Verwaltungsrecht

Dublin-Verfahren, Zielstaat Schweden, Systemische Mängel (verneint), Schwangerschaft, Schweden

Aktenzeichen  M 30 S 21.50078

Datum:
8.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 18823
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Dublin III-VO
EMRK Art. 3
AsylG § 29
AsylG § 34a

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerinnen haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die Antragstellerinnen begehren vorläufigen Rechtsschutz gegen die Abschiebung nach Schweden im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens.
Die am … … … bzw. am … … … geborenen afghanischen Antragstellerinnen reisten nach eigenen Angaben am 18. Oktober 2020 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 16. November 2020 beim Bundesamt für … (fortan Bundesamt) einen förmlichen Asylantrag.
Eine EURODAC-Recherche vom 18. Oktober 2020 ergab einen Treffer der Kategorie 1 für Schweden für den 30. Oktober 2015.
Das Bundesamt stellte ausweislich der Zugangsbestätigung vom 11. Dezember 2020 ein Wiederaufnahmeersuchen an Schweden, welches dieses mit Mitteilung vom 18. Dezember 2020, dem Bundesamt am gleichen Tage zugegangen, annahm.
Bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt am 15. Januar 2021 erklärte die Antragstellerin zu 1., dass sie nicht nach Schweden zurückkehren wolle, da ihr die Abschiebung nach Afghanistan drohe. In Schweden selbst sei alles in Ordnung gewesen. Sie habe dort in einer Wohnung gelebt. Gesundheitlich gehe es ihr nicht gut; sie leide an Magenproblemen und Migräne. Außerdem habe sie Medikamente für ihre psychischen Probleme erhalten. In Schweden sei sie in ärztlicher Behandlung gewesen und habe Medikamente erhalten. Atteste könne sie nicht vorlegen und an die Namen der Medikamente könne sie sich nicht erinnern. Sie sei seit zweieinhalb Monaten schwanger. Entsprechende Dokumente wolle sie nachreichen. In Deutschland würden ihr Ehemann und zwei ihrer Töchter leben. Ihre ältere Tochter sei mit jemanden verlobt, der ebenfalls in Deutschland lebe und als Flüchtling anerkannt sei.
Mit Bescheid vom 19. Januar 2021 – Gesch.-Z.: …, zugestellt am 21. Januar 2021, lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 2). Es ordnete die Abschiebung nach Schweden an (Nr. 3) und setzte ein Einreise- und Aufenthaltsverbot von zweiundzwanzig Monaten ab dem Tag der Abschiebung nach § 11 Abs. 1 AufenthG fest (Nr. 4). Zur Begründung führte es insbesondere aus, dass Schweden aufgrund der dort bearbeiteten Asylanträge zuständig sei. Gründe zur Annahme systemischer Mängel im schwedischen Asylverfahren und der dortigen Aufnahmebedingungen lägen nicht vor. Eine Schwangerschaft sowie die gesundheitlichen Probleme der Antragstellerin zu 1. seien mangels Vorlage von qualifizierten ärztlichen Bescheinigungen nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden.
Die Antragstellerinnen ließen am 27. Januar 2021 durch ihren Prozessbevollmächtigten Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München (M 30 K 21.50077) erheben, tragen zu ihrer Begründung aber nichts vor.
Sie beantragen gleichzeitig,
die aufschiebende Wirkung der Klage gem. § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Die Antragsgegnerin nimmt hinsichtlich der Begründung ihres Antrags Bezug auf den streitgegenständlichen Bescheid.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Verfahren sowie die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
I.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist zwar zulässig, da wegen § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG der Klage keine aufschiebende Wirkung zukommt und er innerhalb der Wochenfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG gestellt wurde, jedoch unbegründet.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen. Bei dieser Entscheidung sind einerseits das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts und andererseits das Interesse des Betroffenen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts von dessen Vollziehung verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu. Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist hierbei der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG).
Die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung in Nummer 3 des Bescheids vom 19. Januar 2021 begegnet bei summarischer Prüfung keinen durchgreifenden Bedenken.
Zunächst wird vollumfänglich auf die Bescheidsbegründung gemäß § 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen.
Ergänzend führt das Gericht zur Situation der Dublin-Rückkehrer nach Schweden wie folgt aus: Auch hinsichtlich Dublin-Rückkehrern, die in Schweden das Asylverfahren durchlaufen und eine – nunmehr rechtskräftige – negative Entscheidung erhalten haben, bestehen in Schweden keine systemischen Mängel.
