Verwaltungsrecht

Eilrechtsschutz, Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina, Aufenthaltserlaubnis zu Erwerbszwecken, Westbalkan-Regelung, Visumsverfahren, Krebserkrankung, Abschiebungsverbote

Aktenzeichen  M 10 S 21.4919

Datum:
25.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 35337
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AufenthG § 19c
BeschV § 26 Abs. 2
AufenthG § 30
AufenthG § 25 Abs. 3, Abs. 4, Abs. 5

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich im Wege des Eilrechtsschutzes gegen die Ablehnung der Verlängerung ihrer Aufenthaltstitel.
Die Antragsteller sind Eheleute und bosnisch-herzegowinische Staatsangehörige. Der am … Januar 1969 geborene Antragsteller reiste erstmals am 2. Februar 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein, die am … Oktober 1973 geborene Antragstellerin zog am 9. Februar 2017 nach.
Der Antragsteller erhielt nach seiner Einreise eine Aufenthaltserlaubnis nach § 38a Aufenthaltsgesetz (AufenthG), da er über ein Daueraufenthaltsrecht-EU von Slowenien verfügte. Er arbeitete hier als Facharbeiter im Tief- und Straßenbau. Die Aufenthaltserlaubnis wurde ihm fortlaufend verlängert, ab 14. Februar 2019 auf der Rechtsgrundlage des § 18 Abs. 3 AufenthG a.F. (in Kraft bis 29.2.2020), zuletzt am 20. Februar 2020 bis 17. Januar 2021.
Der Antragstellerin wurde erstmals am 27. März 2017 im Wege des Ehegattennachzugs zum Antragsteller eine Aufenthaltserlaubnis nach § 30 AufenthG erteilt, welche zuletzt bis 17. Januar 2021 verlängert wurde.
Am 25. November 2020 beantragten die Antragsteller die Verlängerung ihres jeweiligen Aufenthaltstitels, wobei sie als Aufenthaltszweck ihre Erwerbstätigkeit angaben. Gleichzeitig wurde ein Rentenbescheid des Antragstellers vom 3. April 2020 wegen voller Erwerbsminderung vorgelegt, nach dem dieser eine monatliche Rente von 74,58 EUR erhalte. Später wurde ein Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales, Region Oberpfalz vom 19. November 2018 übermittelt, in dem eine Behinderung des Antragstellers mit einem Grad von 100 festgestellt wurde. Ferner wurde eine Bescheinigung einer internistischen Gemeinschaftspraxis vom 17. Juni 2021 nachgereicht. Danach sei der Antragsteller im Jahr 2018 an einem Bronchialkarzinom erkrankt, operiert und chemotherapiert worden. Derzeit sei der Antragsteller insoweit genesen, als kein Tumor mehr nachgewiesen werden könne. Es habe sich jedoch auch eine reaktive Depression entwickelt. Die diesbezügliche Behandlung stehe noch am Anfang.
Ab 21. Dezember 2020 erteilte die Antragsgegnerin den Antragstellern fortlaufend Fiktionsbescheinigungen, zuletzt am 9. Juni 2021 bis 8. September 2021.
Nach Anhörung der Antragsteller wurde mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 16. August 2021 der Antrag des Antragstellers auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis vom 25. November 2020 abgelehnt (Nr. 1). Ebenso wurde der Antrag der Antragstellerin abgelehnt (Nr. 2). Die Antragsteller wurden aufgefordert, das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland bis zum 19. September 2021 zu verlassen (Nr. 3) und es wurde für den Fall der nicht fristgerechten Erfüllung der Verpflichtung aus „Ziffer 2 des Bescheids“ die Abschiebung nach Bosnien-Herzegowina angedroht (Nr. 4). Zudem wurde für den Fall der Abschiebung ein Einreise- und Aufenthaltsverbot von einem Jahr und 6 Monaten erlassen (Nr. 5). Zur Begründung der Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltstitel wird ausgeführt, dass dem Antragsteller keine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Beschäftigung nach § 19c Abs. 1 AufenthG erteilt werden könne, da dieser mittlerweile keine Beschäftigung mehr ausübe. Der Antragstellerin könne nach dieser Norm keine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, da der Antrag entgegen § 26 Abs. 2 Beschäftigungsverordnung (BeschV) nicht bei der deutschen Auslandsvertretung in Bosnien-Herzegowina gestellt worden sei. Die Antragstellerin habe auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 AufenthG, da der Antragsteller nicht mehr im Besitz der notwendigen Aufenthaltserlaubnis als „Stammausländer“ sei. Im Übrigen wird auf die Gründe des Bescheids Bezug genommen.
