Verwaltungsrecht

Disziplinarmaß bei außerdienstlichem Internet-Chat eines Lehrers

Aktenzeichen  16a D 19.904

Datum:
9.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 43503
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BeamtStG § 34 S. 3, § 47 Abs. 1 S. 2
BayDG Art. 6 Abs. 1, Art. 10 Abs. 1 S. 1, Art. 14 Abs. 1
BayEUG Art. 1, Art. 2, Art. 59 Abs. 2 S. 1, S. 2

 

Leitsatz

1. Unabhängig von der Strafbarkeit kann ein Verhalten außerhalb des Dienstes geeignet sein, das Vertrauen in die Diensterfüllung des Beamten zu beeinträchtigen. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Disziplinarrecht unterscheidet – im Gegensatz zum Strafrecht – nicht zwischen Vollendung und Versuch; es reicht bereits die im Beginn der Ausführungshandlung liegende Gefährdung des betroffenen Rechtsguts. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Vorwurf des „Missbrauchs entgegengebrachten Vertrauens“ im Rahmen privater Betätigung im Internet reicht nicht aus, um die erforderliche bedeutsame und in Bezug auf das Amt im statusrechtlichen Sinne erfolgte Beeinträchtigung des Vertrauens im Sinn von § 47 Abs. 1 S. 2 BeamtStG begründen zu können. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
4. Soweit außerdienstliches Verhalten disziplinarrechtlich zu ahnden ist, muss der außerdienstliche Charakter bei der Maßnahmebemessung Berücksichtigung finden; jedenfalls statusberührende Disziplinarmaßnahmen kommen daher nur bei schwerwiegenden Verfehlungen in Betracht. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
5. Scheidet die eigentlich verwirkte Zurückstufung aus, so ist die Kürzung der Dienstbezüge als nächst niedrigere Disziplinarmaßnahme, dann allerdings im höchstmöglichen Umfang auszusprechen. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 19L DK 18.2045 2019-03-06 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.    In Abänderung von Ziffer I. des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 6. März 2019 wird gegen den Beklagten auf die Disziplinarmaßnahme der Kürzung der Dienstbezüge um ein Fünftel auf fünf Jahre erkannt.
II.    Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Gründe

Die zulässige Berufung des Beklagten hat insoweit teilweise Erfolg, als unter Aufhebung der vom Verwaltungsgericht verhängten Entfernung aus dem Beamtenverhältnis die Kürzung seiner Dienstbezüge im tenorierten Umfang ausgesprochen wird.
Der Beklagte hat sich durch sein disziplinarrechtlich relevantes außerdienstliches Verhalten eines Dienstvergehens (1./2.) schuldig gemacht. Die grundsätzliche Zuordnung des Dienstvergehens entsprechend seiner Schwere (Art. 14 Abs. 1 BayDG; 3.) zu einer der in Art. 6 Abs. 1 BayDG genannten Disziplinarmaßnahmen richtet sich hier – in Ermangelung eines verwirklichten Straftatbestandes – nach sämtlichen Umständen des konkreten Falles (3.1). Danach war in einer Gesamtschau die volle Ausschöpfung des zur Verfügung stehenden Disziplinarrahmens nicht geboten, vielmehr grundsätzlich die Zurückstufung um eine Gehaltsstufe ausreichend; allerdings scheidet eine Rückstufung hier im Hinblick darauf aus, dass sich der Beklagte noch im Eingangsamt seiner Laufbahn befindet (Art. 10 Abs. 1 Satz 1 BayDG), so dass eine Kürzung der Dienstbezüge in höchstmöglichem Umfang festzusetzen war (3.2).
