Verwaltungsrecht

Einstweilige Anordnung auf vorläufige Erteilung einer Ausbildungsduldung

Aktenzeichen  M 24 E 20.4770

Datum:
13.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 27778
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
AufenthG § 60b, § 60c Abs. 2 Nr. 3

 

Leitsatz

1. Solange die Identität des Ausländers objektiv nicht geklärt ist, scheidet ein Ausbildungsduldungsanspruch aus, unabhängig davon, ob der Ausländer (weiter) zu einer hinreichenden Klärung beitragen kann oder eine solche überhaupt möglich ist. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Taufurkunde ist zur Identitätsklärung allein nicht ausreichend. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf Euro 5.000,– festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die vorläufige Erteilung einer Ausbildungsduldung nebst der erforderlichen Beschäftigungserlaubnis für die konkrete Ausbildung.
Der 1985 geborene Antragsteller ist nach eigenen Angaben eritreischer Staatsangehöriger und reiste am … Juli 2015 in das Bundesgebiet ein. Ein erster Asylantrag des Antragstellers wurde mit bestandskräftigem Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 26. Mai 2017 vollumfänglich abgelehnt. Das Bundesamt ging hierbei davon aus, dass der Antragsteller jedenfalls auch die äthiopische Staatsangehörigkeit besitze. Der Antragsteller hatte im Asylverfahren angegeben, dass er in Eritrea geboren sei, sein Vater aus Eritrea und die Mutter aus Äthiopien stammten, die Eltern mit ihm im Alter von 5 Jahren nach Eritrea gezogen, nunmehr aber beide verstorben seien. In Eritrea habe er noch Verwandte väterlicherseits, kenne diese aber nicht und wisse nicht, wo sie lebten.
Ein am 5. September 2019 gestellter Asylfolgeantrag wurde mit Bescheid des Bundesamts vom 14. Oktober 2019 abgelehnt. Die hiergegen erhobene Klage ist noch anhängig (AZ: M 12 K 19.34055).
Seit 31. Juli 2017 ist der Antragsteller im Besitz einer Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG wegen fehlender Reisedokumente. Mit Schreiben vom 31. Juli 2017, 31. August 2017 und 24. November 2017 wurde der Antragsteller vom Landratsamt zur Passbeschaffung aufgefordert; weitere Aufforderungen erfolgten mündlich im Rahmen von Vorsprachen bei der Ausländerbehörde.
Mit Bescheid vom 7. November 2018 wurde der Antragsteller verpflichtet, an der Sammelanhörung der Regierung von Oberbayern am 21. November 2018 beim Bayerischen Landesamt für Asyl und Rückführungen vor Vertretern des Staates Eritrea teilzunehmen. Der Antragsteller legte in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang zu dem Termin ein ärztliches Attest vor, demzufolge er wegen Krankheit nicht an der Sammelanhörung teilnehmen könne.
Ein von der Ausländerbehörde initiiertes Strafverfahren wegen unerlaubten Aufenthalts ohne Pass wurde auf den Einspruch des Antragstellers gegen den ergangenen Strafbefehl hin gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellt.
Mit Schreiben vom 9. Dezember 2019 teilte das Landesamt für Asyl und Rückführungen mit, dass das PEP-Verfahren für Äthiopien erfolglos abgeschlossen wurde, weil der Antragsteller nicht als äthiopischer Staatsangehöriger habe identifiziert werden können.
Am 3. August 2020 beantragte der Antragsteller unter Vorlage eines Ausbildungsvertrags als Kaufmann im Einzelhandel bei …-Markt GmbH, … … …, … …, die Erteilung einer Ausbildungsduldung gemäß § 60c Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Mit Schreiben vom 18. September 2020 hörte ihn das Landratsamt zur beabsichtigten Ablehnung des Antrags an, da der Antragsteller bis zur Beantragung der Ausbildungsduldung nur unzureichende Maßnahmen zur Identitätsklärung unternommen habe.
Am 29. September 2020 ließ der Antragsteller Verpflichtungsklage erheben. Darüber hinaus beantragt er im gegenständlichen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes:
Der Antragsgegner wird verpflichtet, im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO anzuordnen, dass dem Antragsteller bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren eine Duldung mit dem Inhalt erteilt wird, dass ihm die beantragte Ausbildungserlaubnis bei der Firma …-Markt GmbH, … … …, … … als Kaufmann im Einzelhandel vorläufig erlaubt ist.
