Verwaltungsrecht

Drohende unmenschliche Behandlung einer Familie mit Kleinkindern bei einer Rückkehr nach Griechenland

Aktenzeichen  AN 17 S 18.50843

Datum:
10.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 38178
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 35, § 37 Abs. 1
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 20 Abs. 3 S. 2, Art. 21 Abs. 1
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1. Für eine Familie bestehend aus Vater, Mutter und zwei Kindern (fünf und zwei Jahre alt) ist nach derzeitigem Erkenntnisstand die beachtliche Wahrscheinlichkeit unmenschlicher Behandlung im Falle einer Rückkehr nach Griechenland als dort anerkannte Schutzberechtigte anzunehmen, soweit keine individuelle und konkrete Zusicherung vorliegt. Insbes. besteht eine kritische Unterkunfts- und Versorgungssituation. (Rn. 22 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Entsprechende Anwendung des Art. 20 Abs. 3 S. 2 Dublin III-VO auf nachgeborene Kinder von bereits in anderem EU-Mitgliedstaat Anerkannten setzt jedenfalls voraus, dass der Mitgliedstaat der weiteren Asylantragstellung den Mitgliedstaat, der den Eltern Schutz gewährt hat, binnen der in Art. 21 Abs. 1 UAbs. 1 und 2 Dublin III-VO genannten Fristen um die Aufnahme des nachgeborenen Kindes ersucht (Anschluss an BVerwG BeckRS 2020, 19064). (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 30. Oktober 2018 wird angeordnet.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine asylrechtliche Abschiebungsandrohung nach Griechenland, die im Rahmen eines Drittstaatenbescheides erging.
Der Antragsteller zu 1) ist 1991 in Syrien geboren und Ehemann der Antragstellerin zu 2), welche 1996 ebenfalls in Syrien geboren wurde. Der Antragsteller zu 3), geboren im Jahr 2005 in der Türkei und der Antragsteller zu 4), geboren im Jahr 2018 in den Niederlanden, sind die gemeinsamen Kinder der Antragsteller zu 1) und 2). Die Antragstellerin zu 2) besuchte eigenen Angaben nach die Schule bis zur zehnten Klasse und war nach der Eheschließung als Hausfrau tätig, der Antragsteller zu 1) war seiner Aussage nach in Syrien als Automechaniker und Straßenverkäufer sowie als Fahrer im Rahmen seiner Wehrpflicht tätig.
Nach eigenen Angaben der Antragsteller reiste die Familie Anfang Juli 2015 aus ihrem Herkunftsland Syrien aus und über die Türkei im September 2016 nach Griechenland ein. Dort blieben sie bis Januar 2017. Nach einem aufgrund der Krankheit eines Sohnes misslungenen Versuch über Serbien und Mazedonien nach Ungarn zu gelangen erfolgte im Mai 2017 die Wiedereinreise nach Griechenland und der Verbleib dort bis Januar 2018. Die Antragstellerin zu 2) verließ Griechenland schon im November 2017 Richtung Niederlande, wo auch der Antragsteller zu 4) geboren wurde und bereits ein Teil ihrer Verwandtschaft lebt. Der Antragsteller zu 1) folgte seiner Frau schließlich in die Niederlande nach und verblieb dort mit ihr und den Kindern für sechs Monate. Am 22. Juni 2018 erfolgte die gemeinsame Einreise in die Bundesrepublik Deutschland, wo die Antragsteller am 25. Juli 2018 einen Asylantrag stellten.
Hinsichtlich Griechenland liegen für die Antragsteller zu 1) und 2) EURODAC-Treffer für eine Schutzgewährung am 7. Februar 2017 vor, sowie für eine Asylantragstellung in den Niederlanden am 22. Dezember 2017 bzw. 13. Januar 2018. Der Asylantrag in den Niederlanden wurde abgelehnt, ein Rechtsmittel hiergegen wurde letztlich durch Beschluss des niederländischen Staatsrates vom 8. Juni 2018 als offensichtlich unbegründet abgelehnt.
In der Befragung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 14. August 2018 erklärte der Antragsteller zu 1), dass sein Sohn, der Antragsteller zu 3), unter Asthma leide und zwei verschiedene Sprays anwenden müsse, die er auch schon in Griechenland bekommen habe. Diese Angabe bestätigte die Antragstellerin zu 2) bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt am 14. August 2018 im Wesentlichen. Weiter gab der Antragsteller zu 2) an, dass er in den Niederlanden im Januar 2018 einen negativen Asylbescheid bekommen habe, da ihm bereits in Griechenland Schutz gewährt worden sei. In Griechenland, in Athen, gebe es Mafia und Drogendealer und sie hätten illegal in einem alten Schulgebäude übernachten müssen. Dort sei es nicht sicher für seine Kinder. Es seien im November 2016 sogar andere Flüchtlingskinder entführt worden und ein Kind nach zwei bis drei Monaten tot aufgefunden worden. Er sei nach Deutschland gekommen zum einen wegen seiner Kinder, zum anderen, um zu arbeiten. Krankheiten habe er selbst keine.