Mit Schriftsatz vom 16. August 2021, wohl eingegangen mit (nur teilweise leserlicher) E-Mail vom 3. September 2021, beantragte die Bevollmächtigte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin aufgrund der Schwere der Erkrankung des Antragstellers die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 4 AufenthG, hilfsweise gemäß § 25 Abs. 3 AufenthG. Als Anlagen wurden ärztliche Bescheinigungen des Klinikums … vom 25. August 2021, 22. April 2021 und 13. Oktober 2020 vorgelegt, aus denen sich ergibt, dass ein hohes Rezidivrisiko des Tumors bestehe, derzeit aber kein Anhalt für ein Rezidiv gegeben sei und deswegen halbjährlich Verlaufskontrollen erforderlich seien. In der Bescheinigung vom 25. August 2021 wird zudem gebeten, die gesetzte Ausreisefrist zumindest bis nach der nächsten Verlaufskontrolle am 20. Oktober 2021 zu verlängern. Sollte dann ein Rezidiv nachweisbar sein, sei es empfehlenswert, die Therapie in Deutschland durchzuführen, da in Bosnien-Herzegowina eine Vielzahl der hier verfügbaren modernen Therapien nicht zur Verfügung stehe.
Die Antragsteller haben mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 15. September 2021, eingegangen bei dem Verwaltungsgericht München am gleichen Tag, Klage gegen den Bescheid vom 16. August 2021 und auf Verpflichtung zur Verlängerung, hilfsweise zur Neuerteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnisse, hilfsweise zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5, § 30 oder § 38a AufenthG, erhoben. Gleichzeitig wird beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller gegen die Ausweisungsverfügung und Abschiebungsandrohung der Antragsgegnerin vom 16. August 2021 wieder herzustellen bzw. anzuordnen, hilfsweise die sofortige Vollziehung aufzuheben.
Zur Begründung des Eilantrags wird darauf verwiesen, dass Eilbedürftigkeit gegeben sei, da eine Ausreisepflicht bis zum 19. September 2021 gesetzt worden sei.
Mit Schriftsatz vom 14. Oktober 2021 hat die Antragsgegnerin die Akten vorgelegt und beantragt,
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) wird abgelehnt.
Zur Begründung wird auf den angefochtenen Bescheid verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten, auch im Verfahren M 10 K 21.4918, sowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
1. Der gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO ist zulässig.
a) Im Hinblick auf die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnisse in Nummern 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheids ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung statthaft, da die Klage insoweit kraft Gesetzes gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO keine aufschiebende Wirkung hat. Obwohl in der Hauptsache die Verpflichtungsklage auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnisse die richtige Klageart ist und damit im einstweiligen Rechtsschutzverfahren an sich ein Antrag nach § 123 VwGO zu stellen wäre, ist demnach ein Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO grundsätzlich statthaft. Dies setzt allerdings voraus, dass der Antrag auf Erteilung oder Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zuvor eine gesetzliche Fiktion nach § 81 Abs. 3 oder Abs. 4 AufenthG ausgelöst hat. Ansonsten wäre allenfalls ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO denkbar (s. BayVGH, B.v. 31.8.2006 – 24 C 06.954 – juris Rn. 11; B.v. 12.10.2006 – 24 CS 06.2576 – juris Rn. 8).
Nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG gilt der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend, wenn der Ausländer vor Ablauf seines Aufenthaltstitels dessen Verlängerung oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels beantragt hat.
Im vorliegenden Fall hat der Antrag der Antragsteller auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnisse die Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ausgelöst; der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO ist daher insoweit statthaft. Die Aufenthaltserlaubnisse der Antragsteller galten bis 17. Januar 2021; die Verlängerung dieser Aufenthaltstitel wurde am 25. November 2020 und damit rechtzeitig vor deren Ablauf beantragt.
