Verwaltungsrecht

Dublin III-Verfahren: Unzulässiger Asylantrag

Aktenzeichen  M 18 S 18.50533

Datum:
22.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 27210
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 34a Abs. 1 S. 1
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 13 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1 lit. b
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1 Ein Zweitverfahren kann erst nach Zuständigkeitseintritt der Antragsgegnerin, zB durch Ablauf der (Wieder-) Aufnahmegesuchsfrist oder der Überstellfrist bzw. Selbsteintritts der Antragsgegnerin, durchgeführt werden. Erst in diesem Verfahrensstand und noch nicht im Rahmen des Dublin-Verfahrens ist relevant, ob und mit welcher Begründung das Asylverfahren in Italien beendet wurde, da davon abhängt, ob ein Erst- oder ein Zweitverfahren in der Bundesrepublik Deutschland zu führen ist und ob ein Zweitverfahren zulässig ist. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2 Obwohl sich in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen durchaus erhebliche Mängel und Defizite feststellen lassen, werden diese – weder für sich genommen noch insgesamt – als so gravierend bewertet, dass ein grundlegendes, systemisches Versagen Italiens anzunehmen ist. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3 Eine Vereinbarung zwischen der italienischen Zentralregierung und den Regionen garantiert die Not- und Grundversorgung auch von Personen, die sich illegal im Land aufhalten (vgl. VG Augsburg BeckRS 2015, 54846). Es ist davon auszugehen, dass in Italien nach einer Wartezeit Zugang zu einer angemessenen medizinischen Versorgung besteht.  (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage vom … gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom … Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben nigerianischer Staatsangehöriger und am  … geboren. Am  … äußerte der Antragsteller ein Asylgesuch und stellte am … einen Asylantrag in Deutschland. Die EURODAC-Anfrage vom … ergab, dass der Antragsteller am … einen Asylantrag in Italien stellte.
In der ausländerrechtlichen Befragung vom … gab der Antragsteller an, dass er in Italien in einem Camp war, es ihm dort jedoch nicht gefallen habe. Er habe zweimal je 3-4 Monate an verschiedenen Orten auf Sizilien in Italien gelebt und sich dann weitere 4 oder 5 Monate in der Region Kalabrien in Italien aufgehalten. Anschließend habe er sich in Como, Italien, 6 Wochen aufgehalten bis er über die Schweiz nach Deutschland gereist sei. Sein Asylantrag sei in Italien abgelehnt worden.
Am … wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) über Dublinet ein Wiederaufnahmeersuchen nach Italien gesandt. Italien reagierte nicht auf das Ersuchen.
In den schriftlich erfolgten Anhörungen, die am … beim Bundesamt eingingen, führte der Antragsteller unter anderem aus, er habe Nigeria am … verlassen und habe nach ca. einjährigem Aufenthalt in Libyen von dort aus mit dem Boot nach Italien übergesetzt. Er sei am  … in Italien angekommen. Der Antragsteller habe in Italien einen Asylantrag gestellt. Er habe ca. ein Jahr in einem Camp in Sizilien gelebt, bis es aufgrund von Unruhen geschlossen wurde. Ihm sei kein neuer Platz zugewiesen worden. Er habe danach 8 Monate in Italien auf der Straße gelebt. Er sei in medizinischer Behandlung, sein Arzt schicke Unterlagen. Beigefügt war ein an den Antragsteller adressierter Bescheid des zuständigen Landratsamtes vom …, mit dem die Kosten für eine operative Sanierung der Scaphoidpseudarthose anhand des ärztlichen Befunds vom … im Rahmen der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz einmalig übernommen werden.
Mit Schreiben des Bundesamtes vom … wurde der Antragsteller mit Fristsetzung zum … aufgefordert, ärztliche Atteste für seine Erkrankungen sowie eine Befreiung von der ärztlichen Schweigepflicht einzureichen.