1. Der Senat legt seiner Entscheidung die Vorwürfe aus der Disziplinarklage vom 25. April 2018 zugrunde, von denen auch das Verwaltungsgericht in seinem Urteil (UA S. 8 bis 11) ausgegangen ist und die der Beklagte in den mündlichen Verhandlungen in den wesentlichen Punkten bestätigt hat. Danach hat er im Zeitraum vom November 2013 bis März 2014 auf einer Internet-Plattform – unter einem Pseudonym als 18-jähriger Schüler einer Fachoberschule – gezielt Kontakt zu männlichen Jugendlichen gesucht und aufgenommen, um mit ihnen über sexuelle Themen zu sprechen. Aus 47 Kontaktversuchen entwickelten sich 25 Gespräche, zwölf davon mit schwerpunktmäßig sexuellen Themen und 13 mit sonstigen Inhalten. Auf einer weiteren Plattform (ICQ) führte er Chats mit drei mutmaßlich minderjährigen Jungen zu sexuellen Themen. Seine Chatpartner haben ihr Alter mit 13 bis 17 Jahren angegeben, ohne dass zu ihrem jeweiligen tatsächlichen Alter Ermittlungen angestellt oder Feststellungen getroffen wurden. Der Beklagte verstand es, die Führung der Gespräche zu übernehmen, und versuchte stets, sie auf sexuelle Themen in ihrer gesamten Bandbreite zu lenken. Ein Fall der simultanen Selbstbefriedigung (oder Vorspielen derselben) während eines Chats ist dokumentiert. Die vom Beklagten während der Chats verwendete Sprache kann als obszön und anstößig bezeichnet werden. Der Vorsatz seines Verhaltens steht außer Frage, wobei er sich bemühte, nicht aus der Anonymität herauszutreten.
2. Das dem Beklagten vorgeworfene Fehlverhalten ist außerdienstlicher Natur (2.1). Es weist gleichwohl einen Bezug zu seinem Amt als Lehrer auf, ist daher disziplinarrechtlich grundsätzlich relevant und stellt ein Dienstvergehen dar (2.2). Dies gilt allerdings nicht für diejenigen Chats, die keine sexuellen Inhalte zum Gegenstand hatten.
2.1 Die außerdienstliche Natur des inkriminierten Verhaltens des Beklagten ergibt sich daraus, dass seine Handlungen weder formell in sein Amt noch materiell in die dienstliche Tätigkeit als Lehrer eingebunden waren (BVerwG, U.v. 19.8.2010 – 2 C 5.10 – juris Rn. 9). Die Gespräche im Internet hatte er offenbar in seiner Wohnung über private Endgeräte geführt, ohne dass hierbei ein Bezug zu seinem konkreten Arbeitsplatz als Lehrer bestand. Soweit ersichtlich, hatte er im Rahmen der Gespräche keinen Kontakt zu Schülern aus der BOS/FOS, an der er unterrichtet hat. Seinen Angaben zufolge wollte er dies auch unter allen Umständen vermeiden.
2.2 Steht – wie hier – kein strafrechtlich relevantes außerdienstliches Verhalten in Rede, ist maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die Bewertung die allgemeine Verhaltensnorm des § 34 Satz 3 BeamtStG. Danach ist der Beamte verpflichtet, der Achtung und dem Vertrauen, die sein Beruf erfordern, gerecht zu werden. Hat er hiergegen durch sein Verhalten verstoßen, ist in einem weiteren Schritt § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG zu betrachten, der die disziplinarrechtliche Relevanz dieses außerdienstlichen Verhaltens begrenzt (vgl. zum Verhältnis von § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG zu § 34 Satz 3 BeamtStG: Zängl in Weiß/Niedermeier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: August 2020, § 34 BeamtStG Rn. 189 f., 193).
Danach kann ein solches Verhalten nur dann als Dienstvergehen angesehen werden, wenn es nach den Umständen des konkreten Falles in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für sein Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Dies gilt insbesondere bei vorsätzlich begangenen Straftaten, soweit ein Bezug zwischen dem Pflichtenverstoß und dem vom Beamten bekleideten Amt im statusrechtlichen Sinn besteht (vgl. BVerwG, U.v. 18.6.2015 – 2 C 9.14 – juris Rn. 11-20: Polizeibeamter im Besitz von kinderpornographischen Dateien); aber auch dann, wenn ohne Begehung einer Straftat über das außerdienstliche Verhalten hinausgehende Umstände vorliegen, die geeignet sind, das Vertrauen in die Integrität der Amtsführung und damit die künftige Aufgabenwahrnehmung durch den Beamten sowie in die durch Art. 33 Abs. 5 GG geschützte Funktionsfähigkeit des Berufsbeamtentums zu beeinträchtigen (BVerwG, B. v. 4.4.2019 – 2 B 32.18 – juris Rn. 14; von der Weiden, jurisPR-BVerwG 15/2019 Anm. 5, S. 3 m.w.N. aus d. Rspr.).