Die Antragstellerin zu 2) gab bei ihrer Befragung durch das Bundesamt am 14. August 2018 an, dass auch sie in den Niederlanden einen negativen Asylbescheid erhalten habe. In Griechenland hätten sie keine Anhörung zu ihren Asylgründen gehabt, sondern sie seien nur nach ihren Daten gefragt worden. Sie hätten nicht verstanden, dass es um einen Asylantrag gehe. In Griechenland sei die Lage miserabel gewesen, vor allem die medizinische. Ihr seien Medikamente verschrieben worden, die sie aufgrund ihrer Schwangerschaft eigentlich nicht habe einnehmen dürfen. Im Krankenhaus sei sie mir ihrem an Atemnot leidenden Sohn nicht aufgenommen worden, Medikamente hätten sie selbst bezahlen müssen.
Mit Bescheid vom 4. September 2018 lehnte das Bundesamt die Asylanträge der Antragsteller erstmals als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (Ziffer 2), forderte die Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland im Falle einer Klageerhebung binnen 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen, andernfalls sie nach Griechenland abgeschoben würden (Ziffer 3) und befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4).
Hiergegen erhoben die Antragsteller am 14. September 2018 Klage und beantragten die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 3 des Bescheides vom 4. September 2018 anzuordnen.
Mit Beschluss vom 26. September 2018 (AN 14 S 18.50697 – juris) ordnete das Verwaltungsgericht Ansbach die aufschiebende Wirkung der Klage wie beantragt an. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass zwar die Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als solche auch mit Blick auf Art. 3 EMRK und die Verhältnisse in Griechenland nicht zu bestanden sei, jedoch rechtswidrig entgegen § 36 Abs. 1 AsylG eine Ausreisefrist von 30 Tagen festgesetzt worden sei. Da zwischen der Fristsetzung und der Abschiebungsandrohung eine Verknüpfung bestehe, sei Ziffer 3 des Bescheides insgesamt nicht aufrechtzuerhalten.
Daraufhin hob das Bundesamt den Bescheid vom 4. September 2018 unter Verweis auf § 37 Abs. 1 AsylG auf und führte das Asylverfahren fort. Das diesbezügliche Klageverfahren wurde beidseitig für erledigt erklärt und eingestellt (VG Ansbach, B.v. 17.10.2018 – AN 18 K 18.50698).
Mit Bescheid vom 30. Oktober 2018 lehnte das Bundesamt die Asylanträge der Antragsteller erneut als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (Ziffer 2), forderte die Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland binnen einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheids zu verlassen, andernfalls sie nach Griechenland abgeschoben würden (Ziffer 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Der Bescheid wurde den Antragstellern am 7. November 2018 zugestellt.
Zur Begründung führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, dass die Asylanträge gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig seien, da den Antragstellern in Griechenland bereits am 7. Februar 2017 internationaler Schutz zuerkannt worden sei. Dementsprechende EURODAC-Treffer lägen hinsichtlich der Antragsteller zu 1) und 2) vor, die fehlende Markierung der Antragsteller zu 3) und 4) sei mit deren Alter zu erklären, da bei Antragstellern unter 14 Jahren gemäß Art. 9 Abs. 1 der Eurodac-II-Verordnung keine Fingerabdrücke genommen würden. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK sei nicht einschlägig, weil die derzeitigen humanitären Bedingungen in Griechenland nicht zu der Annahme führten, dass bei Abschiebung der Antragsteller eine Verletzung des Art. 3 EMRK zu befürchten sei. Anerkannte rückkehrende Schutzberechtigte seien den griechischen Staatsangehörigen gleichgestellt was Unterkunft, Unterstützungsleistungen, den Zugang zum Arbeitsmarkt und zum Gesundheitssystem anbelange. Darüber hinaus gebe es im europäischen Recht keinen Mindestversorgungsstandard. Die Zustände in Griechenland mögen für zurückkehrende Personen mit internationalem Schutzstatus schwierig seien, jedoch bestünden nicht derart handgreifliche Missstände, die den Schluss zuließen, dass diese einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung ausgesetzt würden. Ebenso wenig lägen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG mangels einer Extremgefahr für Leib, Leben oder Freiheit der Antragsteller vor. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG werde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet, da keine Anhaltspunkte für eine kürzere Fristsetzung vorlägen.
Gegen diesen Bescheid erhoben die Antragsteller durch ihren Prozessbevollmächtigten am 12. November 2018 Klage und stellten einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO. Zur Begründung führen sie aus, dass es nicht zulässig sei einen Antrag erneut nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG abzulehnen, wenn zuvor bereits eine stattgebende Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Eilverfahren ergangen und das Asylverfahren daraufhin gemäß § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG durch das Bundesamt fortgeführt worden sei. Darüber hinaus sei davon auszugehen, dass eine Unzulässigkeitsentscheidung durch die Antragsgegnerin nicht getroffen werden könne, wenn die Lebensumstände für anerkannte international Schutzberechtigte in dem Mitgliedstaat der Schutzanerkennung Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK widersprächen. Die Erfolgsaussichten im Klageverfahren seien zumindest als offen einzustufen und damit dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stattzugeben.
