Verwaltungsrecht

Einstweiliger Rechtsschutz (abgelehnt), Fehlender vorheriger Antrag bei Behörde, Kostenbeitrag für vollstationäre Unterbringung, Berücksichtigung von Stiefkindern, (Teil) Nichtigkeit Kostenbeitragsverordnung, Interessensabwägung

Aktenzeichen  M 18 S 20.6559

Datum:
16.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 15801
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 80 Abs. 6
SGB VIII § 94
KostenbeitragsV

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen seine Heranziehung zu einem jugendhilferechtlichen Kostenbeitrag.
Der Antragsteller hat drei leibliche minderjährige Kinder, zwei davon leben mit ihm, für seine am … … 2005 geborene Tochter R. wird durch den Antragsgegner Hilfe zur Erziehung in Form von vollstationärer Jugendhilfe durch Übernahme der Unterbringungskosten geleistet. Der Antragsteller ist in zweiter Ehe verheiratet. Seine zweite Ehefrau brachte drei minderjährige Kinder mit in die Ehe. Somit leben neben dem Ehepaar fünf Kinder in dem Haushalt.
Die Tochter R. wurde zunächst am … … 2019 von dem Antragsgegner in Obhut genommen. Mit Schreiben gleichen Datums wurde der Antragsteller über seine Kostenbeitragspflicht informiert. Nach Vorlage der entsprechenden einkommensrelevanten Unterlagen wurde mit Bescheid vom 25. November 2019 ein einkommensabhängiger Kostenbeitrag ab … … 2019 auf 510 EUR monatlich festgesetzt.
Nachdem die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern eine Unterbringung der Tochter R. in einer Jugendhilfeeinrichtung beantragt hatten, beendete der Antragsgegner mit Bescheid vom 7. Januar 2020 die Inobhutnahme mit Ablauf des … … 2019 und bewilligte ab … … 2019 Hilfe zur Erziehung in Form von vollstationärer Jugendhilfe. Mit Schreiben gleichen Datums wurde auf die Erhebung eines Kostenbeitrags auch für diese Maßnahme und die Auswirkungen auf die Unterhaltsverpflichtungen hingewiesen. Für die jährliche Überprüfung des Kostenbeitrags wurde um Vorlage der entsprechenden Einkommensnachweise gebeten, welche am 4. Februar 2020 beim Antragsgegner eingingen. Mit Schreiben vom 10. Februar 2020 wurde dem Antragsteller mitgeteilt, dass sich auch für das Kalenderjahr 2020 ein Kostenbeitrag in Höhe von 510 EUR monatlich ergebe.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 24. Februar 2020 setzte der Antragsgegner für die ab … … 2019 gewährte Hilfe zur Erziehung einen monatlich zu leistenden einkommensabhängigen Kostenbeitrag ab … … 2019 und ab dem 1. Januar 2020 auf 510 EUR fest.