2.2.1 Der Versuch eines beamteten Lehrers, im Internet über entsprechende Plattformen Kontakt zu minderjährigen Jungen aufzunehmen, um mit ihnen unter Vorspiegelung einer falschen Identität als 18-jähriger Schüler über sexuelle Themen zu sprechen, stellt auch unterhalb der Schwelle strafbaren oder ordnungswidrigen Verhaltens ein achtungs- und vertrauensschädigendes Verhalten im Sinn von § 34 Satz 3 BeamtStG dar und ist daher disziplinarrechtlich relevant.
Zwar kann grundsätzlich ein außerdienstliches Sexualverhalten eines Beamten nur in besonders gelagerten Fällen das in ihn gesetzte Vertrauen in Bezug auf sein Amt beeinträchtigen (Zängl in Weiß/Niedermeier/Summer/Zängl, a.a.O., § 34 BeamtStG Rn. 224). Dies gilt vor allem dann, wenn der von der Rechtsordnung eingeräumte Freiraum überschritten und strafrechtliche Schutzbestimmungen verletzt werden (BayVGH, U.v. 17.2.1999 – 16 D 97.3727 – juris Rn 71: verbotene Prostitution und Zuhälterei). Aber auch unabhängig hiervon kann ein Verhalten außerhalb des Dienstes geeignet sein, das Vertrauen in die Diensterfüllung des Beamten zu beeinträchtigen; der erforderlichen Eingrenzung der Begriffe der Achtung und des Vertrauens dient dabei das Tatbestandsmerkmal der Berufserforderlichkeit (§ 34 Satz 3 BeamtStG: „die ihr Beruf erfordern“), womit die Amtsbezogenheit des Pflichtenverstoßes gekennzeichnet wird.
Ein solcher Fall ist hier gegeben. Vom Beklagten ist in seiner Eigenschaft als Lehrer zu erwarten, dass er sein (außerdienstliches) Verhalten auch gegenüber Kindern und Jugendlichen, für die er nicht im Rahmen seines Dienstes Verantwortung trägt, an den Anforderungen orientiert, die sein Amt allgemein von ihm verlangt. Die Amtsbezogenheit der von ihm verletzten Verhaltenspflicht ergibt sich daraus, dass er Repräsentant eines Schulsystems ist, dem die Aufgabe zukommt, Geist und Körper, Herz und Charakter zu bilden; zu den obersten Bildungszielen gehört vor allem auch die Achtung der Würde des Menschen (vgl. Art. 1 Abs. 1 Sätze 1 bis 3, Art. 2 Abs. 1 Satz 1 BayEUG). Das dem Beklagten vorgeworfene Verhalten wird den an ihn gestellten Erwartungen und damit der Achtung und dem Vertrauen nicht gerecht, die sein Beruf erfordern (vgl. a. 2.2.2.2).
Den Beklagten entlastet nicht sein (zutreffender) Vortrag, es stehe gar nicht fest, ob seine Gesprächsteilnehmer tatsächlich minderjährig gewesen seien oder dies nur vorgegeben hätten. Zwar kann der Argumentation des Verwaltungsgerichts nicht gefolgt werden, der Kläger habe die Minderjährigkeit seiner Chatpartner „jedenfalls billigend in Kauf genommen“ (UA S. 14), denn diese aus dem Strafrecht bekannte Form des bedingten Vorsatzes (subjektive Tatseite) würde gerade voraussetzen, dass die Minderjährigkeit eines oder mehrerer Gesprächspartner feststeht (objektive Tatseite) und kann nicht über den fehlenden Nachweis des objektiven Tatbestands hinweghelfen. Im Übrigen könnte selbst bei nachgewiesener Minderjährigkeit ein bedingter Vorsatz im Sinne einer billigenden Inkaufnahme nicht angenommen werden, weil es dem Beklagten gerade hierauf ankam und er insoweit mit direktem Vorsatz (Absicht) gehandelt hat.