Am … erließ die Antragsgegnerin den streitgegenständlichen Bescheid, in dem der Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde (Nr. 1), festgestellt wurde, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2), die Abschiebung nach Italien angeordnet wurde (Nr. 3) und ein gesetzliches Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des AufenthG auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet wurde (Nr. 4). Auf die Bescheidsbegründung wird Bezug genommen. Der Bescheid wurde nach der Postzustellungsurkunde … dem Antragsteller zugestellt.
Der Antragsteller erhob zur Niederschrift beim Verwaltungsgericht München am 19. Februar 2018 Klage (M 18 K 18. 50532) mit dem Antrag, den Bescheid der Beklagten vom … aufzuheben sowie hilfsweise Abschiebungsverbote festzustellen.
Des Weiteren beantragte er am gleichen Tag,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung des Antrags nahm der Antragsteller auf seine Äußerungen beim Bundesamt Bezug und gab an, zu befürchten, bei einer Rückkehr nach Italien wieder obdachlos auf der Straße leben zu müssen. Er sei bereits einmal aus einem Lager verwiesen worden, weil es geschlossen werden sollte. Eine neue Unterkunft sei ihm nicht zugewiesen worden.
Am … übersandte die Antragsgegnerin die Akte. Eine weitere Äußerung erfolgte nicht.
Mit Schriftsatz vom … bestellte sich die Bevollmächtigte des Antragstellers, bat um Akteneinsicht und um 3 Wochen Antragsbegründungsfristverlängerung. Mit gerichtlichen Anschreiben vom … wurde die Akte an die Bevollmächtigte übersandt und eine einwöchige Fristverlängerung eingeräumt.
Die Bevollmächtigte begründete den Antrag mit Schriftsatz vom  … Die aufschiebende Wirkung der Klage sei anzuordnen, da der Verwaltungsakt voraussichtlich rechtswidrig sei. Zum einen sei die Zuständigkeit von Italien nach Begründung der Bevollmächtigten des Antragstellers wegen systemischer Mängel im italienischen Asylsystem nach Art. 3 Abs. 2 der Dublin-IIIVerordnung nicht gegeben. Es bestünden aufgrund des beständigen massiven Flüchtlingsstroms nach Italien erhebliche Zweifel daran, ob ausreichend Unterbringungskapazitäten zur Verfügung stehen. Eine Aussetzung des Klageverfahrens und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung sei aufgrund der Vorlageverfahren vor dem EuGH (BVerwG, B.v.27.6.2017, Az. 1 26.16 und VGH Baden-Württemberg, B.v. 15.3.2017, Az. A 11 S 2151/16) vorzunehmen. Die dort aufgeworfenen Fragen seien auch für das Verfahren des Antragstellers entscheidungserheblich, da bei einer Überstellung nach Italien möglicherweise internationaler Schutz zugesprochen werden würde. Weiterhin habe die Antragsgegnerin versäumt, aufzuklären, ob der Antragsteller bereits im italienischen Asylverfahren einen ablehnenden Bescheid erhalten habe. Wäre dies der Fall, sei der Asylantrag des Antragstellers als Zweitantrag gemäß § 71a AsylG zu verbescheiden. Beim Antragsteller sei zur Wiederherstellung der Funktion des Handgelenks dringend eine Operation nötig. Beigelegt ist ein Attest eines Facharztes für Chirurgie vom … … … Darin wird bestätigt, dass der Antragsteller wegen seines Zustandes nach Handwurzelbruch (Kahnbein) mit nicht verheiltem Bruch und beginnender Arthrose links in Behandlung sei. Eine operative Maßnahme sei dringend indiziert, um die schmerzfreie Gebrauchsfähigkeit des Handgelenkes zu erhalten/wiederherzustellen. Ohne Behandlung und Operation sei eine Gebrauchsunfähigkeit und Arbeitsunfähigkeit wahrscheinlich. Die Behandlung werde etwa 3 Monate in Anspruch nehmen, davon etwa 5 Tage stationär. Eine lebensbedrohliche Gefahr bestehe nicht. Die Behandlung im Heimatland sei wahrscheinlich nicht gegeben und möglich.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der gemäß § 34a Abs. 2 Satz 1 Asylgesetz (AsylG) i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der in der Hauptsache erhobenen Klage ist unbegründet, da die Hauptsacheklage voraussichtlich keinen Erfolg haben wird.
