Verwaltungsrecht

Einstweiliger Rechtsschutz auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis

Aktenzeichen  10 CE 20.2081

Datum:
28.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 26726
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123 Abs. 1
AufenthG § 4 Abs. 4, § 25a, § 60c

 

Leitsatz

1. Nach § 123 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines “vorläufigen Zustands” in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, also nur die Lage offenhalten, um zu vermeiden, dass das Recht bis zu einer Klärung im Hauptsacheprozess untergeht oder seine Durchsetzung wegen des Zeitablaufs mit wesentlichen Nachteilen verbunden ist.  (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch nach der neuen Regelung des § 60c Abs. 2 Nr. 5 AufenthG ist für die Beurteilung der Frage, ob konkrete Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung entgegenstehen, auf den Zeitpunkt der Beantragung einer zeitnah aufzunehmenden, konkret bezeichneten Berufsausbildung unter Vorlage geeigneter Nachweise abzustellen. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 1 E 20.1435 2020-08-27 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag weiter, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Aufenthaltsgesetz, hilfsweise eine Beschäftigungserlaubnis für die Aufnahme einer Ausbildung als Verkäufer zu erteilen.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Überprüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt keine Abänderung des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts.
1. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Eilantrag, soweit er auf die Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG gerichtet ist, schon wegen unzulässiger Vorwegnahme der Hauptsache abzulehnen ist, weil der Antragsteller weder dargelegt noch gar glaubhaft gemacht hat, dass ihm ohne die Gewährung entsprechenden vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (stRspr des BVerwG, vgl. z.B. B.v. 12.4.2016 – 1 WDS-VR 2.16 – juris Rn. 19 m.w.N.). Soweit der Antragsteller einwendet, in seinem Fall komme eine Vorwegnahme der Hauptsache ausnahmsweise in Betracht, da die (hilfsweise begehrte) Beschäftigungserlaubnis für ihn keinen gleichermaßen effektiven Rechtsschutz darstelle und die Eilbedürftigkeit im Hinblick auf den bevorstehenden Ausbildungsbeginn bestehe, verkennt er die Funktion des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO. Nach dieser Bestimmung kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines „vorläufigen Zustands“ in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis – hier: Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG – treffen, also nur die Lage offenhalten, um zu vermeiden, dass das Recht bis zu einer Klärung im Hauptsacheprozess untergeht oder seine Durchsetzung wegen des Zeitablaufs mit wesentlichen Nachteilen verbunden ist (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 123 Rn. 66a). Ausweislich seiner Antragsbegründung will der Antragsteller mit dem vorläufigen Rechtsschutzbegehren die Abschiebung nach Afghanistan verhindern und durch das angestrebte Beschäftigungsverhältnis (Ausbildung als Verkäufer) seinen Lebensunterhalt und damit eine Voraussetzung des Anspruchs nach § 25a AufenthG sichern. Dass ihm insoweit ohne die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels gerade mit Blick auf sein hilfsweise verfolgtes vorläufiges Rechtsschutzbegehren auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis unzumutbare und anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, hat er wieder nachvollziehbar dargelegt noch im Sinne von § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht.
2. Auch die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, der (hilfsweise) auf Verpflichtung des Antragsgegners zur Erteilung einer (zumindest vorläufigen) Beschäftigungserlaubnis gerichtete Eilantrag sei zwar zulässig, aber unbegründet, weil der Antragsteller keinen diesbezüglichen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht habe (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO), wird mit der Beschwerde nicht durchgreifend in Zweifel gezogen.
Das Verwaltungsgericht hat einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis in Verbindung mit einer Ausbildungsduldung (§ 60c Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 1 a) AufenthG) verneint, weil der Ausschlussgrund gemäß § 60c Abs. 2 Nr. 5 AufenthG vorliege. Im hierfür maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung – unabhängig ob man insoweit auf die Vorlage des Ausbildungsvertrags Anfang Juni 2020 oder den ausdrücklichen Antrag des Bevollmächtigten am 3. August 2020 abstelle – hätten konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung vorgelegen, die in einem hinreichenden sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zur Aufenthaltsbeendigung stünden. Der Antragsgegner habe für den Antragsteller am 14. August 2019 die Ausstellung eines Passersatzpapiers beantragt, ihn zur Beantragung eines Reisepasses beim Afghanischen Generalkonsulat veranlasst, den Pass zur Durchführung der beabsichtigten Abschiebung in Verwahrung genommen und dem Antragsteller unter Hinweis auf die beabsichtigte Abschiebung lediglich Duldungen wegen Coronabedingter Einschränkungen der Rückkehr- und Rückführungsmöglichkeiten erteilt. Damit sei auch der hinreichende sachliche und zeitliche Zusammenhang dieser konkreten Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung gegeben.