Die Antragsteller beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 3 des Bescheides vom 30. Oktober 2018 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf den angefochtenen Bescheid. Mit Schriftsatz vom 20. November 2020 gab die Antragsgegnerin eine prozessrechtliche Erklärung mit dem Inhalt ab, dass Ziffer 3 des Bescheides vom 30. Oktober 2018 durch folgende Passage ergänzt werde: „Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist werden bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist und, im Falle einer fristgerechten Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrages durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt“.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogene elektronische Behördenakte der Antragsteller und die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes vom 30. Oktober 2018 ist zulässig und begründet.
1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 30. Oktober 2018 ist statthaft und auch sonst zulässig, insbesondere fristgerecht innerhalb einer Woche ab Bekanntgabe des Bescheids erhoben worden. Der Klage gegen eine asylrechtliche Abschiebungsandrohung nach § 35 AsylG mit korrekter Fristsetzung nach § 36 Abs. 1 AsylG kommt nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1, 38 Abs. 1, 36 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung zu, so dass der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO der grundsätzlich statthafte und zur Verhinderung der Abschiebung notwendige Rechtsbehelf ist.
2. Der zulässige Antrag ist auch begründet, weil ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der verfügten Abschiebungsandrohung i.S.v. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen vor, wenn zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung erhebliche Gründe dafürsprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung nicht standhält (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2020 – 1 C 19.19 – BeckRS 2020, 8209 Rn. 35; BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris).
a) Hinsichtlich des Antragstellers zu 4) bestehen schon deshalb ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG und der hierauf basierenden Abschiebungsandrohung nach Griechenland gemäß §§ 34, 35 AsylG, weil dieser erst am 4. Januar 2018 in den Niederlanden geboren wurde. Die Schutzgewährung für die übrigen Antragsteller in Griechenland erfolgte jedoch und bereits am 7. Februar 2017. Insofern ist denklogisch ausgeschlossen, dass der Antragsteller zu 4) internationalen Schutz in Griechenland erhalten haben kann. Auch eine etwaige analoge Anwendung des Art. 20 Abs. 3 Satz 2 Dublin III-VO i.V.m. § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG vermag hieran nichts zu ändern, da sie nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 23.6.2020 – 1 C 37/19 – juris) voraussetzt, dass die Antragsgegnerin Griechenland hinsichtlich des Antragstellers zu 4) binnen der in Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 und 2 Dublin III-VO genannten Fristen um dessen Aufnahme hätte ersuchen müssen; dies ist nicht geschehen.
b) Für die Antragsteller zu 1) bis 3) begründen sich die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit von Unzulässigkeitsentscheidung und Abschiebungsandrohung nach Griechenland wie folgt:
„Die Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 30. Oktober 2018 erscheint nach dem Vorbringen der Antragsteller beim Bundesamt und im Gerichtsverfahren und unter Berücksichtigung der aktuellen Lage für anerkannte und vulnerable Schutzberechtigte in Griechenland, von der das Gericht nach der Auswertung aktueller Erkenntnisquellen ausgeht, sowie der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für anerkannte Schutzberechtigte (U.v. 19.3.2019 –
C-163/17 „Jawo“ – NVwZ 2019, 712; U.v. 19.3.2019 – C-297/17 „Ibrahim“ u.a. – juris, U.v. 19.11.2019 – C-540/17 und C-541/17 – „Hamed“ und „Omar“ – NVwZ 2020, 137) bei summarischer Prüfung im Ergebnis als rechtswidrig. Nach der Rechtsprechung der Kammer (vgl. VG Ansbach, U.v. 17.3.2020 – AN 17 K 18.50394 – juris) bestehen grundsätzliche Bedenken gegen die Rückkehr von anerkannten Familien mit betreuungsbedürftigen kleinen Kindern nach Griechenland.“
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein Asylantrag eines in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union anerkannten Schutzberechtigten grundsätzlich unzulässig und in der Folge gemäß § 35 AsylG eine Abschiebungsandrohung dorthin veranlasst. Nur ausnahmsweise, nämlich nur bei Erreichen der hohen Hürde einer drohenden unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh führt eine schwierigere Lage für anerkannte Schutzberechtigte in anderen Mitgliedsstaaten im Vergleich zur Lage in der Bundesrepublik Deutschland zum Klageerfolg. Dies ist erst der Fall, wenn – plakativ formuliert – der Anerkannte trotz zumutbarer Eigeninitiative in dem zuständigen Staat nicht in der Lage wäre, an „Bett, Brot und Seife“ zu gelangen (VGH BW, B.v. 27.5.2019 – A 4 S 1329/19 – juris Rn. 5; EuGH, a.a.O.; siehe auch EGMR, U.v. 4.11.2014 „Tarakhel“, 29217/12 – NVwZ 2015, 127) und ihm deshalb ernsthaft eine Verelendung droht. Hiervon geht das erkennende Gericht nach den vorliegenden Erkenntnisquellen für die Konstellation der Antragsteller – Vater, Mutter und ein fünfjähriges sowie ein zweijähriges Kind – aus. Es ist diesbezüglich von einer gemeinsamen Rückkehrperspektive der Kernfamilie auszugehen, wenn auch die Abschiebungsandrohung hinsichtlich des Antragstellers zu 4) bereits aus anderen Gründen rechtswidrig ist (s.o.). Es wird dabei die nachfolgend dargelegte Sachlage zugrunde gelegt:
c) Asylbewerber, die bereits von Griechenland als international Schutzberechtigte anerkannt worden sind, werden im Falle einer Abschiebung dorthin von den zuständigen Polizeidienststellen in Empfang genommen und mit Hilfe eines Dolmetschers umfassend über ihre Rechte aufgeklärt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 3). Die betroffenen Personen erhalten insbesondere Informationen zur nächsten Ausländerbehörde, um dort ihren Aufenthaltstitel verlängern zu können. Anerkannte Schutzberechtigte haben sich sodann beim zuständigen Bürgerservice-Center zu melden. Spezielle staatliche Hilfsangebote für Rückkehrer werden vom griechischen Staat nicht zur Verfügung gestellt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 8).
