Aktenzeichen 13a B 19.34211
Leitsatz
Schlechte humanitäre Bedingungen können eine auf eine Bevölkerungsgruppe bezogene Gefahrenlage darstellen, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK führt. Dies ist bei der Rückkehr von Familien mit minderjährigen Kindern unter den in Afghanistan derzeit herrschenden Rahmenbedingungen im Allgemeinen der Fall, so dass für sie ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG besteht (Fortführung der bisherigen Rechtsprechung). (Rn. 19)
Verfahrensgang
Au 3 K 16.31219 2017-12-18 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg
Tenor
I. Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 18. Dezember 2017 wird der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 8. Juni 2016 hinsichtlich der Nummern 4 bis 6 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Afghanistans festzustellen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Kläger sind afghanische Staatsangehörige tadschikischer Volks- und schiitischer Religionszugehörigkeit. Der 1985 geborene Kläger zu 1) und die 1991 geborene Klägerin zu 2) sind Eheleute. Der Kläger zu 3) ist deren 2015 geborener gemeinsamer Sohn. Nach der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland am 25. August 2015 stellten die Kläger am 29. Februar 2016 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen Asylantrag. Für ein 2019 im Bundesgebiet geborenes, weiteres gemeinsames Kind der Kläger zu 1) und 2) wird ein gesondertes Asylverfahren durchgeführt; dieses Kind ist nicht Beteiligter dieser Verwaltungsstreitsache.
Bei ihrer Anhörung beim Bundesamt am 9. Mai 2016 gab der Kläger zu 1) unter anderem an, in Afghanistan lebten noch seine Mutter, Cousins und seine Tante. Fünf Schwestern und ein Bruder lebten im Iran. Die Klägerin zu 2) gab bei ihrer Anhörung an, ihre Eltern, zwei Schwestern und vier Brüder lebten in Farah.
Mit Bescheid des Bundesamts vom 8. Juni 2016 lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) sowie auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (Nr. 3) ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Den Klägern wurde die Abschiebung angedroht und das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nrn. 5 und 6). Zur Begründung wurde unter anderem angeführt, es lägen keine Abschiebungsverbote vor. Insbesondere führten die derzeitigen humanitären Bedingungen in Afghanistan nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung der Kläger eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege.
Hiergegen erhoben die Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Augsburg mit dem Begehren, die Beklagte zur Feststellung zu verpflichten, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen. Mit Urteil vom 18. Dezember 2017 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es insbesondere aus, dass zwar nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs für eine nach Afghanistan zurückkehrende Familie mit minderjährigen Kindern die Schaffung einer menschenwürdigen Lebensgrundlage im Allgemeinen nicht möglich sei. Es liege indes eine Ausnahmesituation vor, da die Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan auf einen aufnahmebereiten und in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen lebenden Familienverband zurückgreifen könnten. Die Angaben der Kläger in der mündlichen Verhandlung zum Verbleib der Familienmitglieder seien unglaubwürdig.
Auf Antrag der Kläger hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 10. Dezember 2019 hinsichtlich des Vorliegens eines national begründeten Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG die Berufung zugelassen (13a ZB 18.30220). Im Berufungsverfahren sei die Klärung der Frage zu erwarten, unter welchen Voraussetzung die Annahme einer Ausnahme von der sogenannten Familienrechtsprechung (u.a. BayVGH, U.v. 21.11.2018 – 13a B 18.30632 – juris Rn. 29 ff.) unter dem Gesichtspunkt des Rückgriffs auf Verwandte in Afghanistan gerechtfertigt sei. Allein der bloße Umstand, dass es – was in der Regel der Fall sein dürfte – Verwandte im Heimatland gibt, dürfte dabei die Annahme einer Ausnahme noch nicht rechtfertigen können.
