Verwaltungsrecht

Dublin-Verfahren, Belgien, dortiger Folgeantrag, alleinstehender Mann, kein Verstoß gegen Art. 3 EMRK, Art. 4 GRCh, Covid-19-Pandemie

Aktenzeichen  W 1 S 21.50272

Datum:
25.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 43232
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 34a
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 7

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller wurde eigenen Angaben zufolge am … … 2000 in K … geboren. Er sei afghanischer Staatsangehöriger paschtunischer Volks- und sunnitischer Glaubenszugehörigkeit. Er habe sein Heimatland etwa vor vier Jahren verlassen und sei dann über Griechenland und die Balkanroute ca. 2019 nach Belgien eingereist, wo er einen Asylantrag gestellt habe. Nach dessen Ablehnung habe er sich nach Frankreich begeben, wo er sich nicht länger als vier Monate aufgehalten und von wo man ihn im Rahmen eines Dublin-Verfahrens nach Belgien zurückgeschickt habe. Von Belgien aus ist der Antragsteller sodann am 24. August 2021 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Er äußerte am 26. August 2021 ein Asylgesuch, von dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 31. August 2021 schriftlich Kenntnis erlangt hat. Am 9. September 2021 erfolgte eine förmliche Asylantragstellung.
Anhand eines Eurodac-Treffers vom 31. August 2021 wurde festgestellt, dass der Antragsteller bereits am 30. September 2019 in Belgien, am 9. April 2021 in Frankreich und am 18. August 2021 erneut in Belgien einen Asylantrag gestellt hat. Am 23. September 2021 stellte das Bundesamt ein Wiederaufnahmegesuch aufgrund der Verordnung (EU) Nummer 604/2013 – Dublin III-Verordnung – gegenüber Belgien. Mit Schreiben vom 30. September 2021 hat Belgien der Wiederaufnahme auf der Grundlage von Art. 18 Abs. 1b) Dublin III-Verordnung zugestimmt.
Im Rahmen seiner persönlichen Anhörung zur Zulässigkeit seines Asylantrages beim Bundesamt am 16. September 2021 gab der Antragsteller im Wesentlichen an, dass sein Asylantrag in Belgien gerichtlich rechtskräftig abgelehnt worden sei. Er habe nicht weiter im Camp leben dürfen und sei auf die Straße hinausgeworfen worden. Zuvor habe er in Belgien in einem Camp gelebt, habe dort zu essen bekommen und 7,00 EUR wöchentlich. Er habe in Belgien nichts gehabt, sondern auf der Straße gelebt, zum Teil am Bahnhof oder in einem Park; niemand habe ihm geholfen. Er habe keine Arbeitserlaubnis gehabt und nicht arbeiten dürfen. Daher habe er sich dann auf den Weg nach Frankreich gemacht. In Belgien sei ihm gesagt worden, dass sein Asylverfahren wiederaufgenommen werde; er habe nur noch warten müssen. Er habe dort aber keine Unterkunft gehabt und einfach auf der Straße gelebt. Er sei gesund, aber wegen des vielen Stresses und seiner Sorgen mitunter aggressiv.
Mit Bescheid des Bundesamtes vom 7. Oktober 2021 wurde der Asylantrag des Antragstellers als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2). Die Abschiebung nach Belgien wurde angeordnet (Ziffer 3). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 18 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4). Auf die Begründung des Bescheides wird Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG.
Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller am 21. Oktober 2021 Klage erhoben (W 1 K 21.50271), über die bislang nicht entschieden ist. Er sei in Belgien obdachlos gewesen und habe keine Hilfe erhalten. Es sei ihm psychisch extrem schlecht gegangen. Jeden Tag habe er Todesangst gehabt, da Obdachlose in Belgien geschlagen oder gar getötet würden.
Zugleich beantragte der Antragsteller im hiesigen Verfahren:
Hinsichtlich der Abschiebungsanordnung nach Belgien wird die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO angeordnet.
