Verwaltungsrecht

Eilrechtsschutz gegen Abschiebungsandrohung nach Pakistan

Aktenzeichen  M 13 S 17.31958

Datum:
23.5.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 163004
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 33 Abs. 2 S. 2
VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage im Verfahren Az. M 13 K 17.31957 gegen die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung im Bescheid der Antragsgegnerin vom 23. Januar 2017 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsandrohung nach Pakistan.
Mit Schreiben vom 18. Juli 2016 wurde der Antragsteller zur Aktenanlage und erkennungsdienstlichen Behandlung für den 2. August 2016 geladen. Der Antragsteller stellte am 2. August 2016 seinen Asylantrag. Ebenfalls am 2. August 2016 fand das persönliche Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens statt.
Unter derselben Adresse wie das Schreiben vom 18. Juli 2016 wurde der Antragsteller mit Schreiben vom 7. September 2016 zur persönlichen Anhörung am 23. September geladen. Das Schreiben wurde gegen Postzustellungsurkunde versandt. Diese kam mit dem Vermerk der Post vom 8. September 2016, der Adressat sei unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln, wieder an die Antragsgegnerin zurück.
In der bei den Akten befindlichen Postzustellungsurkunde vom 18. Januar 2017 ist vermerkt, dass der Zustellversuch erfolglos gewesen sei, weil der Adressat unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln gewesen sei.
Mit Bescheid vom 23. Januar 2017 stellte das Bundesamt fest, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt und das Asylverfahren eingestellt ist (Nr. 1). Weiter wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Andernfalls würde der Antragsteller nach Pakistan oder in einen anderen Staat, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei, abgeschoben (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Laut Vermerk in den Akten wurde der Bescheid am 25. Januar 2017 als Einschreiben zur Post gegeben, wiederum an die gleiche Adresse.
Am 2. Februar 2017 hat der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten Klage (M 13 K 31957) erheben und beantragen lassen, den Bescheid der Antragsgegnerin aufzuheben. Zugleich ließ er beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 23.1.2017 anzuordnen.
Zur Begründung wird ausgeführt, dass der Antragsteller zur persönlichen Anhörung nicht erscheinen habe können, da er für diese keine Ladung erhalten habe. In dem Bescheid hieße es, der Adressat sei bei der Ladung zur Anhörung unter der dem Bundesamt bekannten Anschrift nicht zu ermitteln gewesen. Das sei nicht richtig. Der Kläger habe bei Stellung seines Asylantrages seine damalige und bis jetzt unveränderte Anschrift angegeben. An dieser Adresse sei er seit 30. Mai 2016 wohnhaft und gemeldet. Eine Mitteilung des Landratsamtes Ebersberg und eine Meldebestätigung der Gemeinde Poing wurden beigelegt.
Die Beklagte hat die Behördenakte vorgelegt, hat sich jedoch nicht zum Antrag geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem und im Klageverfahren und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der zulässig erhobene Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes in Anwendung von § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist erfolgreich.
1. Der Antrag ist zulässig, da die im Verfahren M 13 K 17.31957 erhobene Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 23. Januar 2017 keine aufschiebende Wirkung hat.
Nach § 75 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG) i.d.F. d. Bek. vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert mit Art. 2 Abs. 2 des Gesetzes vom 4. November 2016 (BGBl. I S. 2460), haben Klagen gegen die Entscheidungen des Bundesamtes nur in den Fällen der §§ 38 Abs. 1 und 73, 73b und 73c AsylG aufschiebende Wirkung. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erkennbar nicht gegeben, denn das Bundesamt hat das Asylverfahren des Antragstellers gestützt auf §§ 32, 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2. Alt. AsylG eingestellt. Dies stellt keinen Fall des § 75 Abs. 1 AsylG dar.
Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wurde auch innerhalb der gesetzlichen Wochenfrist § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG erhoben.