Zudem wird unter Beifügung einer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers beantragt,
Dem Antragsteller Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Bevollmächtigten zu bewilligen.
Zur Begründung wird ausgeführt, der Antragsteller habe sämtliche ihm obliegenden Mitwirkungspflichten zur Klärung seiner Identität erfüllt. Nachdem er sich zuvor erfolglos um einen Termin bemüht habe, habe er im September 2019 ohne Terminvereinbarung beim eritreischen Konsulat in … vorgesprochen, wo er jedoch nicht angehört worden sei. Bereits seit 2018 und ab 2019 in monatlichen Abständen habe er per E-Mail versucht, einen Termin beim eritreischen Generalkonsulat in … zu bekommen, und versuche dies auch weiterhin. Seit Juli 2019 habe er in monatlichen, teils auch kürzeren Abständen versucht, den ihm von der Ausländerbehörde genannten einzigen Vertrauensanwalt in Eritrea telefonisch, per Brief und per Fax zu kontaktieren, habe hierauf jedoch nie eine Antwort erhalten. In diesem Schreiben habe er die ihm als einziges Dokument vorliegende eritreische Taufbescheinigung erwähnt. Ausweislich der Internetseite der Botschaft Eritreas sei diese derzeit wegen der Corona-Pandemie geschlossen. Dem Antragsteller sei bewusst, dass er weiterhin aktiv zu sein habe bezüglich der Klärung seiner Identität.
Die Sache sei eilbedürftig, da der potentielle Arbeitgeber und Ausbildungsanbieter ausdrücklich erklärt habe, den Ausbildungsplatz nur mehr bis zum 15. Oktober 2020 freihalten zu können.
Das Landratsamt beantragte für den Antragsgegner,
den Antrag abzulehnen,
Legte jedoch auf entsprechende wiederholte Anforderung des Gerichts die Ausländerakte bis zur gerichtlichen Entscheidung nicht vor. Zur Begründung wurde ergänzend ausgeführt, dem Antragsteller sei neben der Nennung des eritreischen Vertrauensanwalts auch eine Liste mit äthiopischen Anwälten übersandt worden.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Asylakten des Bundesamts Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg. Mit der begehrten einstweiligen Anordnung würde eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache eintreten.
Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes treffen, wenn dies nötig erscheint, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden (sog. Regelungsanordnung). Nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO sind sowohl ein Anordnungsanspruch, d.h. der materielle Grund, für den der Antragsteller vorläufig Rechtsschutz sucht, als auch ein Anordnungsgrund, der insbesondere durch die Eilbedürftigkeit der Regelung begründet wird, glaubhaft zu machen.
Aber selbst bei Vorliegen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht die zwingende Folge. Stattdessen ist es dem Gericht regelmäßig verwehrt, mit seiner Entscheidung die Hauptsache vorwegzunehmen. Denn es würde dem Wesen und dem Zweck einer einstweiligen Anordnung widersprechen, wenn einem Antragsteller in vollem Umfang das gewährt würde, was er nur in einem Hauptsacheverfahren erreichen kann. Allerdings gilt im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Gebot eines effektiven Rechtsschutzes gem. Art. 19 Abs. 4 GG das grundsätzliche Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung dann nicht, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d.h. wenn die Ablehnung der begehrten Entscheidung für den Antragsteller mit unzumutbar schweren, anders nicht abwendbaren Nachteilen verbunden wäre und mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem Obsiegen in der Hauptsache auszugehen ist (vgl. u.a. Bostedt in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2016, § 123 VwGO Rn. 85).
Die vom Antragsteller begehrte einstweilige Anordnung stellt eine Vorwegnahme der Hauptsache dar. Im Kern möchte der Antragsteller sowohl in der Hauptsache, als auch im vorliegenden Eilverfahren erreichen, eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann bei einem konkret bezeichneten Betrieb absolvieren zu können. Wird dem Antragsteller nun wie beantragt erlaubt, die Lehre vorläufig beginnen zu dürfen, absolviert er bis zur Entscheidung in der Hauptsache bereits einen Teil der vorgeschriebenen Ausbildungsdauer und rückt bei Erfüllung der übrigen Anforderungen in das nächste bzw. übernächste Lehrjahr vor. Damit tritt insoweit eine endgültige Regelung ein.