Entfaltet ein Rechtsbehelf gegen die Klage – wie hier – von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG), kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es abzuwägen hat zwischen dem sich aus § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren gebotene summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als rechtswidrig, so besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
Gemäß der §§ 34a Abs. 1 Satz 1, 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann.
Italien ist nach summarischer Prüfung gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. den Regelungen der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (im Folgenden: Dublin-III-VO) zuständiger Mitgliedsstaat für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers. Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedsstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin-III-VO als zuständiger Mitgliedsstaat bestimmt wird. Gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO ist derjenige Mitgliedsstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig, über dessen Grenze der Asylbewerber aus einem Drittstaat illegal eingereist ist. Ausgehend vom Vortrag des Antragstellers und nach dem EURODAC-Treffer der Kategorie 1 reiste der Antragsteller illegal per Boot von Libyen aus am … in Italien ein.
Das Wiederaufnahmeersuchen der Bundesrepublik Deutschland wurde fristgerecht am 1. Dezember 2017 gestellt (Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin-III-Verordnung). Da die italienischen Behörden auf das Wiederaufnahmeersuchen der Antragsgegnerin nicht reagiert haben, ist gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO davon auszugehen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die betreffende Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen (Art. 18 Abs. 1 lit. b) bzw. d) Dublin-III-VO).
Soweit die Bevollmächtigte des Antragstellers auf einen Aufklärungsmangel hinweist, ist dem nicht zu folgen. Im Rahmen des Art. 18 Abs. 1 der Dublin-III-Verordnung gelten sowohl für die Variante in b) als auch für d) dieselben weiteren Verfahrensregelungen der Art. 23, 24,25 und 29 der Dublin-III-Verordnung. Die von der Bevollmächtigten in diesem Zusammenhang zitierte Rechtsprechung bezieht sich auf einen nicht vergleichbaren Fall, da die Zuständigkeit der Antragsgegnerin dort bereits feststand. Ein Zweitantrag ist nach § 71a Abs. 1 Satz 1 AsylG jedoch nur dann durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Dies wird im Rahmen eines vorangehenden Dublin-Verfahrens geprüft. Ein Zweitverfahren kann erst nach Zuständigkeitseintritt der Antragsgegnerin, z. B. durch Ablauf der (Wieder-)Aufnahmegesuchsfrist oder der Überstellfrist bzw. Selbsteintritts der Antragsgegnerin, durchgeführt werden. Erst in diesem Verfahrensstand ist relevant, ob und mit welcher Begründung das Asylverfahren in Italien beendet wurde, da davon abhängt, ob ein Erst- oder ein Zweitverfahren in der Bundesrepublik Deutschland zu führen ist und ob ein Zweitverfahren zulässig ist. Somit ist es für das streitgegenständliche Verfahren unerheblich, ob das Asylverfahren des Klägers in Italien bereits abgeschlossen ist oder nicht.