Staatliche Integrationsmaßnahmen gibt es kaum. Es existiert kein funktionierendes Konzept für die Integration von Flüchtlingen bzw. es fehlt an nennenswerten staatlichen Ressourcen zu einer Implementierung (Pro Asyl, Update Stellungnahme Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland, Stand 30.8.2018, S. 11; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 7 f.; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich [BFA], Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Griechenland, aktualisierte Gesamtausgabe vom 4.10.2019 mit Informationsstand vom 19.3.2020, Ziffer 6. Schutzberechtigte, S. 27 f.). Diesbezügliche Ansätze der Regierung wie die „Nationale Strategie zur Integration von Drittstaatsangehörigen“ sind nur teilweise umgesetzt (Pro Asyl, a.a.O.; BFA a.a.O.) oder haben wie im Falle der nationalen Integrationsstrategie aus Juli 2018 keine rechtlich bindende Wirkung (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 7). Zwar berichten einige Erkenntnismittel etwa von 53 Integrationsräten auf lokaler Ebene, welche das Ziel verfolgten, Integrationsprobleme zu identifizieren und dem jeweiligen Gemeinderat Vorschläge für eine möglichst reibungsfreie Integration von Einwanderern zu unterbreiten (BAMF, Länderinformation: Griechenland, Stand Mai 2017, S. 5). Diese Beschreibung deutet jedoch auf ein eher politisches Gremium hin, welches sich um Änderungen bemüht, selbst aber keine Integrationsleistungen anbietet. Hinsichtlich staatlicher Kurse zu Sprache sowie Kultur und Geschichte des Landes ist das Bild uneinheitlich (für die Existenz kostenloser Kurse: Konrad-Adenauer-Stiftung, Integrationspolitik in Griechenland, Stand Juli 2018, S. 11), wobei aktuellere und insofern vorzugswürdige Erkenntnismittel ein solches Angebot verneinen (Raphaelswerk, Informationen für Geflüchtete, die nach Griechenland rücküberstellt werden, Stand Dezember 2019, S. 12). Zudem wird die hohe Abhängigkeit etwaiger Integrationsprogramme von einer Finanzierung durch die EU betont, da auf nationaler und kommunaler Ebene keine nennenswerten Ressourcen zur Verfügung stehen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 7; BFA a.a.O.).
In diese Lücke stoßen jedoch zahlreiche Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die auf verschiedensten Feldern Integrationshilfe leisten und mit denen die griechischen Behörden, insbesondere die lokalen, auch kooperieren (Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Athen, Hilfsorganisationen – Hilfe für Flüchtlinge in Griechenland, Stand Dezember 2019; OVG SH, U.v. 6.9.2019 – 4 LB 17/18 – BeckRS 2019, 22068 Rn. 91 f.; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schwerin vom 26.9.2018, S. 2; United States Departement of State [USDOS], Country Report of Human Rights Practices for 2019, Greece, Section 2. f. Protection for Refugees, S. 14; UNHCR, Fact Sheets Greece von Februar, Mai und August 2020; BFA a.a.O. S. 32). Die Arbeit der NGOs ist jedoch räumlich vorwiegend auf die Ballungsräume Athen und Thessaloniki konzentriert (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schwerin vom 26.9.2018, S. 2).
Hinsichtlich des Zugangs zu einer Unterkunft gilt für anerkannte Schutzberechtigte der Grundsatz der Inländergleichbehandlung mit griechischen Staatsangehörigen. Da es in Griechenland kein staatliches Programm für Wohnungszuweisungen an Inländer gibt, entfällt dies auch für anerkannt Schutzberechtigte. Auch findet keine staatliche Beratung zur Wohnraumsuche statt. Sie sind zur Beschaffung von Wohnraum grundsätzlich auf den freien Markt verwiesen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 3; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 2; BFA a.a.O., S. 30; Amnesty International, Amnesty Report Griechenland 2019, Flüchtlinge und Asylsuchende, Zugang zu Gesundheitsversorgung und Wohnraum, Stand: 16.4.2020). Das Anmieten von Wohnungen auf dem freien Markt ist durch das traditionell bevorzugte Vermieten an Familienmitglieder, Bekannte oder Studenten sowie gelegentlich durch Vorurteile gegenüber Flüchtlingen erschwert (BFA a.a.O., S. 30).
Zurückkehrende anerkannte Schutzberechtigten werden nicht in den Flüchtlingslagern oder staatlichen Unterkünften untergebracht. Zwar leben dort auch anerkannte Schutzberechtigte, jedoch nur solche, die bereits als Asylsuchende dort untergebracht waren und über die Anerkennung hinaus dort verblieben sind und zudem nur für einen mehrmonatigen Übergangszeitraum (BFA a.a.O., S. 26; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 1 f.). Von einer Unterbringung kann nur ausgegangen werden, soweit eine explizite Zusage im Einzelfall zur Betreuung des Rückkehrers seitens der griechischen Behörden vorliegt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, a.a.O.).
