Verwaltungsrecht

Einstweiliger Rechtsschutz bei einer bindenden Hauptsacheentscheidung (hier: Versagungsbescheid)

Aktenzeichen  L 7 AS 160/16 B ER

Datum:
21.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG SGG§§ 77, 84, 86b II 2, 142 II 3, 173
SGB I SGB I § 66
SGB II SGB II § 9 II 3
SGB XII SGB XII § 27

 

Leitsatz

1. Zur zweistufigen Prüfung im Eilverfahren, wenn ein Versagungsbescheid nach § 66 SGB I ergangen ist und vorläufige Leistungen im Wege der einstweiligen Anordnung begehrt werden. (amtlicher Leitsatz)
2 Ausgehend vom Streitgegenstand eines Anordnungsverfahren, im Eilverfahren zu prüfen, inwieweit dem Antragsteller für einen Zwischenzeitraum bis zur Hauptsacheentscheidung eine bestimmte Rechtsposition zusteht, ist ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz bei einer bindenden Hauptsacheentscheidung bereits unzulässig (redaktioneller Leitsatz)
3 Ein Versagungsbescheid, der im Bereich des SGB XII ergeht, ist nicht sofort vollziehbar, so dass ein rechtzeitiger Widerspruch gemäß § 86a I SGG regelmäßig aufschiebende Wirkung entfaltet. Dies muss im Eilverfahren im Tenor nur dann gesondert festgestellt werden, wenn dies die Behörde bestreitet (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 50 AS 141/16 2016-02-16 Bes SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 16. Februar 2016 wird zurückgewiesen.
II. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

II. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, weil das Sozialgericht München den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu Recht abgelehnt hat.
1. Das Beschwerdegericht schließt sich bezüglich des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG der überzeugenden Begründung des Sozialgerichts an und weist die Beschwerde aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.
2. Bezüglich des Hilfsantrags auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach §§ 27 ff SGB XII (keine Leistungen nach §§ 41 ff SGB XII wegen des Lebensalters) ist ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG statthalt, weil der Antragsteller eine Erweiterung seiner bisherigen Rechtspositionen anstrebt. Der Hilfsantrag wird zumindest als sachdienliche Antragsänderung entsprechend § 99 Abs. 2 SGG betrachtet.
Dem Hilfsantrag steht jedoch der bestandskräftige Versagungsbescheid vom Januar 2016 entgegen.
Obwohl im Hauptsacheverfahren gegen einen Versagungsbescheid bis auf wenige Ausnahmefälle nur die Anfechtungsklage gegeben ist, ist es im einstweiligen Rechtsschutz grundsätzlich möglich, vorläufig Leistungen zuzusprechen (vgl. LSG Bayern, Beschluss vom 13.10.2007, L 7 B 572/07 AS ER und LSG Bayern Beschluss vom 13.10.2008, L 11 B 808/08 AS ER). Dies gilt für den Fall, dass der Versagungsbescheid kraft aufschiebender Wirkung nicht vollziehbar ist. Dann entspricht das Verwaltungsverfahren weitgehend der Situation, wenn noch keine Entscheidung in der Sache ergangen ist. Es ist deshalb regelmäßig eine zweistufige Prüfung (zuerst aufschiebende Wirkung beim Versagungsbescheid, dann einstweilige Anordnung) erforderlich.
Ein Versagungsbescheid, der im Bereich des SGB XII ergeht, ist nicht sofort vollziehbar, so dass ein rechtzeitiger Widerspruch gemäß § 86a Abs. 1 SGG regelmäßig aufschiebende Wirkung entfaltet. Dies muss im Eilverfahren im Tenor nur dann gesondert festgestellt werden, wenn dies die Behörde bestreitet (deklaratorischer feststellender Beschluss im Zweifelsfall, vgl. Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 11. Auflage 2014 § 86b, Rn. 15).
Hier fehlt es aber an einem rechtzeitigen Widerspruch. Der Versagungsbescheid vom Januar 2016 enthält eine zutreffende Rechtsbehelfsbelehrung, so dass es bei der einmonatigen Widerspruchsfrist nach § 84 SGG verbleibt. Der Bescheid wurde dem Antragsteller am 22.01.2016 zugestellt. Den Zugang des Bescheids hat der Antragsteller im Beschwerdeverfahren auch zugestanden. Die Widerspruchsfrist endete gemäß § 64 SGG mit Ablauf des 22.02.2016. Ein Widerspruch ist nicht ersichtlich. Damit ist das Verwaltungsverfahren bestandskräftig beendet, § 77 SGG.
Ausgehend vom Streitgegenstand eines Anordnungsverfahren, im Eilverfahren zu prüfen, inwieweit dem Antragsteller für einen Zwischenzeitraum bis zur Hauptsacheentscheidung eine bestimmte Rechtsposition zusteht, ist ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz bei einer bindenden Hauptsacheentscheidung bereits unzulässig (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 11. Auflage 2014, § 86b Rn. 26d). Es gibt kein offenes „streitiges Rechtsverhältnis“ im Sinn von § 86b Abs. 2 S. 2 SGG, das das Gericht vorläufig regeln könnte. Die zweite Stufe der Prüfung der einstweiligen Anordnung entfällt.
3. Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass auch in der Sache ein Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nicht ersichtlich ist. Im Gegensatz zum SGB II wird im SGB XII das persönliche Einkommen zuerst bei der Person angerechnet, die das Einkommen erzielt hat (sog. vertikale Anrechnung; im SGB II erfolgt dagegen eine verwaltungsaufwändige Begünstigung des Bundes durch die horizontale Anrechnung quer durch die Bedarfsgemeinschaft gemäß § 19 Abs. 3 S. 2, § 9 Abs. 2 S. 3 SGB II, die wohl auch das Neunte SGB II-Änderungsgesetz überstehen wird). Dies bedeutet, dass die Rente von 810,90 Euro den Regelbedarf und die halben Unterkunftskosten abdeckt und der Antragsteller keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt hat. Auf die Frage, ob eine eheähnliche Gemeinschaft besteht, kommt es hierbei nicht an. Die fortlaufenden gemeinsamen Umzugsbemühungen und die geringe Untermiete von Frau S. sprechen allerdings für eine sog. gemischte Bedarfsgemeinschaft. Die gemeinsame Wohnung kann nur dann finanziert werden, wenn Frau S. den Antrag auf BAB weiterverfolgt.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

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