Verwaltungsrecht

einrichtungsbezogene Impfpflicht, vorbeugender Rechtsschutz unzulässig, fehlendes qualifiziertes Rechtsschutzinteresse

Aktenzeichen  M 26b E 22.432

Datum:
9.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 2305
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
IfSG § 20a

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin arbeitet als Krankenschwester in einem Krankenhaus in A … auf der …station. Sie ist gegen SARS-CoV-2 ungeimpft und hat im Dezember 2020 eine Infektion mit dem Corona Virus (Delta-Variante) durchgemacht. Ein Antikörpertest am … Januar 2022 ergab das Vorliegen von Antikörpern gegen SARS-CoV-2 im mittleren Konzentrationsbereich.
Am 27. Januar 2022 ließ die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten beim Verwaltungsgericht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zunächst beantragen,
Es wird vorläufig – bis zur Entscheidung einer gleichzeitig erhobenen Feststellungsklage – festgestellt, dass § 20a Abs. 3 Satz 3 IfSG, welcher ab dem 15. März 2022 ein Tätigkeitsverbot für Personen vorsieht, die keinen Nachweis nach § 20 a Abs. 2 Satz 1 IfSG vorliegen können, nicht anwendbar ist.
Zur Begründung führte der Bevollmächtigte der Antragstellerin aus, nachdem die Infektion mit dem Corona-Virus länger als 90 Tage zurückliege, gelte die Antragstellerin nicht mehr als genesen und könne ohne eine Impfung ab Mitte März faktisch ihren Beruf nicht mehr ausüben. Das Tätigkeitsverbot für Ungeimpfte erweise sich als unverhältnismäßig und verletze die Berufsfreiheit, das allgemeinen Persönlichkeitsrecht sowie der körperlichen Unversehrtheit. Die derzeit verwendeten Impfstoffe seien gegen die Omikron-Variante nicht hinreichend wirksam, weil sie für Vorgänger-Varianten des Corona-Virus entwickelt worden seien. Die derzeit vorherrschsende Omikron-Variante führe zu milderen Krankheitsverläufen sowie zu einem Rückgang der Sterbezahlen und der intensivpflichtigen Patienten. Die 3G-Regel am Arbeitsplatz reiche als milderes Mittel aus, um den Gesundheitsschutz zu gewährleisten. Der Antrag sei gegen den Freistaat Bayern gerichtet als Rechtsträger des Gesundheitsamtes D. (… … …). Es bestehe ein Anordnungsgrund, der eine vorläufige Entscheidung geboten sei, um erhebliche Nachteile abzuwenden. Die Antragstellerin müsse Rechtssicherheit haben, um rechtzeitig Entscheidungen treffen und sich gegebenenfalls einen anderen Arbeitsplatz suchen zu können.
Der Antragsgegner nahm mit Schriftsätzen vom 28. und 31. Januar 2022 zum Antrag Stellung. Er beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Es handle sich um eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache. Dem Landratsamt D. sei das Begehren der Antragstellerin bisher gänzlich unbekannt. Es sei gegen die Antragstellerin weder eine Anordnung ergangen noch sei eine solche in Planung. Eine Einzelfallanordnung könne auch erst nach Mitteilung des Sachverhalts durch die Einrichtung, bei der die Antragstellerin beschäftigt sei, stattfinden und erfordere eine genaue Sachverhaltsaufklärung sowie eine Abwägung aller für die Entscheidung erheblichen Gründe. Im Übrigen sei nicht das Landratsamt D., sondern das Gesundheitsamt am Ort der Einrichtung für die Einzelfallentscheidung über ein eventuelles Tätigkeitsverbot zuständig.
Nach richterlichem Hinweis vom 1. Februar 2022, dass § 20a Abs. 3 IfSG auf bestehende Beschäftigungsverhältnisse wie das der Antragstellerein nicht anwendbar sei, stellte der Bevollmächtigte der Antragstellerin den Antrag wie folgt um:
Es wird vorläufig – bis zur Entscheidung einer gleichzeitig erhobenen Feststellungsklage – festgestellt, dass § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG, welcher dem Gesundheitsamt ab dem 15.3.2022 die Möglichkeit gibt, ein Tätigkeitsverbot für Personen auszusprechen, für den Fall, dass diese keinen Nachweis nach § 20a Abs. 1 Satz 1 IfSG vorliegen, nicht anwendbar ist.
Zur Begründung wurde ergänzend ausgeführt, es sei richtig, dass für bestehende Beschäftigungsverhältnisse § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG anwendbar sei, wonach das Gesundheitsamt ein Tätigkeitsverbot aussprechen könne. Die Antragstellerin begehre mit der Feststellungsklage, dass eine Ermessensreduzierung auf null bestehe. Da Widerspruch und Anfechtungsklage gegen ein vom Gesundheitsamt erteiltes Tätigkeitsverbot keine aufschiebende Wirkung habe, bestehe schon jetzt ein Rechtsschutzbedürfnis. Ein solches Tätigkeitsverbot sei unverhältnismäßig.