Die Antragsgegnerin hat bislang keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakt in diesem Verfahren, im Verfahren W 1 K 21.50271 sowie der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 07.10.2021 ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Das Gericht trifft im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene, originäre Entscheidung über die Anordnung bzw. die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung auf Grund der sich ihm im Zeitpunkt seiner Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) darbietenden Sach- und Rechtslage. Das Gericht hat dabei das Aussetzungsinteresse des Antragstellers und das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gegeneinander abzuwägen (Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 80 Rn. 152; Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 89). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist in der Regel abzulehnen, wenn der Rechtsbehelf in der Hauptsache nach summarischer Prüfung voraussichtlich erfolglos bleiben wird; ergibt eine vorläufige Überprüfung der Klage in der Hauptsache dagegen, dass diese offensichtlich erfolgreich sein wird, so überwiegt regelmäßig das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Sind die Erfolgsaussichten offen, so ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen (vgl. Hoppe in Eyermann a.a.O., Rn. 90 ff.).
Unter Anwendung dieser Grundsätze war der Antrag vorliegend abzulehnen, weil sich der angefochtene Bescheid nach der hier gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung als rechtmäßig darstellt und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt, so dass die hiergegen erhobene Anfechtungsklage voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Um Wiederholungen zu vermeiden, wird auf die zutreffenden Gründe des streitgegenständlichen Bescheids verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Darüber hinaus ist Folgendes auszuführen:
1. Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Abschiebungsanordnung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AsylG.
Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1a) AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-Verordnung sieht vor, dass Anträge auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft werden, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird. Lässt sich anhand dieser Kriterien der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-Verordnung der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.
So liegt der Fall hier. Der Antragsteller hat nach den vorliegenden, nicht zu bezweifelnden Erkenntnissen aus der Eurodac-Datenbank bereits am 30. September 2019 in Belgien erstmals in einem Mitgliedstaat internationalen Schutz beantragt. Dies wird überdies auch durch seine eigenen Angaben beim Bundesamt im Rahmen der Anhörungen vom 9. September 2021 sowie 16. September 2021 vollumfänglich bestätigt. Mit Schreiben vom 30. September 2021 haben die belgischen Behörden auf das vom Bundesamt am 23. September 2021 nach Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-Verordnung fristgerechte Wiederaufnahmegesuch binnen zwei Wochen ihre Zustimmung zur Wiederaufnahme erteilt, Art. 25 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-Verordnung, und ausdrücklich ihre Zuständigkeit nach Art. 18 Abs. 1b) Dublin III-Verordnung (im Hinblick auf einen dort am 18. August 2021 gestellten Asylfolgeantrag) erklärt.
Der Fortbestand der Zuständigkeit Belgiens ist auch nicht nachträglich nach Art. 19 Abs. 2 Unterabs. 1 oder Abs. 3 Unterabs. 1 Dublin III-Verordnung erloschen, wie sich aus den Angaben des Antragstellers entnehmen lässt. Ebenso wenig ergibt sich eine Zuständigkeit der Antragsgegnerin aus Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-Verordnung, da die dort geregelte 6-monatige Überstellungsfrist seit der Annahme des Wiederaufnahmegesuchs durch Belgien ersichtlich noch nicht abgelaufen ist.
