Verwaltungsrecht

Dienstunfall auf dem Weg zu einem dienstlichen Termin während Elternzeit

Aktenzeichen  3 ZB 20.2667

Datum:
21.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 38225
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBeamtVG Art. 46 Abs. 1, Abs. 5
LlbG Art. 61 Abs. 1 S. 2
VwGO § 124 Abs. 2

 

Leitsatz

Eine Beamter, der während einer Beurlaubung vom Dienst wegen Elternzeit zur Eröffnung einer Beurteilung in diebisherige Dienststelle einbestellt wird, steht unter Dienstunfallschutz, wenn er auf dem Weg von der Wohnung zur Dienststelle einen Unfall mit Körperschaden erleidet. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 12 K 20.710 2020-07-23 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die 1983 geborene Klägerin stürzte am 8. Dezember 2018 auf den Stufen des Staatsministeriums für Wirtschaft, Landeswicklung und Energie (Staatsministerium) auf dem Weg zur Eröffnung ihrer Zwischenbeurteilung, zu der sie vom zuständigen Ministerialdirigenten Dr. B. einbestellt worden war. Die Klägerin war zum Zeitpunkt des Unfalls in Elternzeit (§ 23 Abs. 1 UrlMV).
Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass sich der Unfall in Ausübung des Dienstes (Art. 46 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG) ereignet hat, da die Eröffnung der dienstlichen Beurteilung Folge des beamtenrechtlichen Dienstverhältnisses sei. Selbst wenn man dies anders sehen wollte, wäre angesichts der Teilnahme an der Beurteilungseröffnung auf Ersuchen der Dienststelle insoweit eine Unterbrechung der Elternzeit anzunehmen.
Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung.
II.
Der auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel) und des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (grundsätzliche Bedeutung) gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts bestehen auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht. Solche sind nur zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit dieser Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen können. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
a. Der Beklagte ist der Auffassung, das Verwaltungsgericht habe den Anwendungsbereich des Art. 46 Abs. 1 BayBeamtVG in unzulässiger, vom Gesetz nicht gedeckter Weise erweitert. Eine Erweiterung des Dienstunfallschutzes auf jede Handlung, die – unabhängig von der Pflicht zur Dienstleistung – in irgendeiner Art von Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis stehe, entspreche nicht dem Zweck der Bestimmung und überspanne die Anforderungen an die Fürsorgepflicht des Dienstherrn zum Schutz der Beamtinnen und Beamten vor den mir der Erfüllung ihrer dienstlichen Pflichten verbundenen Risiken.
Ernstliche Zweifel werden damit nicht dargelegt.
Das gesetzliche Merkmal „in Ausübung des Dienstes“ verlangt eine besonders enge ursächliche Verknüpfung des Ereignisses mit dem Dienst. Maßgebend hierfür ist der Sinn und Zweck der beamtenrechtlichen Unfallfürsorgeregelung. Dieser liegt in einem über die allgemeine Fürsorge hinausgehenden besonderen Schutz des Beamten bei Unfällen, die außerhalb seiner privaten (eigenwirtschaftlichen) Sphäre im Bereich der in der dienstlichen Sphäre liegenden Risiken eintreten, also in dem Gefahrenbereich, in dem der Beamte entscheidend aufgrund der Anforderungen des Dienstes tätig wird (BVerwG, U.v. 29.8.2013 – 2 C 1.12 – juris Rn. 10).
Das ist der Fall, wenn der Beamte den Unfall bei einer Tätigkeit erleidet, die im engen natürlichen Zusammenhang mit seinen eigentlichen Dienstaufgaben oder sonstigen dienstlich notwendigen Verrichtungen oder dem dienstlichen Über- und Unterordnungsverhältnis steht, bei der der Beamte also gewissermaßen „im Banne“ des Dienstes steht (BayVGH, U.v. 17.3.2016 – 3 B 14.2652 – juris Rn. 31; BVerwG, U.v. 03.11.1976 – VI C 203.73 – juris Rn. 24).
Mit dem von der Rechtsprechung entwickelten Begriff „im Banne des Dienstes“ sollten ursprünglich Verrichtungen erfasst werden, die zwar nicht spezifisch dienstlich sind, aber bei lebensnaher Betrachtung zusammen mit den dienstlichen Verrichtungen zu einer einheitlichen, insgesamt dem Dienst zuzurechnenden Gesamtbetrachtung gehören (vgl. Kazmaier in Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, Beamtenversorgungsrecht des Bundes und der Länder, Stand: Aug. 2020, § 31 BeamtVG Rn. 69).