Der Antragsteller legte mit Schreiben vom 1. März 2020 Widerspruch gegen diesen Bescheid ein. Mit Schreiben vom 9. April 2020 bestellte sich der Bevollmächtigte des Antragstellers und begründete den Widerspruch mit Schreiben vom 28. April 2020 insbesondere damit, dass die drei Kinder der zweiten Ehefrau des Antragstellers auf Grund seiner faktischen Unterhaltsleistungen bei der Berechnung des Kostenbeitrags berücksichtigt werden müssten. Mit Schreiben vom 23. Juni und 7. Juli 2020 ergänzte der Bevollmächtigte des Antragstellers seine Widerspruchsbegründung. Im Wesentlichen trug er vor, dass der Antragsteller neben dem Betreuungssowie dem vollen Kindes-Barunterhalt für seine leiblichen Kinder auch den vollen Kindes-Barunterhalt für die drei Kinder der zweiten Ehefrau leiste, da ein Mangelfall für diese vorläge. Zwar sei dem leiblichen Kindsvater gegenüber Kindesunterhalt tituliert, dieser würde aber weder geleistet noch beigetrieben und staatliche Leistungen würden nicht den gesetzlichen Mindestunterhalt erreichen. Aufgrund der Kinderbetreuung aller sechs Kinder arbeite die Ehefrau selbst nur in Teilzeit und habe deshalb einen geringeren Verdienst, ermögliche aber dadurch ihrem Ehemann in Vollzeit zu arbeiten und erspare ihm kostenintensive Aufwendungen für notwendige Fremdbetreuung. Zudem wurde vorgetragen, dass die steuerlichen Vorteile der zweiten Eheschließung einschließlich der Kinderfreibeträge für die Kinder der Ehefrau aus erster Ehe auch zu Gunsten dieser Kinder aus erster Ehe Berücksichtigung finden müssten. Daher sei als Abrechnungsbasis für das nach Kostenbeitragsverordnung relevante Einkommen das Einkommen nach der Steuerklasse I/1,5 Kinderfreibeträge zu Grunde zu legen. Außerdem sei die Anlage der Kostenbeitragsverordnung überholt und in ihrer jetzigen Form rechtswidrig und verstoße außerdem gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
Nach rechtlichem Hinweis der Widerspruchsbehörde änderte der Antragsgegner mit Bescheid vom 16. September 2020 den streitgegenständlichen Bescheid vom 24. Februar 2020 insoweit, als dass der Antragsteller zur Zahlung erst ab dem 10. Januar 2020 verpflichtet wurde.
Mit Schreiben vom 25. September 2020 legte der Bevollmächtigte des Antragstellers Widerspruch auch gegen den Bescheid vom 16. September 2020 ein, soweit weiterhin ein monatlich zu leistenden Kostenbeitrag in Höhe von 510 EUR festgesetzt wurde.
Die Widerspruchsbehörde wies mit Bescheid vom 2. November 2020, dem Bevollmächtigten zugestellt am 5. November 2020, den Widerspruch vom 1. März 2020 zurück, soweit ihm nicht mit Teilabhilfebescheid vom 16. September 2020 abgeholfen wurde (Ziffer 1 des Bescheides). Unter Ziffer 2 wurde auch der Widerspruch vom 25. September 2020 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass das Einkommen des Antragstellers korrekt ermittelt und der zu leistende Kostenbeitrag in der richtigen Höhe festgesetzt worden sei. Darüber hinaus wurde erläutert, dass die Einkommensberechnung sich nicht nach steuerrechtlichen Vorschriften richte, sondern nach den §§ 93 ff. SGB VIII, der Kostenbeitragsverordnung sowie den hierzu erlassenen Empfehlungen zur Anwendung der §§ 91 bis 95 SGB VIII. Die Tabelle zur Kostenbeitragsverordnung verstoße auch nicht erkennbar gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Ihrer Anwendung als Grundlage für die Entscheidung über den Widerspruch begegne daher keine Bedenken. Gründe für die Annahme, dass der Antragsteller durch die Anwendung der Kostenbeitragsverordnung im Ergebnis anders behandelt würde als die Kostenbeitragspflichtigen in vergleichbaren Fällen, d. h. solche mit vergleichbarem Einkommen und in vergleichbaren Lebensverhältnissen, seien nicht ersichtlich.
Mit Schreiben vom 6. Dezember 2020 erhob der Bevollmächtigte für den Antragsteller Klage beim Verwaltungsgericht München und beantragte, den „Bescheid vom 1. März 2020“, dessen Teilabhilfebescheid vom 16. September 2020 und den Widerspruchsbescheid aufzuheben (M 18 K 20.6500).
Mit Schreiben vom 7. Dezember 2020 korrigierte der Bevollmächtigte den Klageantrag hinsichtlich des in der Klage bezeichneten Bescheiddatums auf den 24. Februar 2020 und beantragt zudem:
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wird angeordnet.
Der Antragsgegner beantragte mit Schreiben vom 1. Februar 2021,
den Antrag abzuweisen.