Die Zuständigkeit ist nach summarischer Prüfung auch nicht auf die Antragsgegnerin übergegangen, weil eine Überstellung an Italien nicht an Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin-III-VO scheitern würde. Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Antragsteller im Falle einer Abschiebung nach Italien infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt wäre.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedsstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechte-Charta) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedsstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für der Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedsstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 Grundrechte-Charta ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedsstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller in Italien aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Italien verfügt unter Berücksichtigung der Verwaltungspraxis über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren, welches trotz einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der vor Ort tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber im Normalfall nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen muss. Obwohl sich in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen durchaus erhebliche Mängel und Defizite feststellen lassen, werden diese – weder für sich genommen noch insgesamt – als so gravierend bewertet, dass ein grundlegendes, systemisches Versagen des Mitgliedsstaates vorläge, welches für einen Dublin-Rückkehrer nach dem Prognosemaßstab der Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad impliziert. Ein im konkreten Fall kritischer Punkt ist die Zeitspanne zwischen der Wiederankunft des Antragstellers in der für die Weiterbearbeitung des Asylantrags zuständigen Questura und die Gewährung einer Unterkunft und Lebensunterhalts. Bei Verlassen der in Italien zugewiesenen Unterkunft ohne Bewilligung verliert der Antragsteller seinen Anspruch auf Unterbringung im staatlichen Asylsystem (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, S.28, AIDA – Country Report Italy, Update Dezember 2016, S. 40, 64f., 67). Bei Rücküberstellung eines Asylsuchenden, der bereits in Italien Asyl beantragt hatte, ist für die Wiederaufnahme des Asylverfahrens ein Antrag bei der vormals zuständigen Questura erforderlich (AIDA – Country Report Italy, Update Dezember 2016, S. 40, 64f., 67). Eine Unterbringung im staatlichen System kann erst nach einem Termin bei der Präfektur der Questura und nach manchmal längeren Wartezeiten (Wartelisten) wiedergewährt werden (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, S.28). Zur Überbrückung der Wartezeit stehen nichtstaatliche Unterkünfte regelmäßig zur Verfügung. Die Kapazitäten und Verfügbarkeiten von nichtstaatlichen Unterkunftsstellen sind nicht bezifferbar, da es große regionale Unterschiede gibt und eine zentrale Steuerung bzw. Koordinierung derselben nicht vorliegt. Dort wird jedoch zumeist eine Übernachtungsmöglichkeit, sowie kostenfreie Mahlzeiten und Beratung angeboten (AIDA – Country Report Italy, Update Dezember 2016, S.72; SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, S.63f und vgl. speziell für Rom: S. 41f). Unter den beim Projekt MEDU angetroffenen, obdachlosen Asylbewerbern befinden sich nur wenige Personen, die im Dublin-Verfahren rücküberstellt wurden, wobei mangels flächendeckenden Angebots keine Aussage zu den Gründen möglich ist (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, S.29). Daher ist nach einer gewissen Wartezeit von einer zumeist regelhaft stattfindenden Aufnahme der Überstellten ins staatliche Unterkunftssystem auszugehen.
Im Ergebnis ist anzunehmen, dass in Italien eine weiterhin stark angespannte Unterkunftssituation gegeben ist, die jedoch laufend an die aktuellen Anforderungen weiter angepasst wird. Angesichts der laufenden Kapazitätserweiterungen der vergangenen Jahre bezüglich der Abarbeitung von Asylverfahren und Eröffnung von Unterkünften (aktuelle Gesamtkapazität 175.734 Plätze nach AIDA, a.a.O, S.69) ist auch zukünftig mit einer weiteren Kapazitätsausweitung zu rechnen. Bezüglich der Berichte von Obdachlosigkeit während eines laufenden Asylverfahrens ist festzuhalten, dass diese vor allem in großen Städten auftritt, die von Flüchtlingen auch schwerpunktmäßig entgegen ihrer Zuweisung zu einer Unterkunft aufgesucht werden (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, S.5, 6). Ein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen für die Personengruppe der nicht-vulnerablen Dublin-Rückkehrer lässt sich den Berichten trotz einzelner Mängel im Unterbringungswesens nach der Würdigung des Gerichts nicht entnehmen.
Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art.17 Dublin-III-VO notwendig machen, sind nicht ersichtlich.
Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass eine Abschiebung nach Italien nicht gemäß § 34a Abs. 1 AsylG durchgeführt werden kann. Der Antragsteller gehört mangels Vortrages keinem vulnerablen Personenkreis an* Nach summarischer Prüfung der Hauptsache ist eine Überstellung auch nicht wegen des Vorliegens eines Abschiebeverbots nach § 60 Absätze 5 und 7 AufenthaltsG undurchführbar. Die Prüfung zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse bezieht sich nicht auf das Herkunftsland, sondern auf den Zielstaat der Überstellung (BVerwG, Beschluss vom 03. April 2017 – 1 C 9/16 -, juris Leitsatz 1), sodass zu prüfen ist, ob der Antragsteller wegen einer lebensbedrohlichen schwerwiegenden Erkrankung, die durch die Abschiebung wesentlich verschlechtert wird, nicht nach Italien abgeschoben werden könnte.