Auch haben die zurückkehrenden anerkannt Schutzberechtigten keinen Zugang zu einer Unterbringung im Rahmen des EUfinanzierten und durch das UNHCR betriebenen ESTIA-Programms (Emergency Support to Accomodation and Integration System). Über das ESTIA-Programm stehen derzeit ca. 4.600 Appartements und insgesamt ca. 25.500 Unterbringungsplätze zur Verfügung (UNHCR, Fact Sheet Greece, Stand Mai 2020). Dieses steht jedoch nur Asylsuchenden und begrenzt zwischenzeitlich auch für international Anerkannte zur Verfügung, die bereits dort gelebt haben (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 1 f.; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 5; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Potsdam vom 23.8.2019, S. 2; Pro Asyl, Returned recognized refugees face a dead-end in Greece – a case study, Stand 4.1.2019, S. 3). Durch das neue Asylgesetz Nr. 4636/2019, das am 1. November 2019 in Kraft trat, wurden die Bedingungen für die anerkannt Schutzberechtigten überdies verschärft; sie sollen nunmehr unmittelbar ab dem Zeitpunkt der Anerkennung die ESTIA-Unterkünfte verlassen, wobei es eine einmalige Übergangsfrist von zwei Monaten Anfang 2020 geben sollte (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2).
Das Helios-2-Programm, ein von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Abstimmung mit dem griechischen Migrationsministerium entwickeltes und durch die EU finanziertes Integrationsprogramm, sieht zwar 5.000 Wohnungsplätze für anerkannte Schutzberechtigte vor. Die Wohnungsangebote werden dabei von Nichtregierungsorganisationen und Entwicklungsgesellschaften griechischer Kommunen als Kooperationspartner der IOM zur Verfügung gestellt und von den Schutzberechtigten, unter Zahlung einer Wohnungsbeihilfe an sie, angemietet (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Potsdam vom 23.8.2019, S. 2 f.). Das Programm kommt nach derzeitigem Erkenntnisstand aber nicht den anerkannten Flüchtlingen zugute, die nach Griechenland zurückkehren, sondern gilt für ab dem 1. Januar 2018, vorzugsweise ab dem 1. Januar 2019 Anerkannte nach einer Übergangsfrist von sechs Monaten im ESTIA-Programm (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Potsdam vom 23.8.2019, S. 3: derzeit keine Kenntnisse des AA hierüber).
Eine Unterbringung in Obdachlosenunterkünften für anerkannt Schutzberechtigte ist grundsätzlich möglich. Allerdings sind die Kapazitäten in den kommunalen und durch NGOs betriebenen Unterkünften, etwa in Athen, knapp bemessen und oft chronisch überfüllt (BFA a.a.O., S. 30; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 3). Die Wartelisten sind entsprechend lang und teils stellen die Unterkünfte weitere Anforderungen an die Interessenten, wie etwa Griechisch- oder Englischkenntnisse und psychische Gesundheit. Im Ergebnis bleiben viele anerkannte Schutzberechtigte, die selbst nicht über hinreichende finanzielle Mittel für das Anmieten privaten Wohnraums verfügen, obdachlos oder wohnen in verlassenen Häusern oder überfüllten Wohnungen (für alles Vorstehende: Pro Asyl, Update Stellungnahme Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland, Stand 30.8.2018, S. 6 ff.). Obdachlosigkeit ist unter Flüchtlingen in Athen dennoch kein augenscheinliches Massenphänomen, was wohl auf landsmannschaftliche Strukturen und Vernetzung untereinander zurückzuführen ist (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 3).
Wohnungsbezogene Sozialleistungen, die das Anmieten einer eigenen Wohnung unterstützen könnten, gibt es seit dem 1. Januar 2019 mit dem neu eingeführten sozialen Wohngeld, dessen Höhe maximal 70,00 EUR für eine Einzelperson und maximal 210,00 EUR für einen Mehrpersonenhaushalt beträgt. Das soziale Wohngeld setzt allerdings einen legalen Voraufenthalt in Griechenland von mindestens fünf Jahren voraus (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 5; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Potsdam vom 23.8.2019, S. 1 f.).