Zur Begründung verwies der Antragsgegner auf die Ausführungen im Schreiben gleichen Datums zum Verfahren M 18 K 20.6500. Ergänzend führte er aus, dass die Vollziehung des Bescheides für den Antragsteller keine unbillige, nicht durch überwiegend öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge habe. Der Antragsteller sei dadurch nicht in seiner Existenz gefährdet oder von einer Überschuldung bedroht. Dem Antragsteller und seiner Familie stünden auch weiterhin ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhaltes zur Verfügung.
Mit Schreiben vom 29. März 2021 begründete der Bevollmächtigte des Antragstellers die Klage im Verfahren M 18 K 20.6500 unter Bezugnahme auf seine Widerspruchsbegründung insbesondere damit, dass „alle weiteren fünf Kinder“ als unterhaltsberechtigte Kinder bei der Einordnung in die Gehaltsgruppe der Kostenbeitragsverordnung zu berücksichtigen seien. Hilfsweise sei eine Berechnung vorzunehmen, wonach die Einkünfte statt Steuerklasse III/6,0 Kinderfreibeträge nach der Steuerklasse I/1,5 Kinderfreibeiträge zu berechnen seien, d.h. wie wenn der Antragsteller nicht verheiratet wäre, denn aufgrund des Liquiditätsbedarfs der Familie seien sämtliche steuerlichen Vorteile mit dem Ziel der Erhöhung des insgesamt zu Verfügung stehenden Nettoeinkommens auf den Antragsteller verlagert worden. Des Weiteren führt der Bevollmächtigte aus, dass die Kostenbeitragsverordnung in ihrer derzeitigen, aus dem Jahr 2013 stammenden Form inzwischen in ihrer Gesamtstruktur rechtswidrig sei und nicht mehr angewendet werden dürfe. Die Kostenbeitragsverordnung sei 2013 in Anlehnung an die Rechtsprechung zum Kindesunterhalt angepasst worden. Im Bereich der unterhaltsrechtlichen Entwicklungen habe sich jüngst vor allem der notwendige Selbstbehalt geändert (im Jahr 2021 ein Anstieg von 16,00%). Die Kostenbeitragsverordnung sei aber nicht angepasst worden, womit sie nicht mehr im Einklang mit dem garantiert dem Unterhaltspflichtigen zu belassenden Schoneinkommen sei.
Außerdem trägt der Bevollmächtigte vor, dass der Aufbau der Kostenbeitragsverordnung gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoße. Mit Ausnahme des Schonbetrags in der Einkommensgruppe 2 würden die Eltern mit einem umso höheren Prozentsatz des den Schonbetrag übersteigenden Anspruchs in Anspruch genommen. Je enger die Einkommensverhältnisse des betreffenden Elternteils, desto relativ mehr müsse als Beitrag zu den Aufwendungen des Jugendamts geleistet werden.
Eine (zusätzliche) Stellungnahme im vorliegenden Verfahren erfolgte durch den Bevollmächtigten trotz gerichtliche Nachfrage vom 1. April 2021 nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren sowie im Verfahren M 18 K 20.6500 sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist unzulässig, im Übrigen aber auch unbegründet.
Der Klage kommt keine aufschiebende Wirkung zu, so dass ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO grundsätzlich statthaft ist. Die weitere Zugangsvoraussetzung des § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO ist jedoch nicht erfüllt.
Die Klage des Antragstellers hat nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO keine aufschiebende Wirkung, denn der mit dem angefochtenen Bescheid gemäß §§ 91 ff. SGB VIII erhobene Kostenbeitrag zählt zu den öffentlichen Abgaben. Das Gericht folgt der in Rechtsprechung und Literatur herrschenden Meinung, wonach den jugendhilferechtlichen Kostenbeiträgen eine Finanzierungsfunktion zukommt, die nicht völlige Nebenwirkung ist. Diese Ansicht findet vor allem durch die Gesetzesbegründung eine Stütze, welche die Finanzierungsfunktion hinreichend deutlich macht (BT-Drs. 15/3676 S. 45 und 48) und (a.a.O. S. 41) ausdrücklich festhält (vgl. BayVGH, B.v. 19.12.2007 – 12 CS 07.2895 -, juris Rn. 10 ff.; Krome in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 2. Aufl. 2018, § 92 SGB VIII, Rn. 69 ff.; Wiesner/Loos, 5. Aufl. 2015, SGB VIII § 92 Rn. 11a; DIJuF-GutA JAmt 2006, 28, a.A. LPK-SGB VIII/Peter-Christian Kunkel/Jan Kepert, 7. Aufl. 2018, SGB VIII § 92 Rn. 13).