Jedoch bewegen sich die Bemühungen des Beklagten, mit Minderjährigen über das Internet in Kontakt zu treten und sie in Gespräche über sexuelle Themen zu verwickeln, – wiederum aus strafrechtlicher Sicht – zumindest im Versuchsstadium. Denn der Beklagte hat alles für den „Erfolg“ dieser Bemühungen aus seiner Sicht Erforderliche unternommen und durfte mit seinem Eintritt rechnen. Ein Rücktritt vom Versuch ist nicht erkennbar. Dieser Befund reicht aber für den Vorwurf eines Verstoßes gegen das Gebot des achtungs- und vertrauenswürdigen Verhaltens aus, denn das Disziplinarrecht unterscheidet – im Gegensatz zum Strafrecht – nicht zwischen Vollendung und Versuch; es reicht bereits die im Beginn der Ausführungshandlung liegende Gefährdung des betroffenen Rechtsguts. Für die disziplinarrechtliche Beurteilung des Verhaltens des Beamten und seiner Persönlichkeit kommt es „entscheidend auf den Handlungswillen und weniger auf den Eintritt des Erfolgs an“ (BVerwG, U.v. 7.12.1993 – 1 D 32.92 – juris Rn. 30; Zängl, Bayerisches Disziplinarrecht, Stand: August 2020, MatR/I Rn. 24). Im Ergebnis ist daher von einem vollendeten (außerdienstlichen) Verstoß gegen § 34 Satz 3 BeamtStG auszugehen.
2.2.2 Dieses gegen § 34 Satz 3 BeamtStG verstoßende Verhalten des Beklagten erfüllt die Voraussetzungen eines Dienstvergehens im Sinn von § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG. Es überschreitet die mit dieser Vorschrift verfolgte Begrenzung der disziplinarrechtlichen Relevanz außerdienstlicher Pflichtenverstöße (von der Weiden, juris-PR-BVerwG 15/2019 Anm. 5, S. 4).
2.2.2.1 Allerdings vermag der Senat – anders als das Verwaltungsgericht (UA S. 18) und der Kläger – keine disziplinarrechtlich maßgebliche Relevanz in denjenigen vom Beklagten mit mutmaßlich Minderjährigen geführten Chats zu sehen, in denen es nicht um sexualbezogene, sondern allgemeine jugendtypischen Themen (Schule, Sport) ging. Das Verwaltungsgericht meint hierzu, auch diese Chats seien „dem Beklagten als Missbrauch des ihm von den minderjährigen Chat-Partnern entgegengebrachten Vertrauens vorzuwerfen“. Auf diese Begründung kann schon aus tatsächlichen Gründen ein Dienstvergehen nicht gestützt werden, denn sie unterstellt zum einen die nicht feststehende Minderjährigkeit (so auch UA S. 11) sämtlicher Chat-Partner und geht zum anderen – ebenfalls ohne weitere Feststellungen – davon aus, dass sämtliche minderjährige Chat-Partner die Angaben des Beklagten als richtig angesehen und infolgedessen darauf vertraut haben, bei ihm handele es sich um einen 18-jährigen Schüler. Mit der Begründung des Verwaltungsgerichts wird letztlich eine (straflose) Angabe falscher persönlicher Daten auf einer Chat-Plattform als Ausnutzung eines dort angeblich verbreiteten Vertrauens in die Richtigkeit der gemachten Angaben bewertet. Diesem Ansatz kann im Hinblick auf die allgemein bekannte, gerade vorausgesetzte und zwangsläufig akzeptierte Anonymität des Auftritts auf einer der beiden Internet-Plattformen nicht gefolgt werden; dies gilt gleichermaßen, wenn die Chatpartner auf der einen Seite ein Beamter und auf der anderen Seite Jugendliche sind, die weit überwiegend mit dem Medium des Internets vertraut sein dürften. Der Vorwurf des „Missbrauchs…entgegengebrachten Vertrauens“ im Rahmen privater Betätigung im Internet reicht nicht aus, um die erforderliche bedeutsame und in Bezug auf das Amt im statusrechtlichen Sinne erfolgte Beeinträchtigung des Vertrauens im Sinn von § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG (vgl. Conrad in Weiß/Niedermeier/Summer/Zängl, a.a.O. § 34 BeamtStG Rn. 199 – 201) begründen zu können.