2. Die Antragsgegnerin ist auch nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 Dublin III-Verordnung für die Prüfung des Asylantrages des Antragstellers zuständig. Denn es sind keine hinreichenden Gründe für die Annahme der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris Rn. 106) bzw. dem übereinstimmenden Art. 3 EMRK (vgl. Nds OVG, U.v. 9.4.2018 – 10 LB 92/17 – juris Rn. 26) bei einer Rückkehr des Antragstellers nach Belgien aufgrund systemischer Mängel im Asylverfahren oder in den dortigen Aufnahmebedingungen feststellbar. Bei der Prüfung, ob ein Mitgliedsstaat hinsichtlich der Behandlung von rücküberstellten Schutzsuchenden gegen Art. 3 EMRK verstößt, ist ein strenger Maßstab anzulegen (NdsOVG, U.v. 9.4.2018 – 10 LB 92/17 – juris Rn. 27). Denn nach dem Konzept, welches Art. 16a Abs. 2 GG und §§ 26a, 29 Abs. 1, 34a AsylG zu Grunde liegt, ist davon auszugehen, dass unter anderem in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und der Grundfreiheiten (EMRK) sichergestellt ist und daher dort einem Schutzsuchenden keine politische Verfolgung droht sowie keine für Schutzsuchende unzumutbare Bedingungen herrschen („Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“, vgl. auch EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-173/17 – juris Rn. 82, und U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 -, NVwZ 2012, 417; BVerwG, U.v. 9.1.2019 – 1 C 36.18 – juris Rn. 19; Nds. OVG, U.v. 9.4.2018 – 10 LB 92/17 – juris Rn. 27). Diese Vermutung ist zwar nicht unwiderleglich. Eine Widerlegung ist aber wegen der gewichtigen Zwecke des gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU (ABl. 2013, L 180/96), die Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU (ABl. 2011, L 337/9) oder die Verfahrensrichtlinie 2013/32/EU (ABl. 2013, L 180/60) genügen, um die Überstellung eines Schutzsuchenden an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln (BVerwG, B.v. 6.6.2014 – 10 B 35.14 – juris Rn. 5; NdsOVG, U.v. 9.4.2018 – 10 LB 92/17 – juris Rn. 27). Kann einem Mitgliedstaat hingegen nicht unbekannt sein, dass die systemischen Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Schutzsuchende in dem zuständigen Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass ein Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden, hat eine Überstellung zu unterbleiben (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019, C-163/17, juris Rn. 85; vgl. auch BVerwG, B.v. 6.6.2014 – 10 B 35.14 – juris Rn. 5; NdsOVG, U.v. 9.4.2018 – 10 LB 92/17 – juris Rn. 27). Systemische Schwachstellen erreichen allerdings erst dann die besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 -juris Rn. 92). Das Gericht muss auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte (in einem Klageverfahren) feststellen, dass dieses Risiko für diesen Antragsteller gegeben ist, weil er sich im Fall der Überstellung unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 98). Der Nachweis obliegt dem Schutzsuchenden (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C 163/17 – juris Rn. 95).
Es bestehen nach Überzeugung des Gerichts unter Berücksichtigung aktueller Erkenntnisquellen keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür, dass in Belgien die Anforderungen gemäß der europäischen Asylrichtlinien sowie nach der EMRK, der GR-Charta und der GFK betreffend das dortige Asylverfahren und die entsprechenden Aufnahmebedingungen nicht eingehalten werden (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Belgien, Gesamtaktualisierung vom 26.11.2020; Aida, Country Report: Belgien, 2020 Update; Amnesty Report Belgien, 7.4.2021; USDOS, Belgium 2020 Human Rights Report, 30.3.2021). Das belgische Asylsystem weist nach Überzeugung des Gerichts keine systemischen Mängel auf, sodass mit der einhelligen Rechtsprechung nicht davon auszugehen ist, dass der Antragsteller in Belgien Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. etwa: VG Stuttgart, U.v. 4.8.2020 – A 2 K 5706/19 – juris; VG Lüneburg, B.v. 1.3.2019 – 8 B 8/19 – juris; VG Düsseldorf, B.v. 22.1.2019 – 29 L 3642/18.A – juris).