Da nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem Obsiegen in der Hauptsache auszugehen ist, ist diese Vorwegnahme unzulässig. Der Antragsteller hat nach vorläufiger Prüfung keinen Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung und einer Beschäftigungserlaubnis.
Seit 1. Januar 2020 richtet sich die Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60c Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für das Bestehen eines Anspruchs ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, sodass auf die aktuelle Rechtslage abzustellen ist.
I. Der Erteilung einer Ausbildungsduldung steht ein Erteilungsverbot nach § 60c Abs. 2 AufenthG entgegen.
1. Allerdings steht der Erteilung einer Ausbildungsduldung nicht § 60c Abs. 2 Nr. 5 AufenthG entgegen, da zum Zeitpunkt der Antragstellung konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung, die in einem hinreichenden sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zur Aufenthaltsbeendigung stehen, nicht bevorstanden. Da das Passersatzpapierverfahren Äthiopien erfolglos abgeschlossen wurde, hat sich diese Maßnahme als Maßnahme der Aufenthaltsbeendigung erledigt. Der vereinbarte Termin zur Sammelanhörung vor Vertretern des Staates Eritrea stellt zwar eine vergleichbar konkrete Vorbereitungsmaßnahme für die Abschiebung i.S.d. § 60c Abs. 2 Nr. 5 Buchst. c AufenthG dar; da der Termin jedoch nicht wahrgenommen und ein nachfolgender Termin nicht vereinbart wurde, fehlt der erforderliche zeitliche Zusammenhang (BayVGH, B.v. 28.2.2020 – 10 C 20.32 – BeckRS 2020, 6730 Rn. 17).
2. Der Erteilung steht aber § 60c Abs. 2 Nr. 3 AufenthG entgegen.
Nach § 60c Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a AufenthG darf eine Ausbildungsduldung nicht erteilt werden, wenn die Identität eines Ausländers, der bis zum 31. Dezember 2016 eingereist ist, bis zur Beantragung der Ausbildungsduldung nicht geklärt ist. Dies ist hier der Fall, da der Antragsteller vor dem 31. Dezember 2016 eingereist ist und bis zur Beantragung der Ausbildungsduldung keine geeigneten Identitätspapiere vorgelegt hat, durch die die Identität regelmäßig nachgewiesen wird (Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 60c AufenthG Rn. 32). Die Klärung der Identität setzt die Gewissheit voraus, dass ein Ausländer die Person ist, für die er sich ausgibt, mithin Verwechslungsgefahr nicht besteht. Zwischen den Beteiligten ist insoweit unstreitig, dass die vorgelegte Taufurkunde zur Identitätsklärung allein nicht ausreichend ist. Weitere Dokumente hat der Antragsteller im gerichtlichen Verfahren nicht vorgelegt.
Nach der Gesetzeskonzeption spricht vieles dafür, dass § 60c Abs. 2 Nr.3 AufenthG einen Anspruch auf die Ausbildungsduldung ausschließt, wenn die Identität des Ausländers nicht geklärt ist. Solange die Identität objektiv nicht geklärt ist, scheidet ein Ausbildungsduldungsanspruch aus, unabhängig davon, ob der Ausländer (weiter) zu einer hinreichenden Klärung beitragen kann oder eine solche überhaupt möglich ist (BayVGH, B.v. 2.6.2020 – 10 CE 20.931 – juris Rn. 14; Röder/Wittmann in ZAR 2019, S. 412/421).