Zugang zu weiteren Sozialleistungen besteht für anerkannt Schutzberechtigte, die nach Griechenland zurückkehren, auch sonst unter den gleichen Voraussetzungen wie für Inländer. Das im Februar 2017 eingeführte System der Sozialhilfe basiert auf drei Säulen. Die erste Säule sieht ein Sozialgeld in Höhe von 200,00 EUR pro Einzelperson vor, welches sich um 100,00 EUR je weiterer erwachsener Person und um 50,00 EUR je weiterer minderjähriger Person im Haushalt erhöht. Alle Haushaltsmitglieder werden zusammen betrachtet, die maximale Leistung beträgt 900,00 EUR pro Haushalt. Die zweite Säule besteht aus Sachleistungen wie einer prioritären Unterbringung in der Kindertagesstätte, freien Schulmahlzeiten, Teilnahme an Programmen des Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen, aber auch trockenen Grundnahrungsmitteln wie Mehl und Reis, Kleidung und Hygieneartikeln. Alles steht jedoch unter dem Vorbehalt der vorhandenen staatlichen Haushaltsmittel. Die dritte Säule besteht aus der Arbeitsvermittlung. Neben zahlreichen Dokumenten zur Registrierung für die genannten Leistungen – unter anderem ein Aufenthaltstitel, ein Nachweis des Aufenthalts (z.B. elektronisch registrierter Mietvertrag, Gas-/Wasser-/Stromrechnungen auf eigenen Namen oder der Nachweis, dass man von einem griechischen Residenten beherbergt wird), eine Bankverbindung, die Steuernummer, die Sozialversicherungsnummer, die Arbeitslosenkarte und eine Kopie der Steuererklärung für das Vorjahr – wird ein legaler Voraufenthalt in Griechenland von zwei Jahren vorausgesetzt. (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2 f.; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 4 ff.; BFA a.a.O., S. 28: Mindestaufenthalt ein Jahr).
Das sogenannte Cash-Card System des UNHCR, welches über eine Scheckkarte Geldleistungen je nach Familiengröße zur Verfügung stellt, steht nur Asylbewerbern, nicht aber anerkannten Schutzberechtigten, die zurückkehren, offen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2; BFA a.a.O., S. 29).
Der Zugang zum griechischen Arbeitsmarkt ist für international Schutzberechtigte grundsätzlich gleichermaßen wie für Inländer gegeben. Allerdings sind die Chancen auf Vermittlung eines Arbeitsplatzes gering, da die staatliche Arbeitsverwaltung schon für die griechischen Staatsangehörigen kaum Ressourcen für eine aktive Arbeitsvermittlung hat. Zudem haben sich die allgemeinen Arbeitsmarktbedingungen durch die andauernde Wirtschafts- und Finanzkrise verschlechtert (BFA a.a.O., S. 31). Rechtmäßig ansässige Drittstaatsangehörige sind, wenn sie überhaupt Arbeit finden, meist im niedrigqualifizierten Bereich und in hochprekären Beschäftigungsverhältnissen oder in der Schattenwirtschaft tätig (Konrad-Adenauer-Stiftung, Integrationspolitik in Griechenland, Stand Juli 2018, S. 9). Dazu treten regelmäßig die Sprachbarriere (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 7) sowie bürokratische Hürden im Allgemeinen und im Speziellen bei der Beantragung der „Social Security Number (AMKA)“. Bezüglich letzterer wird vereinzelt berichtet, dass deren Beantragung seit Juli 2019 für nicht-griechische Staatsangehörige nicht mehr möglich sei (Respond, Working Papers, Integration – Greece Country Report, Stand Juni 2020, S. 26; zwar von Schwierigkeiten berichtend, aber keine Unmöglichkeit annehmend Asylum Information Database [AIDA], Country Report Greece, Update 2019, S. 166, 219 f.). Eine spezielle Förderung zur Arbeitsmarktintegration anerkannter Schutzberechtigter findet derzeit nicht statt (Pro Asyl, Update Stellungnahme Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland, Stand 30.8.2018, S. 10), vereinzelt haben NGOs bzw. kirchliche Institutionen Initiativen zur Arbeitsvermittlung gestartet, etwa der Arbeiter-Samariter-Bund und die Diakonie. Für gut ausgebildete Schutzberechtigte besteht im Einzelfall auch die Chance auf Anstellung bei einer solchen Organisation, etwa als Dolmetscher oder Team-Mitarbeiter (für alles Vorstehende: Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 7; BFA a.a.O., S. 31).
Der Zugang zu medizinischer Versorgung und dem Gesundheitssystem ist für anerkannte Schutzberechtigte einschränkungslos gegeben, unterliegt allerdings im Übrigen denselben Beschränkungen durch Budgetierung und restriktive Medikamentenausgabe wie für griechische Staatsbürger (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 9; OVG SH, U.v. 6.9.2019 – 4 LB 17/18 – BeckRS 2019, 22068 Rn. 141 f.).
d) Unter Beachtung des vorstehenden rechtlichen Maßstabes (II. 2. a)) und der tatsächlichen Situation für rückkehrende anerkannte und vulnerable Schutzberechtigte (II. 2. b)) ergeben sich unter Zugrundelegung des Vortrags der Antragsteller im hier zu betrachtenden Einzelfall einer Familie mit zwei fünf- und zweijährigen Kindern ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der verfügten Abschiebungsandrohung i.S.v. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG. Die Antragsgegnerin hat den Asylantrag des Antragstellers aller Voraussicht nach zu Unrecht als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG abgelehnt, denn den Antragstellern droht im Falle einer Rückkehr nach Griechenland eine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eintretende Verelendung.