2. Der Antrag ist begründet.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall eines gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO) ganz oder teilweise anordnen. Hierbei hat das Gericht selbst abzuwägen, ob die Interessen, die für einen gesetzlich angeordneten sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts sprechen oder die, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung sprechen, höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches, aber nicht als alleiniges Indiz zu berücksichtigen (z.B. BVerwG, B. v. 25.3.1993 – Az. 1 ER 301/92 – juris Rn. 3). Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein, weil er zulässig und begründet ist, so wird im Regelfall nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig, besteht ein öffentliches Interesse an seiner sofortigen Vollziehung und der Antrag bleibt voraussichtlich erfolglos. Sind die Erfolgsaussichten bei summarischer Prüfung als offen zu beurteilen, findet eine eigene gerichtliche Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt.
Nach summarischer Prüfung sind die Erfolgsaussichten der Klage als gegeben anzusehen. Die aufschiebende Wirkung der Klage war anzuordnen.
Gemäß § 33 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG) i.d.F. d. Bek. vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798), zuletzt geändert durch Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl I S. 390), gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Asylverfahren nicht betreibt. Dabei wird nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alternative 2 AsylG dieses Nichtbetreiben vermutet, wenn der Ausländer einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen ist. Diese Vermutung gilt dann nicht, „wenn der Ausländer unverzüglich nachweist, dass das in Satz 1 Nummer 1 genannte Versäumnis (…) auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte“ (§ 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG).
Die Voraussetzung des § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG ist im vorliegenden Fall zu bejahen. Wie sich aus der vorgelegten Behördenakte ergibt, wurde die Aufforderung zur Anhörung dem Antragsteller nicht wirksam zugestellt. Laut Postzustellungsvermerk wurde die Ladung zur Anhörung tatsächlich nicht zugestellt.
Die Ladung gilt auch nicht gemäß § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG als zugestellt, weswegen sich der Antragsteller auch nicht so behandeln lassen muss, als sei eine Zustellung dieser Ladung erfolgt und als habe er von dieser Ladung Kenntnis gehabt.
Zwar bestimmt § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG, dass im Asylverfahren die Zustellung einer Sendung mit der Aufgabe zur Post als bewirkt gilt, selbst wenn die Sendung als unzustellbar zurückkommt. Allerdings gilt diese Zustellungsfiktion des § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG nur, wenn die Anschrift unrichtig ist, bspw. wegen (vom Ausländer nicht mitgeteilter) Umverteilung, nicht aber, wenn der Ausländer tatsächlich an der Adresse des gescheiterten Zustellungsversuchs wohnt und die Verantwortung für die Nichtzustellbarkeit nicht in seiner „Sphäre“ liegt (VGH BW, B.v. 15.11.1995 – A 14 S 2542/95 – juris Rn. 4). Ein Indiz hierfür ist dabei insbesondere eine erfolgreiche Folgezustellung (eines anderen Dokuments) an eben diesem Ort (vgl. VGH BW a.o.O.).
Dies ist vorliegend der Fall. Denn der Bescheid vom 23. Januar 2017, der an dieselbe Adresse wie das Schreiben für die Anhörung gerichtet war, ist dem Antragsteller offenkundig zugegangen, ohne dass es insoweit Schwierigkeiten bei der Postzustellung (per Einschreiben) gab. Auch bei der Zustellung des Schreibens vom 18. Juli 2016 scheint es keine Probleme gegeben zu haben. Der Antragsteller wohnte tatsächlich an derjenigen Adresse, an die die Ladung gerichtet war, weswegen die Zustellungsfiktion des § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG nicht eingreift. Es liegen keinerlei Anhaltspunkte vor, dass eine Adressänderung erfolgt wäre, die gemäß § 10 Abs. 1 HS 2 AsylG der Antragsgegnerin gemeldet hätte werden müssen.
Da der Kläger bis zum Erlass des Bescheides vom 23. Januar 2017 mangels Zustellung der Ladung keine Kenntnis vom Anhörungstermin hatte und den Nachweis der unverschuldeten Verhinderung unverzüglich nach der Kenntnis davon durch die Erhebung der Klage (M 13 K 17.31957) erbracht hat, ist die Vermutung des § 33 Abs. 2 Satz 1 AsylG in Anwendung von § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG widerlegt. Damit hat die Beklagte rechtsfehlerhaft die Rücknahme des Asylantrags angenommen (§ 33 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 AsylG). Nach § 33 Abs. 2 Satz 3 AsylG hat das Bundesamt nach der Aufhebung des angefochtenen Bescheides das Verfahren fortzuführen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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