Die Frist des § 60c Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a) AufenthG gilt nach Halbs. 2 als gewahrt, wenn der Antragsteller alle erforderlichen und ihm zumutbaren Maßnahmen zur Identitätsklärung ergriffen hat, und die Identität erst nach dieser Frist geklärt werden kann, ohne dass der Ausländer dies zu vertreten hat. In diesem Fall entsteht der betroffenen Person ein gebundener Rechtsanspruch auf die Ausbildungsduldung, mit der Folge, dass der Versagungsgrund nicht eingreift. Bleibt die Identität wie im vorliegenden Fall – warum auch immer – dagegen ungeklärt, scheidet ein gebundener Anspruch auf die Ausbildungsduldung in jedem Fall aus. Hier entscheidet das bisherige Mitwirkungsverhalten nur noch über die Frage, ob von dem Versagungsgrund gem. § 60c Abs. 7 AufenthG im Ermessenswege abgesehen werden kann (BayVGH, B.v. 2.6.2020 – 10 CE 20.931 – Rn. 15; Röder in BeckOK Migrationsrecht, Stand 1.3.2020, AufenthG, § 60c Rn. 46 ff). Der Antragsteller hat daher nicht glaubhaft gemacht, dass ihm ein gebundener Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung zusteht.
3. Jedenfalls aber greift im vorliegenden Fall weder die Fiktion des § 60c Abs. 2 Nr. 3 2. HS AufenthG, noch sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 60c Abs. 7 AufenthG erfüllt. Der Antragsteller hat daher auch keinen Anordnungsanspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung im Wege einer Ermessensreduzierung auf null glaubhaft gemacht.
Nach § 60c Abs. 2 Nr. 3 2. HS AufenthG gilt die Frist (zur Identitätsklärung) als gewahrt, wenn der Ausländer alle erforderlichen und ihm zumutbaren Maßnahmen für die Identitätsklärung ergriffen hat und so zwar die Identität erst nach dieser Frist geklärt werden kann, der Ausländer dies aber nicht zu vertreten hat. Nach § 60c Abs. 7 AufenthG kann eine Duldung nach Absatz 1 Satz 1 unbeachtlich des Absatzes 2 Nr. 3 erteilt werden, wenn der Ausländer die erforderlichen und ihm zumutbaren Maßnahmen für die Identitätsklärung ergriffen hat.
Ein vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer ist im Rahmen der ihm obliegenden Mitwirkungspflichten gefordert, bezüglich seiner Identität und Staatsangehörigkeit zutreffende Angaben zu machen, an allen zumutbaren Handlungen mitzuwirken, die die Behörden von ihm verlangen, und darüber hinaus eigeninitiativ ihm mögliche und bekannte Schritte in die Wege zu leiten, die geeignet sind, seine Identität und Staatsangehörigkeit zu klären und die Passlosigkeit zu beseitigen (zu § 25 Abs. 5 AufenthG vgl. OVG MV, U.v. 24.6.2014 – 2 L 192/10 – juris). Wie sich aus § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ergibt, hat der Ausländer bei der Beschaffung von Identitätspapieren mitzuwirken. Die Mitwirkung muss sich neben dem Bemühen um einen Pass oder Passersatz auch auf die Beschaffung sonstiger Urkunden und Dokumente unabhängig vom Aussteller richten, sofern sie zu dem Zweck geeignet sind, die Ausländerbehörden bei der Umsetzung einer Rückführungsmöglichkeit zu unterstützen. Andererseits ist die zuständige Ausländerbehörde dabei auch gehalten, in Erfüllung ihr selbst obliegender behördlicher Mitwirkungspflichten konkret zu bezeichnen, was genau in welchem Umfang vom Ausländer erwartet wird, wenn sich ein bestimmtes Verhalten nicht bereits aufdrängen muss. Die Behörde ist regelmäßig angesichts ihrer organisatorischen Überlegenheit und Sachnähe besser in der Lage, die bestehenden Möglichkeiten zu erkennen und die erforderlichen Schritte in die Wege zu leiten (VGH BW, U. v. 3.12.2008 – 13 S 2483/07 – juris m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss die Ausländerbehörde gesetzliche Mitwirkungspflichten beispielsweise zur Beschaffung von Identitätspapieren konkret gegenüber dem Betroffenen aktualisiert haben, um aus der mangelnden Mitwirkung negative aufenthaltsrechtliche Folgen ziehen zu können (vgl. für § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG BVerwG, U.v. 26.10.2010 – 1 C 18.09 – juris Rn. 17; BayVGH, B. v. 22.1.2018 – 19 CE 18.51 – juris Rn. 25; B.v. 9.5.2018 – 10 CE 18.738 – juris Rn. 6). Vom Betroffenen kann dabei verlangt werden, es nicht bei der Einreichung der erforderlichen Unterlagen und bei der Vorsprache bei der Auslandsvertretung seines Heimatstaates zu belassen (vgl. SächsOVG, B.v. 9.7.2014 – 2 L 169/12 – Rn. 7 zu § 33 BeschV; Funke-Kaiser, GK-AufenthG, Stand April 2019, § 60a Rn. 83 m.w.N.) oder bei den Auslandsvertretungen um Übermittlung von Formularen zu bitten.