Die Antragsteller sind eine Familie mit zwei Kindern im Alter von acht und zwei Jahren und damit besonders vulnerabel. Ihnen steht weder eine Unterkunft im Rahmen des ESTIA-Programms noch des Helios 2-Programms zur Verfügung. Auch ist mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass eine Anmietung einer ausreichenden Wohnung auf dem privaten Wohnungsmarkt nicht möglich sein wird. Einerseits wegen der dort bestehenden Hürden wie einer Bevorzugung von Familienmitgliedern oder Studenten als Mietern, zum anderen wegen des zumindest in den ersten fünf Jahren bestehenden Ausschlusses wohnungsbezogener Sozialleistungen und des Ausschlusses vom Sozialgeld in den ersten zwei Jahren sowie des für anerkannt Schutzberechtigte faktisch kaum mit Erfolg zugänglichen Arbeitsmarktes. Insoweit wird es den Klägern aller Voraussicht nach an entsprechenden finanziellen Mitteln fehlen, um die Miete bestreiten zu können. Eine Unterbringung in Obdachlosenunterkünften ist angesichts der limitierten Kapazitäten und der teils bestehenden Aufnahmebeschränkungen wie etwa Sprachkenntnissen eine nur vage und unwahrscheinliche Möglichkeit, die die tatsächliche Gefahr der drohenden Obdachlosigkeit nicht zu beseitigen vermag. Daran ändert auch die Tatsache, dass es etwa auf den Straßen Athens keine augenscheinliche Massenobdachlosigkeit gibt, nichts. Dies ist vor allem auf informelle Möglichkeiten zur Unterkunft, wie leerstehende oder besetzte Gebäude, meist ohne Wasser und Strom, zurückzuführen, auf die die Antragsteller sich nicht verweisen lassen müssen. Eine solche Unterkunft ist einer Familie mit kleinen Kindern nicht zumutbar. Davon abgesehen kämen die Antragsteller wohl unmittelbar nicht einmal in den Genuss dieser Unterkunft, da ihnen aufgrund des längeren, mittlerweile etwa eineinhalb Jahre währenden Aufenthalts in Deutschland die informellen Kontakte zu Landsleuten in Griechenland fehlen dürften.
Angesichts des beschriebenen temporären Ausschlusses von Sozialleistungen in den ersten zwei bzw. für das Wohngeld fünf Jahren des (legalen) Aufenthalts in Griechenland und der äußerst problematischen Arbeitsmarktsituation für Anerkannte sowie unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich bei den Antragstellern um eine zu versorgende vierköpfige Familie handelt, droht trotz rechtlicher Inländergleichbehandlung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verelendung, da innerhalb einer Zeitspanne von zwei Jahren nach Rückkehr keine Änderung in Hinblick auf Obdach und Sozialleistungen absehbar ist. Der Einzelrichter geht davon aus, dass die Antragsteller durch jedes soziale Netz fallen würden und sich auch nicht aus eigener Kraft und eigenem Engagement heraus ein menschenwürdiges Existenzminimum für ihre Familie erwirtschaften können. Bei den Antragstellern als Familie mit kleinen Kindern (zwei und fünf Jahre) könnte nur einer der beiden Elternteile einer Erwerbsarbeit nachgehen. Da weder der Antragsteller zu 1) noch die Antragstellerin zu 2) über einen formalen Ausbildungsabschluss verfügen, sind angesichts der Gegebenheiten auf dem griechischen Arbeitsmarkt die Aussichten auf eine den Unterhalt der Gesamtfamilie deckende Erwerbstätigkeit äußerst gering.
Die zu erwartenden Lebensumstände in Griechenland beruhen zwar nicht auf der Gleichgültigkeit (so die Formulierung des EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 90) des griechischen Staates, aber auf dessen massiver Überforderung, die trotz Unterstützung des UNHCR und der EU weiterhin besteht. So kamen im Jahr 2019 74.600 Asylsuchende in Griechenland an und damit 50 Prozent mehr als im Jahr zuvor (UNHCR, Fact Sheet Greece, Stand Dezember 2019), was angesichts einer Bevölkerungszahl von etwa 11 Millionen und der Steigerungsrate eine enorme Belastung darstellt. Zum Vergleich wurden in Deutschland im Jahr 2019 etwa 150.000 Asylsuchende und damit 11 Prozent weniger als im Jahr 2018 registriert (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Das Bundesamt in Zahlen 2019, S. 7). In absoluten Zahlen sind dies zwar gut doppelt so viele wie in Griechenland, allerdings bei einer mehr als sieben Mal so großen Gesamtbevölkerung. Im europäischen Vergleich muss Griechenland gemessen an seiner Größe überproportionale Lasten bei der Aufnahme von Flüchtlingen schultern und ist mit diesem Ausmaß, insbesondere was die Aufnahme, Unterbringung und Versorgung anbelangt, überfordert. Für die Betroffenen wirkt sich die Überforderung des griechischen Staates im Ergebnis genauso wie Gleichgültigkeit, worauf der Europäische Gerichtshof abgestellt hat (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 90), aus. Rechtlich maßgeblich ist letztlich allein, ob wegen der Defizite mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verletzung des Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK droht, was sich auch aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof ergibt, da dieser an anderer Stelle den „allgemeinen und absoluten Charakter des Verbots in Art. 4 der Charta, das eng mit der Achtung der Würde des Menschen verbunden ist und ausnahmslos jede Form unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung verbietet“, betont (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137 Rn. 37).
