Verwaltungsrecht

Einreise über einen sicheren Drittstaat – Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft

Aktenzeichen  Au 5 K 17.35336

Datum:
15.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 2955
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
RL 2011/95/EU Art. 9 Abs. 1
AufenthG § 11 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 11, § 711
AsylG § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3a, § 25 Abs. 1, Abs. 2, § 28 Abs. 1a, § 83b

 

Leitsatz

Im Iran sind nicht nur zum Christentum konvertierte ehemalige Muslime gefährdet, die nach außen erkennbar eine missionarische Tätigkeit entfalten oder eine herausgehobene Rolle einnehmen (vgl. OVG NRW BeckRS 2013, 45497). Darüber hinaus müssen Angehörige christlicher Religionsgemeinschaften mit Verfolgung insbesondere auch durch Dritte rechnen, wenn Gottesdienste im privaten Bereich bekannt werden (vgl. BayVGH BeckRS 2007, 28279). (Rn. 30 – 40) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamtes für … vom 27. Oktober 2017 wird in Nrn. 1, 3, 4, 5 und 6 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Verfahrens tragen der Kläger 1/5, die Beklagte 4/5. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung gegen Leistung einer Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Der Einzelrichter konnte über die Klage des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 15. Februar 2018 entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten ausweislich der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die zulässige Klage ist überwiegend begründet. Der Kläger besitzt einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG. Soweit der Kläger darüber hinaus mit seiner Klage die Anerkennung als Asylberechtigter im Sinne von Art. 16a Grundgesetz (GG) begehrt, bleibt die Klage in der Sache ohne Erfolg und war daher im Übrigen abzuweisen.
1. Rechtsgrundlage für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylG. Danach ist ein Ausländer Flüchtling i.S.d. Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), wenn er sich aus begründeter Furcht wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Der Anwendungsbereich der Bestimmungen über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (vormals nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Aufenthaltsgesetz – AufenthG, nunmehr nach § 3 Abs. 1 AsylG) ist weitgehend deckungsgleich mit dem des Asylgrundrechts, für dessen Auslegung sich das Bundesverfassungsgericht schon bisher an der Genfer Flüchtlingskonvention orientiert hat (vgl. BVerwG, B.v. 10.7.1989 – 2 BvR 502/86 u.a. – BVerwGE 80, 315).
Teilweise geht der Internationale Flüchtlingsschutz im Ergebnis der Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU über den Schutz des Asylgrundrechts hinaus. So begründen nach Maßgabe des § 28 Abs. 1a AsylG auch selbstgeschaffene Nachfluchtgründe sowie gemäß § 3c Nr. 3 AsylG eine Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure, etwa in Bürgerkriegssituationen, in denen es an staatlichen Strukturen fehlt, ein Abschiebungsverbot. Ferner stellt § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG klar, dass eine Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe auch dann vorliegen kann, wenn Anknüpfungspunkt allein das Geschlecht ist. Schließlich umfasst gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG der Schutz vor Verfolgung wegen der Religion im Ergebnis der Umsetzung von Art. 10 Abs. 1b der Richtlinie 2011/95/EU auch die Religionsausübung im öffentlichen Bereich sowie sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen, die sich auf eine religiöse Betätigung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.
Nach § 3c AsylG kann die Verfolgung ausgehen vom Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen oder nicht staatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Hinsichtlich des Prognosemaßstabs ist bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft und der Voraussetzungen des subsidiären Schutzes der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen. Der herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab der hinreichenden Sicherheit hat bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung und des subsidiären Schutzes keine Bedeutung mehr (vgl. BVerwG, U.v. 1.3.2012 – 10 C 7/11 – juris). An dessen Stelle gilt nunmehr nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Hierdurch wird den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beigemessen (vgl. EuGH, U.v. 2.3.2010 – Rs. V 175/08 u.a., Abdulla). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür vorzulegen, dass sich verfolgungsbegründende bzw. schadensstiftende Umständen bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden.
Dessen ungeachtet ist es Sache des Ausländers, die Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung schlüssig vorzutragen, § 25 Abs. 1 und 2 AsylG, Art. 4 Abs. 3 Richtlinie 2011/95/EU. Der Ausländer hat dazu unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich schlüssigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung politische Verfolgung droht. Hierzu gehört u.a., dass der Ausländer zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung abgibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen.