a) Das Gericht geht mit dem Bundesamt davon aus, dass der Antragsteller jedenfalls (auch) die äthiopische Staatsangehörigkeit besitzt. Diesbezüglich wird auf die überzeugenden Ausführungen im Bescheid des Bundesamts vom 26. Mai 2017 Bezug genommen (vgl. zu einem im Wesentlichen vergleichbaren Fall auch VG München, U.v. 6.7.2020 – M 12 K 17.39805). Den Verlust der äthiopischen Staatsangehörigkeit hat der Antragsteller auch im vorliegenden Verfahren nicht glaubhaft gemacht. Aber auch unabhängig davon, ob der Kläger (auch) die äthiopische Staatsangehörigkeit besitzt, weil ein Verlust derselben nicht ersichtlich ist, durfte es der Antragstellerinsbesondere nach den erfolglosen Kontaktversuchen des eritreischen Vertrauensanwalts – in Anwendung der dargelegten Grundsätze hinsichtlich Äthiopiens nicht bei der Stellung des PEP-Antrags belassen. Der Antragsteller kann sich nicht darauf berufen, den konkret von der Ausländerbehörde geforderten Mitwirkungspflichten nachgekommen zu sein, sondern muss darüber hinaus selbständig tätig werden. Den Ausländer trifft hier nicht nur die von der Behörde eingeforderte Mitwirkungspflicht, sondern auch eine sog. Initiativpflicht dahingehend, eigenständig die Initiative zu ergreifen und die erforderlichen Schritte in die Wege zu leiten, um die Identität zu klären und das Ausreisehindernis zu beseitigen (vgl. BayVGH B.v. 27.7.2010 – 10 ZB 10.276 – juris Rn. 12; Hörich/Hruschka in Kluth/Heusch BeckOK, Ausländerrecht, 24. Auflage, Stand: 1.5.2019, § 48 AufenthG Rn. 36). Vorliegend hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, alle erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen getroffen zu haben, um seine Identität unter Zuhilfenahme dritter Personen in Äthiopien oder äthiopischer Behörden auf anderem Wege zu klären und damit das Ausreisehindernis zu beseitigen. Denn zu beachten ist, dass die Identität eines Ausländers nicht nur durch einen Pass nachgewiesen werden kann. Nach der Gesetzesbegründung zum Gesetz über Duldung bei Ausbildung kann die Identität in Fällen, in denen kein Pass oder anderes Identitätsdokument mit Lichtbild vorliegt, auch durch andere geeignete Mittel nachgewiesen werden. So sind danach auch andere amtliche Dokumente aus dem Herkunftsstaat, die biometrische Merkmale und Angaben zur Person enthalten, geeignet, die die Möglichkeit der Identifizierung bieten, wie beispielsweise ein Führerschein, Dienstausweis oder eine Personenstandsurkunde mit Lichtbild. Können diese nicht beschafft werden, so können auch geeignete amtliche Dokumente aus dem Herkunftsstaat ohne biometrische Merkmale zum Nachweis in Betracht kommen, wie etwa eine Geburtsurkunde, Heiratsurkunde, Meldebescheinigung, Schulzeugnisse oder Schulbescheinigungen, wenn sie geeignet sind, auf ihrer Basis Pass- oder Passersatzpapiere zu beschaffen (BT-Drs. 19/8286, S. 15). Der Antragsteller, der fast 25 Jahre seines Lebens in Äthiopien verbracht hat, hat im gerichtlichen Verfahren keine Dokumente aus Äthiopien vorgelegt, die zur Klärung seiner Identität geeignet sind. Auch hat er weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht, dass er versucht hätte, mithilfe seiner noch in Äthiopien lebenden Verwandten, von Nachbarn, seiner ehemaligen Schule, oder Behörden wie beispielsweise der Stadtverwaltung an identitätsklärende Dokumente wie Schulzeugnisse, Führerschein, Geburtsurkunde und Ausweisdokumente seiner verstorbenen Mutter, Arbeitsnachweise seines Vaters, etc. zu gelangen. Derartige Kontaktaufnahmen mit seinem Herkunftsland Äthiopien sind dem Antragsteller seit dem Abschluss seines Asylerstverfahrens zumutbar. Da