In Belgien existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit. Dublin-Rückkehrer haben in Belgien vollen Zugang zum Asylsystem. Ihre Verfahren werden inhaltlich behandelt und sie haben das Recht, einen Folgeantrag zu stellen. Außerdem haben Dublin-Rückkehrer das Recht auf Versorgung wie andere Asylbewerber. Die Versorgung beinhaltet unter anderem Unterkunft, Nahrung, Kleidung, rechtliche, medizinische, soziale und psychologische Hilfe. Die Behörde betrachtet Dublin-Rückkehrer als Folgeantragsteller, wenn ihr Verfahren in Belgien als implizit oder explizit als zurückgezogen gilt und geschlossen worden ist (z.B. wenn Belgien vor dem ersten Interview verlassen wurde, ergeht eine „technische Zurückweisung“). Kehrt solch ein Fall im Rahmen eines Dublin-Verfahrens nach Belgien zurück und stellt einen neuen Asylantrag, ist die Behörde verpflichtet, diesen als zulässig zu betrachten. Je nach Stand des Verfahrens bevor sie Belgien verlassen haben, werden manche Dublin-Rückkehrer erst untergebracht, wenn die Zulässigkeitsentscheidung offiziell getroffen wurde, da Folgeantragsteller keinen automatischen Zugang zu Unterbringung haben. Nach einem negativ beendeten Verfahren und Auslaufen des Recht zur Versorgung ist nurmehr medizinische Notfallversorgung möglich (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Belgien, Gesamtaktualisierung vom 26.11.2020, S. 7 ff.).
Die Einschränkung oder der Entzug des Rechts zur Aufnahme soll nach Art. 4 des belgischen Aufnahmegesetzes nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie unter Berücksichtigung der individuellen Situation des Betroffenen, insbesondere mit Blick auf eine etwaige Vulnerabilität, getroffen werden. Gesundheitsversorgung und ein die Menschenwürde wahrender Lebensstandard sollen dabei jederzeit sichergestellt werden. Soweit dies in der Praxis nicht beachtet worden sein sollte, haben Folgeantragsteller jedoch jedenfalls nach Anfechtung einer solchen Entscheidung vor Gericht das Recht auf Aufnahme zugesprochen erhalten. Nach einer bestandskräftigen negativen Asylentscheidung haben die Antragsteller das Land zu verlassen. Insoweit bestehen offene Rückkehrplätze, wo die Möglichkeit für eine freiwillige Rückkehr mit den Antragstellern diskutiert wird. In Fällen der Ablehnung einer Kooperation besteht die Möglichkeit einer Abschiebung, inklusive eines Transfers in eine geschlossene Einrichtung (vgl. Aida, Country Report: Belgien, 2020 Update, S. 81, 86).
Vor diesem Hintergrund ist eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung in Belgien nicht erkennbar. Der Antragsteller hat auch nichts Substantiiertes vorgetragen, was gegen diese Einschätzung sprechen würde. Soweit er im Rahmen seiner Antragsbegründung pauschal und umfassend erklärt hat, dass er in Belgien obdachlos gewesen sei und keinerlei Hilfe erhalten habe, so steht dies bereits in Widerspruch zu seinen Angaben beim Bundesamt, wo er erklärt hat, dass er in Belgien in einem Camp gelebt und dort zu essen sowie Taschengeld erhalten habe. Soweit sich die Angabe auf den Zeitraum bezieht, zu dem der Asylantrag nach Ausschöpfung gerichtlichen Rechtsschutzes rechtskräftig abgelehnt war, so stellt auch dies keine Verletzung von Art. 3 EMRK dar, da der Antragsteller in dieser Situation gehalten war, das Land zu verlassen. Er kann sich daher nicht darauf berufen, in dieser Situation weiterhin staatlich versorgt zu werden. Wenn sich die Angaben schließlich auf einen Zeitraum beziehen sollten, nachdem der Antragsteller am 18. August 2021 einen Asylfolgeantrag gestellt hat, so stehen etwaige Einschränkungen bzw. der Entzug der im Rahmen der Aufnahme gewährten