2.2.2.2 Hingegen begründen die zahlreich nachgewiesenen Chats mit sexueller Thematik den Vorwurf eines Dienstvergehens (§ 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG), denn sie sind in besonderem Maße geeignet, das Vertrauen in die Amtsausübung des Beklagten in einer bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Der Senat bejaht das besondere Gewicht des außerdienstlichen Fehlverhaltens wie auch die Schwere der Beeinträchtigung des Vertrauens in Bezug auf das Amt im statusrechtlichen Sinn (BVerwG, U.v. 18.6.2015 – 2 C 9.14 – juris Rn. 15 f. zum Besitz kinderpornographischer Bilder). Dies ergibt sich aus Folgendem:
Als Lehrer hat der Beklagte ausgehend von den verfassungsrechtlichen Vorgaben auf die ihm anvertrauten Schüler einzuwirken und – über die reine Wissensvermittlung hinaus – für ihre gesamte, insbesondere ihre charakterliche Entwicklung Sorge zu tragen und sie zu sittlich verantwortungsvollem Verhalten zu erziehen (Art. 131 Abs. 2 BV; Art. 59 Abs. 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 BayEUG; BayVGH, U.v. 25.3.2009 – 16a D 08.1845 – juris Rn. 32). Zu seinen Aufgaben gehört auch die Sexualerziehung als Teil der gemeinsamen Erziehungsaufgabe von Eltern und Schule (vgl. Richtlinien für die Familien- und Sexualerziehung in den bayerischen Schulen, Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst vom 15.12.2016, Nr. 1.1). Dabei kommt ihm kraft Gesetzes eine spezielle Vorbildfunktion zu, die ihm die glaubhafte Vermittlung der verfassungsrechtlichen Grundwerte auferlegt (Art. 59 Abs. 2 Satz 2 BayEUG) und ihn von anderen Beamten, etwa solchen der allgemeinen inneren Verwaltung, unterscheidet. In diesem Zusammenhang ist auf die Verantwortung des Beklagten hinzuweisen, sich als Lehrer in sexueller Hinsicht gerade gegenüber Minderjährigen jederzeit korrekt zu verhalten hat (vgl. BayVGH, U.v. 25.3.2009 – 16a D 08.1845 – juris Rn. 28: außerdienstliches Verhalten, exhibitionistische Handlungen gegenüber 16-jährigen; Zängl in Weiß/Niedermeier/Summer/Zängl, a.a.O., § 34 BeamtStG Rn. 221 f.).
Diese Anforderungen gelten unabhängig von den einem stetigen Wandel – insbesondere vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung des Internet – unterliegenden gesellschaftlichen Anschauungen zum Thema Sexualmoral. Denn gerade auf die altersgerechte Sexualerziehung von Minderjährigen sowie ihren Schutz vor einer fehlgeleiteten sexuellen Entwicklung wird nicht nur in der öffentlichen Diskussion, sondern auch an den Schulen großer Wert gelegt (vgl. im Einzelnen: Richtlinien für die Familien- und Sexualerziehung in den bayerischen Schulen v. 15.12.2016, a.a.O.). Die hier in Rede stehenden außerdienstlichen Kontaktaufnahmen und „Gespräche“ des Beklagten beweisen erhebliche Persönlichkeitsdefizite und sind daher aus Sicht eines vorurteilsfreien Betrachters geeignet, seine Vertrauenswürdigkeit und Integrität sowie darüber hinaus das Vertrauen in den gesamten Berufsstand zu beeinträchtigen (vgl. allg. zu außerdienstlichem sittlichen Verhalten: Zängl, a.a.O., § 34 BeamtStG Rn. 224 f.).
3. Nach Art. 14 Abs. 1 BayDG ist die Entscheidung über die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens und unter angemessener Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beamten sowie des Umfangs der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn und der Allgemeinheit zu treffen. Das Gewicht der Pflichtverletzung ist danach Ausgangspunkt und richtungsweisendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme.