er in Äthiopien seinen Lebensmittelpunkt hatte, musste es sich ihm, nachdem er mit dem eritreischen Vertrauensanwalt nicht weiterkam, aufdrängen, weitere Unterlagen aus dem Land seines gewöhnlichen Aufenthalts zu beschaffen. Dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag des Antragsgegners zufolge wurde ihm hierfür bereits im Rahmen der Aufforderung zur Passbeschaffung eine Liste von Anwälten in Äthiopien übersandt. Der Antragsteller hätte somit auch die Möglichkeit gehabt, sich um die genannten Dokumente aus Äthiopien zu bemühen und seine Identität auf diesem Wege zu klären. Allein auf die zunächst fehlgeschlagene Pass(ersatz) beschaffung über die äthiopische Botschaft hätte er sich nicht beschränken dürfen. Aus Sicht des Gerichts ist es nicht wahrscheinlich, dass der Antragsteller während seines mehrjährigen Aufenthalts in der Bundesrepublik seit dem Abschluss seines Asylerstverfahrens im Juni 2017 keine Möglichkeit hatte, eines der genannten Dokumente aus Äthiopien zu beschaffen.
b) Schließlich hat der Antragsteller weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass er alles Erforderliche und ihm Zumutbare unternommen hat, um Identitätsdokumente über das Generalkonsulat des Staates Eritrea in Frankfurt oder die Botschaft in Berlin zu beantragen. Dass er sich mit seinem Anliegen der Beschaffung eines eritreischen Personaldokuments – wie ausweislich der Internetseite des Generalkonsulats in Frankfurt verlangt-auf dem Postweg an dieses gewandt hat, ist weder dargelegt noch glaubhaft gemacht. Dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung waren lediglich Anfragen per E-Mail beigegeben, denen keinerlei Angaben oder Dokumente beigefügt waren, die die eritreische Herkunft des Antragstellers oder seines Vaters zu belegen geeignet wären. Die Taufurkunde hat der Antragsteller erstmals mit E-Mail vom 29. September 2020 übersandt. Auch Versuche, das Konsulat oder die Botschaft nach August 2019 telefonisch zu kontaktieren, wurden nicht dargelegt.
4. Schließlich hat der Antragsteller auch einen Anspruch auf eine Beschäftigungserlaubnis hinsichtlich der begehrten Berufsausbildung nicht glaubhaft gemacht. Ob der Antragsteller derzeit im Besitz einer Duldung mit dem Zusatz „Duldung für Personen mit ungeklärter Identität“ gemäß § 60b AufenthG ist, welche die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis ausschließt, ist dem Gericht nicht bekannt. Die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis steht aber jedenfalls nach § 4 Abs. 4 Satz 3 i. V. m. § 42 Abs. 2 Nr. 4 AufenthG i. V. m. § 32 BeschV im Ermessen der Ausländerbehörde. Angesichts obiger Ausführungen zur nicht geklärten Identität und zu den zumutbaren Maßnahmen der Identitätsklärung ist eine Ermessensreduzierung auf null nicht ersichtlich.
II. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 und 2 GKG. Die wirtschaftliche Bedeutung einer Ausbildungsduldung rechtfertigt den Ansatz des Auffangwertes (BayVGH, B.v. 5.2.2019 – 10 CE 19.204 -BeckRS 2019, 985 Rn. 10 m.w.N.).
B.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist ebenfalls abzulehnen.
Gemäß § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO ist unter anderem Voraussetzung für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Unabhängig von der finanziellen Situation des Antragstellers hat er einen Anordnungsanspruch auf Erteilung der beantragten Ausbildungsduldung und Beschäftigungserlaubnis nicht glaubhaft gemacht, sodass der Antrag nach § 123 VwGO – wie unter A. dargestellt – keine hinreichende Erfolgsaussicht bietet.


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