Beruft sich der Ausländer indes zur Begründung seiner Verfolgungsfurcht auch auf Vorgänge und Geschehensabläufe nach dem Verlassen seines Herkunftsstaates, so gilt die das Maß der Darlegungsanforderungen bestimmende Beweiserleichterung nicht, weil nicht mehr davon auszugehen ist, dass die für Vorgänge in dem „Verfolgerstaat“ bestehenden Beweisschwierigkeiten außerhalb des Herkunftsstaates fortbestehen. Der Flüchtling hat vielmehr die Umstände, aus denen er seine begründete Furcht vor Verfolgung i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ableitet, zu beweisen. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn die Nachfluchtgründe in einem Verhalten des Ausländers bestehen, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung und Ausrichtung ist, § 28 Abs. 1a AsylG. Durch die Verwendung des Wortes „insbesondere“ in § 28 Abs. 1a AsylG ist es jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass auch Nachfluchttatbestände ohne eine entsprechende Vorprägung im Heimatland beachtlich sein können.
Dies zugrunde legend hat der Kläger einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG.
Das Gericht ist auf der Grundlage der vorgelegten Unterlagen, der persönlichen Einvernahme des Pfarrers … und des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass sich der Kläger jedenfalls nach seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland aus innerer Überzeugung dem christlichen Glauben zugewandt hat, ihn aus innerer Überzeugung praktiziert und ihm aus diesem Grund eine Rückkehr in den Iran nicht zuzumuten ist.
Wird im Herkunftsland eines Asylbewerbers auf dessen Entschließungsfreiheit, seine Religion in einer bestimmten Weise zu praktizieren, durch die Bedrohung mit Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit eingewirkt, ist dies als Eingriff in die Religionsfreiheit zu prüfen (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 21). Eine Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a) der Richtlinie 2011/95/EU kann unter Berücksichtigung an das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 5. September 2012, Rs. C 7 1/11 und C-99/11, nicht nur in der schwerwiegenden Verletzung der Freiheit liegen, seine Religion im privaten Rahmen zu praktizieren (Forum Internum), sondern auch in der Freiheit, den Glauben öffentlich zu leben (Forum Externum) (BVerwG – a.a.O. Rn. 24). Schon das Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung kann eine beachtliche Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU darstellen, und zwar unabhängig davon, ob sich der davon betroffene Glaubensangehörige tatsächlich religiös betätigen wird oder auf die Ausübung aus Furcht vor Verfolgung verzichtet (BVerwG – a.a.O. Rn. 26). Ein solches Verbot hat aber nur dann die für eine Verfolgungshandlung erforderliche objektive Schwere, wenn dem Ausländer durch die Ausübung seiner Religion mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (BVerwG – a.a.O. Rn. 28). Das Verbot weist nur dann die darüber hinaus erforderliche subjektive Schwere auf, wenn die Befolgung der verbotenen religiösen Praxis für den Einzelnen zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist (BVerwG – a.a.O. Rn. 29).
