 11 ZB 16.30012 – juris Rn. 13). Dabei kommt es insbesondere auch darauf an, ob der Betreffende eine echte und aufrichtige Gewissensentscheidung gegen den Wehr- oder Kriegsdienst glaubhaft machen kann (Marx a. a. O. Rn. 192).
Nach seinem eigenen Vortrag leistete der Kläger bereits Wehrdienst in der israelischen Armee ab, zuletzt im Rang eines Hauptgefreiten. Dem folgend gab der Kläger auch in seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt am 17. November 2014 gerade nicht an, den Militärdienst etwa aus Gewissensgründen verweigert zu haben bzw. verweigern zu wollen, sondern es vielmehr abzulehnen, an militärischen Einsätzen teilzunehmen, weil damit eine sehr hohe Lebensgefahr verbunden sei. Damit ist Art. 9 EMRK auf den Kläger nicht anwendbar, da seinen Äußerungen schon keine Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entnommen werden kann. Seine Einlassungen liefern keine Anhaltspunkte dafür, dass sein vorgetragenes Desertieren – aus den in hebräischer Sprache vorgelegten Unterlagen ist schon nicht ersichtlich, ob der Militärdienst nicht bereits vollständig abgeleistet wurde – von einem ernsthaften und unüberwindbaren Konflikt zwischen der Verpflichtung zum Wehrdienst und seinem Gewissen getragen wird. Damit stellte die Desertion des Klägers auch nicht das letzte Mittel dar, um nicht an der Begehung von ihm befürchteter Kriegsverbrechen beteiligt zu werden. Denn es ist nicht ersichtlich, dass sich der Kläger ernsthaft mit der Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung beschäftigt und auch sonst Versuche unternommen hat, etwa in eine andere Einheit versetzt zu werden oder auf anderem Wege seine Entlassung aus den Streitkräften zu bewirken.
Im Übrigen dürfte nach den vorliegenden Erkenntnismitteln die Reaktion des israelischen Staates auf eine Wehrdienstentziehung als moderat angesehen werden, jedenfalls sich die Behandlung des Klägers als nicht asylrelevant unangemessen darstellen. So belaufen sich die Haftstrafen für die Weigerung, in den besetzten Gebieten zu dienen, um damit den Gefahren für Leib und Leben zu entgehen, relativ konstant auf in der Regel 28 Tage (teilweise auch nur 14 oder 21 Tage oder in einigen Fällen 35 Tage) (War Resisters’ International, Kriegsdienstverweigerung in Israel: Ein nicht anerkanntes Menschenrecht vom 31.01.2003, www.wri-irg.org/de/co-isr-03.htm). Selbst für Fahnenflucht hat es bisher höchstens 18 Monate Gefängnis gegeben, meistens handelt es sich um eine Gefängnisstrafe von wenigen Monaten, die allerdings in einem Militärgefängnis abzusitzen ist (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 19.02.2004, Az.: 508-516.80/42365 zur Anfrage des VG Köln vom 28.01.2004 – 8 K 10495/02.A).
Nach der Rechtsprechung des EuGH (U. v. 26.2.2015 – C-472/13 – Shepherd – ABl EU 2015 C 138, S. 7 = juris Rn. 56) ist im Fall des Klägers damit nicht davon auszugehen, dass die ihm drohenden Sanktionen „angesichts der legitimen Ausübung des Rechts auf Unterhaltung einer Streitkraft durch den betreffenden Staat” eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Bestrafung i. S. von Art. 9 Abs. 2 Buchst. b und c EU-Richtlinie 2011/95/EU, der dem § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG entspricht, darstellen (Rn. 56; dort drohende Freiheitsstrafe von 100 Tagen bis zu 15 Monaten – bei einem Strafrahmen bis zu fünf Jahren).
Der Kläger unterliegt als israelischer Staatsbürger der allgemeinen Pflicht zur Leistung des Wehrdienstes. Er kann die Erfüllung dieser Pflicht, nur weil die Teilnahme an militärischen Einsätzen mit hoher Lebensgefahrverbunden ist, nicht verweigern – jedenfalls nicht, ohne sich den der Pflichtverweigerung geltenden Sanktionen/Bestrafungen auszusetzen (VG Augsburg, U. v. 16.12.2003 – Au 8 K 03.30219 – juris Rn. 29; VG Augsburg, U. v. 10.08.2011 – Au 6 K 11.30189 – juris Rn. 25). Geht es vorliegend somit maßgeblich um die Vermeidung persönlicher Risiken und den mit dem Wehrdienst verbundenen Gefahren, ist die Wertung der speziellen Vorschrift des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG bzw. Art. 9 Abs. 2 Buchst. e) QualfRL heranzuziehen.
d) Aber auch eine Verfolgungshandlung nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG kommt nicht in Betracht. Mit dieser Vorschrift hat der deutsche Gesetzgeber Art. 9 Abs. 2 Buchst. e) QualfRL umgesetzt, wonach als Verfolgung die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt gelten kann, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln des Art. 12 Abs. 2 QualfRL fallen.
