Verwaltungsrecht

Eilverfahren, Verfristung in der Hauptsache, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Aktenzeichen  M 1 S 21.1926

Datum:
20.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 34297
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 74
VwGO § 60

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 3.750,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Parteien streiten über eine gegenüber der Antragstellerin abgelehnte Baugenehmigung mit gleichzeitig angeordneter Beseitigungsverfügung.
Mit Bescheid vom 29. Oktober 2020, der Antragstellerin ausweislich der Postzustellungsurkunde zugestellt am 31. Oktober 2020, lehnte der Antragsgegner, vertreten durch das Landratsamt Freising (im Folgenden: Antragsgegner), den von der Antragstellerin am 6. November 2019 gestellten Bauantrag zur Errichtung von drei landwirtschaftlichen Unterbringungseinheiten auf dem Grundstück FlNr. 47/1 Gem. … ab (Nr. 1 des Bescheids). Gleichzeitig verfügte der Antragsgegner die Beseitigung der bereits bestehenden drei Unterbringungseinheiten bis zum 1. Februar 2021 (Nr. 2 des Bescheids) und ordnete den sofortigen Vollzug der Ziffer 2. an (Nr. 3 des Bescheids).
Mit Schriftsatz vom … November 2020, eingegangen am gleichen Tag, erhob der Bevollmächtigte der Antragstellerin Klage gegen den Bescheid vom 29. Oktober 2020 zum Amtsgericht München. Im Briefkopf des Schriftsatzes, der die Signatur des Bevollmächtigten des Antragstellers enthält, ist das Amtsgericht München als Adressat aufgeführt.
Mit Verfügung vom 3. Dezember 2020 wies das Amtsgericht München darauf hin, dass Bedenken gegen die Rechtswegzuständigkeit der Zivilgerichte bestünden und für eine Klage gegen einen baurechtlichen Bescheid und auf Erteilung einer Baugenehmigung der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet sein dürfte. Den Parteien wurde eine Frist zur Stellungnahme von zwei Wochen eingeräumt. Mit Schreiben vom 4. Dezember 2020, beim Bevollmächtigten der Antragstellerin eingegangen am 7. Dezember 2020, erhielt der Bevollmächtigte der Antragstellerin eine beglaubigte Abschrift der Verfügung. Eine Verweisung an das Verwaltungsgericht München folgte nicht.
Mit Schriftsatz vom … Dezember 2020, bei Gericht eingegangen am 21. Dezember 2020, erhob der Bevollmächtigte der Antragstellerin Klage zum Verwaltungsgericht München und beantragte unter Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, den Bescheid des Landratsamts Freising vom 29. Oktober 2020 aufzuheben. Die Klage ist Gegenstand des Verfahrens M 1 K 20.6836, über das noch nicht entschieden ist.
Mit Schriftsatz vom … April 2021 beantragt der Bevollmächtigte der Antragstellerin,
die aufschiebende Wirkung der Klage vom …12.2020 gegen den Bescheid des Landratsamtes Freising vom 29.10.2020, Az: …19, wird angeordnet.
Im Verfahren M 1 K 20.6836 führt der Bevollmächtigte der Antragstellerin aus, dass er die Klage an das zuständige Verwaltungsgericht München diktiert habe. Durch einen Übertragungsfehler einer Mitarbeiterin sei die Klage nicht wie diktiert an das Verwaltungsgericht München, sondern an das Amtsgericht München adressiert worden.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Landratsamtes Freising vom 31.07.2019 abzulehnen.
Im Verfahren M 1 K 20.6836 führt der Antragsgegner aus, dass die Klage bereits unzulässig sei. Es sei auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da das Fristversäumnis durch den Bevollmächtigten der Antragstellerin selbst verschuldet sei.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, auch im zugehörigen Klageverfahren M 1 K 20.6836, Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Der Antrag war zunächst als Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Nr. 2 des Bescheids vom 29. Oktober 2020 auszulegen, §§ 122, 88 VwGO, da durch den Bescheid in Nr. 3 lediglich die sofortige Vollziehung der Beseitigungsanordnung in Nr. 2 – nicht jedoch der Nr. 1 – angeordnet wurde.