Das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit ist im Iran deutlich eingeschränkt. Der Abfall vom Islam (Apostasie) kann nach der bestehenden Rechtslage mit der Todesstrafe geahndet werden (vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, Gz.: 508-516.80/3 IRN vom 8. Dezember 2016 – Stand Oktober 2016 – S. 4). Im Iran sind nicht nur zum Christentum konvertierte ehemalige Muslime gefährdet, die nach außen erkennbar eine missionarische Tätigkeit entfalten oder eine herausgehobene Rolle einnehmen. Eine Verfolgungsgefahr besteht gerade auch für die Angehörigen evangelikaler oder freikirchlicher Gruppierungen, die ihre Abkehr vom Islam dadurch nach außen sichtbar werden lassen, dass sie in Ausübung ihres Glaubens an öffentlichen Riten wie etwa Gottesdiensten teilnehmen wollen (vgl. U.v. OVG NRW vom 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A – juris Rn. 49; BayVGH, U.v. 23.10.2007 – 14 B 06.30315 – juris Rn. 21). Darüber hinaus müssen Angehörige christlicher Religionsgemeinschaften mit Verfolgung insbesondere auch durch Dritte rechnen, wenn Gottesdienste im privaten Bereich bekannt werden (vgl. BayVGH – a.a.O. Rn. 21). Gerade zum Christentum konvertierte Muslime können dabei staatlichen Repressionen ausgesetzt sein (vgl. BayVGH – a.a.O. Rn. 21). Für solche Konvertiten ist danach im Iran eine religiöse Betätigung selbst im privaten, häuslichen oder nachbarschaftlichen Bereich nicht mehr gefahrlos möglich, so dass auch für einfache Mitglieder der Kirchengemeinde, die keine herausgehobene Rolle einnehmen oder eine missionarische Tätigkeit entfalten, von einer konkreten Verfolgungsgefahr auszugehen ist. Gerade muslimische Konvertiten, die einer evangelikalen oder freikirchlichen Gruppierung angehören, sind jedenfalls dann einer konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit ausgesetzt, wenn sie sich im Iran zu ihrem christlichen Glauben bekennen und Kontakt zu einer solchen Gruppierung aufnehmen (vgl. Hess. VGH, U.v. 18.11.2009 – 6 A 2105/08.A – juris Rn. 42 und 43). Dem steht auch nicht entgegen, dass nach der Einschätzung des Auswärtigen Amtes die Verfolgung von Konvertiten im Iran nicht strikt systematisch erfolgt, sondern stichprobenartig, wenn z.B. von der Bevölkerung hauskirchliche Tätigkeiten oder private Versammlungen von Nachbarn gemeldet werden (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes, S. 15).
Dafür, dass der Kläger bis zum Verlassen seines Heimatlandes bereits mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von Verfolgungshandlungen i.S.v. § 3a AsylG bedroht war und deshalb aus begründeter Furcht vor Verfolgung den Iran verlassen hat, sieht das Gericht keine ausreichenden und belastbaren Anhaltspunkte.
Der Kläger hat jedoch hinreichend bewiesen und es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass er zum Christentum konvertiert ist und die Betätigung seines Glaubens Teil seiner religiösen Identität ist. Das Gericht kommt zu diesem Ergebnis aufgrund der schriftlichen Stellungnahme des den Kläger betreuenden Pfarrers, Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde … vom 25. Januar 2018 sowie den persönlichen Aussagen des Pfarrers … in der mündlichen Verhandlung vom 15. Februar 2018. Danach verhält es sich so, dass der Kläger trotz gewisser sprachlicher Barrieren Gottesdienste wie Bibelkreise regelmäßig besucht. Weiter spricht für eine ernsthafte Zuwendung des Klägers zum Christentum dessen bereits in Griechenland erfolgte Taufe, die bildlich dokumentiert ist. Der Kläger hat bereits im frühestmöglichen Zeitpunkt, als er seinen Glauben öffentlich bekennen konnte, das Taufsakrament empfangen.
Der in der mündlichen Verhandlung informatorisch angehörte Pfarrer … hat dem Gericht glaubhaft geschildert, dass sich der Kläger engagiert und interessiert mit christlichen Inhalten auseinandersetzt. Die christliche Lehre sei beim Kläger auf fruchtbaren Boden gefallen. Weiter hat Herr … sich dahingehend eingelassen, dass er überzeugt davon sei, dass der Kläger im Christentum seine „richtige“ Konfession gefunden habe und dies auch kundtue.
Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung den Eindruck vom Kläger gewonnen, dass dieser die christliche Lehre für sich als wegweisend empfindet. Er habe für sich seine Entscheidung zugunsten des christlichen Glaubens getroffen. Verstärkt wird dieser Eindruck noch dadurch, dass der Kläger dem Gericht glaubwürdig geschildert hat, aus welchen Gründen er sich vom Islam abgekehrt hat. Die vom Kläger geschilderten Umstände anlässlich seines Schulbesuchs im Iran macht den vom Kläger vorgetragenen Glaubenswechsel nachvollziehbar, so dass das Gericht an der Ernsthaftigkeit der Konversion keinen Zweifel hat. Der Kläger verfügt darüber hinaus über eine zweisprachige (persisch-deutsch) Ausgabe der Bibel, mit der er sich nach eigenen Angaben intensiv beschäftigt. Das Gericht hat bei der Einvernahme des Klägers und des angehörten Pfarrers … den Eindruck gewonnen, dass der Kläger christliche Lebensinhalte im Alltag praktiziert und für sein Leben als bestimmend betrachtet und seine Abkehr vom Islam nicht lediglich aus asyltaktischen Erwägungen erfolgt ist. Aufgrund der glaubwürdig geschilderten Erfahrungen des Klägers mit der islamischen Religion erscheint dessen Glaubenswandel für das Gericht schlüssig und nachvollziehbar.