Der Antragsteller gab an, an Beschwerden zu leiden. Nach dem vorgelegten Attest eines Facharztes vom … sowie des Leistungsbescheides der zuständigen Ausländerbehörde leidet der Antragsteller an einer beginnenden Arthrose im linken Handgelenk aufgrund eines nicht verheilten Bruches in der Handwurzel (Kahnbein). Eine beginnende Arthrose im Handgelenk stellt, auch bei Schmerzhaftigkeit, keine schwerwiegende, mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung vergleichbaren Erkrankung im Sinne des § 60 Abs. 7 S.2 AufenthG dar. Auch im Hinblick auf die medizinische Betreuung und Versorgung in Italien ergibt sich keine Verpflichtung der Antragsgegnerin, das Vorliegen eines Abschiebungsverbots festzustellen. Italien verfügt über eine umfassende Gesundheitsfürsorge, die italienischen Staatsbürgern sowie Flüchtlingen, Asylbewerbern und unter humanitären Schutz stehenden Personen gleichermaßen zugänglich ist. Nach der bestehenden Auskunftslage funktioniert die notfallmedizinische Versorgung und der Zugang zu Hausärzten grundsätzlich ebenso wie das Angebot von psychologischer und psychiatrischer Behandlung (vgl. VG Ansbach, U.v. 11.12.2015 – AN 14 K 15.50316 – juris Rn. 26 m.w.N.). Auch der bereits erwähnte Bericht von AIDA bestätigt die Gleichstellung von Asylsuchenden und international Schutzberechtigten mit italienischen Staatsangehörigen hinsichtlich der gesundheitlichen Versorgung (vgl. dort S. 84). Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21. Januar 2013 an das OVG Sachsen-Anhalt steht eine kostenfreie medizinische Versorgung auch Personen zu, die nicht in einer staatlichen Unterkunft untergebracht sind. Eine Vereinbarung zwischen der italienischen Zentralregierung und den Regionen garantiert dabei die Not- und Grundversorgung auch von Personen, die sich illegal im Land aufhalten (VG Augsburg, B.v. 19.9.2015 – Au 7 S 15.50412 – juris). Es ist daher davon auszugehen, dass der Antragsteller in Italien nach einer Wartezeit Zugang zu einer angemessenen medizinischen Versorgung hat, um dort sein Handgelenk behandeln zu lassen.
Entgegen der Ansicht der Bevollmächtigten des Antragstellers sieht das Gericht die in der Antragsbegründung zitierten Vorlagefragen an den EuGH nicht als vorgreiflich bzw. entscheidungserheblich im Klageverfahren M 18 K 18.50532 an, sodass auf dieser Grundlage keine Aussetzung des Klageverfahrens nach § 94 VwGO analog und keine Anordnung der aufschiebenden Wirkung ergeht. Streitgegenständlich in den Vorlageverfahren ist, ob Personen, die in Italien den internationalen Schutzstatus zuerkannt bekommen haben, eine Art. 4 GrC widersprechende Behandlung durch die allgemeinen humanitären Bedingungen erfahren. Im streitgegenständlichen Verfahren befindet sich der Antragsteller mutmaßlich noch im italienischen Asylverfahren bzw. erhielt eine Antragsablehnung in Italien. Da andere gesetzliche Regelungen bezüglich der Unterbringung und Versorgung für die Personen gelten, denen internationaler Schutz zugesprochen wurde, und die Personen, die sich noch im Asylverfahren befinden bzw. ein solches nach Rücküberstellung wiederaufnehmen, ist die Vorlagefrage für das konkrete Verfahren nicht entscheidungserheblich. Die potentielle Möglichkeit, dass der Antragsteller irgendwann in Italien (bei fristgerechter Rücküberstellung, dortiger Wiederaufnahme des Verfahrens und diesmaligen Abwartens des Asylverfahrens durch den Antragsteller) internationalen Schutz zugesprochen bekommt, kann vorliegend nicht entscheidend sein.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


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