Durch eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragsteller gegen die Versagung der Verlängerung ihrer Aufenthaltstitel würde diese Fiktion des erlaubten Aufenthalts fortbestehen und die Antragsteller wären nicht ausreisepflichtig.
b) Hinsichtlich der Ausreiseaufforderung mit Ausreisefrist und der Abschiebungsandrohung (Nummern 3 und 4 des angefochtenen Bescheids) ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO ebenfalls statthaft, da es sich um Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung handelt. Eine dagegen gerichtete Klage hat nach Art. 21a Satz 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO keine aufschiebende Wirkung.
c) Im Hinblick auf die Anordnung und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (Nr. 5 des angegriffenen Bescheids) ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO ebenso statthaft, da die aufschiebende Wirkung nach § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AufenthG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO entfällt. Zwar gilt die Vorschrift des § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AufenthG nach ihrem Wortlaut nicht für die Anordnung, sondern nur für die Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots (anders dagegen die Regelungen in § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8, Satz 2 AufenthG, die gerade für die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 6 und Abs. 7 AufenthG gelten). Der Gesetzgeber hat also auch nach dem im August 2019 erfolgten Systemwechsel in § 11 Abs. 1 und 2 AufenthG vom gesetzlichen zum behördlichen Einreise- und Aufenthaltsverbot am Wortlaut des § 84 Abs. 1 AufenthG festgehalten, soweit diese Vorschrift Anordnungen von Einreise- und Aufenthaltsverboten sowie deren Befristung betrifft (s. VGH Baden-Württemberg, B.v. 13.11.2019 – 11 S 2996/19 – juris Rn. 42). Aber nach der überzeugenden Begründung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg, die sich ausführlich mit den Gesetzgebungsmaterialien auseinandersetzt, ist auch die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG von § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AufenthG erfasst und ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO insoweit statthaft, da die Anordnung sowie die verpflichtend vorzunehmende Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots als einheitlicher Verwaltungsakt zu sehen sind. Zudem führt nur diese Interpretation des § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AufenthG zu einem in sich stimmigen System des Rechtsschutzes gegen Einreise- und Aufenthaltsverbote unabhängig von deren Rechtsgrundlage (§ 11 Abs. 1, 2, 6, 7, § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 und 8, § 84 Abs. 1 Satz 2 AufenthG, s. VGH Baden-Württemberg, a.a.O., Rn. 40 ff.; im Anschluss hieran: VG München, B.v. 22.2.2021 – M 4 S 20.6589 – juris Rn. 27; offengelassen: BVerwG, B.v. 28.5.2020 – 1 VR 2/19 – juris Rn. 12).
2. Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist jedoch unbegründet, da nach summarischer Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das Interesse der Antragsteller an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfes überwiegt.
Im Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO trifft das Gericht eine eigenständige Ermessensentscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Hierbei hat es abzuwägen zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren gebotene, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück.
So liegt der Fall hier; nach summarischer Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache wird die Klage auf Verlängerung oder Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen in der Sache erfolglos bleiben. Die Antragsteller haben im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts voraussichtlich keinen Anspruch auf Verlängerung bzw. Neuerteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnisse (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der angegriffene Bescheid vom 16. August 2021 ist rechtmäßig und verletzt die Antragsteller daher nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
a) Der Antragsteller hat nach summarischer Prüfung weder einen Anspruch auf Verlängerung noch auf Neuerteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
aa) Er hat keinen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis zu Beschäftigungszwecken nach § 19c Abs. 1 AufenthG n.F. (§ 18 Abs. 3 AufenthG a.F. bis 29.2.2020) i.V.m. § 8 Abs. 1 AufenthG. Ein derartiger Anspruch würde voraussetzen, dass die Aufenthaltserlaubnis „zur Ausübung einer Beschäftigung“ erteilt wird, was hier gerade nicht der Fall ist, da der Antragsteller aufgrund seiner Erkrankung nicht mehr arbeiten kann, sondern vielmehr eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bezieht.
bb) Auch ein Anspruch des Antragstellers auf Neuerteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 AufenthG kommt nicht in Betracht.
Dem steht zwar wohl nicht grundsätzlich entgegen, dass dieser Antrag erst mit Schriftsatz vom 16. August 2021, der am 3. September 2021 und damit nach Bescheidserlass bei der Antragsgegnerin eingegangen sein dürfte, beantragt worden ist, da maßgeblicher Zeitpunkt für die gerichtliche Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels nach ständiger Rechtsprechung der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz ist (BVerwG, U.v. 7.4.2009 – 1 C 17/08 – juris Rn. 10 m.w.N.).