Dem Antrag fehlt jedoch die weitere Zugangsvoraussetzung des § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO, wonach ein Antrag auf aufschiebende Wirkung der Klage gegen öffentliche Abgaben und Kosten den Anforderungen nur zulässig ist, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Ein solcher Antrag wurde bisher nicht gestellt.
Es liegt auch kein Fall der Entbehrlichkeit der vorherigen Ablehnung eines Aussetzungsantrags durch die Behörde gemäß § 80 Abs. 6 Satz 2 VwGO vor. Von einer drohenden Vollstreckung im Sinne von § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO ist nur auszugehen, wenn bereits konkrete Ankündigungen, Fristsetzungen oder sonstige konkrete Vorbereitungshandlungen der Behörde für eine alsbaldige Durchsetzung des Kostenbescheids in Rede stehen (BayVGH, B.v. 25.3.1993 – 23 CS 93.412 – juris Rn. 9). Dafür ist vorliegend nichts ersichtlich und auch nichts vorgetragen. Dass die Behörde zu erkennen gibt, dass sie die Vollziehung eines Kostenbescheids nicht von sich aus aussetzen will (Schoch/Schneider VwGO/Schoch, 39. EL Juli 2020, § 80 VwGO, Rn. 515), genügt grundsätzlich ebenso wenig wie ein im Bescheid enthaltener formularmäßiger Hinweis auf Vollstreckung bei nicht fristgerechter Zahlung (BayVGH, B.v. 9.6.2008 – 8 CS 08.1117 – juris). Es müssen vielmehr Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet oder der Beginn der Vollstreckung behördlich angekündigt sein; wenigstens müssen aus der Sicht eines objektiven Betrachters konkrete Vorbereitungshandlungen der Behörde für eine alsbaldige Durchsetzung des Abgabenbescheids vorliegen (Schoch/Schneider VwGO/Schoch § 80 VwGO, Rn. 515), die hier nicht gegeben sind.
Die ebenfalls umstrittene Frage, ob der Aussetzungsantrag bei der Behörde während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 9.6.2008 – 8 CS 08.1117 – juris Rn. 2; Eyermann/Hoppe, 15. Aufl. 2019, § 80 VwGO, Rn. 74), kann vorliegend offenbleiben, da der anwaltlich vertretene Antragsteller nicht vorgetragen hat, dass er zumindest nachträglich einen solchen Antrag gestellt hätte.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hätte aber auch in der Sache keinen Erfolg. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 1 bis 3a VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat dabei abzuwägen, zwischen dem in der gesetzlichen Regelung zum Ausdruck kommenden Interesse der Behörde an der sofortigen Vollziehung und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei der zu treffenden Abwägung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich der Bescheid bei dieser Prüfung dagegen als rechtswidrig und das Hauptsacheverfahren damit voraussichtlich als erfolgreich, ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung regelmäßig zu verneinen. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens hingegen offen, kommt es zu einer allgemeinen Abwägung der widerstreitenden Interessen.
Unter Anwendung dieser Grundsätze ist der Antrag auch als unbegründet abzulehnen, weil nach der im Eilverfahren vorgenommenen summarischen Prüfung die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zwar offen sind, jedoch das Interesse der Behörde an der sofortigen Vollziehung überwiegt.
Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, hier also der Zeitpunkt der Entscheidung der Widerspruchsbehörde (vgl. BayVGH, B.v. 9.8.2012 – 12 C 12.1627 – juris Rn. 3; VG München, U.v. 9.7.2020 – 18 K 17.5881 – juris Rn. 45; VG Würzburg, U.v. 28.2.2019 – W 3 K 17.1340 – juris Rn. 29).
Der Antragsteller wurde gemäß § 91 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b i.V.m. §§ 27, 34 SGB VIII und § 92 Abs. 1 Nr. 5 Halbs. 1, Abs. 2 SGB VIII als Elternteil zu einem einkommensabhängigen Beitrag zu den Kosten für die vollstationäre Unterbringung seiner Tochter herangezogen.
Es ist in § 93 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII von einem selbstständigen Einkommensbegriff auszugehen (s. BT-Drs. 15/3676, S. 42). Daher kann den Argumenten des Bevollmächtigten nicht gefolgt werden, dass zumindest die Einkünfte nach Versteuerung nach Steuerklasse I/1,5 Kinderfreibeträge zu Grunde zu legen seien. Die Einkommensberechnung bemisst sich ausschließlich nach § 93 SGB VIII und ist nicht an das Steuerrecht gekoppelt. Bei der Ermittlung des für die Beitragserhebung maßgeblichen bereinigten Einkommens sind nach dem Wortlaut des § 93 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII alle „auf das Einkommen gezahlte Steuern“ vom Bruttogehalt abzuziehen. Nach dem in dieser Bestimmung enthaltenen Tatsächlichkeitsprinzip sind die entrichteten einkommensbezogenen Steuern grundsätzlich in der tatsächlich geleisteten Höhe anrechnungsfähig, nicht etwa ein fiktiver Steuerbetrag (BVerwG U.v. 11.10.2012 – 5 C 22/11 – juris Rn. 23 m.w.N.; Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 93 Rn. 19).
Zutreffend ist der Antragsgegner daher von einem durchschnittlichen monatlichen bereinigten Nettoeinkommen gemäß § 93 SGB VIII in Höhe von 3.196,10 EUR ausgegangen und hat an notwendigen Ausgaben die Pauschale in Höhe von 25% gemäß § 93 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII anerkannt, da die nach § 93 Abs. 3 Satz 3 nachgewiesenen Belastungen einschließlich der Schuldverpflichtungen diesen Betrag nicht überstiegen haben.
Die Höhe des Kostenbeitrages bestimmt sich nach der Kostenbeitragsverordnung (KostenbeitragsV). Nach § 1 Abs. 1 dieser Verordnung ergibt sich zunächst eine Eingruppierung in die Einkommensgruppe 12 gemäß Spalte 1 der Anlage zur KostenbeitragsV (Einkommensrahmen 3.001,00 bis 3.300,99 EUR). Des Weiteren wurde der Antragsteller wegen bestehender Unterhaltspflichten gegenüber seinen weiteren leiblichen minderjährigen Kindern zutreffend nach § 94 Abs. 5 SGB VIII i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 2 KostenbeitragsV in die Einkommensgruppe 10 der Anlage zur KostenbeitragsV herabgestuft, so dass sich nach Spalte 1 der Anlage zur KostenbeitragsV ein Kostenbeitrag i.H.v. 510 EUR ergibt.
Richtigerweise wurden nur die beiden eigenen Kinder des Antragstellers berücksichtigt. Entgegen des Vortrags des Bevollmächtigten sind die weiteren im Haushalt lebenden Kinder der zweiten Ehefrau insoweit nicht zu berücksichtigen (vgl. hierzu: DIJuF-Rechtsgutachten vom 24.01.2008, „Berücksichtigung von Stiefkindern im Rahmen der Kostenbeteiligung nach §§ 91 ff. SGB VIII“ (JAmt 2008, 252)).
Inwieweit im vorliegenden Fall freiwillige Unterhaltsleistungen als besondere Härte über § 92 Abs. 5 SGB VIII möglicherweise berücksichtigt werden können (vgl. auch hierzu DIJuF-Gutachten, a.a.O.), kann im vorliegenden Eilverfahren nicht abschließend entschieden werden.
