Verwaltungsrecht

Einräumung einer Grunddienstbarkeit für eine Kanalleitung – Vollstreckung aus gerichtlichem Vergleich

Aktenzeichen  8 C 16.1502

Datum:
15.12.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 88, § 146 Abs. 1, § 167 Abs. 1 S. 1, § 168 Abs. 1 Nr. 3
VwVG VwVG § 11 Abs. 1 S. 1
ZPO ZPO § 894

 

Leitsatz

Soweit in Fällen der Erzwingung einer Einvernehmens- bzw. Zustimmungserklärung angenommen wird, dass die Vollstreckung durch die Fiktion der Abgabe einer Willenserklärung gemäß § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO iVm § 894 ZPO anstelle einer Zwangsgeldandrohung zu erfolgen hat, ist dies nicht mit der Situation der Bestellung einer Dienstbarkeits vergleichbar, bei der ein erheblicher Spielraum bleibt, der nicht mittels Fiktion der Abgabe einer Willenserklärung verkürzt werden kann (vgl. BVerwG BeckRS 2002, 30253816). (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 2 V 15.1793 2016-07-07 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Vollstreckungsschuldnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Vollstreckungsgläubiger betreibt die Vollstreckung aus einem gerichtlichen Vergleich, mit dem sich die Vollstreckungsschuldnerin zu seinen Gunsten u.a. zur Einräumung einer Grunddienstbarkeit für eine Kanalleitung verpflichtet hat.
Die Beteiligten schlossen in einem Verwaltungsrechtsstreit der Vollstreckungsschuldnerin (Klägerin) gegen den Vollstreckungsgläubiger (Beklagter) am 18. Januar 2011 vor dem Verwaltungsgerichtshof einen gerichtlichen Vergleich. Gegenstand des Ausgangsverfahrens war eine Klage auf Beseitigung einer auf dem Grundstück der Vollstreckungsschuldnerin verlaufenden Entwässerungsleitung. In Nr. II des Vergleichs verpflichtete sich die Vollstreckungsschuldnerin, „für die bestehende Straßenentwässerungsanlage … ein Kanalleitungsrecht in Gestalt einer Grunddienstbarkeit zugunsten des Beklagten (herrschendes Grundstück FlNr. … der Gemarkung A.) … einzuräumen“. Zudem wurde vereinbart, dass der Vollzug der Bestellung u.a. dieses Kanalleitungsrechts durch notariellen Vertrag erfolgt und sich die Beteiligten persönlich verpflichten, an den erforderlichen Rechtsgeschäften zur Bestellung dieses Rechts mitzuwirken.
Das Verwaltungsgericht hat der Vollstreckungsschuldnerin mit Beschluss vom 7. Juli 2016 für die Erfüllung ihrer Verpflichtung aus Nr. II des Vergleichs (Einräumung eines Kanalleitungsrechts in Form einer Grunddienstbarkeit – dienendes Grundstück FlNr. … Gemarkung A., herrschendes Grundstück FlNr. … Gemarkung A. – und Mitwirkung an den erforderlichen Rechtsgeschäften) eine Frist von einem Monat nach Rechtskraft dieses Beschlusses gesetzt. Für den Fall der Nichterfüllung hat es ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000 Euro angedroht.
Hiergegen wendet sich die Vollstreckungsschuldnerin mit ihrer Beschwerde.
II.
Die gemäß § 146 Abs. 1 VwGO statthafte Beschwerde (vgl. BVerwG, U.v. 30.8.1985 – 4 C 60.81 – NJW 1986, 1125 = juris Rn. 12) bleibt ohne Erfolg. Die angegriffene Zwangsgeldandrohung des Erstgerichts zur Durchsetzung der Verpflichtung der Vollstreckungsschuldnerin, dem Vollstreckungsgläubiger ein Kanalleitungsrecht in Gestalt einer Grunddienstbarkeit einzuräumen, ist nicht zu beanstanden.
1. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die von der Vollstreckungsschuldnerin in Nr. II des gerichtlichen Vergleichs übernommene Verpflichtung den Anforderungen an die Bestimmtheit eines Vollstreckungstitels (§ 168 Abs. 1 Nr. 3 VwGO) genügt. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Nr. II des Vergleichs hat sich die Vollstreckungsschuldnerin verpflichtet, dem Vollstreckungsgläubiger für die bestehende Straßenentwässerungsanlage ein Kanalleitungsrecht in Gestalt einer Grunddienstbarkeit (herrschendes Grundstück FlNr. … der Gemarkung A.) einzuräumen. Hierzu sieht der Vergleich in Nr. II Abs. 3 vor, dass der Vollzug der Bestellung des Kanalleitungsrechts durch notariellen Vertrag erfolgt. Die Vollstreckungsschuldnerin hat sich diesbezüglich verpflichtet, persönlich an den erforderlichen Rechtsgeschäften zur Bestellung der Grunddienstbarkeit mitzuwirken.