materiellen Leistungen durch das belgische Aufnahmegesetz mit Art. 20 der Aufnahmerichtlinie (RL 2013/33/EU) in Einklang; eine Verletzung von Art. 3 EMRK ist nicht ersichtlich. Im Falle des Antragstellers ist jedoch unabhängig von Vorstehendem davon auszugehen, dass sein Recht auf Unterbringung und Versorgung wiederauflebt, nachdem er beim Bundesamt erklärt hat, dass man ihm in Belgien gesagt habe, dass sein Asylverfahren wiederaufgenommen würde und er nur noch warten müsse. Insofern ist davon auszugehen, dass die belgischen Behörden von einer Zulässigkeit des Folgeantrags ausgehen. Andernfalls wäre es dem Antragsteller auch möglich und zumutbar, gerichtlichen Rechtsschutz gegen eine etwaige Verweigerung zu suchen; eine medizinische Notversorgung ist jedenfalls weiterhin gegeben (vgl. Aida, Country Report: Belgien, 2020 Update, S. 86). Wenn der Antragsteller pauschal erklärt hat, dass er in Belgien nicht habe arbeiten dürfen, so ist dies anhand der Erkenntnismittellage nicht nachvollziehbar, da Asylbewerber vier Monate nach der Antragstellung das Recht haben zu arbeiten, auch während eines Klageverfahrens (vgl. Aida, Country Report: Belgien, 2020 Update, S. 105). Soweit dieses Recht für Folgeantragsteller bis zu einer Entscheidung über die Zulässigkeit des Folgeantrags eingeschränkt ist, so steht dies ebenfalls mit der Aufnahmerichtlinie, Art. 15, in Einklang. Soweit der Antragsteller schließlich – wiederum völlig pauschal – erklärt hat, dass er in Belgien Todesangst gehabt habe, da Obdachlose dort geschlagen oder gar getötet würden, so lässt sich der Erkenntnismittellage diesbezüglich nichts entnehmen.
Eine andere Beurteilung ist auch nicht vor dem Hintergrund der zwischenzeitlichen Entwicklung im Zuge der Covid-19-Pandemie angezeigt.
Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Antragsteller in Belgien aufgrund der voraussichtlichen Lebensverhältnisse in eine Lage extremer Not geraten würde. Das Gericht hat – auf der Basis des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens und auch angesichts der in Belgien getroffenen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie sowie auf der Grundlage aktueller Erkenntnisse (vgl. https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/ laender/ belgien-node/belgiensicherheit/200382#content_0) – keine substantiierten Anhaltspunkte dafür, die die Annahme eines solchen Extremfalles in der Person des Antragstellers oder allgemein das Vorliegen systemischer Mängel in Belgien begründen könnten. Im System des gegenseitigen Vertrauens ist für Belgien vielmehr weiter von einem die Grundrechte sowie die Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und in der EMRK finden, wahrenden Asylsystem auszugehen. Gegenteiliges hat der Antragsteller auch nicht vorgetragen, der sich die meiste Zeit während der Pandemie in Belgien aufgehalten hat. Vielmehr wird erwartet, dass das belgische Bruttoinlandsprodukt trotz Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie 2021 um 4,5% und damit stärker als im EU-Durchschnitt sowie auch in Deutschland wachsen wird. Unternehmen wurden/werden Fördermittel auf föderaler und regionaler Ebene gewährt, die sich bis Ende 2021 auf insgesamt 31 Milliarden EUR summieren (https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/belgien/in-belgien-gelten-regional-unterschiedliche-einschraenkungen-240930). Die Arbeitslosenquote in Belgien liegt mit 6,4% unterhalb des EU-Durchschnitts von 6,8% (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/160142/umfrage/arbeitslosenquote-in-den-eu-laendern/#:~:text=Im%20 Durchschnitt%20sind%206%2C8,5%20Prozent%2C%20signifikant%20h% C3%B6her%20liegt.).