3.1 Da die Schwere des Dienstvergehens nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme ist, muss das festgestellte Dienstvergehen nach seiner Schwere einer der im Katalog des Art. 6 Abs. 1 BayDG aufgeführten Disziplinarmaßnahmen zugeordnet werden. Bei der Auslegung des Begriffs „Schwere des Dienstvergehens“ ist maßgebend auf das Eigengewicht der Verfehlung abzustellen. Hierfür können bestimmend sein objektive Handlungsmerkmale (insbesondere Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzung, z.B. Kern- oder Nebenpflichtverletzungen, sowie besondere Umstände der Tatbegehung, z.B. Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens), subjektive Handlungsmerkmale (insbesondere Form und Gewicht der Schuld des Beamten, Beweggründe für sein Verhalten) sowie unmittelbare Folgen des Dienstvergehens für den dienstlichen Bereich und für Dritte (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 a.a.O. Rn. 16).
Das Schuldprinzip und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit finden auch im Disziplinarverfahren Anwendung. Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem ausgewogenen Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – BVerwGE 154, 10, juris Rn. 12 m.w.N.). Soweit außerdienstliches Verhalten disziplinarrechtlich zu ahnden ist, muss der außerdienstliche Charakter bei der Maßnahmebemessung Berücksichtigung finden; jedenfalls statusberührende Disziplinarmaßnahmen kommen daher nur bei schwerwiegenden Verfehlungen in Betracht (zuletzt BVerwG, U.v. 4.4.2019 – 2 B 32.18 – juris Rn. 14). Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz lässt die Verhängung der Höchstmaßnahme nur ausnahmsweise zu, insbesondere im Falle der Strafbarkeit der Dienstverfehlung (BVerfG, B.v. 8.12.2004 – 2 BvR 52/02 – juris Rn. 47; B.v. 14.6.2000 – 2 BvR 993/94 – juris Rn. 11).
3.2 Im vorliegenden Fall ist die vom Verwaltungsgericht ausgesprochene Entfernung aus dem Dienst unverhältnismäßig. Der Beklagte hat das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit noch nicht endgültig verloren; seine Weiterverwendung als Lehrer ist trotz des begangenen Dienstvergehens denkbar (vgl. BVerwG, U.v. 18.6.2015 – 2 C 9.14 – juris Rn. 26). Zu diesem Ergebnis kommt der Senat in einer Gesamtschau aller für die Bemessung relevanten Umstände. Als angemessene Disziplinarmaßnahme wäre die Zurückstufung (Art. 10 Abs. 1 BayDG) auszusprechen (3.2.1). Da sich jedoch der Beklagte noch im Eingangsamt (Studienrat) befindet und eine darüberhinausgehende Zurückstufung nicht in Betracht kommt (Zängl, Bayerisches Disziplinarrecht, Stand: Aug. 2020, Art. 10 Rn. 6, Art. 9 Rn. 3), scheidet die Verhängung dieser Disziplinarmaßnahme aus. Sie ist vielmehr der nächst niedrigeren Stufe zu entnehmen; damit ist eine Kürzung der Dienstbezüge zu verhängen (3.2.2).
3.2.1 Der Beklagte hat mit dem ihm vorgeworfenen (außerdienstlichen und straflosen) Verhalten diejenigen Grenzen überschritten, die für einen dem Erziehungs- und Bildungsauftrag verpflichteten Lehrer auch bei (privater) Betätigung in Internetforen gesetzt sind. Ihm fällt damit ein erhebliches Dienstvergehen zur Last. Unter Vorspiegelung, er sei ein gerade erwachsener junger Mann und besitze so einen „Erfahrungsvorsprung“ gegenüber seinen Gesprächspartnern, hat er versucht, Kontakte zu minderjährigen Jungen mit dem Ziel aufzubauen, sie zu Gesprächen über sexuelle Themen zu animieren, um auf diese Weise intime Details aus ihrem Leben oder ihrer Vorstellungswelt zu erfahren und so seine sexuelle Präferenz auszuleben.