Zur Begründung ihrer Berufung führen die Kläger unter anderem Folgendes aus: Es sei aus rein rechtlicher Sicht zu entscheiden, ob die Beklagte verpflichtet werden müsse festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen. Allein die Vermutung, dass Verwandte in Afghanistan lebten, begründe noch nicht die weitere Vermutung, dass diese Verwandten sie auch noch derart finanziell und anderweitig unterstützten, dass sie zumindest am Existenzminimum leben könnten. Bei einer Rückkehr von Familien mit minderjährigen Kindern nach Afghanistan bestehe gemäß der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichthofs eine Gefahrenlage, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK führe, so dass für diese Familien ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen sei. Dem stehe nicht entgegen, dass sie nach Auffassung des Verwaltungsgerichts einen Familienverbund in Afghanistan haben sollen, was sie glaubwürdig verneint hätten. Selbst wenn ein Familienverbund in Afghanistan existieren sollte, könne dies noch keine Ausnahme von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs begründen. Die Kläger beantragen,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 18. Dezember 2017 aufzuheben und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheids vom 8. Juni 2016 zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Ohne einen Antrag zu stellen, führt die Beklagte zur Erwiderung aus, es könne erst im Rahmen einer mündlichen Verhandlung geklärt werden, ob für die Kläger eine Gefahr gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG drohe. Insbesondere sei nicht ausreichend dargelegt, dass die Kläger keinerlei Verwandte aus der Großfamilie im Heimatland hätten, die sie bei der Sicherung des Lebensunterhalts unterstützen könnten.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beklagte unter Hinweis auf seine Rechtsprechung gebeten, eine Abhilfeentscheidung zu prüfen bzw. auf mündliche Verhandlung zu verzichten. Ferner sind die Beteiligten zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 130a Satz 1 VwGO angehört worden. Hierzu hat die Beklagte mitgeteilt, eine Abhilfe bzw. ein Verzicht auf eine mündliche Verhandlung komme nicht in Betracht. Es müsse in einer mündlichen Verhandlung geklärt werden, ob durch einen Rückgriff auf Verwandte im Heimatland eine Sondersituation bestehe, die eine Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs erlaube.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten sowie auf die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen verwiesen.
II.
Das Gericht kann diese Entscheidung nach Anhörung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung treffen, weil es die Berufung einstimmig für begründet hält und der entscheidungserhebliche Sachverhalt hinreichend geklärt ist, so dass eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist (§ 130a Satz 1 VwGO). Die Entscheidung hierüber steht im Ermessen des Gerichts, wobei zu berücksichtigen ist, dass sich eine mündliche Verhandlung nach der Ausgestaltung des Prozessrechts als gesetzlicher Regelfall darstellt. Eine Entscheidung nach § 130a Satz 1 VwGO ohne mündliche Verhandlung wäre nur dann ausgeschlossen, wenn die Sache in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht außergewöhnliche Schwierigkeiten aufweist (vgl. zum Ganzen BVerwG, B.v. 29.6.2020 – 2 B 37.19 – juris; B.v. 8.6.2020 – 1 B 27.20 – juris; B.v. 10.7.2019 – 1 B 57.19 – juris jeweils m.w.N.). Das ist vorliegend nicht der Fall: Die vorliegende Entscheidung entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats zu Familien mit minderjährigen Kindern, die hier lediglich fortgeführt wird (siehe zuletzt: U.v. 29.10.2020 – 13a B 20.30347 – juris; siehe ferner: U.v. 21.11.2018 – 13a B 18.30632 – juris; U.v. 23.3.2017 – 13a B 17.30030 – AuAS 2017, 175 = juris). Auch haben die Beteiligten weder konkrete neue Tatsachen zu den persönlichen Umständen der Kläger vorgetragen noch wirft die Sache Tatsachen- oder Rechtsfragen auf, die sich nicht unter Heranziehung der Akten und der schriftlichen Erklärungen der Parteien angemessen lösen ließen (BVerwG, B.v. 8.6.2020 a.a.O. mit Verweis auf EuGH, U.v. 26. Juli 2017 – C-348/16 – NVwZ 2017, 1449). Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf die Frage, inwieweit die Kläger im Heimatland Verwandte haben, die sie unterstützen könnten bzw. inwieweit durch einen Rückgriff auf diese Verwandten eine Sondersituation besteht, die eine Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erlaubt. Ebenso wenig gebietet Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK vorliegend die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Danach wird über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren öffentlich verhandelt. Schon seinem Wortlaut nach gilt Art. 6 Abs. 1 EMRK nur für Streitigkeiten über zivilrechtliche Ansprüche und für strafrechtliche Anklagen, nicht aber für Verfahren aus dem Kernbereich des öffentlichen Rechts, wozu auch das Asylrecht zählt. Allerdings sind die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 6 Abs. 1 EMRK entwickelten Anforderungen im Rahmen der Ermessensausübung nach § 130a VwGO zu berücksichtigen (BVerwG, B.v. 10.7.2019 a.a.O. mit Verweis auf EuGH, U.v. 26. Juli 2017 – C-348/16 – NVwZ 2017, 1449). Aber auch insoweit ergibt sich vorliegend keine Notwendigkeit zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung, denn beim Verwaltungsgericht fand am 15. Dezember 2017 eine mündliche Verhandlung statt, womit Art. 6 Abs. 1 EMRK Genüge getan ist.