Der Einwand des Antragstellers, der Antragsgegner habe keinen Antrag auf Ausstellung eines Passersatzpapiers gestellt, ist unbehelflich. Mit Schreiben vom 14. August 2019 hat die Zentrale Ausländerbehörde Schwaben dem Landesamt für Asyl und Rückführungen – Dienststelle München/Zentrale Passersatzbeschaffung – den Antrag an die Afghanische Botschaft (München) auf Ausstellung eines „Transit Pass for Returning to Afghanistan“ für den Antragsteller übersandt (Bl. 317 f. der Behördenakte). Aufgrund mangelnder Identitätsnachweise hat die Zentrale Ausländerbehörde den Antragsteller mit Bescheid vom 13. Dezember 2019 zur Vorstellung beim Generalkonsulat der Islamischen Republik Afghanistan in München zum Zwecke der Herkunfts- und Identitätsfeststellung verpflichtet und gleichzeitig verfügt, dass ein ausgestelltes Reisedokument der Ausländerbehörde vorzulegen ist. Diese Vorführung am 8. Januar 2020 beim Generalkonsulat hat dann zur Identifizierung des Antragstellers als afghanischer Staatsangehöriger und schließlich (im März 2020) zur angeordneten Überlassung und behördlichen Verwahrung des vom Afghanischen Generalkonsulat ausgestellten Reisepasses bei der zuständigen Zentralen Ausländerbehörde geführt (Bl. 408 und 435 ff. der Behördenakte). Auf diese Gesamtumstände hat das Verwaltungsgericht seine Annahme, der Antragsgegner habe konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung ergriffen, gestützt.
Soweit der Antragsteller rügt, es komme vorliegend entscheidungserheblich auf den Zeitpunkt seiner Beantragung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG im August 2019 an, wird von ihm verkannt, dass auch nach der neuen Regelung des § 60c Abs. 2 Nr. 5 AufenthG für die Beurteilung der Frage, ob konkrete Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung entgegenstehen, auf den Zeitpunkt der Beantragung einer zeitnah aufzunehmenden, konkret bezeichneten Berufsausbildung unter Vorlage geeigneter Nachweise abzustellen ist (vgl. BayVGH, B.v. 28.2.2020 – 10 C 20.32 – juris Rn. 15 m.w.N.), vorliegend also die streitgegenständliche Berufsausbildung des Antragstellers als Verkäufer beim V-Markt M. gemäß dem der Behörde am 22. Juni 2020 vorgelegten Berufsausbildungsvertrag (Bl. 584 der Behördenakte).
Schließlich greift auch der Einwand, es fehle am erforderlichen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen den von der Behörde unternommenen konkreten Maßnahmen und der angestrebten Aufenthaltsbeendigung, weil die Möglichkeit einer Abschiebung nach Afghanistan derzeit nicht absehbar und ein pauschaler Hinweis des Antragsgegners auf für Herbst geplante Abschiebungsflüge nicht ausreichend sei, nicht durch. Denn das Verwaltungsgericht hat in rechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass die vom Antragsgegner geplante Abschiebung des Antragstellers lediglich aufgrund der besonderen Umstände der Corona-Pandemie bisher noch nicht habe vollzogen werden können und der inzwischen verstrichene Zeitraum den erforderlichen zeitlichen Zusammenhang jedenfalls (noch) nicht durchbrochen habe; der Antragsgegner habe unter Bezugnahme auf eine Mitteilung des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat zur aktuellen Lagefortschreibung nachvollziehbar ausgeführt, dass die Wiederaufnahme der Sammelabschiebungsmaßnahmen nach Afghanistan für Herbst 2020 geplant sei. Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist es insoweit ausreichend, dass die Abschiebung in absehbarer Zeit grundsätzlich möglich ist; auf einen konkret bestimmbaren Zeitpunkt der Abschiebung kommt es – wie schon die Beispiele in § 60c Abs. 2 Nr. 5 Buchst. a) bis e) AufenthG verdeutlichen – nicht entscheidend an.
Dass ungeachtet dessen ein Anspruch des Antragstellers auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis für das betreffende Ausbildungsverhältnis nach § 4a Abs. 4 AufenthG (§ 4 Abs. 3 Satz 3 AufenthG a.F.) in Verbindung mit § 32 BeschV besteht, weil das Ermessen des Antragsgegners auf Null reduziert ist, wird vom Antragsteller mit seiner Beschwerde zwar behauptet. Das Verwaltungsgericht verweist insoweit aber zu Recht auf die oben (zum Ausschlussgrund des § 60c Abs. 2 Nr. 5 AufenthG) dargelegten Erwägungen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 3 Nr. 1, § 45 Abs. 1 Satz 2, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben