Verwaltungsrecht

E-Zigarettengeschäfte ein für die tägliche Versorgung unverzichtbares Ladengeschäft

Aktenzeichen  20 CE 21.30

Datum:
14.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 39080
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
11. BayIfSMV § 12 Abs. 1

 

Leitsatz

Ein Ladengeschäft mit elektronischen Zigaretten und Flüssigkeiten zur Befüllung solcher elektronischen Zigaretten ist ein für die tägliche Versorgung unverzichtbares Ladengeschäft iSv § 12 Abs. 1 S. 1 der 11. BayIfSMV. (Rn. 5 – 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 26a E 20.6704 2020-12-29 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Vertreter des öffentlichen Interesses trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf jeweils 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
Zutreffend ist das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss davon ausgegangen, dass der Antrag auf einstweilige Feststellung Erfolg hat. Bei dem Betrieb der Antragstellerin handelt es sich nach der im Rahmen des Eilverfahrens möglichen summarischen Prüfung und auf der Grundlage der von der Antragstellerin jedenfalls im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung glaubhaft gemachten Tatsachen um ein für die tägliche Versorgung unverzichtbares Ladengeschäft im Sinne von § 12 Abs. 1 Satz 2 11. BayIfSMV.
Die Antragstellerin betreibt ein Ladengeschäft mit elektronischen Zigaretten und Flüssigkeiten zur Befüllung solcher elektronischen Zigaretten (E-Zigaretten). Die Beteiligten streiten darum, ob ein solches Ladengeschäft nach § 12 Abs. 1 Satz 1 der 11. BayIfSMV untersagt oder als sonstiges für die tägliche Versorgung unverzichtbares Ladengeschäft ausnahmsweise nach Satz 2 der Vorschrift zulässig ist.
Die streitgegenständliche Vorschrift hat folgenden Wortlaut:
„Die Öffnung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr ist untersagt. Ausgenommen sind der Lebensmittelhandel inklusive Direktvermarktung, Lieferdienste, Getränkemärkte, Reformhäuser, Babyfachmärkte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Optiker, Hörgeräteakustiker, Tankstellen, Kfz-Werkstätten, Fahrradwerkstätten, Banken und Sparkassen, Filialen des Brief- und Versandhandels, Reinigungen und Waschsalons, der Verkauf von Presseartikeln, Tierbedarf und Futtermittel, der Verkauf von Weihnachtsbäumen und sonstige für die tägliche Versorgung unverzichtbare Ladengeschäfte sowie der Großhandel.“
Zu Recht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass das Ladengeschäft der Antragstellerin ausnahmsweise zulässig ist.
Das Beschwerdevorbringen, auf das sich die Prüfung des Senats beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt keine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Maßgeblich für die Auslegung des Begriffs des „für die tägliche Versorgung unverzichtbaren Ladengeschäfts“ ist der objektivierte Wille des Normgebers, wie er sich aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang ergibt (vgl. BVerwG, U.v. 25.1.2017 – 9 C 30.15 – BVerwGE 157, 203 – juris Rn. 14). Der Erfassung des objektiven Willens des Normgebers dienen die anerkannten Auslegungsmethoden aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Materialien des Normsetzungsverfahrens und der Entstehungsgeschichte. Ausgangspunkt und Grenze der Auslegung ist der Wortlaut der Vorschrift (BVerwG, U.v. 28.6.2018 – 2 C 14.17 – juris Rn. 21). Nach dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) müssen die Bürger in zumutbarer Weise selbst feststellen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen; die Gerichte müssen in der Lage sein, die normative Entscheidung zu konkretisieren (BayVerfGH, E.v. 29.4.1983 – Vf. 16-VII-80 – VerfGHE 36, 56/68). Sieht eine Rechtsverordnung – wie hier § 27 Nr. 11 der 11. BayIfSMV – die Ahndung von Verstößen als Ordnungswidrigkeit vor, muss die Bußgeldvorschrift zudem die Bestimmtheitsanforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG, § 3 OWiG erfüllen. Der grammatikalischen Auslegung bzw. der Wortlautgrenze kommt in einem solchen Fall eine herausgehobene Bedeutung zu (vgl. BVerwG, U.v. 29.2.2012 – 9 C 8.11 – juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 17.2.2020 – 8 ZB 19.2200 – juris Rn. 14).
Der Wortlaut des § 12 Abs. 1 Satz 2 11. BayIfSMV ist dabei nicht eindeutig. So lässt die Verwendung der Begriffe „für die tägliche Versorgung unverzichtbar“ zwar den Schluss auf eine enge Auslegung zu. Festgehalten werden kann jedoch, dass es sich offenbar um Güter des täglichen Lebensbedarfs handeln muss, denn nur diese sind für die tägliche Versorgung notwendig. Bei der Frage, wann es sich hierbei auch um einen unverzichtbaren Bedarf handelt, lässt der Wortlaut der Vorschrift aber offen, ob hierbei eine objektive oder eine subjektive Betrachtungsweise gelten soll. Blickt man auf die enumerativ genannten Geschäfte so fällt zunächst auf, dass mit Fahrradwerkstätten, Kfz-Werkstätten sowie Banken und Sparkassen dort Betriebe genannt werden, die bereits dem Wortsinn nach keine Ladengeschäfte im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 1 11. BayIfSMV sind. Die Aufzählung des Satzes 2 lässt aber auch nicht den Schluss zu, dass es sich bei den genannten Betrieben um Geschäfte handelt, welche nur einen unabweisbar täglich notwendigen Lebensbedarf im objektiv engeren Sinne decken. Beispielhaft seien hier genannt die bereits erwähnten Banken und Sparkassen, Läden für Tierbedarf im allgemeinen sowie in der Vorweihnachtszeit der Verkauf von Weihnachtsbäumen. Hierbei kann auch konstatiert werden, dass der Verordnungsgeber offensichtlich nicht nur den Bedarf, den jedermann an Grundbedürfnissen hat, regeln wollte, sondern auch spezielle Bedürfnisse von Personengruppen wie solche mit bestimmten Ernährungsbedürfnissen (Reformhäuser) oder mit Haustieren (Tierbedarf). Deshalb greift auch nicht der Einwand der Landesanwaltschaft, bei E-Zigaretten handele es sich um Spezialprodukte, an denen der weit überwiegende Teil der Bevölkerung kein Interesse habe. Hierauf kommt es nicht an. Dass nikotinhaltige E-Zigaretten und Liquids auch auf anderem Weg als in speziellen Fachgeschäften bezogen werden können, ist hierbei genauso unerheblich, denn dies trifft auch auf Getränkemärkte, Reformhäuser, Babyfachmärkte, Drogerien, den Verkauf von Presseartikeln, Tierbedarf und Futtermittel, und traf auf den Verkauf von Weihnachtsbäumen zu. Soweit die Landesanwaltschaft darauf verweist, dass Tabakläden und E-Zigarettengeschäfte nach den „FAQ Corona-Krise und Wirtschaft“ des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege ausdrücklich zu den Betrieben gezählt würden, die schließen müssten, so haben die „FAQ“ keine Bindungswirkung für die Normadressaten und den erkennenden Senat.
Zwar geht der Senat bei der Auslegung von Ausnahmevorschriften von repressiven Verboten wie § 12 Abs. 1 11. BayIfSMV davon aus, dass diese grundsätzlich eng auszulegen sind (BayVGH, B.v. 14.4.2020 – 20 CE 20.725 – juris Rn 7). Hintergrund hierfür ist auch, dass Sinn und Zweck der Vorschrift ist, wie auch von allen anderen Vorschriften der 11. BayIfSMV, Infektionsrisiken durch Kontakte weitgehend zu minimieren. Eine entsprechende enge Auslegung gilt deshalb auch für die Begrifflichkeit der „für die tägliche Versorgung unverzichtbare(n) Ladengeschäfte“. Damit kann die Zahl der in § 12 Abs. 1 Satz 2 11. BayIfSMV genannten Ladengeschäfte nur durch unbenannte erweitert werden, wenn die Befriedigung des Bedarfes ein gewisses Gewicht hat und von der Rechtsordnung anerkannt ist. Davon ist auch das Verwaltungsgericht im Ergebnis zutreffend ausgegangen. Abhängiges Rauchen ist als „Psychische und Verhaltensstörung durch psychotrope Substanzen“ klassifiziert. Denn in beiden relevanten diagnostischen Klassifikations-Systemen – der Internationalen Klassifikation von Krankheiten (ICD-10) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und dem Diagnostischen und Statistischen Manual (DSM-IV) der American Psychiatric Association findet sich das Syndrom „Tabakabhängigkeit“ bzw. „Nikotinabhängigkeit“ (https://www.dkfz.de/de/tabakkontrolle/Diagnosekriterien.html#:~:text=Unter%20ICD%2D10%2C%20F%2017.2,Beendigung%20und%20Menge%20des%20Konsums.). Da der Nikotinabusus von der Rechtsordnung jedenfalls geduldet wird, handelt es sich bei nikotinhaltigen E-Zigaretten um ein Wirtschaftsgut, dass für die entsprechende Konsumentengruppe für die tägliche Versorgung unverzichtbar ist. Damit ist das Ladengeschäft der Antragstellerin nach § 12 Abs. 1 Satz 2 11. BayIfSMV ausnahmsweise nicht von der Untersagung betroffen. Folglich kommt es auf die aufgeworfene Frage, ob durch ein Verbot von E-Zigarettengeschäften gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoßen wird, nicht mehr an.
Von dem Schutzzweck des § 12 Abs. 1 11. BayIfSMV her gesehen, Infektionsrisiken durch Kontakte weitgehend zu minimieren, hätte es im Übrigen ohnehin nahegelegen, lediglich solche unverzichtbaren Ladengeschäfte für die tägliche Versorgung von der Betriebsuntersagung auszunehmen, bei denen es tatsächlich unabweisbar ist, dass Kunden das Ladengeschäft betreten, d.h. durch Liefer- und Abholservices die Versorgung nicht hinreichend sichergestellt werden kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1, 2 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Da das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz die Hauptsacheentscheidung vorwegnimmt, ist eine Reduzierung des Streitwerts nicht angezeigt (vgl. Nr. 1.5 Satz 2 Streitwertkatalog). Die erstinstanzliche Streitwertfestsetzung war deshalb abzuändern (§ 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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