Eine Hauptsacheklage wurde entgegen der Ankündigung nicht erhoben.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nach § 123 VwGO ist bereits unzulässig und bleibt daher ohne Erfolg.
Dem auf vorbeugenden Rechtsschutz gerichteten Antrag fehlt das für die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes erforderliche qualifizierte Rechtsschutzinteresse.
1.1. Ziel der Antragstellerin ist es, eine künftige Anordnung bereits jetzt vorbeugend zu verhindern. Hintergrund des Eilantrags ist die Befürchtung der Antragstellerin, als ungeimpfte Krankenschwester mit einem Tätigkeitsverbot auf Grundlage von § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG (Infektionsschutzgesetz) belegt zu werden. Nach dieser Vorschrift kann das Gesundheitsamt einer Person, die trotz entsprechender Aufforderung den nach § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG erforderlichen Nachweis nicht fristgerecht erbringt, das Betreten des Krankenhauses oder die Tätigkeit in demselben, in dem sie beschäftigt ist, untersagen. Es handelt sich um eine Entscheidung im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Der Antragsgegner hat unwidersprochen vorgetragen, gegen die Antragstellerin bisher kein Verwaltungsverfahren eingeleitet zu haben und dies auch nicht zu beabsichtigen, da das Landratsamt D. schon örtlich nicht zuständig sei.
1.2. Vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Gewaltenteilung und des im Ausgangspunkt reaktiv konzipierten Gebots eines effektiven Rechtsschutzes in Art. 19 Abs. 4 GG ist verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz grundsätzlich nicht vorbeugend ausgestaltet. Ein Abweichen von dieser Grundentscheidung kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn der nachträgliche Rechtsschutz mit unzumutbaren Nachteilen für den Betroffenen verbunden wäre. Danach ist für einen vorbeugenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO – ebenso wie für eine in der Hauptsache erhobene vorbeugende Feststellungsklage – ein qualifiziertes, gerade auf die Inanspruchnahme vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzinteresse notwendig. Dieses ist grundsätzlich zu verneinen, solange der Antragsteller in zumutbarer Weise auf den von der Verwaltungsgerichtsordnung im Regelfall als angemessen und ausreichend angesehenen nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden kann. Es ist in der Regel zumutbar, die Verwaltungsmaßnahme abzuwarten und anschließend Rechtsmittel hiergegen einzulegen sowie – falls erforderlich – um vorläufigen Rechtsschutz nach § 80, § 80a VwGO nachzusuchen. Ein qualifiziertes Rechtschutzbedürfnis ist hingegen zu bejahen, wenn ohne die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes die Gefahr bestünde, dass vollendete, nicht mehr rückgängig zu machende Tatsachen geschaffen würden oder wenn ein nicht mehr wiedergutzumachender Schaden entstünde (vgl. OVG NW, B.v. 25.8.2017 – 13 B 762/17 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 30.11.2010 – 9 CE 10.2468 – juris Rn. 20; B.v. 28.11.2019 – 10 CE 19.2234 – juris Rn. 5; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 123 Rn. 37; Schoch in Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand: Juli 2019, § 123 Rn. 45).
Diese Voraussetzungen liegen im vorliegenden Fall nicht vor. Es ist der Antragstellerin zuzumuten, ihre Einwände gegen eine Impfung im dafür vorgesehenen Verwaltungsverfahren vorzubringen. Nachdem sowohl die Frage, ob überhaupt gegen die Antragstellerin eine Anordnung erlassen wird, als auch die Frage, welchen Inhalt eine solche hätte, im Ermessen der zuständigen Behörde stehen, ist derzeit nicht absehbar, ob und inwieweit der Antragstellerin Nachteile drohen. Dies gilt umso mehr, als Medienberichten zufolge derzeit in Bayern diskutiert wird, den Vollzug der streitgegenständlichen Vorschrift auszusetzen. Im Übrigen hat das Landratsamt darauf hingewiesen, örtlich für das Beschäftigungsverhältnis der Antragstellerin schon gar nicht zuständig zu sein. Ein qualifiziertes Rechtsschutzinteresse ist daher nicht zu erkennen.
2. Der Antrag war mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Da das vorliegende Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung abzielt, erscheint eine Anhebung des Streitwerts auf die Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwert angemessen.


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