1. Der Antrag ist bereits unzulässig. Dem Antrag fehlt das nötige Rechtsschutzbedürfnis, da die Klage in der Hauptsache bereits verfristet (a)) und eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand voraussichtlich nicht zu gewähren ist (b)). Der Bescheid des Antragsgegners vom 29. Oktober 2020 ist bestandskräftig geworden.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann längstens bis zur Bestandskraft des zugrunde liegenden Verwaltungsakts gestellt werden (Puttler in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl. 2018, § 80 Rn. 129). Die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen liegen dann vor, vgl. Art. 19 Abs. 1 Nr. 1 VwZVG.
a) Die Klage ist verfristet, da sie nicht innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erhoben wurde, § 74 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 VwGO.
aa) Der Antragstellerin wurde der Bescheid vom 29. Oktober 2020 ausweislich des Vermerks auf dem Bescheid am 31. Oktober 2020 mittels Postzustellungsurkunde zugestellt und damit bekanntgegeben, Art. 41 Abs. 5 BayVwVfG, Art. 3 VwZVG.
Der Bescheid enthält zudem eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung:, sodass die Klagefrist gemäß § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1 BGB am 1. November 2020 begann und gemäß § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 30. November 2020 endete. Der Eingang der Klage beim Verwaltungsgericht München am 21. Dezember 2020 war daher nicht fristgerecht.
bb) Die Klagefrist wurde nicht durch Eingang der Klage beim Amtsgericht München gewahrt.
Zwar wahrt eine Klageerhebung beim unzuständigen Gericht die Frist, wenn dieses an das zuständige verweist, auch wenn die Verweisung erst nach Fristablauf erfolgt, §§ 17a Abs. 2 Satz 1, 17b Abs. 1 Satz 2 GVG (BVerwG, U.v. 24.7.1963 – VI C 190.60 – juris). Davon ist jedoch die Konstellation zu unterscheiden, dass eine an das zuständige Gericht adressierte Klage bei einem unzuständigen Gericht eingereicht wird. Eine solche Klage wahrt ebenso wenig die Frist wie die versehentlich an das Amtsgericht adressierte, ihrem Inhalt nach jedoch eindeutig für das Verwaltungsgericht bestimmte Klageschrift (BVerwG, U.v. 31.10.2001 – 2 C 37/00 – juris Rn. 13). Es ist nicht Sinn der Verweisungsvorschrift des § 83 VwGO i.V.m. §§ 17 – 17 b GVG und insbesondere nicht Aufgabe von Gerichten, Unachtsamkeiten des Klägers zu bereinigen (Brenner in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl. 2018, § 74 Rn. 33).
Ausgehend davon liegt hier die letztgenannte Fallgruppe vor. Die versehentlich an das Amtsgericht München adressierte, ihrem Inhalt nach jedoch eindeutig für das Verwaltungsgericht München bestimmte Klageschrift wahrte die Klagefrist nicht. Die anwaltlich vertretene Antragstellerin wollte nachweislich nicht das Amtsgericht München, sondern das in der Rechtsbehelfsbelehrung:des Bescheids bezeichnete Verwaltungsgericht München anrufen. Dies ergibt eine Auslegung der Klageschrift, wobei die für die Auslegung von Willenserklärungen des bürgerlichen Rechts geltenden Grundsätze anzuwenden sind (BVerwG, U.v. 27.4.1990 – 8 C 70/88 – juris Rn. 23). Danach besteht kein Zweifel daran, dass die Klageschrift ungeachtet der Adressierung an das Amtsgericht München für das Verwaltungsgericht München bestimmt war. Bereits aus dem Klageantrag ist ersichtlich, dass die Klägerin sich gegen einen Bescheid des Landratsamts wehrt und die abgelehnte Baugenehmigung begehrt. Der Bescheid war dem Schriftsatz zudem als Anlage beigefügt. Diese fehlerhaft an das Amtsgericht München adressierte Klage begründete keine Rechtshängigkeit. Mangels Erlass eines Verweisungsbeschlusses spricht vieles dafür, dass auch das Amtsgericht München zu dieser Einschätzung gelangte, zumal sich in der Verfügung vom 3. Dezember 2020 keine Ausführungen zu einer beabsichtigten Verweisung nach Ablauf der zweiwöchigen Frist zur Stellungnahme finden.
b) Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist in der Hauptsache voraussichtlich abzulehnen.