Die Berufung der Kläger ist zulässig und begründet (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 128 Satz 1 VwGO). Das Bundesamt ist nach der zum Entscheidungszeitpunkt maßgeblichen Sach- und Rechtslage (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) verpflichtet, festzustellen, dass bei den Klägern das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt sind, bedarf keiner Prüfung, da es sich beim national begründeten Abschiebungsverbot um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand handelt (BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14.10 – BVerwGE 140, 319 = juris Rn. 16 und 17). Das gilt auch mit Blick auf den individuellen Verfolgungsvortrag der Kläger (SP S. 2 ff.). In ihrer Berufungsbegründung haben sich die Kläger ausschließlich darauf berufen, dass gemäß der Rechtsprechung des Senats bei Rückkehr von Familien mit minderjährigen Kindern nach Afghanistan eine Gefahrenlage bestehe, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK führe, so dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen sei, und dass das Vorhandensein von Verwandten im Heimatland keine Ausnahme von dieser Rechtsprechung rechtfertigen könne.
1. Zunächst ist festzuhalten, dass bei der Prüfung der Anforderungen nach § 60 Abs. 5 AufenthG eine gemeinsame Rückkehr der Kläger (und auch des weiteren, 2019 geborenen Kindes) im Familienverband zugrunde zu legen ist. Denn für die Prognose der bei einer Rückkehr drohenden Gefahren ist bei realitätsnaher Betrachtung der Rückkehrsituation im Regelfall davon auszugehen, dass eine im Bundesgebiet in familiärer Gemeinschaft lebende Kernfamilie (Eltern und minderjährige Kinder) im Familienverband in ihr Herkunftsland zurückkehrt (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45/18 – BVerwGE 166, 113 = juris Rn. 16 ff.; vgl. a. BayVGH, U.v. 29.10.2020 – 13a B 20.30347 – juris Rn. 15 ff.). Vorliegend ist davon auszugehen, dass es sich bei den Klägern (und dem weiteren Kind) um eine solche im Bundesgebiet lebenden Kernfamilie aus Eltern und minderjährigen Kindern handelt. Gegenteiliges oder Gründe für eine Abweichung vom Regelfall sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
2. Unter dieser Prämisse einer gemeinsamen Rückkehr im Familienverband sind im Fall der Kläger die Voraussetzungen aus § 60 Abs. 5 AufenthG gegeben.
a) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685; Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung kann sich aus einer allgemeinen Situation der Gewalt im Zielstaat ergeben, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 – juris Rn. 25). Soweit – wie in Afghanistan – ein für die Verhältnisse eindeutig maßgeblich verantwortlicher Akteur fehlt, können in ganz außergewöhnlichen Fällen auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse im Zielstaat Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung zwingend sind (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45.18 – BVerwGE 166, 113; B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18 – juris Rn. 9: „nur in besonderen Ausnahmefällen“; U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – BVerwGE 147, 8 juris Rn. 25; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 juris Rn. 25 unter Bezugnahme auf EGMR, U.v. 28.6.2011 – Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 – NVwZ 2012, 681 – Rn. 278 ff.; BayVGH, U.v. 21.11.2018 – 13a B 18.30632 – juris m.w.N.).
Für das Vorliegen eines Abschiebungsverbots aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK aufgrund der allgemeinen Lebensverhältnisse im Zielstaat ist keine Extremgefahr wie im Rahmen der verfassungskonformen Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderlich (BVerwG, B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18 – juris Rn. 13). Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen vielmehr ein gewisses „Mindestmaß an Schwere“ erreichen; diese Voraussetzung kann erfüllt sein, wenn der Ausländer nach Würdigung aller Umstände des Einzelfalls im Zielstaat der Abschiebung seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern, kein Obdach finden oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhalten kann (vgl. BVerwG, B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18 – juris Rn. 11) bzw. sich die betroffene Person „unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not“ befindet, „die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre“ (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17 u.a. – NVwZ 2019, 785 – juris Rn. 89 ff. und C-163/17 – NVwZ 2019, 712 – juris Rn. 90 ff.; siehe auch BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45.18 – BVerwGE 166, 113 – juris Rn. 12). Die genannte Rechtsprechung macht letztlich deutlich, dass von einem sehr hohen Gefahrenniveau auszugehen ist; nur dann liegt ein „ganz außergewöhnlicher Fall“ vor, in dem die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ sind (BayVGH, U.v. 21.11.2018 – 13a B 18.30632 – juris m.w.N.).
Auch im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ist der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen; erforderlich aber auch ausreichend ist daher die tatsächliche Gefahr („real risk“) einer unmenschlichen Behandlung (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – BVerwGE 136, 377 – juris Rn. 22). Bei der Prüfung einer Verletzung von Art. 3 EMRK ist grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen und zunächst zu prüfen, ob eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung an dem Ort droht, an dem die Abschiebung endet (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 – juris Rn. 26).
b) Die zu erwartenden schlechten Lebensbedingungen und die daraus resultierenden Gefährdungen in Afghanistan weisen eine Intensität auf, bei der auch ohne konkret drohende Maßnahmen von einer unmenschlichen Behandlung auszugehen ist, wenn die Kläger im Familienverbund nach Afghanistan zurückkehren müssten. Dass bei der Rückkehr von Familien mit minderjährigen Kindern unter den in Afghanistan herrschenden Rahmenbedingungen im Allgemeinen eine solche Gefahrenlage anzunehmen ist und in der Folge ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG besteht, hat der Verwaltungsgerichtshof bereits mit Urteilen vom 21. November 2014 entschieden (13a B 14.30284 – Asylmagazin 2015, 197 = juris und 13a B 14.30285 – InfAuslR 2015, 212 = juris) und dies mit Urteilen vom 23. März 2017 (13a B 17.30030 – AuAS 2017, 175 = juris Rn. 14), vom 21. November 2018 (13a B 18.30632 – juris) und jüngst vom 29. Oktober 2020 (13a B 20.30347) bestätigt. Daran hat sich auch unter Berücksichtigung der neuesten Erkenntnisse (vgl. dazu schon U.v. 29.10.2020 – 13a B 20.30347 – juris Rn. 23 ff.) nichts geändert.
Dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amts (Lagebericht Afghanistan v. 16.7.2020, S. 17 ff. – Lagebericht 2020) ist zu entnehmen, dass Afghanistan nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt sei. Auch die Weltbank prognostiziere einen weiteren Anstieg der Armutsrate von 55% aus dem Jahr 2016, da das Wirtschaftswachstum durch die hohen Geburtenraten absorbiert werde. Zusätzlich belaste die Covid-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark. Außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte gebe es vielerorts nur unzureichende Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport. Die Grundversorgung sei für große Teile der afghanischen Bevölkerung – insbesondere Rückkehrer – weiterhin eine tägliche Herausforderung. UNOCHA erwarte, dass 2020 bis zu 14 Millionen Menschen (2019: 6,3 Mio. Menschen) auf humanitäre Hilfe (u.a. Unterkunft, Nahrung, sauberes Trinkwasser und medizinische Versorgung) angewiesen sein würden. Die aus Konflikten und chronischer Unterentwicklung resultierenden Folgeerscheinungen, verschärft durch die Dürre 2018, hätten dazu geführt, dass ca. zwei Mio. afghanische Kinder unter fünf Jahren als akut unterernährt gelten würden. Jedoch habe die afghanische Regierung 2017 mit der Umsetzung eines Aktionsplans für Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge begonnen. Seit 2002 habe sich die medizinische Versorgung in Afghanistan stark verbessert, dennoch bleibe sie im regionalen Vergleich zurück. Die Zahlen der Rückkehrer aus dem Iran seien auf einem hohen Stand (2019: 485.000; 2018: 775.000), während ein deutliches Nachlassen an Rückkehrern aus Pakistan zu verzeichnen sei (2019: 19.900; 2018: 46.000). Für Rückkehrer leisteten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Das Fehlen sozialer oder familiärer Netzwerke könne Rückkehrern die Reintegration stark erschweren, da von diesen etwa der Zugang zum Arbeitsmarkt maßgeblich abhänge (siehe zum Ganzen: Lagebericht 2020, S. 22-25).
Laut dem Bericht des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO, Country Guidance: Afghanistan, S. 132-135) vom 1. Juni 2019 habe die Dürre im Jahr 2018 mehr als zwei Drittel der afghanischen Bevölkerung betroffen; die Einkommen seien halbiert worden. Laut einem Hungersnotfrühwarnsystem sei die Versorgungslage in Kabul und Mazar-e-Sharif im Dezember 2018 angespannt gewesen. Herat sei in die Kategorie „Krise“ eingestuft worden. Der Hauptfaktor hinsichtlich des Zugangs zu Nahrungsmitteln sei die Fähigkeit einer Person, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten; dies könne bei Vertriebenen besonders schwierig sein. 72% der afghanischen städtischen Bevölkerung lebe in Slums oder unzureichenden Unterkünften. Etwa 70% der Bevölkerung Kabuls lebe in informellen Siedlungen. Die afghanischen Großstädte böten jedoch gerade für Alleinstehende die Option relativ billigen Wohnens in sog. „Teehäusern“. Unter Berufung auf eine Untersuchung der Zentralen Statistikbehörde Afghanistans (Afghanistan Living Conditions Survey – ALCS) wird ausgeführt, der Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Anlagen habe sich bedeutend verbessert. Jedoch bleibe der Zugang zu Trinkwasser für viele Afghanen ein Problem, die sanitären Anlagen seien weiterhin schlecht. Laut dem afghanischen Gesundheitsministerium hätten im April 2018 60% der Bevölkerung Zugang zu medizinischer Versorgung gehabt. Nach ALCS habe 2016/17 die Arbeitslosenquote 23,9% betragen, zu diesem Zeitpunkt hätten 54,5% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze gelebt. Für Rückkehrer sei das erweiterte familiäre Netzwerk überaus wichtig, um Zugang zu Arbeit und Unterkunft zu erhalten. Selbst mit einem solchen Netzwerk blieben jedoch unbegleitete Minderjährige, alleinstehende Frauen bzw. Haushalte mit Frauen als Haushaltsvorstand besonders vulnerabel. Viele Rückkehrer ohne familiäre Netzwerke würden sich in den Großstädten in der Annahme niederlassen, dass die Sicherheitslage und die Möglichkeiten, den Lebensunterhalt zu bestreiten, dort besser seien. Zum Teil würden nach Afghanistan abgeschobene Personen in der Anfangsphase auch Reintegrationshilfen erhalten. Angesichts der allgemeinen Lage sei es generell – vorbehaltlich individueller Umstände – zwar nicht unzumutbar, sich in den Großstädten Kabul, Herat oder Mazar-e-Sharif niederzulassen. In diesem Zusammenhang sei jedoch der Zugang zu einem Unterstützungsnetzwerk oder finanziellen Mitteln von besonderer Bedeutung.
Ausweislich des Länderinformationsblatts Afghanistan des österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 13. November 2019 (BFA, S. 328 ff.) sei Afghanistan nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt. Die Armutsrate habe sich auf 55% (2016) verschlechtert. Außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte gebe es vielerorts nur unzureichende Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport. Die afghanische Wirtschaft sei stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig und stütze sich hauptsächlich auf den informellen Sektor. Schätzungen zufolge seien 1,9 Mio. Afghanen arbeitslos, wobei Frauen und Jugendliche am meisten mit der Krise auf dem Arbeitsmarkt zu kämpfen hätten. Bei der Arbeitsplatzsuche spielten Fähigkeiten, die sich Rückkehrende im Ausland angeeignet haben, sowie persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Bei Arbeitslosigkeit werde lediglich beratende Unterstützung angeboten, zu der auch rückkehrende afghanische Staatsangehörige Zugang hätten. Rund 45% oder 13 Mio. Menschen seien in Afghanistan von anhaltender oder vorübergehender Lebensmittelunsicherheit betroffen. Der Anteil an armen Menschen sei gestiegen. Das im Jahr 2016 ins Leben gerufene Citizens‘ Charter Afghanistan Projekt (CCAP) ziele darauf ab, die Armut zu reduzieren und den Lebensstandard zu verbessern. Rückkehrer hätten zu Beginn meist positive Reintegrationserfahrungen, insbesondere durch die Wiedervereinigung mit der Familie, jedoch sei der Reintegrationsprozess oft durch einen schlechten psychosozialen Zustand charakterisiert. Neben der Familie kämen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basierten auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder beruflichen sowie politischen Netzwerken. Fehlten lokale Netzwerke oder sei der Zugang zu diesen erheblich eingeschränkt, könne dies die Reintegration stark erschweren. Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Rückkehrer erhielten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehrten, und internationalen Organisationen (z.B. IOM, UNHCR) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen. Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrende sähen bei der Reintegration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der „whole of community“ vor. Demnach sollten Unterstützungen nicht nur einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Regierung Afghanistans bemühe sich gemeinsam mit internationalen Unterstützern, Land an Rückkehrende zu vergeben. Mehrere Studien hätten jedoch Probleme bezüglich Korruption und fehlender Transparenz im Vergabeprozess gefunden. IOM biete im Bereich Rückkehr verschiedene Programme zur Unterstützung und Reintegration von Rückkehrern an.
Nach den aktualisierten UNHCR-Richtlinien (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender v. 30.8.2018, S. 36 f., 125 f.) sind die humanitären Indikatoren in Afghanistan auf einem kritisch niedrigen Niveau. Ende 2017 sei bezüglich 3,3 Mio. Afghanen ein akuter Bedarf an humanitärer Hilfe festgestellt worden; nunmehr kämen weitere 8,7 Mio. Afghanen hinzu, die langfristiger humanitärer Hilfe bedürften. Über 1,6 Mio. Kinder litten Berichten zufolge an akuter Mangelernährung, wobei die Kindersterblichkeitsrate mit 70 auf 1.000 Geburten zu den höchsten in der Welt zähle. Ferner habe sich der Anteil der Bevölkerung, die laut Berichten unterhalb der Armutsgrenze lebe, auf 55% (2016/17) erhöht, von zuvor 33,7% (2007/08) bzw. 38,3% (2011/12). 1,9 Mio. Afghanen seien von ernsthafter Nahrungsmittelunsicherheit betroffen. Geschätzte 45% der Bevölkerung hätten keinen Zugang zu Trinkwasser, 4,5 Mio. Menschen hätten keinen Zugang zu medizinischer Grundversorgung. In den nördlichen und westlichen Teilen Afghanistans herrsche die seit Jahrzehnten schlimmste Dürre, weshalb die Landwirtschaft als Folge des kumulativen Effekts jahrelanger geringer Niederschlagsmengen zusammenbreche. 54% der Binnenvertriebenen (Internally Displaced Persons – IDPs) hielten sich in den Provinzhauptstädten Afghanistans auf, was den Druck auf die ohnehin überlasteten Dienstleistungen und Infrastruktur weiter erhöhe und die Konkurrenz um Ressourcen zwischen der Aufnahmegemeinschaft und den Neuankömmlingen verstärke; die bereits an ihre Grenze gelangten Aufnahmekapazitäten der Provinz- und Distriktszentren seien extrem belastet. Dies gelte gerade in der durch Rückkehrer und Flüchtlinge rapide wachsenden Hauptstadt Kabul (Anfang 2016: geschätzt 3 Mio. Einwohner). Flüchtlinge seien zu negativen Bewältigungsstrategien gezwungen wie etwa Kinderarbeit, früher Verheiratung sowie weniger und schlechtere Nahrung. Laut einer Erhebung aus 2016/17 lebten 72,4% der städtischen Bevölkerung Afghanistans in Slums, informellen Siedlungen oder unzulänglichen Wohnverhältnissen. Im Januar 2017 sei berichtet worden, dass 55% der Haushalte in den informellen Siedlungen Kabuls mit ungesicherter Nahrungsmittelversorgung konfrontiert gewesen seien.
Auch laut einem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH, Afghanistan: Gefährdungsprofile – Update, 12.9.2019, S. 20-23) werden Rückkehrer in der Regel de facto zu Binnenvertriebenen, da sie aufgrund der bewaffneten Konflikte und fehlender Netzwerke meist nicht in ihre afghanischen Herkunftsorte zurückkehren könnten. Rückkehrer wie Binnenvertriebene lebten meist in informellen Siedlungen und notdürftigen Unterkünften. Der Zugang zu Grunddienstleistungen sei für die gesamte afghanische Bevölkerung eingeschränkt, Rückkehrer und Binnenvertriebene seien jedoch noch stärker betroffen. So hätten rückkehrende Familien einen nur eingeschränkten Zugang zu Wasser und sanitären Anlagen. Rückkehrer und Binnenvertriebene benötigen meist langfristige Unterstützung, um sich lokal integrieren zu können. Insbesondere alleinstehende Frauen, ältere Menschen, unbegleitete Minderjährige und andere verletzliche Personengruppen seien auf spezielle Unterstützung angewiesen. Der Mangel an Grunddienstleistungen wie Wasser, adäquate sanitäre Einrichtungen, Unterkunft und Lebensmittel beeinträchtige den Gesundheitszustand der Binnenvertriebenen und der Rückkehrer. Die Suche nach Unterkünften gehöre zu den absoluten Prioritäten sowohl der Binnenvertriebenen als auch der Rückkehrer. Durch die Dürre habe sich die Lage zusätzlich zugespitzt. Der Zugang zu Lebensmitteln und Wasser bilde in Kabul (geschätzte Einwohnerzahl: 3,5 – 5,5 Mio. Menschen) eine der größten Herausforderungen. Gemäß einer Studie von Oxfam seien die meisten Rückkehrer bezüglich Unterkunft und Unterstützung von ihren Verwandten abhängig. Die hohe Zahl an Rückkehrer und intern Vertriebenen verstärke die Nachfrage nach Dienstleistungen, sozialer Infrastruktur und beeinträchtige die Aufnahmefähigkeit des Landes.
c) Zusammenfassend lässt sich den Berichten und Auskünften nicht entnehmen, dass seit dem Jahr 2014 von einer Verbesserung der Situation ausgegangen werden könnte. Wie schon damals ausgeführt, ist unter den dargestellten Rahmenbedingungen, vor allem mit häufig nur sehr eingeschränktem Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser und Gesundheitsversorgung die Schaffung einer menschenwürdigen Lebensgrundlage für eine Familie mit minderjährigen Kindern im Allgemeinen nicht möglich. Im Fall der Kläger ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass die Klägerin zu 2) die Betreuung für den Kläger zu 3) und das weitere, 2019 geborene Kind gewährleisten muss und zum Lebensunterhalt nicht beitragen kann. Angesichts der enorm hohen Arbeitslosigkeit wird es an Arbeitsmöglichkeiten für den Kläger zu 1) fehlen, mit dem er einen Verdienst erzielen kann, der für den Lebensunterhalt seiner Familie ausreicht.
Der Einwand der Beklagten, es sei nicht ausreichend dargelegt, dass die Kläger keinerlei Verwandte aus der Großfamilie im Heimatland hätten, die sie bei der Sicherung des Lebensunterhalts unterstützen könnten, bzw., es müsse geklärt werden, ob durch einen Rückgriff auf Verwandte im Heimatland eine Sondersituation bestehe, die eine Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs erlaube, greift nicht durch. Etwaige besondere Umstände, welche die Kläger von dem der Rechtsprechung des Senats zugrundeliegenden Regelfall unterscheiden und ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigten, sind weder zu erkennen noch zeigt die Beklagte solche auf. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass gemäß der Rechtsprechung des Senats allein die Tatsache, dass in Afghanistan – wovon im Regelfall auszugehen sein dürfte – noch Familienangehörige leben, für eine abweichende Beurteilung noch nicht ausreichend ist. Vielmehr müsste hierfür im Einzelfall festgestellt werden können, dass die Familienangehörigen etwa aufgrund überdurchschnittlicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse zur Unterstützung in der Lage sind (BayVGH, U.v. 29.10.2020 – 13a B 20.30347 – juris Rn. 31; vgl. a.: B.v. 28.1.2020 – 13a ZB 18.30859 – juris Rn. 8). Insoweit wirft die Beklagte vorliegend nur gänzlich unsubstantiiert die Frage auf, ob die Kläger auf einen unterstützungsfähigen Familienverband in Afghanistan zugreifen könnten, führt aber nicht näher aus, weshalb dies im Einzelnen der Fall sein sollte. Dies wäre schon deshalb geboten gewesen, weil sich aus den Angaben der Kläger gerade nicht ergibt, dass ihnen in Afghanistan unterstützungsfähige Verwandte zur Verfügung stünden. Selbst wenn man mit dem Verwaltungsgericht davon ausgehen wollte, dass die Angaben der Kläger in der mündlichen Verhandlung zum Verbleib der Familienmitglieder unglaubwürdig sind (vgl. UA Rn. 19 ff.), mithin auch derzeit noch Familienangehörige der Kläger in Afghanistan leben, ergäbe sich hieraus nicht, dass diese Verwandten etwa aufgrund überdurchschnittlicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse auch in der Lage wären, die Kläger zu unterstützen. Letzteres lässt sich insbesondere dem Vorbringen der Kläger beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts nicht ansatzweise entnehmen. Anhaltspunkte hierfür sind auch weder von der Beklagten vorgetragen noch sonst ersichtlich geworden. Es lassen sich damit vorliegend keinerlei begünstigende Umstände erkennen, die auf eine Sondersituation hindeuteten und eine Ausnahme von der Rechtsprechung des Senats rechtfertigen könnten. Vielmehr wären die Kläger gezwungen, eine neue Existenz aufzubauen, ohne dass ihnen hierbei entsprechende Hilfen zur Verfügung stünden.
Nach den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismitteln ist jedoch nicht davon auszugehen, dass dies gelingen kann. Ohne Hilfe würde sich die Familie weder ernähren können noch wären die einfachsten hygienischen Voraussetzungen gewährleistet. Es kann nicht angenommen werden, dass die Familie eine adäquate Unterkunft finden würde, in der auch minderjährige Kinder angemessen leben können, insbesondere, weil der afghanische Staat schon jetzt kaum mehr in der Lage ist, die Grundbedürfnisse der eigenen Bevölkerung zu befriedigen und ein Mindestmaß an sozialen Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen. Durch den enormen Bevölkerungszuwachs – etwa eine Verdoppelung der Bevölkerung innerhalb einer Generation – gerät er zusätzlich unter Druck (Lagebericht 2020, S. 22). Das Fehlen einer effizienten Städtepolitik und wirksamer Regelwerke sowie eine schwache und ineffektive Regierungsführung haben den UNHCR-Richtlinien 2018 zufolge zu einem Anstieg der Armut und Ungleichheit in städtischen Gebieten geführt; demnach befindet sich ein großer Anteil der städtischen Haushalte mit mittlerem und niedrigem Einkommen Berichten zufolge in informellen Siedlungen in schlechter Lage und mit mangelnder Anbindung an Versorgungsdienste (UNHCR-Richtlinien 2018 S. 39). Nach einer vom UNHCR wiedergegebenen Umfrage zu den Lebensbedingungen in Afghanistan für 2016/2017 leben 72,4 Prozent der städtischen Bevölkerung Afghanistans in Slums, informellen Siedlungen oder anderweitig unter unzumutbaren Wohnverhältnissen (UNHCR-Richtlinien 2018 S. 39). Erschwerend kommen die Auswirkungen der SARS-CoV-2-Pandemie hinzu. Auch wenn der Senat im Fall von alleinstehenden männlichen arbeitsfähigen afghanischen Staatsangehörigen entschieden hat, dass sich aus den zum Entscheidungszeitpunkt vorhandenen Erkenntnismitteln keine Erkenntnisse für eine relevante Gefährdung durch die Auswirkungen der Pandemie ergäben (BayVGH, U.v. 26.10.2020 – 13a B 20.31087 – juris; U.v. 1.10.2020 – 13a B 20.31004 – juris), trifft das für Familien mit minderjährigen Kindern nicht zu. Wenn für diese nach ständiger Rechtsprechung schon vor Ausbruch der Pandemie eine menschenwürdige Existenz nicht gewährleistet war, ist das im Hinblick auf die Pandemie vielmehr erst recht nicht der Fall.