Das Gericht hat unabhängig von den durch den Staat zu respektierenden Kirchenmitgliedschaftsregelungen Feststellungen zur religiösen Identität des Flüchtlings zu treffen, um die Wahrscheinlichkeit der Verfolgung des Klägers im Iran zu beurteilen, d.h. insbesondere, welche Art der religiösen Betätigung der Kläger für sich als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – InfAuslR 2013, 339 ff.).
Nach dem Ergebnis des Verfahrens steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger aus ernsthafter, fester innerer Überzeugung zum christlichen Glauben übergetreten ist und für ihn dessen Ausübung eine unverzichtbare Bedeutung zukommt. Er hat sich in der mündlichen Verhandlung ausführlich zu der Art seiner Glaubensbetätigung geäußert. Demnach nimmt er regelmäßig an Gottesdiensten und Bibelkreisen teil. Hinzu kommt, dass dem Kläger die wichtigsten kirchlichen Feiertage und deren Inhalte durchaus bekannt waren. Der Kläger konnte hier detailgenau Auskunft geben. Dies auch bezüglich der Dauer der Fastenzeit und den weiteren christlichen Ereignissen im Kirchenjahr. Daneben nimmt er regelmäßig an Gottesdiensten und Bibelkreisen teil. Gesamtbetrachtet ist der Kläger in die christliche Gemeinschaft nach Auffassung des Gerichts fest eingebunden und betrachtet den christlichen Glauben als Leitschnur seines Lebens. Überzeugend hat der Kläger darüber hinausgehend über die Unterschiede zwischen dem von ihm schon bisher abgelehnten Islam und den Vorzügen des christlichen Glaubens berichtet.
Damit gehört zur Überzeugung des Gerichtes eine christlich-religiöse Betätigung zur Identität des Klägers. Letztere ist ihm im Iran indes nicht möglich, wobei es ihm nicht zuzumuten ist, hiervon nach einer Rückkehr in den Iran Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden.
Im Iran sind nicht nur zum Christentum konvertierte ehemalige Muslime gefährdet, die nach außen erkennbar eine missionarische Tätigkeit entfalten oder eine herausgehobene Rolle einnehmen. Eine Verfolgungsgefahr besteht auch für die Angehörigen einer evangelikalen oder freikirchlichen Gruppierung, die ihre Abkehr vom Islam dadurch nach außen sichtbar werden lassen, dass sie in Ausübung ihres Glaubens an öffentlichen Riten wie etwa Gottesdiensten teilnehmen wollen (vgl. OVG NRW, U.v. 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A – juris; BayVGH, U.v. 23.10.2007 – 14 B 06.30315 – juris; SächsOVG, U.v. 3.4.2008 – A 2 B 36/06 – juris).
Für derartige Konvertiten ist im Iran eine religiöse Betätigung jedoch selbst im häuslich-privaten oder nachbarschaftlich kommunikativen Bereich nicht mehr gefahrlos möglich, womit auch für „einfache“ Mitglieder von einer konkreten Verfolgungsgefahr ausgegangen werden muss. Apostasie ist im Iran unabhängig davon, dass sie mangels Inkrafttreten des geplanten Apostasiegesetzes keinen ausdrücklichen Straftatbestand erfüllt, verboten und mit langen Haftstrafen bis hin zur Todesstrafe bedroht. Konvertierte werden zumeist nicht wegen Apostasie, sondern aufgrund von „mohareeh“ (Waffenaufnahme gegen Gott), „mofsid-fil-arz/fisad-al-arz“ (Verdorbenheit auf Erden oder Handlungen gegen die nationale Sicherheit) bestraft. Häufig wird zum Christentum konvertierten Muslimen bei Androhung von Strafe nahegelegt, zum Islam zurückzukehren (vgl. HessVGH, U.v. 18.11.2009 – 6 A 2105/08.A – DÖV 2010, 238; VG Ansbach, U.v. 30.10.2013 – AN 1 K 13.30119 – juris).