Gemäß § 60 Abs. 1 VwGO ist, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Das Verschulden ihres Bevollmächtigten muss sich die Klägerin gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist unbegründet. Der Bevollmächtigte der Antragstellerin handelte nicht ohne Verschulden i.S.d. § 60 VwGO. Verschuldet ist die Versäumung einer Frist immer dann, wenn der Beteiligte die Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die für einen gewissenhaften und sachgemäß Prozessführenden geboten ist (objektive Voraussetzung) und die ihm (subjektiv) nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war (Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 60 Rn. 9). Vorliegend hat der Bevollmächtigte der Antragstellerin nicht alles getan, was ihm nach den Umständen des Falles zur Wahrung der Klagefrist zumutbar war.
Nach den Angaben des Bevollmächtigten der Antragstellerin habe dieser die Klage an das zuständige Verwaltungsgericht München diktiert und nur durch einen Übertragungsfehler der Mitarbeiterin des Bevollmächtigten der Antragstellerin sei es zu der Adressierung an das Amtsgericht München gekommen.
Zwar ist ein eigenes Verschulden von Hilfspersonen des Rechtsanwalts dem Beteiligten nicht zuzurechnen, da das Prozessrecht eine dahingehende Zurechnung, wie sie etwa in § 278 BGB vorgesehen ist, nicht kennt (Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 60 Rn. 18).
Dem Bevollmächtigten der Antragstellerin ist jedoch der Vorwurf eigenen Verschuldens zu machen, da er den Schriftsatz vom 30. November 2020, der an das Amtsgericht München adressiert war, eigenhändig unterzeichnete. Er hätte die fehlerhafte Adressierung bei Unterzeichnung der Klageschrift bemerken und beheben müssen. Die „blinde“ Unterzeichnung von fristgebundenen Schriftsätzen entspricht keinesfalls dem für einen Rechtsanwalt geltenden berufstypischen Maßstab einer sorgfältigen Prozessführung. Ein Rechtsanwalt muss bei der Unterzeichnung seiner Rechtsmittel- oder seiner Rechtsmittelbegründungsschrift persönlich prüfen, ob sie an das zuständige Gericht adressiert ist (BayVGH, B.v. 16.1.2014 – 14 B 13.2016 – juris Rn. 15). Für die Unterzeichnung einer Klageschrift kann nichts anderes gelten.
Das Anwaltsverschulden war für die Fristversäumung auch ursächlich. Das Verschulden entfiel nicht deshalb, da ein Dritter die Fristversäumung noch hätte verhindern können.
Ein Verschulden kann abzulehnen sein, wenn die Klage zwar bei einer unzuständigen Stelle eingereicht wurde, bei der der Betroffenen die Klage auch nicht erheben wollte, im ordentlichen Geschäftsgang aber mit einer Weiterleitung innerhalb der Frist zu rechnen war (Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 60 Rn. 17). Vorliegend war eine rechtzeitige Weiterleitung der Klageschrift im ordnungsgemäßen Geschäftsgang nicht zu erwarten. Der an das Amtsgericht München adressierte Schriftsatz ist dort erst am letzten Tag der Klagefrist eingegangen. Im üblichen Geschäftsgang ist in jedem Fall eine Laufzeit von mehr als nur einem Tag zu erwarten, sodass eine Fristwahrung durch Weiterleitung nicht möglich war. Das Verschulden des Bevollmächtigten lässt sich daher auch auf diesem Weg nicht ausräumen.
2. Der Antrag war deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Für die begehrte Baugenehmigung ist in der Hauptsache nach Ausübung billigen Ermessens ein Streitwert von EUR 5.000,00, für die Anordnung der Beseitigung der Unterbringungseinheiten ein Streitwert von EUR 2.500,00 – mithin ein Gesamtstreitwert von EUR 7.500,00 – anzunehmen. Es erscheint angemessen, diesen für die Hauptsache anzunehmenden Streitwert von EUR 7.500,00 im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren.


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