Aber im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sind die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 AufenthG bereits deshalb nicht erfüllt, da die Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig sind. Zwar haben die Antragsteller ihren Antrag auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnisse rechtzeitig gestellt und waren daher im Zeitpunkt des Bescheidserlasses am 16. August 2021 nicht vollziehbar ausreisepflichtig (§ 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 3 AufenthG). Aber im hier maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts sind die Antragsteller aufgrund der Ablehnung ihres Antrags mit streitgegenständlichem Bescheid vollziehbar ausreisepflichtig (§ 58 Abs. 2 Satz 2, § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, vgl. Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 58 AufenthG Rn. 19).
cc) Die Voraussetzungen für die hilfsweise beantragte Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG liegen ebenso nicht vor.
Nach dieser Vorschrift soll einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegt.
Abgesehen davon, dass nach Aktenlage die nach § 72 Abs. 2 AufenthG erforderliche Beteiligung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge nicht erfolgt ist, sind die Anforderungen an ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder § 60 Abs. 7 AufenthG nach summarischer Prüfung nicht erfüllt.
Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG ist weder substantiiert vorgetragen noch nach Aktenlage ersichtlich. Insbesondere kommt ein solches nicht wegen fehlender Sicherung des Existenzminimums in Bosnien-Herzegowina in Betracht. Zwar ist der Antragsteller nicht mehr erwerbsfähig und erhält nur eine geringe Rente. Dies gilt aber nicht für seine Ehefrau, die als Reinigungskraft erwerbstätig ist. Ausweislich der Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid sind die Einkünfte der Eheleute ausreichend zur Sicherung ihres Lebensunterhalts in Deutschland. Es ist nicht ersichtlich, warum dies in Bosnien-Herzegowina anders sein sollte. Insbesondere ist nicht erkennbar, weshalb es der Antragstellerin in Bosnien-Herzegowina nicht gelingen sollte, durch ihre Erwerbstätigkeit als Reinigungskraft den Hauptanteil der Einkünfte der Eheleute zu erwirtschaften. Entsprechendes wurde auch nicht behauptet.
Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen der Erkrankung des Antragstellers ist nach summarischer Beurteilung nicht gegeben, da die hierfür gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG erforderliche lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung, die sich durch die Abschiebung alsbald wesentlich verschlechtern würde, durch die vorgelegten medizinischen Unterlagen nicht belegt ist.
Die Bescheinigung einer internistischen Gemeinschaftspraxis vom 17. Juni 2021 erfüllt bereits nicht die Anforderungen an eine zum Nachweis einer solchen Erkrankung erforderliche qualifizierte ärztliche Bescheinigung im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 60a Abs. 2c Satz 2 und Satz 3 AufenthG. Auch wenn ein Bronchialkarzinom grundsätzlich eine schwerwiegende Erkrankung sein kann, ergibt sich aus dieser Bescheinigung jedenfalls nicht eine zum gegenwärtigen Zeitpunkt lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung, die sich durch die Abschiebung alsbald wesentlich verschlechtern würde. Denn nach dieser Bescheinigung ist der Tumor entfernt und derzeit kein Rezidiv nachweisbar.
Unabhängig davon, ob die Arztberichte vom 13. Oktober 2020, 22. April 2021 und 25. August 2021 – gegebenenfalls zusammen betrachtet – als qualifizierte ärztliche Bescheinigungen einzuordnen sind, lässt sich aus diesen ebenso keine aktuell lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung, die sich durch die Abschiebung alsbald wesentlich verschlechtern würde, ableiten. Aus den Berichten vom 13. Oktober 2020 und 22. April 2021 ergibt sich, dass derzeit kein Anhaltspunkt für ein Rezidiv besteht und daher eine halbjährliche Verlaufskontrolle für erforderlich erachtet wird. Das Gleiche lässt sich im Ergebnis aus dem Bericht vom 25. August 2021 ableiten. Zwar wird hier auf ein „hohes Rezidivrisiko“ beim Antragsteller hingewiesen und daher erbeten, den Termin zur Verlaufskontrolle am 20. Oktober 2021 abzuwarten, bevor ausländerrechtliche Maßnahmen ergriffen werden. Aber dieser Termin ist im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts jedenfalls verstrichen; aktuelle Unterlagen zum Ergebnis dieses Termins sind nicht vorgelegt worden.