Der Kläger hat aber nicht mit hinreichender Plausibilität dargelegt, dass die militärische Einheit, der er angehört, im Rahmen ihrer Einsätze mit hoher Wahrscheinlichkeit Kriegsverbrechen begangen hat oder begehen wird (EuGH, U. v. 26.2.2015 – C-472/13 – Shepherd – ABl EU 2015 C 138, S. 7 – juris Rn. 43 zur EU-Richtlinie 2004/83/EG, die insoweit mit der nunmehr gültigen EU-Richtlinie 2011/95/EU identisch ist). Dabei kann offen bleiben, ob derzeit nach dem Ende der Militäroperation der israelischen Verteidigungsstreitkräfte in den palästinensischen Autonomiegebieten (Operation Protective Edge; Waffenstillstand am 26. August 2014) überhaupt ein bewaffneter Konflikt im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG bzw. Art. 9 Abs. 2 Buchst. e) RL 2011/95/EU vorliegt. Denn der Kläger hat nicht plausibel und substantiiert dargelegt, dass die militärische Einheit, der der Kläger angehört, im Rahmen ihrer Einsätze mit hoher Wahrscheinlichkeit Kriegsverbrechen begehen wird. Zwar prüft derzeit der Internationale Strafgerichtshof die Aufnahme von Ermittlungen hinsichtlich möglicher Kriegsverbrechen im Gaza-Krieg (Die Welt, Artikel vom 16.01.2015, http://www.welt.de/politik/ausland/article136464746/Gerichtshof-prueft-Verbrechen-im-Gaza-Krieg.html; Amnesty International vom 07.07.2016: Israel/Gaza: Zwei Jahre Straflosigkeit seit Gaza-Krieg, https://www.amnesty.de/2016/7/7/israelgaza-zwei-jahre-straflosigkeit-seit-gaza-krieg; SZ Artikel vom 05.07.2015, http://www.sueddeutsche.de/politik/aussenansicht-israel-palaestina-und-das-recht-1.2551561), gleichwohl ermittelt die israelische Militärpolizei in Fällen, in denen Beweise oder Indizien für kriminelle Vergehen vorliegen. Parallel untersucht der Generalanwalt der israelischen Armee unzählige Zwischenfälle, die zu 15 strafrechtlichen Untersuchungen führten (Die Welt, Artikel vom 26.02.2015). Ahndet jedoch der die Operationen durchführende Staat Kriegsverbrechen, hält der EuGH (U. v. 26.2.2015 – C-472/13 – Shepherd – ABl EU 2015 C 138, S. 7 – juris Rn. 42) die Wahrscheinlichkeit, dass ein Militärangehöriger dieses Staates zur Begehung von Kriegsverbrechen gezwungen sein könnte, für „wenig plausibel”.
Des Weiteren müsste die Dienstverweigerung das einzige Mittel darstellen, das es dem Kläger erlaubt, der Beteiligung an den behaupteten Kriegsverbrechen zu entgehen. Nach dem EuGH-Urteil schließt der Umstand, dass im vorliegenden Fall der Kläger vor seiner Desertion kein Verfahren zur Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer angestrengt hat, jeden Schutz nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. e) EU-Richtlinie 2011/95/EU aus, sofern er nicht beweist, dass ihm in seiner konkreten Situation kein derartiges Verfahren zur Verfügung stand (Rn. 45; kritisch dazu Marx NVwZ 2015, 575). Nach den derzeitigen Erkenntnismitteln ist die Verweigerung des Militärdienstes für Männer eine langwierige Prozedur mit mehreren Anhörungen, an deren Ende sich der Verweigerer vor einem Gewissens-Komitee zu verantworten hat. Darauf folgen eventuell Gerichtsverfahren, an deren Ende der Verweigerer fast immer vom Wehrdienst befreit ist, allerdings unter Umständen mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bestraft werden kann. Als Alternative zur Verweigerung gelten innerhalb der Streitkräfte im Regelfall Posten außerhalb der Kampfeinheiten, beispielsweise beim Erteilen von Zivilschutzunterricht an Schulen (vgl. Wikipedia, Israelische Verteidigungsstreitkräfte unter https://de.wikipedia.org/wiki/Israelische_Verteidigungs-streitkr%C3%A4fte#Wehrpflicht). Nach alledem bestehen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG) keine ernstlichen Zweifel daran, dass eine Verfolgungshandlung nach § 3a Abs. 2 Nr. 3, Nr. 5 AsylG bzw. Art. 9 Abs. 2 Buchst. e EU-Richtlinie 2011/95/EU offensichtlich nicht in Betracht kommt.