Grundsätzlich haben Dublin-Rückkehrer in Schweden Zugang zum Asylverfahren und zur Versorgung wie andere Asylbewerber; eine Ausnahme bilden hierbei lediglich Rückkehrer mit bereits vorhandener abschließend negativer Entscheidung bis zur Effektuierung dieser Entscheidung (BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Schweden, 16.02.2018, S. 4f.). Zusätzlich nimmt Schweden neue Asylanträge von Dublin-Rückkehrern an, auch wenn bei Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung entsprechende Maßnahmen ergriffen werden, z.B. die zur Außerlandesbringung geschlossene Unterbringung von Dublin-Rückkehrern mit rechtskräftig negativer Entscheidung (BFA, a.a.O., S. 5; AIDA, Asylum Information Database des European Council on Refugees and Exiles, Country Report: Schweden, Update 2019, S. 37). Die Außerlandesbringung wird bei Vorliegen von attestierten gesundheitlichen Problemen ausgesetzt; in diesen Fällen erhalten Betroffene, die bei einer Asylbehörde registriert sind, ein Recht auf eine Unterbringung – für Nichtregistrierte sind die Gemeinden zuständig (BFA, a.a.O., S. 5). Schweden gewährt auch gesunden, rechtskräftig negativ verbeschiedenen ausreisepflichtigen Asylbewerbern eine Unterkunft in seinen sogenannten „Transit Zentren“ und ein Tagegeld, sofern diese zuvor einer freiwilligen Ausreise in ihr Heimatland zugestimmt haben (AIDA, a.a.O., Update 2019, S. 37 und 64). Soweit es Fälle geben mag, in denen Dublin-Rückkehrern – darunter auch Familien mit Kindern -, die eine Zustimmung zur freiwilligen Ausreise in ihr Heimatland nicht erteilen, keine solchen Unterkünfte angeboten werden (AIDA, a.a.O., S. 37), ergeben sich hieraus aber keine systemischen Mängel des schwedischen Asylverfahrens. Denn eine solche Erklärung spiegelt lediglich die bestands- und rechtskräftige Ausreiseverpflichtung wieder (VG Magdeburg, B.v. 8.1.2020 – 8 B 12/20 – juris Rn. 54 m.w.N.). Den Betroffenen werden keine neuen Verpflichtungen auferlegt. Ein Asylbewerber hat das Land, in welchem er Schutz sucht, zu verlassen, wenn über sein Asylgesuch rechtskräftig in negativer Weise entschieden worden ist und er (rechtskräftig) ausreisepflichtig ist; ein Vertrauen dahingehend, dass der weitere (rechtswidrige) Aufenthalt in diesem Land durch staatliche Unterstützungsleistung ermöglicht wird, besteht nicht (vgl. VG Frankfurt, U.v. 4.6.2019 – 11 K 340/19.F.A. – juris Rn. 14). Jedenfalls erhalten auch rechtskräftig abgelehnte und ausreispflichtige Asylbewerber Unterkunft und Asylbewerberleistungen, sofern sie besonders schutzbedürftig sind (AIDA, a.a.O., S. 59) sowie Zugang zu medizinischer Versorgung in Notfällen (AIDA, a.a.O., S. 69).
Erkenntnisse, die diese Einschätzung erschüttern würden, wurden nicht vorgetragen und sind dem Gericht auch sonst nicht bekannt.
Auch ergeben sich vorliegend keine inlandsbezogenen oder zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote hinsichtlich der Antragstellerinnen. Zusätzlich zu den oben gemäß § 77 Abs. 2 AsylG in Bezug genommen Bescheidsgründen ergänzt das Gericht seine Begründung dahingehend, dass aufgrund der oben dargestellten Tatsachen, davon auszugehen ist, dass die Antragstellerin zu 1. in Bezug auf ihre Schwangerschaft eine hinreichend gesicherte medizinische Versorgung und Unterkunft erhalten wird. Auch die bestehende Schwangerschaft mit dem ausweislich der Mutterpasskopie für den … August 2021 errechneten Entbindungstermin begründet für sich allein weder ein (zielstaatsbezogenes) Abschiebungsverbot noch zum derzeit maßgleichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) ein (inländisches) Vollstreckungshindernis durch eine Reiseunfähigkeit bei der Antragstellerin zu 1. Dies ergibt sich unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung aus den gesetzlichen Schutzvorschriften der § 3 Abs. 2, § 6 Abs. 1 Mutterschutzgesetz (MuSchG). In Anlehnung daran beginnt der Abschiebungsschutz sechs Wochen vor der Entbindung und endet acht bzw. bei Früh- und Mehrlingsgeburten zwölf Wochen nach der Entbindung (s. dazu VG München, B.v. 20.3.2017 – 9 S 17.50539 – juris, Rn. 42; VG München, B.v. 29.12.2016 – 1 S 16.50997 – juris, Rn. 22). Ärztliche Atteste über eine bei der Antragstellerin zu 1. bereits vor diesem Zeitpunkt aus individuellen Gründen anzunehmende Reiseunfähigkeit liegen nicht vor.
Auch hinsichtlich der Antragstellerin zu 2. liegen keine Anhaltspunkte für inlandsbezogene oder zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote vor. Insoweit wird die gesunde wenngleich minderjährige Antragstellerin gemeinsam mit ihrer Familie abgeschoben. Ihr droht daher auch keine Trennung der Familieneinheit.
Da die Klage in der Hauptsache hinsichtlich der streitgegenständlichen Nummer 3 des Bescheids vom 19. Januar 2021 voraussichtlich erfolglos bleiben wird, überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse das private Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung des streitgegenständlichen Bescheides des Bundesamtes.
II.
Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
III.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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