Das Kriterium „im Banne des Dienstes“ rechtfertigt es, das Aufsuchen des Staatsministeriums zur Eröffnung der dienstlichen Beurteilung nicht der Privatsphäre der Klägerin, sondern dem dienstlichen Bereich zuzurechnen.
Die Eröffnung einer beamtenrechtlichen Beurteilung ist typischer, üblicher und selbstverständlicher Bestandteil eines beamtenrechtlichen Dienstverhältnisses (BayVGH, B.v. 20.6.2016 – 3 ZB 14.1450 – juris Rn. 6). Die Klägerin wurde zur Eröffnung der Zwischenbeurteilung – was mit der Antragsbegründung nicht in Frage gestellt wird – „einbestellt“. Es entsprach erkennbar dem Interesse des Dienstherrn, die dienstliche Beurteilung im Rahmen der Eröffnung mit der Klägerin (persönlich) zu besprechen (Art. 61 Abs. 1 Satz 2 LlbG). Der Dienstherr hat damit den Anlass dafür gesetzt, dass sich die Klägerin auf den Weg zum Staatsministerium begab, wo sie den Unfall erlitt. Diesen Aspekt blendet die Antragsbegründung völlig aus. Der Beklage weist zwar zutreffend darauf hin, eine Eröffnung habe nicht zwingend persönlich zu erfolgen und es habe auch die Möglichkeit bestanden, der Klägerin die Beurteilung durch Übersendung auf dem Postweg oder ggf. erst nach Rückkehr aus der Elternzeit zu eröffnen. Entscheidend ist aber, dass sich Dr. B. für keine dieser Varianten entschieden hatte. Der Schluss des Beklagten, die Klägerin habe den Termin am 18. Dezember 2018 und damit das mit seiner Wahrnehmung verbundene Risiko freiwillig in Kauf genommen, lässt sich mit dem Grundsatz der Fürsorgepflicht des Beklagten nicht ansatzweise vereinbaren. Der Beklagte hat durch die „Einbestellung“ den dienstlichen Grund für den Wegeunfall der Klägerin gesetzt. Diese hat den Termin in Ausübung des Dienstes wahrgenommen, weil das Beurteilungsgespräch dienstlich geprägt ist und auf Veranlassung des Dienstvorgesetzten durchgeführt werden sollte. Der Umstand, dass die Klägerin zu diesem Zeitpunkt beurlaubt war, ändert daran nichts.
Eine andere Beurteilung rechtfertigt auch der Hinweis auf Art. 46 Abs. 5 BayBeamtVG nicht. Diese Bestimmung erstreckt die Unfallfürsorgepflicht auf den Personenkreis der im öffentlichen oder im dienstlichen Interesse beurlaubten Beamten, sofern sie in Ausübung der Tätigkeit, derentwegen sie beurlaubt sind, einen Körperschaden erleiden. Hintergrund der Bestimmung ist, dass es an einer Weisungsbeziehung zum Dienstherrn fehlt; die Tätigkeit ist daher nicht Dienst für den Dienstherrn (vgl. zur gleichlautenden bundesrechtlichen Bestimmung: Kazmaier a.a.O. Rn. 293).
Der Beklagte ist der Auffassung, weitere Ausnahmen, unter denen Dienstunfallschutz während einer Phase der Beurlaubung vom Dienst gewährt werden könne, sehe das Gesetz nicht vor. Dieser Einwand berücksichtigt jedoch ebenso wenig wie der Hinweis auf die vorgebliche Freiwilligkeit der Teilnahme an der Beurteilungseröffnung den Umstand, dass die Klägerin „einbestellt“ worden war und damit eine Weisungsbeziehung in weitesten Sinne bestand. Durch die „Einbestellung“ hat der Dienstherr den Grund für das Betreten des Dienstgebäudes gesetzt. Daran muss er sich festhalten lassen.
b. Soweit sich die Antragsschrift auch auf die weitere Hilfserwägung des Verwaltungsgerichts (Unterbrechung der Elternzeit) bezieht, sind diese Ausführungen von vornherein nicht geeignet, die Zulassung der Berufung zu begründen, weil es auf die Richtigkeit dieser Ausführungen nicht entscheidungserheblich ankommt.
2. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu. Die vom Beklagten aufgeworfene Frage,
„ob eine Beamtin, die während einer Beurlaubung vom Dienst wegen Elternzeit (ohne Bezüge) einen Termin zur Eröffnung einer Beurteilung in ihrer bisherigen Dienststelle wahrnimmt, unter Dienstunfallschutz steht, wenn sie auf dem Weg von der Wohnung zur Dienststelle einen Unfall mit Körperschaden erleidet“
lässt sich, wie sich aus Vorstehendem (1.) ergibt, auf der Grundlage der Rechtsprechung insbesondere zur gleichlautenden bundesrechtlichen Bestimmung (§ 31 BeamtVG) eindeutig lösen. Der Wegeunfall hat sich im Bereich der dienstlichen Sphäre ereignet.
3. Der Zulassungsantrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 10.8 des Streitwertkatalogs (wie Vorinstanz).
4. Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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