Zu seinen Gunsten spricht, dass er sich dabei nicht im strafrechtlich sanktionierten Bereich bewegt hat, wie die Einstellung des entsprechenden Ermittlungsverfahrens beweist. Des Weiteren, dass nicht aufgeklärt wurde oder werden konnte, ob seine Gesprächspartner sich (ebenfalls) nur als minderjährig ausgegeben haben oder tatsächlich unter 18 Jahre alt waren. Zwar spricht nach Auffassung des Senats in fast allen der dokumentierten Fälle die Art des Gesprächsverlaufs und -inhalts für eine Minderjährigkeit der Chat-Partner des Beklagten, ohne dass jedoch die Disziplinarbehörde entsprechende Nachweise geführt hat. Das demnach in rechtlicher Hinsicht nur als Versuch (s.o. 2.2.1) der Kontaktaufnahme mit Minderjährigen zu bewertende Verhalten des Beklagten wiegt weniger schwer als im Falle einer nachgewiesenen Minderjährigkeit.
Außerdem ist zugunsten des Beklagten zu bedenken, dass er glaubwürdiger Angabe zufolge versucht hat, Kontakte zu Schülern aus dem Einzugsbereich seiner eigenen BOS/FOS zu vermeiden. Weiterhin war sein Verhalten nicht auf reale Treffen mit möglicherweise hieran interessierten Gesprächspartnern angelegt, zumal hierdurch die falsche Angabe seines Alters aufgedeckt worden wäre. Schon deshalb bestand keine reale Gefahr einer Beeinträchtigung der sexuellen Selbstbestimmung der sich auf den Plattformen bewegenden minderjährigen Gesprächspartnern, obgleich allein das Fehlen einer solchen realen Gefahr nicht als Milderungsgrund anerkannt werden kann. Die Chat-Partner waren zudem im virtuellen Raum jederzeit in der Lage, den Kontakt zum Beklagten abzubrechen, hätten sie nicht über die von ihm angeschnittenen Themen sprechen wollen, ohne dadurch negative Folgen befürchten zu müssen. Beeinträchtigungen der psychischen oder sexuellen Entwicklung der Chat-Partner konnten wegen deren Anonymität nicht festgestellt werden. Für den Beklagten spricht insbesondere, dass er bislang im Rahmen der Ausübung des Schuldienstes keinerlei Auffälligkeiten gezeigt hat, und damit seine Neigung, mit in der Pubertät befindlichen Jungen sexuelle Themen in einer vulgär-anstößigen Sprache zu bereden, nicht über den virtuellen Raum des Internet hinaus gepflegt hat.
Hingegen kann der Vortrag des Beklagten, es habe sich bei den Gesprächen um eine Art von virtuellem Rollenspiel gehandelt, nicht zu seinen Gunsten gewertet werden. Weder aus den Protokollen der Chats noch aus den sonstigen Umständen wird erkennbar, dass zwischen den Gesprächspartnern eine bestimmte Rollenverteilung verabredet wurde, die Basis für das bevorstehende Gespräch sein sollte. Vielmehr geht der Senat davon aus, dass es dem Beklagten bei den Gesprächen über sexuelle Vorgänge und Erlebnisse in erster Linie um die Befriedigung seiner hebephilen Neigungen ging. Sie bilden den Hintergrund dafür, dass er sich von Jungen in der Pubertät mit ersten sexuellen Erfahrungen zumindest angezogen gefühlt hat, ohne dass dabei Indizien für begangene oder künftig bevorstehende Grenzüberschreitungen vorliegen.
Im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung sieht der Senat in dem Fehlverhalten des Beklagten kein derart schwerwiegendes Dienstvergehen, dass von einem endgültigen Vertrauensverlust des Dienstherrn oder der Allgemeinheit gesprochen werden kann, der eine Entfernung aus dem Amt erforderlich machen würde. Nur besonders schwerwiegende Verstöße gegen das Gebot des achtungs- und vertrauenswürdigen Verhaltens vermögen diese Höchstmaßnahme zu rechtfertigen. Dabei ist auch die vom Schulleiter in Kenntnis des streitgegenständlichen Sachverhalts abgegebene positive Persönlichkeitsbewertung in den Blick zu nehmen. Zudem hat sich der Beklagte offenbar unmittelbar nach Aufdeckung des Sachverhalts in psychotherapeutische Behandlung begeben; nach eigener Aussage in der mündlichen Verhandlung sei er nicht mehr auf derartigen Plattformen unterwegs.