Der Annahme einer drohenden erniedrigenden und unmenschlichen Behandlung steht auch nicht entgegen, dass die Antragsteller als anerkannte Schutzberechtigte freiwillig aus Griechenland ausgereist sind, damit – möglicherweise sogar bewusst – auf die ihnen zustehenden Sozialleistungen verzichtet und ihre eigene Notsituation im Falle einer Rückkehr erst herbeigeführt haben. Zwar stellt der Europäische Gerichtshof grundsätzlich auf eine Notsituation der schutzberechtigten Person „unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen“ ab (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 90). Eine so zu berücksichtigende Eigenverantwortung liegt hinsichtlich des Antragstellers zu 3) jedoch nicht vor, da die Entscheidung, Griechenland zu verlassen, bei lebensnaher Betrachtung von den Eltern, den Antragstellern zu 1) und 2), getroffen wurde und ein Fünfjähriger für eine derartige Entscheidung auch nicht in die Verantwortung genommen werden kann. Eine getrennte Betrachtung der Verursachungsanteile dahingehend, dass diese zur Verneinung einer drohenden unmenschlichen Behandlung hinsichtlich der Antragsteller zu 1) und 2), aber zu deren Bejahung hinsichtlich des Antragstellers zu 3) führen könnte, hat nach Ansicht des Einzelrichters nicht zu erfolgen. Auch insoweit ist mit Blick auf Art. 7 GRCh und Art. 8 EMRK auf den Kernfamilien-Verbund abzustellen.
Schließlich vermag auch das allgemeine Schreiben des griechischen Ministeriums für Migrationspolitik vom 8. Januar 2018 bezüglich zurückkehrender anerkannter Flüchtlinge nach Griechenland eine drohende unmenschliche Behandlung nicht auszuschließen. In diesem wird zugesichert, dass Griechenland die Qualifikations-RL 2011/95/EU rechtzeitig in griechisches Recht umgesetzt hat und basierend hierauf allen international Schutzberechtigten die Rechte aus der Richtlinie gewährt werden unter Beachtung der Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention. Eine Zusicherung, die die Gefahr einer gegen Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK verstoßenden unmenschlichen Behandlung ausschließen soll, muss nach der Rechtsprechung des EGMR hinreichend konkret und individualisiert, etwa durch detaillierte und zuverlässige Informationen über die materiellen Bedingungen in der Unterkunft mit Bezug zu den Klägern, ausgestaltet sein (EGMR, U.v. 4.11.2014 – Tarakhel, 29217/12 – NVwZ 2015, 127 Rn. 120 ff.). Das Bundesverfassungsgericht betont hinsichtlich der Beurteilung eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK die Notwendigkeit einer „hinreichend verlässlichen, auch ihrem Umfang nach zureicheden tatsächlichen Grundlage“ (BVerfG [2. Senat, 1. Kammer], B.v. 10.10.2019 – 2 BvR 1380/19 – juris Rn. 15 f., wo auch auf die Tarakhel-Entscheidung des EGMR Bezug genommen wird). Gemessen an diesem Maßstab bleibt die Mitteilung Griechenlands vom 8. Januar 2018 zu abstrakt und damit nicht ausreichend.
e) Über das bereits Ausgeführte hinaus ist hinsichtlich des Antragsteller zu 3) noch fraglich, ob ihm überhaupt in Griechenland im Sinne des § 29 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG internationaler Schutz gewährt worden ist. Treffer aus der EURODAC-Datenbank liegen nach Aktenlage nur für die Antragsteller zu 1) und 2) vor. Zwar ist wegen Art. 9 Abs. 1 der VO (EU) Nr. 603/2013 – Eurodac-VO zum Fingerabdruckdatenabgleich – aufgrund des Alters des Antragstellers zu 3) von fünf Jahren nachvollziehbar, dass diesem in Griechenland bei der Asylantragstellung keine Fingerabdrücke abgenommen wurden. Jedoch sind auch sonst keine aktenkundigen Umstände ersichtlich, die auf eine Schutzgewährung in Griechenland auch für die Antragsteller zu 3) schließen lassen. Allein Plausibilitätserwägungen sprechen für eine gemeinsame Entscheidung hinsichtlich der Antragsteller zu 1) bis 3) durch die griechischen Behörden. Diese Unsicherheit hätte die Antragsgegnerin ohne weiteres durch ein Anfrageverfahren nach Art. 34 Dublin III-VO gegenüber Griechenland ausräumen können.
f) Da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG in Ziffer 1 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 30. Oktober 2018 im Sinne des § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG bestehen, bestehen diese auch hinsichtlich der auf der Unzulässigkeitsentscheidung gemäß § 35 AsyG aufbauenden Abschiebungsandrohung nach Griechenland in Ziffer 3 des Bescheides. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung nach Griechenland (Ziffer 3 des Bescheides vom 30.10.2018) war nach alldem anzuordnen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 161 Abs. 1, § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
4. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe gemäß § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO war gemäß § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO trotz gegebener Erfolgsaussichten in der Sache abzulehnen, da die Klägerseite auch nach gerichtlicher Aufforderung mit Schreiben vom 13. November 2020 bis zum 30. November 2020 keine aktuellen Unterlagen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen gemäß § 117 Abs. 2 ZPO vorgelegt hat. Hinsichtlich der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit kommt es auf den Zeitpunkt der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag an (W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 166 Rn. 14a m.w.N.), weswegen die bereits mit Schriftsatz vom 26. November 2018 vorgelegten Unterlagen nicht ausreichen.
5. Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.


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