2.2.2. Ernstliche Zweifel bestehen ebenfalls nicht hinsichtlich der Versagung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG). Die Gewährung subsidiären Schutzes kommt offensichtlich (§ 30 Abs. 1 AsylG) nicht in Betracht, weil unter Hinweis auf die Ausführungen zum Flüchtlingsschutz und unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers keine Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, dass ihm bei Rückkehr nach Israel ein ernsthafter Schaden droht. Im Übrigen wird auf die Begründung des Bescheides des Bundesamtes vom 24. Juni 2016 verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
2.2.3. Ferner bestehen keine Anhaltspunkte für Abschiebungsverbote im Sinne des § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG. Was insbesondere § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG anbetrifft, liegt eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit nicht vor. Insbesondere ist ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht aufgrund einer Erkrankung des Klägers gegeben. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Vorschrift kann einen Anspruch auf Abschiebungsschutz begründen, wenn die Gefahr besteht, dass sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Heimatstaat wesentlich verschlechtert. Für die Bestimmung der „Gefahr“ gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, d. h. die drohende Rechtsgutverletzung darf nicht nur im Bereich des Möglichen liegen, sondern muss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein (BVerwG, B. v. 2.11.1995 – 9 B 710/94 – DVBl 1996,108). Eine Gefahr ist „erheblich”, wenn eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist. Das wäre der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Eine wesentliche Verschlechterung ist nicht schon bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden. Außerdem muss die Gefahr konkret sein, was voraussetzt, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach der Rückkehr des Betroffenen in sein Heimatland eintreten wird, weil er auf die dort unzureichende Möglichkeiten zur Behandlung seiner Leiden angewiesen wäre und anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte (vgl. BVerwG, U. v. 29.7.1999 – 9 C 2/99 – juris Rn. 8). Eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. etwa BVerwG, U. v. 29.10.2002 – 1 C 1/02 – DVBl 2003,463) auch dann, wenn im Heimatland des Ausländers die notwendige Behandlung oder Medikation seiner Erkrankung zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist.
Gemessen an diesen Grundsätzen besteht bei dem Kläger kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Für ihn ist zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts keine derart schwere Erkrankung dargetan. Der Kläger trug lediglich unsubstantiiert ohne Vorlage eines Attests vor, in Israel ständig gesundheitliche Probleme mit dem Atmen gehabt zu haben, was zu Schwierigkeiten bei der Arbeit geführt hätte. Bei einer Rückkehr würde er wieder krank werden. Das Klima habe ihm dort Probleme bereitet. Ausdrücklich erklärte der Kläger im Rahmen seiner persönlichen Anhörung, dass es ihm derzeit in Deutschland gesundheitlich viel besser gehe und er sich gerade in keiner ärztlichen Behandlung befinde. Auch sei er in den letzten zwei Jahren hier in Deutschland kaum krank gewesen. Diese Einlassungen machen deutlich, dass für den Kläger in Israel mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben aufgrund seines Gesundheitszustandes besteht. Zudem geht das Gericht davon aus, dass Atembeschwerden des Klägers auch in Israel behandelbar sind.
Die Haftbedingungen in israelischen Militärgefängnissen – sollte der Kläger aufgrund seiner Wehrpflichtentziehung in Beugehaft genommen werden – mögen möglicherweise Standards in deutschen Haftanstalten nicht gleichen, stellen aber keine konkrete Leibes- oder Lebensgefahr dar (VG Augsburg, B. v. 23.05.2011 – Au 6 S 11.30206 – juris Rn. 43).
2.2.4. Vor diesem Hintergrund ist auch die nach Maßgabe der §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung nicht zu beanstanden. Die gesetzte Ausreisefrist entspricht der Regelung in § 36 Abs. 1 AsylG. Fehlt im Bescheid eine ausdrückliche Feststellung der Offensichtlichkeit in Bezug auf den subsidiären Schutz, obgleich die Voraussetzungen aber in der Sache vorliegen, führt dies nicht dazu, dass deshalb automatisch ein Fall der sonstigen Ablehnung im Sinne von § 38 Abs. 1 AsylG vorliegt (VG Stuttgart, B. v. 01.09.2016 – A 7 K 3628/16 – juris; VG Köln, B. v. 24.8.2016 – 3 L 1612/16.A – juris; a.A. VG Münster, B. v. 7.8.2016 – 6 L 618/16.A – juris).
3. Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
4. Dieses Urteil ist unanfechtbar (§ 78 Abs. 1 Satz 1 AsylG).


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