Der Einwand, es sei hieraus unklar, an welchen „erforderlichen Rechtsgeschäften“ die Vollstreckungsschuldnerin mitwirken müsse, greift nicht durch. Die Verpflichtung steht im unmittelbaren Sachzusammenhang mit Nr. II Abs. 3 Satz 1 und Abs. 1 des Vergleichs, woraus sich eindeutig ergibt, dass es sich um die Mitwirkung an der notariellen Bestellung einer Grunddienstbarkeit für das Kanalleitungsrecht handelt. Dass sich auch die Vollstreckungsschuldnerin darüber nicht im Unklaren war, zeigt der Inhalt ihres Schreibens an den vom Vollstreckungsgläubiger beauftragten Notar vom 23. August 2012 (S. 10 der Akte des Erstgerichts). Dort hat sie nach Erhalt eines Entwurfs für die Dienstbarkeitsbestellung erwidert, dass die Voraussetzungen dafür nicht vorlägen, ohne infrage zu stellen, dass sie mit dem Vergleich eine darauf gerichtete Verpflichtung eingegangen ist.
Auch aus dem Vorbringen, das Erstgericht habe zu Unrecht unterstellt, die Lage des Kanals könne dem beigefügten Lageplan entnommen werden (S. 5 des Beschlusses des Erstgerichts), ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine mangelnde Bestimmtheit des Vollstreckungstitels. Die Vollstreckungsschuldnerin verkennt, dass das Erstgericht dort auf den Lageplan des Vergleichs (S. 7 der Akte des Erstgerichts) abgestellt hat und nicht auf den Lageplan, der ihr mit dem Entwurf der notariellen Dienstbarkeitsbestellung übersandt wurde (S. 24 der Akte des Erstgerichts). Ihr Einwand, es habe übersehen, dass der übersandte Entwurf keinen „wahrheitsgetreuen Plan“, sondern einen selbstgezeichneten Plan des Straßenbauamts enthalten habe, geht deshalb ins Leere. Im Übrigen stellt die Beschwerdegründung nicht in Frage, dass sich dem Lageplan des Vergleichs die ungefähre Lage der Leitung entnehmen lässt.
2. Soweit sich die Vollstreckungsschuldnerin auf die mangelnde Bestimmtheit der Nr. I des Beschlusses des Erstgerichts – insbesondere betreffend die geforderte „Mitwirkung an den erforderlichen Rechtsgeschäften“ – beruft, gelten die Ausführungen zur Bestimmtheit des Vollstreckungstitels entsprechend.
3. Der nicht näher begründete Einwand, Nr. I des Beschlusstenors des Erstgerichts gehe weit über den zuletzt gestellten Antrag des Vollstreckungsgläubigers hinaus, verhilft der Beschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg. Nach § 88 VwGO darf das Gericht nicht über das Klagebegehren hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden; es hat vielmehr das tatsächliche Rechtsschutzbegehren zu ermitteln (BVerfG, B.v. 29.10.2015 – 2 BvR 1493/11 – NVwZ 2016, 238 = juris Rn. 37; BVerwG, U.v. 1.9.2016 – 4 C 4.15 – BVerwGE 156, 94 = juris Rn. 9; vgl. auch Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 88 Rn. 6 ff.). Es ist weder dargelegt noch sonst erkennbar, inwieweit das Verwaltungsgericht über das Rechtsschutzbegehren des Vollstreckungsgläubigers, die Verpflichtung der Vollstreckungsschuldnerin zur Einräumung der Grunddienstbarkeit zu vollstrecken, hinausgegangen sein sollte.