Des Weiteren fehlt es auch an sonstigen außergewöhnlichen Umständen, welche ausnahmsweise eine Pflicht der Antragsgegnerin zum Selbsteintritt nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung begründen könnten. Insbesondere ist eine besondere Vulnerabilität des Antragstellers nicht glaubhaft gemacht.
3. a) Die Feststellung der Antragsgegnerin, dass im Falle des Antragstellers keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Belgien bestehen, ist zum jetzigen maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) ebenfalls nicht zu beanstanden. Insbesondere hat der Antragsteller individuell nichts vorgetragen, was das Bestehen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Belgien nahelegen könnte. Auch insoweit nimmt das Gericht auf die Ausführungen in der Begründung des Bescheids Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG) und macht sich diese zu Eigen. Ebenso wird auf die vorstehenden Ausführungen unter 2. vollumfänglich verwiesen.
b) Schließlich liegt auch kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur dann vor, wenn der Antragsteller unter einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung leidet, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG. Die Erkrankung muss nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG durch Vorlage einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung glaubhaft gemacht werden.
Der Antragsteller hat insoweit beim Bundesamt erklärt, gesund zu sein. Lediglich wegen des vielen Stresses und seiner Sorgen werde er mitunter aggressiv, in ärztlicher Behandlung sei er deswegen nicht und er wolle auch keine Medikamente einnehmen, da er dies unter Kontrolle habe. Überdies hat der Antragsteller – wie bereits ausgeführt – auch als Folgeantragsteller einen Anspruch auf medizinische Hilfe in Belgien.
Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ergibt sich auch nicht aus den gesundheitlichen Gefahren im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie, denn die Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wird durch § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG gesperrt. Die Gefahr einer Infektion betrifft die gesamte Bevölkerung allgemein. Es liegt auch keine Extremgefahr vor, die es verfassungsrechtlich gebieten würde, die Sperrwirkung von § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG ausnahmsweise entfallen zu lassen (vgl. BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13/12 – juris).
Es ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller bei seiner Rückkehr nach Belgien mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre, wobei sich diese ausschließlich auf den Tod aufgrund einer Infektion mit Covid-19 oder einen besonders schweren Verlauf beziehen kann. Dies ist beim Antragsteller nicht anzunehmen, denn der 21-jährige Antragsteller ohne erkennbare relevante Vorerkrankungen gehört nach dem oben genannten Maßstab bereits nicht zu der Personengruppe mit einem höheren Risiko für einen schweren, möglicherweise lebensbedrohlichen Verlauf der Covid-19-Erkrankung (vgl. https://www.rki.de/DE/Content/ InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html; jsessinid= DC346DA1D7E1A04E3FB153F23B3AF998. internet092#doc13776792bodyText15). Der Antragsteller hätte überdies im Falle einer etwaigen Erkrankung an Covid-19 Anspruch auf die notwendige medizinische Versorgung in Belgien (vgl. oben). Schließlich ist zu berücksichtigen, dass jeder das eigene Infektionsrisiko durch eine Impfung bzw. durch Einhaltung der geltenden Hygiene- und Abstandsregeln maßgeblich verringern kann.
4. Weiterhin ist kein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis vorgetragen oder ersichtlich, welches im Rahmen einer Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ebenfalls zum Prüfungsumfang des Bundesamts und demzufolge auch des Verwaltungsgerichts gehört (BayVGH, B.v. 28.10.2013 – 10 CE 13.2257 – juris m.w.N.). Insbesondere stehen der Abschiebungsanordnung aufgrund der aktuellen Covid-19-Pandemie keine tatsächlichen Vollzugshindernisse entgegen (vgl. https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/belgien-node/belgiensicherheit/200382#content_0).
Da somit die erhobene Klage in der Hauptsache mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht erfolgreich sein wird und unabhängig hiervon keine Interessen des Antragstellers ersichtlich sind, die das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegen, war der Antrag abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b Abs. 1 AsylG nicht erhoben.


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