Der Senat hat bereits mit Urteil vom 21. November 2014 und zuletzt mit Urteil vom 21. November 2018 festgestellt, dass mögliche Unterstützungsleistungen zwar für die erste Zeit nach der Rückkehr einen vorübergehenden Ausgleich zu schaffen vermögen, aber nicht dazu geeignet sind, auf Dauer eine menschenwürdige Existenz zu gewährleisten (BayVGH, U.v. 21.11.2018 – 13a B 18.30632 – juris; U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30284 – Asylmagazin 2015, 197 = juris Rn. 29; vgl. auch VGH BW, U.v. 3.11.2017 – A 11 S 1704/17 – juris Rn. 486). Neuere und anderslautende Erkenntnisse hierzu sind weder ersichtlich noch hat solche die Beklagte vorgetragen.
In der Gesamtschau kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass einer Familie mit minderjährigen Kindern unter den dargestellten Rahmenbedingungen, vor allem mit häufig nur sehr eingeschränktem Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser und Gesundheitsversorgung, die Schaffung einer menschenwürdigen Lebensgrundlage im Allgemeinen möglich ist. Vielmehr liegt bei den geschilderten Verhältnissen ein außergewöhnlicher Fall vor, in dem die humanitären Gründe gegen die Abschiebung „zwingend“ sind. Für die Kläger als Familie mit minderjährigen Kindern besteht nach wie vor die ernsthafte Gefahr, dass sie keine adäquate Lebensgrundlage finden würden und keine Unterkunft sowie Zugang zu sanitären Einrichtungen hätten. Es steht zu erwarten, dass ihnen die zur Befriedigung ihrer elementaren Bedürfnisse erforderlichen finanziellen Mittel fehlen würden. Ohne Hilfe würden sie sich weder ernähren können noch wären die einfachsten hygienischen Voraussetzungen gewährleistet. Da auch keine Aussicht auf Verbesserung der Lage besteht, ist davon auszugehen, dass die Kläger (und das weitere, 2019 geborene Kind) nach wie vor Gefahr liefen, einer erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein, die einen Mangel an Respekt für ihre Würde offenbart (siehe EGMR, U.v. 21.1.2011 – M.S.S./Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09 – NVwZ 2011, 413).
d) Hiermit übereinstimmend kommt das Sächsische Oberverwaltungsgericht (U.v. 16.8.2019 – 1 A 342/18.A – juris) ebenfalls zum Ergebnis, dass die Sicherung des Lebensunterhalts auch auf einfachstem Niveau am Rande des Existenzminimums für Familien mit minderjährigen Kindern nicht zu bewältigen wäre. Kinder hätten bekanntermaßen besondere Bedürfnisse und reagierten auf das Fehlen bestimmter Voraussetzungen etwa bei der Unterkunft, den hygienischen Verhältnissen und der Versorgung mit Lebensmitteln deutlich empfindlicher als ein Erwachsener in der gleichen Situation. Eine längere Phase der Überwindung von Anfangsschwierigkeiten beim Aufbau einer neuen Lebensgrundlage, die einem Erwachsenen noch zugemutet werden könnte, sei für minderjährige Kinder nicht hinnehmbar. Auch der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg gelangt zur Einschätzung, dass in ganz Afghanistan kein Ort ersichtlich sei, an dem eine Familie in mit Art. 3 EMRK vereinbaren Verhältnissen leben könnte, wenn nicht auf Grund der individuellen Situation – etwa wegen besonderer persönlicher oder sonstiger (Ver-)Bindungen oder eines Netzwerks am betreffenden Ort – die Existenzsicherung dort gewährleistet wäre (VGH BW, U.v. 3.11.2017 – A 11 S 1704/17 – juris Rn. 492). Zwar hat das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (U.v. 18.6.2019 – 13 A 3741/18.A – juris) im Fall einer Familie mit zwei minderjährigen Kindern das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG verneint. Dem dortigen Fall lag jedoch die besondere Konstellation zugrunde, dass der Familienvater – ein sehr erfolgreicher Bauleiter bzw. Ingenieur – bereits große berufliche Erfahrung hatte und über fortbestehende Kontakte verfügte. Zudem gab es familiäre Bindungen, insbesondere zu einem erwachsenen Sohn mit abgeschlossenem Studium an der amerikanischen Universität in Kabul.
Die Beklagte war deshalb unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 18. Dezember 2017 und Aufhebung von Nummern 4 bis 6 des Bescheids des Bundesamts vom 8. Juni 2016 zu verpflichten, festzustellen, dass bei den Klägern ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO sind nicht gegeben.