dd) Aus diesem Grund liegen die Voraussetzungen für die Erteilung der erstmals in der Klageschrift beantragten Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG auch nicht vor. Zwar kann eine schwere Erkrankung grundsätzlich die Unmöglichkeit der Ausreise begründen, aber hier fehlt es – wie soeben dargelegt – am Nachweis einer gegenwärtig schweren Erkrankung, die die Ausreise hindern würde.
ee) Auch hat der Antragsteller keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 38a AufenthG, da nach seiner eigenen Auskunft sein Daueraufenthaltsrecht-EU in Slowenien erloschen ist (Bl. 114, 131 Behördenakte Antragsteller).
ff) Nachdem auch die Antragstellerin keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat (s. hierzu ausführlich sogleich), kann sich der Antragsteller nicht auf ein Aufenthaltsrecht aus § 30 AufenthG als Ehegatte einer Ausländerin, die über einen Aufenthaltstitel verfügt (vgl. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG), berufen.
b) Auch die Antragstellerin hat nach kursorischer Prüfung keinen Anspruch auf Verlängerung oder Neuerteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
aa) Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug nach § 30 AufenthG i.V.m. § 8 Abs. 1 AufenthG, da der Antragsteller als derjenige Ausländer, zu dem der Nachzug erfolgt, nicht mehr über eine Aufenthaltserlaubnis verfügt.
bb) Die Antragstellerin kann ein Aufenthaltsrecht nicht aus §§ 18a bis 18c AufenthG herleiten, da die dort vorausgesetzte qualifizierte Beschäftigung weder vorgetragen noch nach Aktenlage ersichtlich ist.
cc) Ein Anspruch der Antragstellerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für eine Beschäftigung unabhängig von einer Qualifikation als Fachkraft gemäß § 19c Abs. 1 AufenthG besteht nicht.
Nach § 19c Abs. 1 AufenthG kann einem Ausländer unabhängig von einer Qualifikation als Fachkraft eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung erteilt werden, wenn die Beschäftigungsverordnung oder eine zwischenstaatliche Vereinbarung bestimmt, dass der Ausländer zur Ausübung dieser Beschäftigung zugelassen werden kann.
Vorliegend fehlt es jedoch an einer Zulassung der Beschäftigung durch die Beschäftigungsverordnung oder durch eine zwischenstaatliche Vereinbarung. Insbesondere lässt § 26 Abs. 2 BeschV in der ab 1. Januar 2021 geltenden Fassung, die sogenannte Westbalkan-Regelung, die Beschäftigung der Antragstellerin nicht zu.
Nach § 26 Abs. 2 Satz 1 BeschV können für bestimmte Staatsangehörige des Westbalkans, insbesondere von Bosnien-Herzegowina, in den Jahren 2021 bis einschließlich 2023 Zustimmungen mit Vorrangprüfung zur Ausübung jeder Beschäftigung erteilt werden. Gemäß § 26 Abs. 2 Satz 2 BeschV darf die erstmalige Zustimmung nur erteilt werden, wenn der Antrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels bei der jeweils zuständigen deutschen Auslandsvertretung in einem der in Satz 1 genannten Westbalkanstaaten gestellt wird.
Da es vorliegend um den Fall einer erstmaligen Zustimmung (der Bundesagentur für Arbeit) zur Beschäftigung geht, ist § 26 Abs. 2 Satz 2 BeschV einschlägig. Seine Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor. Die Antragstellerin hat keinen Aufenthaltstitel in Form eines nationalen Visums bei der Deutschen Botschaft in Bosnien-Herzegowina beantragt, sondern direkt die Verlängerung bzw. Neuerteilung ihrer bisher nach § 30 AufenthG erteilten Aufenthaltserlaubnis bei der Antragsgegnerin als zuständiger Ausländerbehörde begehrt.
§ 19c Abs. 1 AufenthG kann zwar grundsätzlich auch die Fortsetzung eines bestehenden Aufenthalts ermöglichen, wenn zunächst ein Aufenthaltstitel zu einem anderen Zweck erteilt worden ist und nunmehr unter Wechsel des Aufenthaltszwecks die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu Erwerbszwecken erstrebt wird (vgl. § 39 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AufenthV). Ein Wechsel des Aufenthaltszwecks unter Verbleib im Bundesgebiet setzt allerdings über die fortbestehende Rechtmäßigkeit des Aufenthalts voraus, dass der Gesetzgeber einen Zweckwechsel ohne vorherige Ausreise nicht durch eine besondere Regelung ausgeschlossen hat (vgl. HessVGH, B.v. 28.10.2019 – 7 B 1729/19 – juris Rn. 16). Ein solch besonderer Ausschluss liegt hier in § 26 Abs. 2 Satz 2 BeschV aber gerade vor. Diese Regelung setzt nämlich zwingend voraus, dass im Herkunftsstaat ein zweckentsprechendes nationales Visum beantragt wird (vgl. BR-Drs. 447/15 v. 29.9.2015, S. 11).