Staatlich-repressive Maßnahmen drohen insoweit nicht nur Kirchenführern und in der Öffentlichkeit besonders aktiven Personen, sondern auch „einfachen“ Konvertiten und den Kirchengemeinden, denen sie angehören. Außerdem unterliegen evangelikale-freikirchliche Christen besonders häufig der Überwachung und Verfolgung durch iranische Sicherheitsbehörden (vgl. Auskunft von amnesty International v. 7.7.2008 an das VG Mainz; Lagebericht des Auswärtigen Amtes, S. 16).
Nach alledem war dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen und der angefochtene Bundesamtsbescheid insoweit in seinen Nrn. 1, 3, 4, 5 und 6 aufzuheben. Ob dem Kläger aus anderen Gründen Flüchtlingsschutz zu gewähren ist, bedurfte daher keiner Entscheidung. Über die hilfsweise gestellten Anträge zum subsidiären Abschiebungsschutz (§ 60 Abs. 5 und 7 AufenthG) war ebenfalls nicht mehr zu befinden (§ 31 Abs. 3 Satz 2 AsylG).
Neben der Aufhebung der entsprechenden Antragsablehnung im Bundesamtsbescheid waren auch die verfügte Abschiebungsandrohung, die Ausreisefristbestimmung, und das auf der Grundlage von § 11 Abs. 1 AufenthG erfolgte Einreise- und Aufenthaltsverbot rechtswidrig und antragsgemäß aufzuheben.
2. Soweit der Kläger mit seiner Klage darüber hinaus seine Anerkennung als Asylberechtigter im Sinne des Art. 16a GG begehrt hat, bleibt die Klage hingegen ohne Erfolg und war demzufolge abzuweisen. Da der Kläger nach seinem eigenen Vorbringen vom Iran zunächst auf dem Landweg nach Griechenland gelangt ist und erst im Anschlussseine Weiterreise nach Deutschland auf dem Luftwege stattgefunden hat, ist eine Asylanerkennung auf der Grundlage des Art. 16a GG für ihn ausgeschlossen, da seine Einreise zumindest teilweise über einen sicheren Drittstaat im Sinne des § 29a AsylG erfolgt ist.
Im Übrigen handelt es sich bei der begehrten Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG und der Gewährung von Flüchtlingsschutz nach § 3 ff. AsylG um wesensverwandte Rechtsinstitute, die der Gesetzgeber durch die verschiedenen asylrechtlichen Novellierungen seit 2004 bis zuletzt 2016 angeglichen hat (vgl. BVerwG, U.v. 31.3.2011 – 1 C 2.10 – juris Rn. 53; U.v. 7.7.2011 – 10 C 26.10 – juris Rn. 30 ff.). Diese Entwicklung hat insbesondere dazu geführt, dass sowohl in verfahrensrechtlicher als auch materiell-rechtlicher Hinsicht beide Rechtsinstitute gleichlaufen. Auch wenn das deutsche Asylrecht weiterhin zwischen verfassungs- und dem unionsrechtlich geregelten Flüchtlingsschutz unterscheidet, so sind beide Anträge verfahrensmäßig zusammengefasst, so umfasst ein Asylantrag grundsätzlich beide Gegenstände (§ 13 AsylG) und das Bundesamt entscheidet in einem Bescheid über beide Ansprüche (§ 31 AsylG). Auch im gerichtlichen Verfahren werden beide Anträge zusammen geltend gemacht. Der europarechtlich geprägte Flüchtlingsschutz bewirkt materielle Wirkungen auf das Asylrecht (BVerwG, U.v. 7.7.2011 – 10 C 26.10 – juris Rn. 30 ff.). Die aufenthaltsrechtlichen Folgen der Anerkennung als Asylberechtigter und der Gewährung von Flüchtlingsschutz sind gleichgestellt. Da dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, kann er durch die von ihm begehrte Anerkennung als Asylberechtigter keine weitergehenden rechtlichen Vorteile bzw. eine Verbesserung seiner Rechtslage erreichen. Die Klage war daher in diesem Punkt kostenpflichtig abzuweisen.
3. Nach allem war der Bescheid des Bundesamtes vom 27. Oktober 2017 in den Nrn. 1, 3, 4, 5 und 6 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Im Übrigen war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die vom Gericht getroffene Kostenteilung entspricht dem jeweiligen Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).


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