Zulasten des Beklagten ist der monatelange Zeitraum, über den sich das Dienstvergehen abspielte, zu betrachten. Weitere Erschwernisgründe, die über das Eigengewicht der Verfehlung hinausgehen, sind nicht erkennbar. Dass der Beklagte in seinem konkreten Amt als Lehrer einer BOS/FOS zum Teil auch noch 16-jährige Schüler unterrichtet, kann ihm nicht zu einem wesentlichen Nachteil gereichen, nachdem er bisher seine schulische Laufbahn ohne Auffälligkeiten absolviert hat und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dies in Zukunft anders sein könnte. Auch der vom Kläger und vom Verwaltungsgericht in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen gestellte Vorwurf des „Vertrauensbruchs“ durch falsche Angaben zur Person vermag das Dienstvergehen nicht in einem besonders ungünstigem Licht darzustellen; insoweit kann auf die obigen Ausführungen (2.2.2) Bezug genommen werden. Soweit der Kläger die Verwendung obszöner und anstößiger Begrifflichkeiten durch den Beklagten als erschwerenden Umstand ansehen will, vermag der Senat dem nicht zu folgen, denn die inkriminierte Wortwahl könnte zwar im realen Schulalltag von einem Lehrer keinesfalls hingenommen werden; dagegen ist ihr in der (außerdienstlichen) virtuellen Welt des Internet kein über den mit § 34 Satz 3 BeamtStG verbundenen Verstoß hinausgehender besonders vorwerfbarer Gehalt zuzumessen, auch wenn ihr Gebrauch jedenfalls unangemessen ist.
Schließlich führt auch der Hinweis des Klägers in der mündlichen Verhandlung auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. April 2019 (2 B 32.18 – juris; vorangehend: OVG NW, U.v. 28.2.2018 – 3d A7 104/14.O – juris; VG Düsseldorf, U.v. 12.2.2014 – 31 K 3347/13.O – juris) zu keiner anderen Beurteilung. Dort wurde die disziplinare Höchstmaßnahme gegen einen Studienrat für ein außerdienstliches Dienstvergehen, dass keinen Straftatbestand erfüllte, mit einzelfallbezogenen Überlegungen in einer Ausnahmesituation gebilligt, die mit der hier vorliegenden nicht vergleichbar ist. Der Studienrat im dortigen Verfahren hatte im Internet mit ihm unbekannten Chat-Partnern Gewaltfantasien über Folter und Misshandlungen minderjähriger Mädchen und Fotos von (teilweise von ihm selbst unterrichteten) Schülerinnen ausgetauscht und letztere dabei in die Gefahr gebracht, von den dem Lehrer unbekannten Chat-Partnern tatsächlich aufgesucht zu werden. In dieser besonderen Konstellation hatte der dortige Lehrer die Grenzen der virtuellen Welt bereits teilweise verlassen und seine Äußerungen mit wirklichkeitsnahen Bezügen versehen. Die dortigen Fantasien zielten im Übrigen auf strafrechtlich relevante Verhaltensweisen (insbesondere Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit) ab. Es bedarf daher keiner weiteren Ausführungen, weshalb der vorliegende von dem in Bezug genommenen Fall in wesentlicher Hinsicht abweicht. Der Senat vermag auch vor dem Hintergrund des Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. April 2019 (a.a.O.) nicht zu erkennen, dass sich dessen Rechtsprechung, wie die Klägervertreterin in der mündlichen Verhandlung anmerkte, in letzter Zeit „zunehmend verschärft“ habe (vgl. Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 9.12.2020, S. 3).
3.2.2 Die in Ausfüllung dieses Rahmens nach Maßgabe des Art. 14 BayDG zu treffende Bemessungsentscheidung führt zur Kürzung der Dienstbezüge im tenorierten Umfang. Dem Umstand geschuldet, dass die eigentlich verwirkte Zurückstufung im vorliegenden Fall ausscheidet, war die Kürzung der Dienstbezüge als nächst niedrigere Disziplinarmaßnahme, dann allerdings im höchstmöglichen Umfang auszusprechen. Der disziplinarrechtlich maximal zulässige Kürzungszeitraum beträgt fünf Jahre und der höchstmögliche Kürzungsbruchteil 20 v. H. (Art. 9 Abs. 1 Satz 1 und 3 BayDG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 1 BayDG.
Das Urteil ist mit seiner Verkündung rechtskräftig geworden (Art. 64 Abs. 2 BayBO).


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