Im konkreten Fall kann nach Aktenlage vom Visumserfordernis auch nicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden. Die Voraussetzungen eines gebundenen Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sind nicht erfüllt (§ 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG), da es sich bei der Regelung des § 19c Abs. 1 AufenthG um eine Ermessensvorschrift handelt. Auch ist es nach Aktenlage nicht aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls unzumutbar, das Visumsverfahren nachzuholen (§ 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG). Hierfür ist weder etwas vorgetragen noch ist dafür auch unter Berücksichtigung der Erkrankung des Antragstellers nach Aktenlage etwas ersichtlich.
Die Zustimmungsfreiheit nach § 9 BeschV findet im Rahmen des § 26 BeschV gerade keine Anwendung, vgl. § 26 Abs. 2 Satz 5 BeschV.
c) Die Ausreiseaufforderung mit Ausreisefrist in Nummer 3 des streitgegenständlichen Bescheids begegnet vor dem Hintergrund des § 59 Abs. 1 Satz 1, Satz 4 AufenthG keinen rechtlichen Bedenken.
d) Die Abschiebungsandrohung in Nummer 4 des angefochtenen Bescheids ist rechtlich nicht zu beanstanden. Dem steht im Ergebnis nicht entgegen, dass die Abschiebung angedroht wird für den Fall, dass die „Verpflichtung aus Ziffer 2 dieses Bescheids“ nicht fristgerecht erfüllt wird, in Nummer 2 des Bescheids aber die Ablehnung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis für die Antragstellerin enthalten ist, nicht jedoch die Ausreiseaufforderung mit Ausreisefrist (die sich in Nummer 3 des Bescheids befindet). Richtigerweise hätte in Nummer 4 des Bescheids die Abschiebung für den Fall der Nichterfüllung der Verpflichtung aus Nummer 3 des Bescheids angedroht werden müssen. Dieses Ergebnis lässt sich jedoch auch im Wege der Auslegung des Bescheids unter Berücksichtigung seiner Begründung ermitteln. Denn aufgrund der Begründung zur Abschiebungsandrohung auf Seite 5 des Bescheids ist klar, welche Pflicht nicht erfüllt werden muss, damit die Abschiebung erfolgt, nämlich wenn die Ausreise nicht fristgerecht erfolgt. Angesichts dessen ist aus dem Bescheid ersichtlich, dass die Abschiebungsandrohung in Nummer 4 in der Sache auf Nummer 3 Bezug nimmt, auch wenn sie nach ihrem Wortlaut auf Nummer 2 verweist. Insoweit handelt es sich um ein redaktionelles Versehen.
e) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot in Nummer 5 des streitgegenständlichen Bescheids ist voraussichtlich rechtmäßig. Die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots für den Fall der Abschiebung beruht auf § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG; Ermessensfehler bei der Bestimmung der Länge der Frist nach § 11 Abs. 3 AufenthG sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Soweit die Verwaltungsbehörde – wie hier – ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht nach § 114 Satz 1 VwGO auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
Im vorliegenden Fall ist das Ermessen nach vorläufiger Prüfung nicht fehlerhaft ausgeübt worden. Insbesondere hat die Antragsgegnerin die Höchstfrist von 5 Jahren nicht überschritten, vgl. § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG. Die Antragsgegnerin hat bei der Bestimmung der Länge der Frist in rechtlich nicht zu beanstandender Weise auf Seiten der öffentlichen Interessen generalpräventive Aspekte eingestellt. Auf Seiten der privaten Interessen der Antragsteller hat sie die Dauer des Aufenthalts, die Berufstätigkeit sowie die Rechtstreue der Antragsteller berücksichtigt. Enge familiäre Bindungen, die nach Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz schutzwürdig wären, sind weder vorgetragen noch erkennbar.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nummern 1.5 und 8.1 Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.


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