4. Das Vorbringen, der Vollstreckungsgläubiger habe mit dem in seinem Auftrag erstellten Entwurf einer notariellen Dienstbarkeitsbestellung weitaus mehr verlangt, als die Vollstreckungsschuldnerin aus dem Vergleich schulde, greift nicht durch. Die Vollstreckungsschuldnerin beruft sich darauf, dass der Lageplan, der dem Entwurf der Dienstbarkeitsbestellung beigefügt wurde (S. 24 der Akte des Erstgerichts), die Strecke vom Einlaufschacht an der Staatsstraße … zum Schacht auf ihrem Grundstück mit einer Länge von 13,45 m angibt, während der Lageplan des Vergleichs (S. 7 der Akte des Erstgerichts) hierfür nur 12 m ausweist. Dabei übersieht sie, dass mit der Zwangsgeldandrohung nicht der Abschluss des mit Schreiben vom 27. Oktober 2014 übersandten notariellen Vertragsentwurfs (S. 22 ff. der Akte des Erstgerichts) vollstreckt werden soll, sondern nur ihre Mitwirkung an der Bestellung der vereinbarten Grunddienstbarkeit gemäß Nr. II des Vergleichs, die sie bislang verweigert. Abgesehen davon entsprach es dem erklärten Willen der Beteiligten, dass der Lageplan des Vergleichs die Lage der Leitungen nur „ungefähr“ wiedergibt (vgl. Nr. II Abs. 2 Satz 1 des Vergleichs), sodass sich die hier in Rede stehende Präzisierung der Länge einer Teilstrecke um 1,45 m als unerheblich erweist. Im Übrigen hatten die Beteiligten bei Abschluss des Vergleichs die eventuelle Notwendigkeit einer späteren Vermessung gesehen (vgl. Nr. II Abs. 4 Satz 2 des Vergleichs).
5. Schließlich führt auch der Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren, auf den die Vollstreckungsschuldnerin Bezug nimmt, nicht zum Erfolg der Beschwerde. Das Erstgericht hat zu Recht angenommen, dass der Vollstreckungsgläubiger seinen Verpflichtungen aus Nr. III des Vergleichs nachgekommen ist. Insbesondere findet sich für die Argumentation, die Verpflichtung zur Befestigung erstrecke sich nicht nur auf den Kontrollschacht, sondern auf den gesamten Platz, im Wortlaut des Vergleichs keine Stütze. Zu einer Reihe weiterer Einwände der Vollstreckungsschuldnerin (Bauschäden bei der Erneuerung der Staats Straße, Verlegung eines abgesenkten Hochbordes, Entfernung einer Straßenlaterne) hat das Verwaltungsgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass diese nicht Gegenstand des zu vollstreckenden Vergleichs sind.
6. Der Beschluss des Erstgerichts erweist sich auch nicht deshalb als rechtsfehlerhaft, weil die Vollstreckung nicht durch Zwangsgeldandrohung (§ 169 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 11 VwVG), sondern durch Fiktion der Abgabe einer Willenserklärung gemäß § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 894 ZPO zu betreiben gewesen wäre. Zwar wird vertreten, dass auch bei einer Vollstreckung zugunsten der öffentlichen Hand § 169 VwGO i.V.m. § 894 ZPO entsprechend anzuwenden sei (Kraft in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 167 Rn. 2 und § 169 Rn. 7; dahin tendierend auch Heckmann in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 169 Rn. 70). Von der Rechtsprechung wurde diese Auffassung bislang – soweit ersichtlich – in Fällen der Erzwingung einer Einvernehmens- (BVerwG, U.v. 17.4.2002 – 9 A 24.01 – BVerwGE 116, 175 = juris Rn. 62) bzw. Zustimmungserklärung (BayVGH, B.v. 13.11.2008 – 4 ZB 08.949 – juris Rn. 3) übernommen. Die hier zugrundeliegende Situation ist damit aber nicht vergleichbar, weil den Beteiligten bei der Festlegung der Modalitäten der Dienstbarkeitsbestellung ein erheblicher Spielraum bleibt, der nicht mittels Fiktion der Abgabe einer Willenserklärung verkürzt werden kann (vgl. in diesem Sinn Pietzner/Möller in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Oktober 2016, § 169 Rn. 98).
7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Eine Streitwertfestsetzung ist entbehrlich, weil gemäß Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine Festgebühr anfällt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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