Gleichermaßen kann im einstweiligen Rechtsschutz die Problematik, ob die Heranziehung auch angemessen i.S.v. § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII war, nicht abschließend entschieden werden. Zu Recht bringt der Bevollmächtigte zwar vor, dass seit dem Jahr 2020 der notwendige Selbstbehalt nach Nr. 21.2 SüdL nicht mehr mit dem Schonbetrag in Stufe 1 der Tabelle der Kostenbeitragsverordnung übereinstimmt. Ob und inwieweit allerdings in diesem Fall eine (Teil) Nichtigkeit der als Rechtsgrundlage der Festsetzung dienenden Rechtsverordnung vorliegt und das Angemessenheitsgebot durch die Festsetzung des Kostenbeitrags verletzt wird, kann nach summarischer Prüfung nicht abschließend beurteilt werden. Insoweit verweist das Gericht insbesondere auf die Erwägungen des BVerwG (U.v. 19.8.2010 – 5 C 10/09 – juris Rn. 28) für den Fall einer systematischen Verfehlung der Selbstbehaltsgrenze bei den unteren Einkommensgruppen (Zumindest fällt der Antragsteller mit seiner Eingruppierung in die Einkommensgruppe 10 nicht in eine solche untere Einkommensgruppe, so dass sich durch seine Heranziehung entsprechend der Kostenbeitragsverordnung nicht zwingend ein Verstoß gegen den unterhaltsrechtlichen Selbstbehalt ergibt (vgl. auch OVG LSA, U.v. 30.2.2014 – 4 L 32/13)).
Entgegen der Ansicht des Bevollmächtigten kann das Gericht im Übrigen jedoch keinen Verstoß des grundsätzlichen Aufbaus der Kostenbeitragsverordnung gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG erkennen. Maßstab ist nicht der den Schonbetrag übersteigende Prozentsatz, sondern der Anteil des im Vergleich zu Verfügung stehende Vermögens im Ganzen. Einkommensstarke Eltern werden im Vergleich zu einkommensschwächeren betragsmäßig stärker an den Kosten beteiligt. Dies war u.a. mit der Neuregelung der Vorschriften der §§ 91 ff. SGB VIII bezweckt worden (BT-Drucks. 15/3676 S. 48).
Da nach alldem keine zuverlässige Prognose über den Verfahrensausgang in der Hauptsache getroffen werden kann, ist eine reine Interessenabwägung zwischen Aufschub- und Vollzugsinteresse erforderlich. Die Abwägung ergibt hierbei, dass das Vollzugsinteresse das Suspensivinteresse des Antragstellers überwiegt, denn die Wertungen des Gesetzgebers in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 3a VwGO bewertet das öffentliche Interesse am Sofortvollzug besonders hoch. In den benannten Fällen hat der Gesetzgeber einen grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses angeordnet und deshalb bedarf es besonderer Umstände, um eine hiervon abweichende Entscheidung zu rechtfertigen. Hat sich schon der Gesetzgeber für den Sofortvollzug entschieden, sind die Gerichte – neben der Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache – zu einer Einzelfallbetrachtung grundsätzlich nur im Hinblick auf solche Umstände angehalten, die von den Beteiligten vorgetragen werden und die Annahme rechtfertigen können, dass im konkreten Fall von der gesetzgeberischen Grundentscheidung ausnahmsweise abzuweichen ist (vgl. BVerfG, B.v. 10.10.2003 – 1 BvR 2025/03 – juris Rn. 21 f.). Der Bevollmächtigte des Antragstellers hat keine Gründe vorgetragen, die auf besondere, über die im Regelfall mit der Anordnung sofortiger Vollziehung verbundenen Umstände hingewiesen hätten, aufgrund derer eine Abwägung zugunsten der privaten Interessen ausfallen müsste.
Der Antrag war daher sowohl als unzulässig als auch unbegründet abzulehnen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1VwGO.
Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.


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